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Demokratie: Altes Ideal oder neuer Etikettenschwindel?

Rahim Taghizadegan am 1. Dezember 2017

Demokratie gilt heute als einer der höchsten Werte und hat schon fast den Charakter eines religiösen Tabus. Verblüffend dabei ist, dass der tatsächliche Inhalt hinter der Fassade des altehrwürdigen Begriffs fast nichts mehr mit der eigentlichen Grundbedeutung zu tun hat. Gerade weil wir diese Bedeutung vergessen haben, taugt das Wort nur noch als Beschwörungsformel, die den laufenden Abbau tatsächlicher Demokratie maskiert.In dieser Schrift wird die historische Grundbedeutung klar nachgezeichnet, sowie die überraschende Begriffsentwicklung bis heute. Die Intention ist weder antidemokratisch, noch unkritisch prodemokratisch, sondern um Erkenntnis bemüht: Dabei wird die vergessene und verdrängte Demokratiekritik ebenso an die Oberfläche gebracht, wie die positiven Möglichkeiten und Hoffnungen, die im Begriff der Demokratie unter all den Oberflächlichkeiten der Zeit und der Politik tief verschüttet liegen.

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Filed Under: Buch

Die Bürokratie und ihre Anreize

Rahim Taghizadegan am 24. November 2017

Österreich gilt schon lange als Inbegriff der Bürokratie. So erstaunt es nicht, dass ausgerechnet die Wiener Schule der Ökonomik wesentliche Einsichten zu diesem Phänomen lieferte, das erstaunliche Konstanz beweist. Vor mehr als hundert Jahren war Wien Zentrum einer wissenschaftlichen und kulturellen Blüte, Geburtsstätte zahlreicher Wiener Schulen, aber eben auch Verwaltungszentrum, von dem aus knapp eine halbe Million Staatsbedienstete in Amt und Lohn gehalten wurden. Heute ist die Wissenschaft verblüht, die Kultur nur noch museal bewahrt, die Wiener Schule der Ökonomik in Vergessenheit geraten – aber noch immer wachen eine gute halbe Million Staatsbedienstete über das Wohl ihrer Untertanen. Man könnte schelmisch schließen, dass in Österreich das Wunder gelungen ist, die Bürokratie in hundert Jahren kaum wachsen zu lassen – nur der Staat ist geschrumpft.

Damit ist Österreich sowohl Bestätigung als auch Ausnahme der Parkinsonschen Gesetze: Der Marinehistoriker Cyril N. Parkinson hatte beobachtet, dass in derselben Zeit, in der die britische Flotte zwei Drittel ihrer Schiffe verlor, die Admiralität um 80 Prozent wuchs. Dahinter vermutete Parkinson defätistisch ein ehernes Gesetz. Dieses lässt sich durch eine physikalische Analogie illustrieren: Die Bürokratie dürfen wir nicht als Festkörper betrachten – etwa als feste soziale Klasse –, noch als Flüssigkeit – etwa als fluide Bewegung –, sondern als gasförmig – als bürokratischen Geist. Jedes ihr zugemessene Volumen füllt sie vollumfänglich aus.

Das erklärt das Unbehagen, das sie auslöst. Die meisten Liberalen schließen folgende drei Empfehlungen aus der Alltagserfahrung mit der Bürokratie: Erstens, Beamte benötigen bessere Anreize. Zweitens, wenn das nicht gelingt, so muss zumindest die Effizienz der Bürokratie gesteigert werden. Drittens, gelingt auch das nicht, dann ist die Bürokratie abzuschaffen. Umso größer ist die Überraschung, dass der grösste liberale Ökonom des letzten Jahrhunderts, Ludwig von Mises, alle drei Empfehlungen als grundfalsch ablehnte. Seine Gedanken dazu, die er in seinem wichtigen Werk über Bürokratie ausführte, lehren einiges über das Phänomen.

