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Kryptohype

Rahim Taghizadegan am 14. März 2018

Kryptowährungen werden geliebt oder gehasst, verklärt oder verteufelt. Für die einen das lang ersehnte staatsfreie Geld, Vorzeichen eines Zeitalters mobiler und digitaler Freiheit, für die anderen Blase und Pyramidenspiel, Umweltkatastrophe und Kriminellenwerkzeug. Wir wollen eine ganz nüchterne Bestandsaufnahme versuchen. Was wird vom Hype bleiben? Was hat ihn ausgelöst? Welche Rolle spielen Chinesen, Koreaner und Japaner, Geheimdienste und Dark Net, Drogenhändler und ICOs? Werden Kryptowährungen eines Tages eher Bargeld, Bankguthaben oder Gold ersetzen? Was ist bei der Anlage zu beachten? Warum ist die Kryptolandschaft zu gespalten, worum dreht sich der interne Streit? Wird der Staat schließlich das Spiel beenden und die Einsätze behalten?



Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

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Filed Under: Bitcoin, Salon, Vermögensanlage

Risiko im Container

Rahim Taghizadegan am 12. März 2018

Wenn in einem Niedrigzinsumfeld hohe Rendite erzielt werden können, so sind diese ebenso verlockend wie verdächtig. Dank der Ungewissheit im menschlichen Handeln sind einzig Unternehmerrenditen potentiell unbeschränkt (wenn wir politische Beutezüge beiseite lassen), doch bieten diese kein sicheres Einkommen, dafür die hohe Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts. Die Sehnsucht nach hohen, aber prozentuell festen Renditen adressieren zahlreiche alternative Anlageprodukte, einige davon, wie etwa P2P-Kredite und Crowdinvesting, wurden hier schon kritisch beleuchtet.

Eine relativ neue Alternative sind Beteiligungen an Containern voll mit Importware. Containerinvestments gibt es schon länger am Markt, mit sehr durchwachsener Bilanz für Anleger. Das Containergeschäft ist extrem zyklisch. Neu ist die Finanzierung eines durch den Anleger wählbaren Inhalts, wobei sich theoretisch mehrere Kleinanläger den Container und die Transportkosten für ein bestimmtes Warenvolumen teilen. Die Auswahl der Waren durch die Anleger senkt wie bei Mikrokrediten die Auswahl der Kreditnehmer das subjektive Risikoempfinden.

Das Unternehmen “Container-Angel” bietet etwa Investitionen in asiatische Möbel an. Die tiefen Preise asiatischer Produzenten, Folge niedriger Kosten und verzerrter Wechselkurse, versprechen hohe Renditen. Zwar sind die hiesigen Märkte schon länger mit asiatischer Billigware überschwemmt, dennoch das Maximum ist gewiss noch lange nicht erreicht. Insbesondere bei Möbeln überwiegen noch europäische Bausätze und Handwerkserzeugnisse. Das liegt daran, dass der Transport von Möbeln aufgrund der Größe schwierig ist. Asiatische Möbel liegen noch kaum in Bausätzen vor, meist sind sie Vollholzerzeugnisse. Zudem verknappt der Holzmangel in Ostasien das Angebot.

Erst langsam kommt der deutsche Käufer im Internet an und ist noch ganz beeindruckt von den sich bietenden Schnäppchen. Das erklärt wohl auch den Hype um das sogenannte Drop Shipping. Es erweist sich als lukrativ, bei asiatischen Waren reine Internet-Arbitrage durchzuführen: Diese Waren werden auf europäischen Seiten feilgeboten und erst, nachdem ein Käufer angebissen hat, auf Seiten wie AliExpress bestellt – wobei die Adresse des Käufers schlicht als Empfänger eingegeben wird. Der Käufer hätte selbst auch zu einem Bruchteil des Preises bei AliExpress bestellen können, doch Marketing erhöht den Wert – das “Schnäppchen” im Facebook-Stream ist näher beim Konsumaffekt und daher um ein Vielfaches wertvoller als die selbstgesuchte Ware. Der Nachteil sind lange Wartezeiten, denn die Ware macht sich nun nach der Bestellung auf dem Seeweg von China bis zum heimischen Postkasten auf, was Monate dauert. Das steht aber allenfalls im Kleingedruckten. Oft vergessen dann die Käufer gar auf die Bestellung, was die für den Vermarkter erfreuliche Nebenfolge hat, dass weniger Reklamationen eingehen.

