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Amokbürger

Rahim Taghizadegan am 7. Mai 2018

Wir sind es gewohnt, unter großen Massen von Fremden zu leben. Dieses Nebeneinander ist von Vertrauen und friedlicher Kooperation geprägt. Das ist allerdings keineswegs selbstverständlich, vielmehr ein modernes Wunder. Das besonders dicht besiedelte Westeuropa war Vorläufer dieser freien Kooperation in großem Stil. Etwas weniger frei, dafür umso dichter wurde schon früher in Fernost kooperiert. In der Geschichte hatte es davor nur Zwangskooperation im großen Verband oder eben das Miteinander in der kleinen Sippe oder Horde gegeben. Mit der Verdichtung in den urbanen Kooperationszentren ging eine Verbürgerlichung der Menschen einher. Während der Adel noch länger Waffen trug, Duelle focht und Fehdehandschuhe um sich warf, trug der Bürger Werkzeug, flocht Verträge und mehrte Wohlstand. Dafür wurde er vielgeschmäht.

Mit dieser bürgerlichen Friedlichkeit änderten sich die Formen. Einst bezeichnete „Besteck" das Lederfutteral, in dem ein scharfes Messer hing, mit dem man nicht nur Fleischstücke bei Tisch zerteilen konnte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Besteck, wie auch seine Träger, immer harmloser: Die Gabel ersetzte die Spitze, und das Messer wurde runder und unschärfer. In Fernost ging man noch einen Schritt weiter: Das Messer bleibt gänzlich der Küche vorbehalten, bei Tisch begnügt man sich mit völlig harmlosen Holzstäbchen, um das vorgeschnittene Essen zum Mund führen. Die noch größere Dichte des Zusammenlebens hat die Menschen in Fernost wohl noch stärker domestiziert als die Europäer.

Das Unbehagen über Waffen ist ein Erbe der bürgerlichen Domestikation. In der Tat ist es ein positives Zeichen, wenn sich Menschen auch nachts und in den dichtesten und schäbigsten Vierteln waffenfrei bewegen. Doch das liegt nicht an den Waffen, diese sind nicht Träger von Dämonen, die friedliche Menschen zur Gewalt bewegen. Es handelt sich um eine kulturelle Entwicklung, die weder selbstverständlich, noch unumkehrbar ist.

Massaker gibt es, solange es Menschen gibt. Archäologen haben mittlerweile das Cliché vom noblen Wilden völlig widerlegt. Neu ist der Schock, dass abseits des Krieges, an den Zentren friedlicher Kooperation, inmitten der größten Vertrauenskulturen, plötzlich das Massaker hereinbrechen kann. Die erste Intuition sieht hier den Fremden am Werk und vermutet einen feigen Guerillakrieg. Leider ist es komplizierter. Die Bandbreite an Amokläufern wird immer größer. Die modernen Massaker, die Amokfahrten, das wahllose Abstechen, die Schulschießereien, treffen die bürgerliche Kultur ins Herz. Sie sind sowohl Symptom als auch Beschleuniger des gesellschaftlichen Vertrauensverlustes. Wer dem Nächsten nicht mehr trauen kann, wird zur friedlichen Kooperation unfähig. Die Alternative zur Kooperation ist allerdings noch mehr Gewalt – das Überwachen, Beschränken, Ausschalten des Nächsten, der nur mehr im furchteinflößenden Sinne nah ist, nämlich zu nah.

Durch die wachsende Bandbreite des Amokbürgers führt sich die Standardantwort des Angstbürgers gerade ad absurdum: Waffenverbote! In Großbritannien wird tatsächlich ein Küchenmesserverbot diskutiert. Dieses ist zwar verständlicher als die fast schon universelle Einschränkung des privaten Schusswaffenbesitzes. Schließlich erfolgen 45 Prozent der Morde durch Messer, davon wiederum 85 Prozent durch Küchenmesser. Die Reduktion auf die Kleinstfamilie, die Zunahme von Küchen und der steigende Wohlstand, der auch der kaum genutzten Singleküche ein „Profi"-Messerset beschert, hat tatsächlich die bürgerliche Besteckabrundung kompensiert. Doch dem Messerverbot müsste dann konsequent ein Autoverbot, ein Hundeverbot, ein Werkzeugverbot u.a. folgen. Da kann man den Bürger gleich präventiv in eine Zwangsjacke und Gummizelle packen. Für ein Autoverbot wäre immerhin noch die Öko-Fraktion zu gewinnen, bei Hunden und Werkzeugen kennen aber insbesondere Deutsche keinen Spaß. 290.000 haben eben eine Petition unterzeichnet, um den Kampfhund Chico zu schützen, der zwei Menschen totbiss.