Bürokratie versteht Mises wertneutral als den Bereich der Verwaltungsgeschäfte, die ohne Wirtschaftsrechnung auskommen müssen. An eine Möglichkeit der Abschaffung glaubt Mises nicht. Der Markt ist durch Vielfalt gekennzeichnet: Auf die unterschiedlichsten Probleme und Wünsche der Menschen können Unternehmer völlig konträre Antworten geben und doch friedlich nebeneinander bestehen. Dem Markt ist die Allgemeingültigkeit fremd, er ist geprägt von subjektiven Urteilen und Versuch und Irrtum. Und doch gibt es in einer Gesellschaft Grundregeln, die allgemeingültig und verlässlich sind. Da sie dem Wettbewerb nicht unterworfen sind, fehlt die Wirtschaftsrechnung. Es sind Regeln, die ohne Ansehen der Person Gültigkeit haben sollten. Die sture Regelbefolgung ist nach Mises Kernelement der Bürokratie, was sie notwendigerweise entmenschlicht. Mises hatte die k.u.k. Elite-Bürokratie vor Augen, als er schloss, dass die Qualität der einzelnen Bürokratien unerheblich ist für diese Tendenz – auch und gerade die Besten büßen beim Regelbefolgen Kreativität und Energie ein.

Warum lässt sich dann nicht zumindest die Effizienz erhöhen? Mises warnt, Effizienz in der Bürokratie liefe oft auf Willkür hinaus. Man stelle sich vor, eines Delikts beschuldigt zu sein – dann wäre man nicht sehr glücklich über einen Richter, der, um Zeit und Kosten zu sparen, auf ein Verfahren verzichtet und stattdessen ganz effizient seinem Bauchgefühl folgt, den Schuldspruch zu fällen. Noch effizienter wäre es dann nur noch, keine Berufung zuzulassen. Mises hatte Nazi-Richter vor Augen, die mit dem «gesunden Volksempfinden» argumentierten. Effizienz erfordert eine subjektive Entscheidung darüber, was unwesentlich und was wesentlich sei, die ein Unternehmer auf eigenes Risiko treffen kann, bei allgemeingültigen Regeln aber in diesen selbst enthalten sein muss.

Lässt sich dann nicht wenigstens über richtige Anreize die Motivation von Bürokraten verbessern? Dieser Gedanke beruht auf einem Missverständnis des Wettbewerbs. Wenn fünfzig Schokoladehersteller um einen Kunden konkurrieren, so ist das gewiss im Sinne des Genießers. Wenn fünfzig Steuerprüfer darum konkurrieren, bei einem Unternehmer fündig zu werden, so ist das keinesfalls im Sinne des letzteren. Wenn ein Polizist eine Provision für das Ausstellen von Strafmandaten erhält, so mag ihn das motivieren. Sein wachsender «Vertriebserfolg» geht aber zulasten der Bürger. Dabei dreht sich die Souveränität um – der Bürokrat ist nicht mehr Diener des Bürgers, sondern allzu motiviert, sich selbst zu ermächtigen. Deshalb ging auch die liberale Absicht von Margaret Thatcher völlig nach hinten los, das Wettbewerbsprinzip bei staatlichen Behörden einziehen zu lassen: Deren «Unternehmenserfolg», auf den sie dann motivierter abzielten, bestand schließlich in wachsenden Abteilungen und Budgets. In Österreich gehen heute Behörden zunehmend dazu über, Bürger als «Kunden» zu bezeichnen. Die wachsende Bürokratie legitimiert sich damit ihre Ausdehnung als «Absatzerfolg» und steigenden «Kundenverkehr».

Was sind nun die eigentlichen Anreize der Bürokraten? In der k.u.k.-Monarchie war noch das Prestige, einer Elite von Staatsdiener mit hohem Ethos anzugehören, der größte Anreiz. Mises erkannte, dass es die Ausdehnung der Bürokratie selbst war, die ihr Prestige senkte. Irgendwann ist sie zu groß, um Elite zu sein, und macht sich durch Eindringen in alle Lebensbereiche unbeliebt. Dann bleibt das schlechteste Motiv übrig, wie Mises hellsichtig warnte:

Der uneffiziente Fachmann wird immer eine vorrangige Stellung der Bürokratie erstreben. Er ist sich völlig darüber im Klaren, dass er innerhalb eines Wettbewerbsystems keinen Erfolg haben wird. Für ihn ist die allumfassende Bürokratisierung ein Zufluchtsort. […] Menschen, die sich ihrer Unfähigkeit im Wettbewerb bewusst sind, verachten “dieses kranke Konkurrenzsystem”. Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen.

Wie bekommt man den Geist der Bürokratie nun wieder in die Flasche zurück, in den beschränkten Raum der Sicherung allgemeingültiger Regeln? Nach Mises’ Analyse bleiben eigentlich nur drei Wege: Erstens, den zugemessenen Raum eben auf das Minimum zu verkleinern durch Reduktion von Gesetzen, durch Ergänzung der «Gesetzesfabrik» (nach Frédéric Bastiat) um eine ökologische Gesetzesentsorgung. Damit lässt sich die Bürokratie womöglich nicht verkleinern, effizienter wird sie wohl auch nicht, aber zumindest ihr Wachstum lässt sich so bremsen.