Hohe Renditen sind also durchaus plausibel, die Frage ist nur, wie lange sie bestehen. Reine Arbitrage kann auch leicht wegarbitriert werden. Dass die Spannen geringer werden zeigen steigende Facebook-Preise für Stichwörter, die besonders lukrative Preisspannen im Drop Shipping versprechen. Der Wettlauf um die Leads zu konsumwütigen Smartphone Junkies nährt vor allem die großen Plattformen, bei hochskalierendem (viralen) Konsum sind aber auch für Händler schnelle Reichtümer möglich.

Gewiss ist eigener Transport von Vorteil für die Rentabilität, doch Lagererhaltung erhöht das Risiko. Drop Shipping hat den Vorteil extrem geringer Risiken, darum ist es erstaunlich, dass solche Arbitragemöglichkeiten noch bestehen. Vermutlich geht es den meisten Europäern noch zu gut, um unternehmerisch Preisdifferentiale zu erkennen und abzutragen. Durch Import asiatischer Waren, bei gutem Marketing und damit schnellem Warenumsatz, bei Senkung der Transportkosten durch Skalierung, und guter Warenauswahl ist also durchaus Platz für Renditen weit über den aktuellen Nullzinsen.

Das Angebot von Container-Angel ist eigentlich eine Anleihe, die Emittenten nennen sie “Realwertanleihe”. Das Gesamtinvestitionsvolumen sind bescheidene 250.000 EUR, die Mindestanlagesumme 5.000 EUR, die Laufzeit ein bis zwei Jahre. Versprochen wird eine Verzinsung von zehn Prozent. Als “Sicherheiten” führt der Anbieter an:

Ihre Investition ist entweder auf Ihrem Konto oder in Waren investiert. Sie haben die volle Kontrolle über den Saldo auf Ihrem Konto. Entweder Sie zahlen sich selbst aus oder Sie reinvestieren wieder in einen Container. Wenn Sie in einen Container investiert haben, ist Ihre Ware immer, entweder in der Logistik oder sie befindet sich in einem unserer Lager. Ihre Ware ist immer gegen alle Möglichkeiten, wie Diebstählen/ Beschädigungen/ Feuer etc. versichert. Somit ist Ihrer Ware zu jederzeit abgesichert. Sollten z.B. auf Grund einer Rezession die Aktienmärkte abstürzen, ist der ContainerAngel immer noch im Besitz seiner Ware, die versichert ist und weiterhin zum Verkauf angeboten wird.

Die Kernfrage bei solchen Anlagen ist aber stets: Warum zahlt ein Unternehmen so hohe Zinsen in einem Nullzinsumfeld? Wenn die Waren wirklich so attraktiv sind, müsste doch der vorhandene Cashflow irgendeine Bank überzeugen, Liquidität zuzuschießen. Banken erfordern allerdings echte Sicherheiten und Lagerbestände der eigenen Handelsware, auch wenn diese selbstverständlich versichert sind, fallen nicht darunter. Der Grund dafür,unter Umgehung der Banken das Glück bei der Crowd zu versuchen, liegt trotzt höherer Verzinsung bei höherer Rentabilität. Doch hat auch der Anleger etwas davon?


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

Die prognostizierte Gefahr gefährlicher Prognosen

Rahim Taghizadegan am 8. März 2018

Dass Digitalisierung und Automatisierung für Umwälzungen am Arbeitsmarkt sorgen, ist schon Gemeinplatz. Die meisten gehen allerdings davon aus, die Leidtragenden der Veränderungen jene mit niedrigerem Bildungsniveau sein werden. Das selbstfahrende Auto würde die unzähligen Kraftfahrer arbeitslos machen, nicht aber die Ingenieure, die dieses entwickeln, die Soziologen, die dies deuten, und die Therapeuten, die trösten. Wahrscheinlich wird es genau umgekehrt sein: Die hinter dem selbstfahrenden Auto stehende künstliche Intelligenz ersetzt eher den Akademiker als den Handwerker.

Diese Perspektive bestätigt eine Analyse von Joshua Gans über die ökonomischen Implikationen künstlicher Intelligenz. Seine Analyse beruht darauf, menschliche Wirtschaftstätigkeiten in fünf Gruppen aufzuteilen: Datenerhebung, Prognose, Beurteilung, Durchführung und Ergebniserhebung. Insbesondere die zweite Gruppe ist durch die technische Entwicklung direkt betroffen:

Künstliche Intelligenz ist im Grunde genommen eine Prognosetechnologie, sodass sich die wirtschaftliche Verschiebung um einen Rückgang der Prognosekosten drehen wird […] Der erste Effekt künstlicher Intelligenz wird darin bestehen, die Kosten von Waren und Dienstleistungen zu senken, die auf Prognosen beruhen. Dies ist wichtig, weil Prognose ein Input für eine Vielzahl von Aktivitäten ist, darunter Transport, Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Energieerzeugung und Einzelhandel. (Gans 2016)