Doch Sarkasmus löst das grundlegende Problem nicht. Großbritannien war bereits nach dem Dunblane-Massaker von 1996 Vorreiter in Sachen Schusswaffenverbot geworden. Das ist nachvollziehbar. Ein autochthoner, kreuzbraver Krämer und Pfadfindergruppenleiter hatte damals aus Wut über Pädophiliegerüchte 16 Kinder mit seinen legalen Waffen exekutiert. Doch nicht Entwaffnung schafft Bürger; die Kausalität ist umgekehrt.

Wo der Bürger kooperiert, benötigt er im Inneren keine Gewalt und kann auch ohne Waffe aus dem Haus. Doch diese bürgerliche Kooperation entwickelte sich hinter Stadtmauern. Vorbild der bürgerlichen Selbstverwaltung ist die waffentragende Miliz. Letztere ist auch der Ursprung der Demokratie im diesem meist positiven, aber sehr beschränkten Sinne. Die modernen Illusionen der totalen Demokratie, der totalen Gleichheit und der voraussetzungslosen „Rechte" untergraben die Bürgerdisziplin und erweisen sich als völlig unfähig und ohnmächtig angesichts des Vertrauensverlustes und der blutigen Entbürgerlichung. Bürger kommen ohne Herrscher, ohne Zwangsjacken, ohne innere Gewalt aus, weil sie zur Verantwortung fähig sind, für ihre Freiheit gemeinsam Opfer bringen, die Form wahren und die Grenze respektieren. Die totalitäre Gleichheitsdoktrin kann nur allen oder niemandem Freiheit gewähren. Da sich – wie heute leider zweifelsfrei offenbart – nicht jeder der Disziplin der Freiheit würdig erweist, die auch bedeutet, den Nächsten nicht kaltblütig abzuschlachten, bleibt nur der Weg, allen die Freiheit zu nehmen. Der Bürger wird aber nicht dadurch sicherer, dass man ihm das Küchenmesser abnimmt. Er wird zum Kind.

Vielleicht müssen wir im urbanen Raum wirklich auf diese Stufe zurück. Erträglich wäre das aber nur mit einem individuellen Weg, sich des Bürgertums wieder würdig erweisen zu können. Dürfte man sich das Recht auf spitze Messer, schnelle Autos, eigene Risiken und all die anderen Zeichen der Erwachsenenreife, zumindest verdienen? Das würde allerdings der infantilen Gleichheit, die Ungleiches gleichbehandelt, allzu stark widerstreben.

Filed Under: Geopolitik, Scholien

Geschlechterkampf

Rahim Taghizadegan am 18. April 2018

MeToo und Gendergap, Mansplaining und Gamergate – die USA geben das Vokabular für einen neuen Kampf der Geschlechter vor, der auch vor österreichischen Nationalhelden und Politikern nicht Halt macht. Sind die Tage des Patriarchats gezählt? Gibt es wirklich ein „male privilege“? Was erklärt die Gehaltsunterschiede und die Karrierenachteile von Frauen? Was ist Gender, und wieviel gibt es davon? Wie läßt sich Sexismus überwinden? Was unterscheidet Frauen von Männern? Welche neuen Regeln braucht die Geschlechterinteraktion? Sind westliche Männer verweichlicht und westliche Frauen nicht weiblich genug? Wie läuft es anderswo zwischen den Geschlechtern ab? Frauenrechte, Männerrechte? Frauenpolitik, Frauenminister? Alter und neuer Feminismus? Hat ersterer alle Ziele erreicht oder beginnt letzterer gerade erst, die letzten Bastionen der Männlichkeit zu erobern?



Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

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Filed Under: Lebensphilosophie, Salon

Private Zensur im Digitalen?