Zweitens, entspricht der perfekte Bürokrat im Mises’schen eigentlich einem Algorithmus. Mises hat die jüngsten Entwicklungen der Digitalisierung und Automatisierung nicht mehr erlebt. Für sture Regelbefolgung, ohne menschlicher Willkür Raum zu lassen, bieten sich etwa in «blockchains» dezentral verteilte «smart contracts» an. Damit verschwinden wohl kaum die Beamten, aber sie haben dann wirklich nichts mehr zu tun – ihre Ineffizienz wird total und zugleich total harmlos.

Drittens, jene Art von Wettbewerb zu begünstigen, bei dem der Bürger größtmögliche Souveränität behauptet: Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen durch Nonzentralismus, was stets die Möglichkeit birgt, dass sich Regelräume von anderen friedlich abspalten und so den Raum der allgemeingültigen Regeln auf das humanste Minimum beschränken.

Veröffentlicht in Finanz und Wirtschaft, basierend auf einem Vortrag beim Liberalen Institut in Zürich


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Lebensphilosophie, Scholien, Unternehmertum

Technotopia

Rahim Taghizadegan am 22. November 2017

Wohin führt uns die technische Entwicklung? Wie wird die Welt in hundert Jahren aussehen? Kann Technik unsere Probleme lösen? Kompensiert technische Entwicklung die Geldmengenausweitung oder wird sie erst von dieser vorangetrieben? Macht uns Technik reicher oder abhängiger? Wie fragil ist die Hochtechnologie? Wie groß sind künftige Gefahren — von Gentechnik über künstliche Intelligenz bis zur virtuellen Realität? Wird menschliche Arbeit völlig durch Roboter und Algorithmen ersetzt werden?

Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

 

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Filed Under: Salon, Unternehmertum

Österreichische Schule des Value Investing?

Rahim Taghizadegan am 29. Oktober 2017

Der praktische Nutzen ökonomischer Theorie, so die landläufige Annahme, sollte sich in Anlageempfehlungen ausdrücken. Dass die Österreichische Schule der Ökonomik langsam aus der völligen Versenkung in die äußersten Ränder medialer Rezeption eingeladen wurde, lag wohl im Wesentlichen daran, dass sich um 2007/08 der Eindruck verdichtete, damit konträren und doch lukrativen Anlageerfolg erzielen zu können. Tatsächlich ist diese Österreichische Schule jene ökonomische Tradition, die am ehesten beim Verständnis moderner Wirtschaftskrisen hilft. Unter dem Druck der Rezeption sowie ökonomischer Anreize wurde man als Vertreter dieser Tradition nun geradezu genötigt, Anlageempfehlungen abzugeben.

In Phasen von Vertrauenskrisen erwacht stets das „barbarische Relikt“ Gold kursmäßig zum Leben, denn als Relikt ist es eben nicht Gegenstand der pyramidalen Vertrauensstrukturen moderner Finanzsysteme. Es ist kein Schuldtitel, hat keine Gegenseite und setzt keine Institution voraus. Manche haben diese gewiss richtige Erkenntnis so überdehnt und breitgetreten, dass daraus eine „ökonomisch fundierte“ Verkaufsmasche wurde, die kontextunabhängige Nominalgewinne suggerierte. Diejenigen, die solchen Empfehlungen zur falschen Zeit folgten – und das sind der Zyklenlogik folgend stets die allermeisten –, stehen nominal betrachtet nun heute unter Wasser. Das drängte die „goldbugs“ , die lange synonym mit den „Austrians“ waren, in ihre kleine Nische zurück.

So stellte sich bald medial und wirtschaftlich die Frage, ob sich mit der Österreichischen Schule nicht noch anderes verkaufen ließe. Der Sarkasmus ist dabei nicht auf die Österreichische Schule und ihre Vertreter gemünzt, zu denen ich selbst zähle, sondern Ausfluss der nüchternen Betrachtung von Anreizen und den Übertreibungen und Gegenübertreibungen, die sie stets heraufbeschwören – die anderen, etablierteren und lukrativeren, ökonomischen Schulen stecken noch tiefer im Sumpf der Interessen.