Wenn Prognose so weit gefasst wird, wie es Gans tut, dann befindet sich ein großer Teil von Berufen, die akademische Ausbildung voraussetzen in diesem Bereich. Es geht um die Anwendung abstrakterer und komplexerer Regeln, um Musterkennung und Diagnose. Dabei überschätzen akademische Berufe allerdings systematisch die Trefferquote ihrer Prognosen. Zwei Probleme zeigen sich nämlich bei menschlichen Prognosen: Bias und noise, Voreingenommenheit und mangelnde Wiederholbarkeit. Voreingenommenheit entsteht in besonders akademischen Berufen, die wenig Wechselwirkung mit der Realität zeigen – nach Nicholas Taleb dort, wo Menschen kein “skin in the game” haben und es sich deshalb leisten können “Intellectual Yet Idiot” zu sein,

jene Klasse von paternalistischen halb-intellektuellen Experten mit Zertifikat einer Eliteuniversität, die dem Rest von uns sagen, 1) was wir tun, 2) essen, 3) wie wir sprechen, 4) denken … und 5) wen wir wählen sollen. (Taleb 2016)

Künstliche Intelligenz könnte womöglich weniger voreingenommen sein als die menschliche – in aller Regel zeigt sie aber natürlich die Voreingenommen ihrer menschlichen Programmierer, bzw. der von Menschen definierten Optimierungsaufgabe. Ist etwa die algorithmische Nachrichtenauswahl in social streams und news feeds besser oder schlechter als menschliche journalistische Leistung? Rose-Stockwell schließt:

Der News Feed-Chefredakteur ist ein Roboter-Chefredakteur, und er ist viel besser als normale menschliche Chefredakteure. Es kann vorhersagen, worauf Sie eher klicken als jeder andere, den Sie kennen. Prof. Pablo Boczkowski von der Northwestern University nannte ihn “den größten Chefredakteur der Menschheitsgeschichte”. … Nach traditionellen journalistischen Maßstäben ist der Newsfeed-Herausgeber jedoch ein sehr, sehr schlechter Redakteur. Es unterscheidet nicht zwischen Fakten und Dingen, die wie Fakten aussehen. (Rose-Stockwell 2017: 10)

Die Antwort auf obige Frage hängt jedoch von der eigenen Voreingenommenheit ab. Wer die Voreingenommenheit der meisten etablierten Journalisten teilt, wird dem Journalisten Rose-Stockwell zustimmen, wer eine andere Voreingenommenheit an den Tag legt, wird sich dank Internet – was heute eben immer mehr algorithmische Nachrichtenauswahl bedeutet – für besser informiert halten, weil die menschlichen Torhüter der Information zum Teil ausfallen. Egal, wie man dazu steht, unstrittig ist, dass menschliche Redakteure am Arbeitsmarkt unter der künstlichen Konkurrenz leiden. Weite Teile der herkömmlichen Presse würden ohne Subventionen nicht mehr überleben.

Voreingenommenheit ist nahezu gleichbedeutend mit Expertise. Aufgrund der notwendigen Gleichschaltung in einem Bildungssystem verbreiten sich funktionelle Methoden genauso wie kollektive Irrtümer. Taleb gibt ein gravierendes Beispiel für Voreingenommenheit unter den höchstangesehenen Experten unserer Zeit, den Ärzten:

Der berühmte, verkannte österreichisch-ungarische Arzt Ignaz Semmelweis hatte beobachtet, dass es mehr Todesfälle bei gebärenden Frauen in Krankenhäusern gab als unter den Frauen, die ihr Kind auf der Straße bekamen. Er bezeichnete die Ärzte seiner Zeit als eine Bande Krimineller – womit er recht hatte; allerdings konnten die Ärzte, die reihenweise ihre Patienten umbrachten, seine Fakten nicht akzeptieren oder ihr Handeln ändern, da er »keine Theorie« für seine Beobachtungen vorlegen konnte. Semmelweis wurde depressiv – er war außerstande, das aufzuhalten, was er als Mord einschätzte, und zutiefst abgestoßen von der Haltung seiner Zunft. Er wurde später in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er ironischerweise an eben dem Hospitalfieber starb, vor dem er gewarnt hatte. (Taleb 2013)

Gewiss, seither haben gerade Mediziner viel gelernt und einen erheblichen Beitrag zum Sinken der Sterblichkeit geleistet. Doch bei allem Fortschritt bleibt die zweite Problematik, die bis heute ärztliche Diagnosen trübt: Die mangelnde Wiederholbarkeit oder Streuung. Jeder Schütze kennt die Bedeutung der Streuung: Ein guter Schütze unterscheidet sich von einem schlechten nicht dadurch, immer ins Ziel zu treffen, sondern eine geringere Streuung seiner Treffer zu zeigen. Bei geringer Streuung bedarf er nämlich nur noch einer Einstellung zwischen Kimme und Korn, um das Ziel zu treffen, auch wenn man es anfangs verfehlte.