Rahim Taghizadegan am 16. April 2018

Der Massenzugang zum Internet schien der große Befreiungsschlag der Information zu sein. Endlich ließen sich die Torwärter des Wissens umgehen. Roland Baader hatte früh erkannt: „Das Internet ist eine große Chance: Wenn sich die Wahrheit unsubventioniert verbreiten kann, schlägt sie die subventionierte Lüge.“ Nun ist ein neuer Kampf um die freie Information entbrannt. Die alten Schwellen sind nivelliert, doch neue werden errichtet. Nicht mehr der Staat engagiert sich als Zensor, sondern offenbar private Unternehmen. Auf den großen internationalen Plattformen der digitalen Information wie facebook und twitter regiert eine immer strengere Politik: Sperren und Löschungen nehmen zu. Auf der einen Seite wird dies als unangenehme Pflicht angesehen, um die Räume des Diskurses vor Trollen und Hasspredigern zu schützen, vor Intoleranten, für die keine Toleranz gelten darf. Auf der anderen Seite sehen sich vermeintliche Warner und Aufklärer verfolgt und mundtot gemacht. Handelt es sich tatsächlich um Zensur? Warum nimmt das Löschen und Sperren zu? Gegen wen richtet es sich und wer steckt dahinter?

Privaten Unternehmen Zensur vorzuwerfen, ist problematisch. Digitale Plattformen mit großem Durchdringungsgrad unterscheiden sich zwar grundsätzlich von privaten Anlässen und Foren. Doch die Teilhabe an diesen Plattformen ist freiwillig, sogar kostenlos, daher lässt sich kaum eine Verpflichtung der Betreiber ableiten, jede Information gleich bereitwillig zu verbreiten. Gewiss, die Netzwerkeffekte sind groß. Eine Überbetonung des Unterschieds von populären Plattformen zu anderen Medien würde aber jene „Öffentlichkeit“ suggerieren, die manche nach einer Verstaatlichung oder staatlicher Aufsicht rufen lässt. Der Zensurvorwurf an Private nährt damit unabsichtlich die Einladung staatlicher Zensur.

Nach üblichen Maßstäben des Rechts ist es weit schlimmer, falsche Information zu verbreiten, als Information vorzuenthalten – denn einen Anspruch auf völlige Transparenz gibt es allenfalls gegenüber Gewaltakteuren, nicht gegenüber Privaten. Schon aus Gründen der Vorsicht werden private Plattformen also dazu neigen, eher zu viel als zu wenig zu löschen. Zudem agieren digitale Medien meist als Erfüllungsgehilfen des Staates – so wie jedes andere Unternehmen, das der Gesetzeslage an seinem Standort unterworfen ist. Unternehmen übernehmen gezwungenermaßen die Rolle von Zensoren, so wie sie die Rolle von Finanzbeamten übernehmen.

Vielmehr erstaunt, dass die großen Betriebe der digitalen Information weiter gehen als es ihnen die Staaten vorschreiben. Twitter sperrt mittlerweile Benutzerkonten nicht mehr nur nach konkretem Fehlverhalten, sondern nach politischen Ansichten. Jene, die sich „rechte“ Meinungen zuschulden kommen lassen, werden hochkant hinausgeworfen. Was erklärt diese Eskalation?

Die „Viralität“ von antielitären Ansichten überrascht und erschreckt viele. Das bedeutet, dass es größere digital affine Kreise gibt, welche die bisherige Deutungselite negativ spiegeln – oder, wie man im Digitalen sagt, „trollen“. Die „shitstorms“ führen mittlerweile zu einem „blowback“, um zwei englischsprachige Bilder zu verwenden. Meinungen, die dem kosmopolitischen Nachkriegskonsens zuwiderlaufen, führen zu scharfen medial selbstverstärkten Verurteilungen durch die medialen Erziehungsberechtigten – durchaus mit guter, wenngleich elitärer Absicht, das Volk vor sich selbst zu beschützen, nämlich diesen alles in allem friedlichen und lukrativen Konsens nicht aufzukündigen. Die Selbstverstärkung jedoch, sobald das Vertrauen in die Eliten brüchig wird, führt zu negativer Spiegelung als Trotzreaktion. Die Verurteilungen nähren plötzlich Stolz, Popularität, Solidarisierung. In den USA sind die „shitstorms“ von der anderen Seite schon nahezu ebenbürtig. Mitglieder der Deutungselite sind nun ganz erschrocken, wie leicht Internet-Mobs auch ihre Existenzen ruinieren können – etwas, das zuvor nur den Medien-Mobs vorbehalten war. So kommt es zum Überschießen auf beiden Seiten. Mittlerweile ist nicht mehr auszuschließen, dass im zugespitzten Meinungskampf zwischen vermeintlichen „Anti-Faschisten“ und „Faschisten“ letztere den viralen Erfolg erzielen und mehr Klicks und Likes erwirtschaften. In der konkreten Realität wäre das allenfalls einen Lacher, vielleicht ein bisschen Scham wert, in der aufgeblähten Meinungsblase aber geht es nun plötzlich um Zivilisation oder Barbarei. Alle fürchten sich vor den Interpretationen und Konnotationen der sich selbst spiegelnden und bestärkenden Meinungsfetzen.