Nach einer Goldaffinität ließ sich als Nächstes am ehesten eine Affinität der Österreichischen Schule zum sogenannten Value Investing begründen (und als Übernächstes deuten sich schon die Kryptowährungen an). Auch diese Erkenntnis ist nicht falsch, läuft aber Gefahr, als dogmatische Anlageempfehlung überdehnt zu werden. „Dogmatisch“ meint hier kontextunabhängig, dogmatisch-theoretisch begründet anstatt empirisch-praktisch. Als Gegenreaktion, die das lobenswerte Ziel verfolgt, einen überdehnten Enthusiasmus etwas zu bremsen, erschien vor kurzem ein Artikel im Quarterly Journal of Austrian Economics (). Darin bezweifeln die Autoren Rapp, Olbrich und Venitz eine Deckungsgleichheit zwischen Value Investing und Österreichischer Schule und weisen auf die Unterschiede hin.

Dabei unterliegen sie allerdings dem selben Irrtum, der auch hinter einer möglichen Überdehnung des Value Investing durch „Austrians“ steht. Eine Anlage“theorie“ ist etwas gänzlich anderes als eine ökonomische Theorie. Ersteres ist ein Konzept, das im Wesentlichen durch Heuristiken die menschlichen Instinkte überlisten soll und zu einer „rationaleren“ Anlage führt, das heißt, Gier und Angst durch allgemeine Regeln diszipliniert. Auch wenn solche „Theorien“ vermeintlich hochwissenschaftliche Modelle und komplizierte Formeln verwenden und von Charts und Zahlen wimmeln, bleiben diese letztlich in der Funktion Heuristiken, das heißt Daumenregeln – allgemein und so grob („Daumen“), wie es die Komplexität der Welt gebietet. Scheinbare Präzision und Objektivität wirkt dabei als Disziplinierungsinstrument als Teil der Heuristik und hat keine erkenntnistheoretische Bedeutung.

Im Gegensatz dazu ist eine ökonomische Theorie der Versuch, durch deduktive Reflexion, die sich stets an induktiver Erfahrung und Beobachtung reiben muss, die Logik und Dynamik menschlichen Handelns besser zu verstehen – zielt also auf ganzheitliche Erkenntnis ab und nicht auf konkrete Anwendung, die pragmatischere Regeln für das Tun, nicht die tieferen Regeln der Welt, sucht. So wird auch das von Rapp et al. mehrfach zitierte Buch „Österreichische Schule für Anleger“ (Taghizadegan, Stöferle, and Valek 2014) oft missverstanden als Anlageratgeber für Fans der Österreichischen Schule; gedacht war es als systematische Sammlung von Essenzen der ökonomischen Theorie für Anleger jeder Couleur.

Rapp et al. stehen der Österreichischen Schule freundlich gegenüber, daher fällt ihnen zunächst auf, dass diese ja viel tiefgehendere Einsichten böte als das schnöde „Value Investing“. Das ist richtig, aber der Vergleich irreführend – eben Theorie gegen Heuristik. Die Vorliebe für einfache Daumenregeln, die etwa der Value Investing -Guru Benjamin Graham komplizierten Formeln vorzog, führen sie als Analogie zur Österreichischen Schule an; aus den selben Gründen, aus denen der Unterschied nicht trägt, hält auch die Analogie nicht.

Im Weiteren listen die Autoren vier Unterschiede zwischen Value Investing und Österreichischer Schule auf:

  1. „Valuation versus appraisement“

Hier handelt es sich nur um ein begriffliches Detail, das im Deutschen nicht einmal einheitlich und klar wiederzugeben ist. Die Werturteile, die Ökonomen der Österreichischen Schule beschreiben, sind ordinale Präferenzreihungen. Natürlich hat dies weder etwas mit Werten im philosophischen bzw. ethischen Sinne zu tun noch mit der Bewertung von Vermögenswerten ( appraisement ). Letzteres kann nie mehr sein als eine Heuristik bei der Wirtschaftsrechnung. Damit steht solches appraisement aber keinesfalls außerhalb der ökonomischen Theorie, sondern letztere sagt voraus, dass solche Heuristiken in einer Katallaxis – einer Tauschordnung mit Preisen, die Wirtschaftsrechnung ermöglicht – notwendige praktische Navigationsversuche sind.