Ein Artikel von Daniel Kahnemann und anderen präsentiert erschreckende Studienergebnisse, die zeigen, dass das Problem der Streuung bei Expertendiagnosen und -prognosen höher ist als gedacht:

Forscher haben wiederholt bestätigt, dass Fachleute häufig ihren eigenen früheren Urteilen widersprechen, wenn ihnen die gleichen Daten bei verschiedenen Gelegenheiten vorgelegt werden. Beispielsweise wurden Softwareentwickler an zwei verschiedenen Tagen gebeten, die Fertigstellungszeit für eine bestimmte Aufgabe zu schätzen: Die von ihnen prognostizierten Stunden differierten im Durchschnitt um 71 Prozent. Als Pathologen zwei Beurteilungen von Biopsie-Ergebnissen durchführen mussten, war die Korrelation zwischen ihren Ratings nur 0,61 (von perfekten 1,0), was darauf hinweist, dass sie ziemlich oft inkonsistente Diagnosen erstellten. Die Urteile durch verschiedene Menschen gehen sogar noch stärker auseinander. Untersuchungen haben bestätigt, dass die Entscheidungen von Experten bei vielen Aufgaben sehr unterschiedlich sind: Bewertung von Aktien, Bewertung von Immobilien, Verurteilung von Straftätern, Bewertung der Arbeitsleistung, Prüfung von Abschlüssen und mehr. Die unausweichliche Schlussfolgerung ist, dass die Fachleute oft Entscheidungen treffen, die deutlich von denen ihrer Kollegen, von ihren eigenen Vorentscheidungen und von Regeln abweichen, die sie selbst zu befolgen vorgeben. […] Das vielleicht enttäuschendste Ergebnis: Erfahrung scheint das Rauschen nicht zu reduzieren. […] In den letzten 60 Jahren sind Menschen in mehreren hundert Genauigkeitswettbewerben gegen Algorithmen angetreten, die von der Vorhersage der Lebenserwartung von Krebspatienten bis hin zur Vorhersage des Erfolgs von Doktoranden reichen. Algorithmen waren in etwa der Hälfte der Studien genauer als die menschlichen Fachleute und in der anderen Hälfte ungefähr gleich genau. […] Unterm Strich heißt das: Wenn Sie einen Algorithmus zur Reduzierung des Rauschens verwenden wollen, müssen Sie nicht auf Ausgangsdaten warten. Sie können die meisten Vorteile nutzen, indem Sie mit gesundem Menschenverstand Variablen auswählen und die einfachste Regel verwenden, um sie zu kombinieren. Studien haben gezeigt, dass der Mensch zwar nützliche Inputs in Formeln liefern kann, dass Algorithmen aber in der Rolle des endgültigen Entscheidungsträgers besser abschneiden. (Kahneman et al. 2016)

Der “gesunde Menschenverstand” bleibt als Meta-Beurteiler unersetzbar, doch all jene “ungesunden” Automatismen menschlicher Regelbefolger werden den zuverlässigeren digitalen Regelbefolgern nach und nach weichen. Gans prophezeit, dass, da die Prognosekosten sinken, die Nachfrage nach Urteilsvermögen steigen wird [Gans 2016:2]. Das liegt daran, dass Urteilsvermögen eben der notwendig komplementäre Produktionsfaktor zur Prognose sei. Ähnlich war es zuvor bei der Arithmetik gewesen:

Mit Halbleitern können wir billig rechnen, sodass Aktivitäten, bei denen die Arithmetik eine wichtige Rolle spielt, wie Datenanalyse und Berechnung, deutlich günstiger wurden. Wir haben aber auch damit begonnen, die nun erschwingliche Arithmetik zu nutzen, um Probleme zu lösen, die historisch keine arithmetischen Probleme waren. Ein Beispiel ist die Fotografie. Wir haben uns von einem filmorientierten, chemiebasierten Ansatz zu einem digital orientierten, arithmetisch basierten Ansatz gewandelt. Andere neue Anwendungen für billige Arithmetik sind Kommunikation, Musik und Medikamentenforschung. (Gans 2016: 1)