Ein solcher Meinungskampf, bei dem die gegensätzlichen Likes nicht mehr friedlich nebeneinander bestehen, beschädigt die Absatzmöglichkeiten. Die Grundlage von Facebook, Amazon, Google etc. ist, dass ein Massenpublikum in seinen zwar grundverschiedenen, aber nicht antagonistischen Vorlieben durch ein Unternehmen hochskaliert bewirtschaftbar ist. Nun jedoch werden Amazon-Rezensionen, Facebook-„Likes“ und das Anklicken von Google-Anzeigen zu Waffen im Meinungskampf, anstatt neutrale Information über die jeweiligen Konsumpräferenzen zu sein. Das ist schlecht für das Geschäft. Wirtschaftliche Anreize führen daher zu jenen Interventionen, welche die parallel bewirtschaftbaren Filterblasen vor ihrem Platzen bewahren sollen.

Die kommerzielle Notwendigkeit dieser „Diskursbereinigung“ führt allerdings dazu, dass die elitären Reaktionen legitimiert werden, was Übertreibungen nährt. Damit untergraben sie letztlich die kommerzielle Absicht: Je weiter die digitalen Plattformen Teile der Bevölkerung abdrängen, desto eher zerstören sie ihre materielle Basis: die Netzwerkeffekte. Eine politisch gesäuberte Plattform einer elitären Oberschicht hat weit geringeren Werbewert als eine Plattform, die auch all den dummen, hetzenden, ungebildeten Untertanen Raum bietet. Die Eskalation zwischen Eliten, die das Vertrauen verspielt haben, und „Trollen“, die noch kein Vertrauen verdient haben, lässt sich nicht durch Filtern und Löschen befrieden.

Filed Under: Freie Bildung, Geopolitik, Lebensphilosophie, Scholien

Handel statt Krieg

Rahim Taghizadegan am 10. April 2018

Die mediale Aufmerksamkeitsbewirtschaftung benötigt Dramatik, darum ist wieder von Handelskriegen die Rede. Gewiss verdeutlicht das Wort reale politische Gesten. Doch am leichtfertigen Zündeln tragen Medien einen erheblichen Teil der Schuld, auch wenn Journalisten gerne auf einen ungeliebten Präsidenten verweisen. Das Wort vom Handelskrieg ist völlig falsch. Einst bezeichnete man so das zynische Versenken ziviler Schiffe, um «Feindvölkern» durch Embargos zu schaden. Davon sind wir zum Glück entfernt. Handel und Krieg sind Gegensätze, der Handelskrieg ein Oxymoron. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat hatte im vorletzten Jahrhundert die Erkenntnis formuliert, dass entweder Güter die Grenzen passieren oder Soldaten.

Tatsächlich haben wir es heute mit Protektionismus zu tun, doch dieser ist keineswegs neu. Neu ist das Dilemma der Kommentatoren, den US-Präsidenten nicht für seinen Handelspopulismus beglückwünschen zu können. So färbt die Abneigung gegen Trump auf den Protektionismus ab und lässt den Freihandel in ungewohnt gutem medialen Licht erscheinen – eine glückliche Fügung in einer unglücklichen Debatte. Sonst ist Protektionismus stets die tiefe Sehnsucht aller Gesellschaftsplaner und Staatsapologeten, die vor allem als Welterklärer in den Medien vor der realen Welt Zuflucht suchen.

Präsident Trump muss seiner Kernwählerschicht, dem von Salonsozalisten verachteten Proletariat, etwas bieten. Protektionismus ist fast immer populär. Es geht um Schutz, um die «eigenen» Interessen des Wir-Kollektivs gegenüber den Fremden, und «hilft» dabei doch «der Wirtschaft». Die Irrtümer sind uralt und werden wohl nie verschwinden. Protektionismus ist ökonomisch stets kontraproduktive Symbolpolitik. Immerhin ist er nicht so dramatisch wie die andere innenpolitisch motivierte Aussenpolitik, der Krieg. Doch jede deutliche Einschränkung des Handels begünstigt den Krieg, da gemeinsame Interessen schwinden und die beschleunigte Verarmung, sofern ökonomische Erkenntnis weiter misslingt, zur Suche nach Schuldigen führt.