  1. „Irrationality versus rationality“

Unterschiede zwischen den aktuellen Marktpreisen von Anlagegütern und ihren künftigen diskontierten Erträgen kann es in der neoklassischen Modelltheorie unter der Markteffizienzypothese nicht geben. Sowohl Value Investing als auch gute („österreichische“) Theorie widersprechen dem – aus unterschiedlichen Gründen. Anlage ist überhaupt nur dann ein relevantes Thema, wenn die Markteffizienzhypothese nicht hält. Das bedeutet aber nicht, dass Märkte nicht funktionieren oder die Menschen unfähig wären. Leichtfertig wird diese vermeintliche „Ineffizienz“ oft der „Irrationalität“ der Menschen zugeschrieben. Ludwig von Mises wehrte sich dagegen, weil er den Begriff für moralisch aufgeladen hält. Tatsächlich ist diese „Irrationalität“ der Unterschiedlichkeit der Menschen, ihrer Freiheit – die stets die Freiheit zu Irren ist – und der fundamentalen Ungewissheit der Zukunft geschuldet. Wenn Value Investoren dies kurz und salopp unter „Irrationalität“ subsumieren, so ist das auch eine Heuristik, denn sie konzentrieren sich auf verdichtete Unterschiede in Massenmärkten. Erkenntnistheoretische Implikationen bzw. eine Aussage über den Menschen in seiner ganzen Realität enthält dies nicht. An der Stelle zeigt sich aber auch, dass Mises‘ scharfe Formulierung, dass menschliches Handeln und rationales Handeln immer dasselbe seien (Mises 1940: 14), sehr missverständlich ist. Natürlich schließt Zweckrationalität im anonymen Markttausch nicht Irrtümer, Illusionen, Gier oder Angst aus. Menschen können sich über ihre Ziele und die gewählten Mittel irren, und dennoch blieben sie in diesem eingeschränkten, Mises’schen Sinne zweckrational.

  1. „Intrinsic value versus subjective value“

Obiges Missverständnis wird im nächsten Punkt noch verstärkt. Value Investoren würden davon ausgehen, dass der Marktpreis eines Anlagegutes sich irgendwann seinem „inneren Wert“ annähern müsse – das kontrastieren die Autoren mit der subjektivistischen Wertlehre der ökonomischen Theorie. Diese wird oft als „subjektiv“ und damit beliebig missverstanden. „Subjektivistisch“ bedeutet in diesem Kontext nur, dass der Bewertungsakt im obigen Sinne notwendig durch die wirtschaftenden Subjekte erfolgt und (ökonomischer) Wert daher eine Relation zwischen Subjekten und der Welt ist und keine von diesen unabhängig bestehende objektive Tatsache oder materielle Erscheinung. Kern der Katallaxis aber ist die Praxis der Wirtschaftsrechnung, bei der die Geldwerte von Alternativen betrachtet werden – nicht erkenntnistheoretisch, sondern praktisch, daher mangelhaft und heuristisch. Die Neoklassik ist weniger Gegensatz als Verkürzung der Ökonomik. Sie entspricht der Newtonschen Physik: gewiss falsch, aber in bestimmten engen Bereichen ein Näherungswert. Perfekte Auktionen können neoklassischen Märkten ähneln – je anonymer, liquider und transaktionsgünstiger Märkte sind, desto eher zeigen sie in der Tendenz die „Rationalität“, welche die Neoklassik als „Gleichgewicht“ beschreibt. Natürlich kann es auf liquiden Börsen Tendenzen geben, dass unterbewertete Anlagegüter sich dem Durchschnitt annähern, wenn dort die meisten Marktakteure Orders als Mittel und nicht als Selbstzweck durchführen. Diese Mittelrationalität führt zu einer Korrelation zwischen den diskontierten künftigen Erträgen und den Gegenwartspreisen. Heuristische Versuche, unterbewertete Einkommensströme zu finden, widersprechen keiner ökonomischen Theorie, schon gar nicht der Österreichischen. Die Österreichische Theorie unterscheidet sich von der Neoklassik dadurch, dass sie den Menschen auch außerhalb anonymer Marktrationalität verstehen kann; aber natürlich umfasst sie auch dieses Verständnis jener engeren Bereiche, in denen zweckrationale Wettbewerbe um Renditen stattfinden, die andere Motive in den Schatten stellen.