Wenn Prognose günstiger wird, werden also immer Probleme als Prognoseprobleme behandelt. Eine Folge könnte ständige und alles durchdringende Diagnose sein, insbesondere im engeren ärztlichen Sinne:

Zum Beispiel, wenn die Vorhersage billig ist, wird die Diagnose häufiger und bequemer sein, und so werden wir viel mehr frühzeitige, behandelbare Krankheiten erkennen. Das bedeutet, dass mehr Entscheidungen über die medizinische Behandlung getroffen werden, was eine größere Nachfrage nach der Anwendung von Ethik und emotionaler Unterstützung durch den Menschen bedeutet. (Gans 2016: 2)

Das Problem, das Gans hierbei übersieht, sind die “false positives”: Wer ständig sucht, findet irgendwann Dinge, die gar nicht da sind. Wenn in einem von Tausend Fällen durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eine Fehldiagnose getroffen wird, diese Diagnose aber bei Milliarden Menschen durchgeführt wird, werden Millionen Menschen Fehlbehandlungen unterworfen, deren Risiko in Summe den Vorteil für diejenigen übertreffen kann, bei denen die Diagnose richtig war. Taleb warnt vor solcher iatrogener Krankheit, das heißt, Krankheit als Folge fehlgeleiteter Heilungsversuche. Er geht so weit, sarkastisch zu empfehlen:

Wenn Sie den Tod eines Mitmenschen beschleunigen wollen, bezahlen Sie ihm einen Leibarzt. […] In sehr vielen Fällen (bei leichteren Krankheiten) wird Ihnen alles helfen, was Sie davon abhält, zum Arzt zu gehen, und Sie stattdessen ermächtigt, nichts zu tun (und damit der Natur die Möglichkeit gibt, ihre Arbeit zu machen). […] Immer wieder stößt man in Tempeln auf Inschriften mit dem Grundtenor: Apollo hat mich gerettet, meine Ärzte versuchten, mich umzubringen. (Taleb 2013)

Je mehr Daten erhoben werden, desto größer das Problem der Datenbewertung. Dass sich aus vergangenen Daten die Zukunft nicht extrapolieren lässt, liegt nicht an der mangelhaften Begabung des Menschen für Datenauswertung – auch künstliche Intelligenz kann keine Kausalität schaffen, wo sie nicht determiniert ist. Als Hilfsmittel wäre es zwar großartig, präzise Maßzahlen für die Wägbarkeiten zu erhalten. Diese Präzision täuscht aber stets über das Unwägbare hinweg. Taleb weist etwa auf folgende Wirkung von Prognosen hin:

Es gibt zahlreiche empirische Belege für den Effekt, dass jemand, dem eine zufällige numerische Prognose angeboten wird, eine erhöhte Risikobereitschaft an den Tag legt, und zwar selbst dann, wenn er weiß, dass die Hochrechnungen zufällig sind. (Taleb 2013)

Zugleich wächst in einer dauerdiagnostizierten Gesellschaft der Risikoeindruck. Gerade dann, zwischen erhöhter Risikobereitschaft und erhöhter Risikowahrnehmung, wird Urteilsvermögen besonders wichtig, wohl lebenswichtig. Dieses Vermögen besteht gerade darin, nicht alle Diagnosen und Prognosen ernst zu nehmen, mit Unwägbarkeiten und Ungewissheiten fruchtbar umzugehen und sich das Leben nicht von zahlenspeienden Algorithmen aus der Hand nehmen zu lassen. Auf dem Weg dahin werden, durch die schwindende Bedeutung der Akademiker, hoffentlich genügend Ressourcen frei, dieses Urteilsvermögen aufzubauen. Dann wird die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz nicht ersetzen, sondern auf ein neues Niveau heben. Mein Algorithmus beziffert die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios mit 54,321 Prozent – die Tugend der Hoffnung auf drei Nachkommastellen. Oder die Tugend, nicht alles so ernst zu nehmen wie es klingt?

Filed Under: Geopolitik, Lebensphilosophie, Scholien

Scholien 02/18

Rahim Taghizadegan am 2. Feber 2018

Filed Under: Buch, Geopolitik, Lebensphilosophie, Scholien, Unternehmertum

Scholien 1/18

Rahim Taghizadegan am 2. Feber 2018

Filed Under: Austrian School, Buch, Lebensphilosophie, Scholien, Unternehmertum

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