Die USA sind und bleiben Vorbild des Freihandels. Die EU, die sich gerne als Freihandelsbündnis tarnt, ist im Vergleich zu den USA ein Zollkartell. Die EU-Zölle auf amerikanische Autos sind viermal so hoch wie die amerikanischen Zölle, ganz zu schweigen vom berüchtigten Agrarprotektionismus der EU. China wird von der EU mit hunderten Klagen überzogen, um europäische Unternehmen vor «Dumping» zu schützen. Die Anreize gehen klar gegen den Freihandel, denn Zolleinnahmen wandern direkt ins EU-Budget. Der grösste Teil des europäischen Protektionismus wächst aber jenseits der Zölle. Sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse sind meist ideologisch verhüllte Diskriminierung ausländischer Produzenten, oft als Ergebnis von Industrielobbying.

Leider geben die USA dem Freihandel aber auch einen schlechten Namen, was Protektionisten in der EU und anderswo ermutigt. Bastiats Devise wurde teilweise auf den Kopf gestellt: Zuerst passieren Soldaten die Grenzen, dann dürfen die Güter passieren. Die zynische Geopolitik der Amerikaner setzte Handel immer schon mit hintergründigen Intentionen, als Druckmittel und Belohnung ein. Grundlage ist die Ausnützung des «privilège exorbitant» (Giscard d’Estaing) der Weltwährung Dollar. Trumps Vorwurf, durch schlechte Handelsbedingungen ausgenutzt zu werden, ist absurd. Manches Handelshemmnis ist Reaktion auf die ungünstigen Währungsbedingungen. Die globale Schieflage zugunsten des Dollar erklärt auch das US-Handelsbilanzdefizit. De facto exportieren die USA ihre eigene Währung anstelle von realen Gütern, was gewiss nicht zulasten des amerikanischen Wohlstandes geht – abgesehen davon, dass diese Form der Wertschöpfung weniger nachhaltig ist als ehrliche Güterproduktion und auch im Inland massive Verzerrungen der Wirtschaftsstruktur nach sich zieht. Diese Verzerrungen, wiewohl unverstanden, haben Teilen der traditionellen Arbeiterschaft und der unteren Mittelschicht die Laune verdorben und damit teilweise Trump zu seinem Wahlerfolg verholfen. Kein Wunder, dass er die monetäre Schieflage lieber übersieht und den Blick auf die Schieflage im Welthandel richtet, die allerdings Grossteils Symptom und nicht Ursache ist. Der vermeintliche «Handelskrieg» ist nur ein Schauplatz eines Währungskrieges.

Chinas «Dumping» ist dem monetären Entwertungswettbewerb geschuldet. Die chinesischen Machthaber haben erkannt, dass sich Marktanteile gegen die Dollarblase nur durch Mitblähen erringen lassen. Tatsächlich besteht die chinesische Wirtschaftspolitik in einer Enteignung der chinesischen Sparer zugunsten chinesischer Exporteure. Nicht die Zielländer der durch verzerrte Währungskurse künstlich vergünstigten Güter sind Opfer dieser Politik, wenngleich natürlich viele Produzenten unter dieser unfairen Konkurrenz erheblich leiden. Es war wieder Frédéric Bastiat, der die falsche Extrapolation von den Produzenten zu nationalen Kollektiven als verheerenden Irrtum enttarnte. In einer satirischen Schrift beschreibt er eine fiktive Petition der Kerzenmacher gegen die Sonne, die entschlossenen Protektionismus gegen deren «Dumping»-Licht fordern und vorrechnen, welche wirtschaftlichen Vorteile ihre Branche und die darin Beschäftigten aus nationaler Verdunklung des Tages ziehen könnten.