  1. „Reliable past versus uncertain future.“

Schließlich versuche Value Investing , aus vergangenen Daten etwas über die Zukunft abzuleiten, was im Gegensatz zum fundamentaleren Anerkennen von Ungewissheit durch die Österreichische Schule stünde. Ja, streng genommen, aus erkenntnistheoretischer Perspektive, ist Wirtschaftsrechnung gar nicht möglich, denn Preise sind ja stets Daten aus der Vergangenheit. Auf diesen potentiellen Widerspruch der Österreichischen Schule haben schon andere hingewiesen. Joseph Salerno wirft insbesondere Hayek vor, das Wissen im Rahmen der Wirtschaftsrechnung zu sehr zulasten der Ungewissheit übertrieben zu haben (Salerno 1993). Doch auch bei Mises spielt die Wirtschaftsrechnung eine tragende Rolle. Diese tragende Rolle ist aber eine praktische und heuristische, was auch Mises deutlicher hätte ausdrücken können. Erkenntnistheoretische Gewissheit kann kein Preis bieten, denn er dokumentiert nur vergangene Austauschverhältnisse oder gegenwärtige Angebote und determiniert in keiner Weise die Zukunft. Veränderung ist allgegenwärtig, aber nie total und instantan. Daher funktioniert Wirtschaftsrechnung, um Rückschlüsse auf die menschlichen Präferenzen zuzulassen – Wissen im engeren Sinne bietet sie nicht. Wieder handelt es sich um einen Scheingegensatz:

Letztlich beziehen Value Investing und die Österreichische Ökonomik diametral entgegengesetzte Positionen über die Bedeutung der Zukunftsorientierung in der Entscheidungsfindung. Um das Thema der Unsicherheitsbewältigung in einem zukunftsorientierten Prozess zu umgehen, stützen Value-Investoren in der Regel ihre Investitionsrechnung und damit Investitionsentscheidung auf vergangene oder (bestenfalls) gegenwärtige Daten. (RAPP, OLBRICH, and VENITZ 2017)

Jeder handelnde Mensch stützt sich auf vergangene oder gegenwärtige Daten und vertraut darauf, dass sich nicht alles sofort und vollständig verändert. Der Theoretiker kann genausowenig wie der Praktiker mit Gewissheit vorhersagen, was sich ändern wird und was nicht. Der Praktiker aber hat nicht den Luxus, sich auf Ungewissheit auszureden, er muss handeln und damit die Ungewissheit schultern. Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart ist dabei natürlich hilfreich. Es kommt bloß auf die Heuristiken an, die aus der unendlichen Fülle an Daten die relevanten filtern. Vielleicht sind die Heuristiken reine Zufallstreffer. Dann spielen sie dennoch eine psychologisch wichtige Rolle. Ob Zufall, Einsicht oder magische Vorahnung ist letztlich – ökonomisch – für die Praxis egal. Die Theorie wird immer versuchen, diese zu trennen – als gute Theorie wird sie dem Menschen aber niemals seine unzulänglichen Behelfsmittel, um im Dunklen der Zukunft nicht in Angst zu erstarren, und seine notwendigen Irrtümer und kühnen Wagnisse absprechen.

Dennoch: Die Intention des kritisierten Artikels ist verständlich und lobenswert. Sie kommt zur rechten Zeit, um vor einer Überdehnung des Value Investing zu warnen. Spätestens wenn die Massen auf Renditesuche nach den Values drängen oder Fonds jedermann die Vermittlung der besten Values anbieten, kollabiert die Prämisse des Value Investing , dass es systematische, dauerhafte Unterbewertungen gäbe. Die verzerrten Märkte der Gegenwart arbeiten unter Prämissen, die sich dramatisch vom Gewohnten abheben und bislang kaum verstanden sind. Das empirische Urteil geht aktuell schon dahin, dass Value Investing totgelaufen sei (Hargreaves 2017). Hype-Unternehmen bemühen sich darum, ungebremste Geldfluten in digitale Netzwerkeffekte umzumünzen, und kehren dabei die gewohnte unternehmerische Ertragslogik um.

Welche Heuristiken diese Umwertung der Werte überleben werden, ist offen. Gute ökonomische Theorie ist heute wichtiger denn je. Wir können nur hoffen, dass zumindest diese den Renditedruck überlebt und sich nicht für kurzfristige Anlagehypes prostituiert. Außerhalb der Subventionen und Renditen von big government und big business ist das Überleben aber nicht leicht – da grenzt es schon an ein Wunder, dass Reste der Österreichischen Schule überhaupt überlebt haben. Artikel als PDF

Filed Under: Austrian School, Scholien, Vermögensanlage

Taghizadegan, Hülsmann, Stone, Korwin-Mikke, Schumacher, Gebel: Discussion, Q & A (PFS 2017)

Rahim Taghizadegan am 26. Oktober 2017

Diskussion im Rahmen des jährlichen Treffens der Property and Freedom Society 2017

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Filed Under: English, Unternehmertum, Vortrag

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