Ohne die Ersparnisse aufgrund der vergünstigten chinesischen Waren und der Folgevergünstigungen dank dieser scharfen Konkurrenz wären der amerikanische und der europäische Wohlstand schon längst viel geringer. In den letzten Jahrzehnten war es im Wesentlichen diese Vergünstigung, insbesondere technischer Güter, welche die Geldentwertung teilweise kompensierte. Gewiss ging das zulasten jener Produzenten, die dieser Konkurrenz nicht standhalten konnten. Doch jene innovativen Unternehmen, die Preisdruck aufgrund überlegener Qualität nicht so fürchten müssen, profitieren natürlich in einem Umfeld höheren Wohlstandes und höherer internationaler Arbeitsteilung, zumal auch die Kapitalgüterpreise dank günstigerer chinesischer Alternativen gesunken sind. Alibaba bietet vor allem Zugang zu einer Maschinenschatzkammer. Und dennoch verschob sich der komparative Vorteil Europas noch weiter in Richtung Maschinen und Hochtechnologie.

Durch überraschende Schonung der Europäer soll die EU nun auf Seite der USA gezogen werden, was vor allem geopolitisch motiviert ist. Dabei läuft man in Europa aber Gefahr, zum Kollateralschaden im Übergang zu einer multipolaren Weltordnung zu werden. Chinas Einführung des Terminhandels für Rohöl in Yuan ist ein weiteres Zeichen dieses Prozesses, der China, Russland und Iran als Block gegen amerikanische Weltordnungspläne positioniert.

Das Schöne an echtem Freihandel ist, dass Konsumenten, Produzenten und Investoren all die kollektivistische Hybris der Geopolitik ausser Acht lassen können. Die wahre Grenzenlosigkeit friedlicher Arbeitsteilung ist der falschen Grenzenlosigkeit des militärischen Plattwalzens von Grenzen und der dadurch begünstigten und dann noch subventionierten Massenmigration weit überlegen. Europäer sollten gerade heute aufgrund ihrer Geschichte als Stimmen der Vernunft die Tore der internationalen Arbeitsteilung offen halten. Stattdessen übertreffen die Protektionismusgünstlinge der EU den US-Präsidenten noch weit in Sachen Grobheit: Für den angedrohten Strafzoll wurden Harley-Davidson-Motorräder auserkoren, in dümmstem Kollektivismus als Sündenbock stellvertretend für die amerikanische Identität. Dabei ist protektionistische Symbolpolitik stets ein Schuss ins eigene Bein – auf dem selben Niveau wie Diplomatenausweisungen.

Zuerst erschienen bei: Finanz und Wirtschaft

Filed Under: Geopolitik, Scholien

Argentinische Krisenerfahrungen und Survivalism

Rahim Taghizadegan am 29. März 2018

Im Nachspann der letzten Finanzkrise 2008 kam es zu einem regelrechten Revival von Krisenliteratur, einer Gattung die sich in den 1970er Jahren im Zuge einer real existierenden atomaren Bedrohung durch den Ost-West-Konflikt entwickelt hatte. Zeugen damalige Schriften durch Anleitungen zum Bunkerbau und dem Umgang mit radioaktiver Kontamination von der Verunsicherung der Bevölkerung, geben aktuelle Werke Ratschläge, wie man sich am besten gegen zu erwartende Folgen eines Wirtschafts- und Gesellschafts-Zusammenbruches, wie etwa drohende Verarmung, Hunger und das Aufbrechen von Gewalt, schützen kann.

Zu einer realistischen Einordnung und Bewertung hier vorgestellter Szenarien und feilgebotener Vorsorgestrategien zur Abwendung individuellen Unheils, ist es besonders interessant, auf zeitlich nahe Fallbeispiele ökonomischer Brüche zurückzugreifen. Einige Bezüge neuer Krisenbücher verweisen auf die schwere Wirtschaftskrise Argentiniens, die das Land ab 1998 in Beschlag nahm. Tatsächlich ließ diese mit Stadien bis hin zum Bankenchaos und Staatsbankrott wenig Extremes vermissen. Eine erste Erkenntnis im Rückblick mag sein, dass es dort trotz des Zusammenbruches des Finanzsystems 2001 und hoher politischer Instabilität in Folge weder zu plündernden Menschenhorden noch zu einer breiten Verflachung der Arbeitsteilung hinunter auf das Subsistenz-Niveau kam.

Der Krisenratgeber Surviving economic collapse des Argentiniers Fernando Aguirre wirbt damit, als einziges dieser Bücher Tipps nach persönlichen Erfahrungen aus erster Hand zu geben. Aguirre erlebte die Geschehnisse als Jugendlicher in Buenos Aires und verließ erst 2011 das Land. Auf den ersten Blick mag es bestechen, eine solch unmittelbare Sammlung und Analyse von Problemen und ihrer Bewältigung in der Krise zu erhalten. Oft liefert die Betrachtung einer Quelle jedoch noch kein hinreichend realistisches Bild. Wahrnehmungen könnten verzerrt, verfügbare Informationen selektiv sein; der Zufall, das persönliche Umfeld aber die Interessen und Anreize des Beobachters spielen, bewusst oder unterbewusst, eine Rolle.

Diese Problematik soll im Kontrast etwas analysiert werden: Die Ausführungen von Aguirre sollten mit einem Interview eines weiteren Augenzeugen – kurz: Luis – verglichen werden. Beide Männer sind ähnlich alt, lebten zur betreffenden Zeit in der selben Stadt und arbeiteten sogar beide als Dozenten für die Universidad de Buenos Aires. Trotz augenscheinlicher Parallelen vermitteln die Berichte tatsächlich ein unerwartet gegensätzliches und relativierendes Bild.

Für Aguirre bestätigt sich im weiteren Geschehen die Analyse eines Lehrers aus seinem Sozialwissenschaften-Seminar des Jahres 2001: Argentinien ein kollabiertes Land auf Dritte-Welt-Niveau, das über keine nennenswerte Mittelklasse mehr verfügt, weil deren weitgehende Mehrheit in die große Schicht der Armen abfiel. Ihr Frust nähre die sozialen Unruhen in einer Gesellschaft ohne Puffer zwischen vielen Armen und wenigen Reichen. Ihm fällt auf, dass sich die Zahl der eingeschriebenen Studenten rasch halbiert habe. Wie er annimmt, weil sich ein Studium in vielen Fällen nicht mehr ausreichend auf das Einkommen auswirke, aus Geldmangel oder der Notwendigkeit Familien durch Hinzuverdienst zu unterstützen. Dagegen hatte Luis kaum Klassenbewegungen erlebt. Er erklärt, dass der öffentliche Sektor einen großen Teil der Mittelschicht beschäftigt und dieser wesentlich besser vergütet wurde als der private. Beide sprechen von sich vervielfältigten Obdachlosen. Luis schreibt dies dem großen Schwarzmarkt zu, in dem sich viele Arme mit kleinen Gelegenheitsarbeiten als Tagelöhner verdingen und deren Einkommen Wohnungs-Mietverhältnisse meist kaum noch ermöglichen. Von daher scheint es plausibel, dass die Schockwellen des Konjunktureinbruches unmittelbar auf die Löhne dieses Marktes für simple, austauschbare Tätigkeiten in sich rasch vergrößerndem Angebot, durchschlugen und in Folge viele Mieten nicht mehr bezahlt werden konnten. Der mit der Krise einhergehende Wertverlust der Landeswährung Peso entfachte im Land einen zeitweiligen Produktionsaufschwung, der freilich nicht nachhaltig war, sondern dem klassischen Muster des Konjunkturzyklus folgt. Luis benennt diese Zeit zwischen den Jahren 2005 bis 2009 als ökonomischen Sommer, in dem es sogar weniger Obdachlose als vor der Krise gab. Seither stabilisierte sich die Zahl der Wohnungslosen auf Vorkrisenstand.

Aguirre gibt an, dass sich durch das Abwerten des Peso Lebensmittel um das Zwei- bis Dreifache verteuert haben. Dies hätte in ärmeren Nordprovinzen zu Unterernährung geführt, weil die durch hohe Arbeitslosigkeit erniedrigten Einkommen nicht immer ausgereichten, um die erforderliche Mindestmenge an Kalorien zur Ernährung einer Durchschnittsfamilie kaufen zu können. Von dortigen Lehrern festgestellte Konzentrationsprobleme mancher Schüler seien auf Unterernährung zurückzuführen gewesen, wie sich später herausgestellt hätte. Zu der strategischen Ortswahl verweist er auf die schlechte Ernährungslage in den Städten während Krisen:

Diejenigen, die in den Städten leben, müssen sich so gut wie möglich zurechtfinden. (…) Die Leute haben die Ausgaben gekürzt, wo immer sie konnten, damit sie Lebensmittel kaufen konnten. Einige aßen, was sie konnten; sie jagten Vögel oder aßen Straßenhunde und Katzen, andere hungerten. Wenn es um Lebensmittel geht, sind Städte in einer Krise am schlimmsten dran.

Er spricht von sich leerenden Regalen und rationierten Warenausgaben in den Supermärkten in Buenos Aires während der Hyperinflation und von der Angst, diese könnten völlig schließen und seine Familie ohne Nahrung zurücklassen. Sein bestimmt größter Fehler sei es gewesen, das Lebensmittel-Problem übersehen zu haben und nicht mehr haltbare Nahrungsmittel eingelagert zu haben.

Offenbar scheint er aber selbst keinen Hunger gelitten zu haben und bezieht sich wahrscheinlich auf die später verhältnismäßig stark gestiegenen Kosten dieser Produkte und einen erhofften psychologischen Rückhalt angesichts eines gefüllten Vorratslagers, wie folgende Aussagen zu bestätigen scheinen:

(…) wenn TSHTF [The shit hits the fan], vorbereitet oder nicht, wird man ständig an Essen denken. (…) Wenn man es nicht hat, tut man ALLES, um es zu bekommen, und wenn man vorbereitet ist, macht man sich Sorgen darüber, für die Zukunft mehr zu bekommen.

“The shit hits the fan” ist Prepper-Sprech für die nicht näher definierte Katastrophe, den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Graphisch und vulgär verbreitet sich eine missliche Lage in Windeseile. Zumindest in rationalem Widerspruch erscheint zunächst die Feststellung:

Sobald TSHTF, entstehen überall in kürzester Zeit Schwarz- und Graumärkte.

Eine Deutung dieses Gegensatzes mag die angebotene Zeitperspektive stellen: Es muss erst eine gewisse Spanne von Lernprozessen und Entwicklungsschleifen überwunden werden, bis übrig gebliebenes für sich veränderte Sinnzusammenhänge neu entdeckt, in produktiver Weise rekombiniert und die frischen Strukturen so weit ausdifferenziert und gefestigt sind, dass man ihnen vertraut:

In meinem Land wurden die grauen Märkte am Ende sogar akzeptiert. Zuerst ging es um den Handel mit Fertigkeiten oder um handwerkliche Produkte für Lebensmittel. Bezirke und Städte bildeten ihre eigenen Tauschmärkte und schufen ihre eigenen Gutscheine, ähnlich wie Geld, das für den Handel verwendet wurde. Das hat nicht lange gedauert. Diese Gutscheine waren einfach zu machen (…) und schließlich gingen die Leute zurück zu Papiergeld. Diese Märkte wurden in der Regel (…) von einem klugen Kerl und ein paar Schlägern oder angestellten Sicherheitskräften verwaltet. Jeder kann einen Kiosk in diesen Märkten für etwa 50-100 Pesos (ca. 20-30 Dollar) pro Tag mieten und seine Waren und Dienstleistungen verkaufen. (…) Diese Märkte haben sich weiterentwickelt und es sind nun viele verschiedene Produkte verfügbar. (…) Was gibt es auf einem lokalen Markt? Hauptsächlich Nahrung und Kleidung. Einige haben mehr Abwechslung als andere, aber Käse, Konserven, Gewürze, Honig, Eier, Obst, Gemüse, Bier, Wein und Wurstwaren sind allgemein erhältlich, ebenso wie Backwaren und Teigwaren. Diese sind günstiger als die, die man in Supermärkten findet. Frischer Fisch ist manchmal erhältlich, aber nicht immer, die Menschen vertrauen nicht auf Produkte, die gekühlt werden müssen, und besorgen sie stattdessen in Supermärkten.

Im Interview mit der Frage konfrontiert, ob Luis sich in irgendeiner Weise vorbereitet hätte, wenn er die Wirtschaftskrise vorausgeahnt hätte, antwortet er entschieden mit Nein. Er hätte sich in keiner Weise vorbereitet und auch keine Lebensmittel eingelagert. Er könne sich nicht an Nahrungs-Knappheiten erinnern. Die Mittelschicht habe immer genug zu essen gehabt, sich aber arm gefühlt, weil sie sich plötzlich weniger leisten konnte. So auch Luis: Er musste Freizeitausgaben streichen und brachte es sich bei zu kochen. Für die Armen der Gesellschaft wurden öffentliche Suppenküchen eingerichtet, in denen zumeist linke Parteien kostenlose Mahlzeiten verteilten.

In welchem Ausmaß die Angaben über Hungernde in ärmeren Regionen Argentiniens – zum Teil verweist Aguirre hier auf das Fernsehen als Quelle – belastbar sind oder propagandistisch aufgebläht wurden, müssen wir auf alleiniger Grundlage der herangezogenen Quellen als nicht geklärt akzeptieren.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

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