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Marktverstecke für versteckte Märkte

Rahim Taghizadegan am 1. März 2020

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Die Digitalisierung ist der letzte große Wohlstandstreiber. Der eigentliche Grund dafür ist allerdings kein technischer. Die Bedeutung von skalierbaren Prozessen in einer Wissensökonomie wurde schon lange vor der Mikrotransistortechnik erkannt. Digitalisierung hat deshalb heute so großes ökonomisches Gewicht, weil das Digitale die letzte Grenzregion des noch Unregulierten war, ein „Wilder Westen“ für Pioniere. Im Digitalen tummeln sich noch immer viele Betrüger und Banditen, doch überwiegt der Wohlstandsgewinn, indem die größten Betrüger und Banditen, die stationären und staatlichen, weniger zum Zug kommen.

Die höhere Wertschöpfung kommt nicht nur aus der niedrigeren Besteuerbarkeit, sondern vor allem aus der unbeschränkten globalen Arbeitsteilung. Im Digitalen wirken geringere Marktzugangsbarrieren, Handelsbeschränkungen und Produktionsauflagen. Menschen aus allen Winkeln der Erde können relativ frei kooperieren, weil ihre Produktion jenseits der hochbelasteten und -regulierten Welt des Physischen, Analogen und Immobilen stattfindet.

Zunächst war diese Kooperation Firmen vorbehalten, da globale Zahlungsströme immer enger überwacht sind. Dank staatsfreier Digitalwährungen wie Bitcoin gibt es nun eine wachsende globale Industrie von völlig steuer- und regulierungsfrei kooperierenden Selbständigen: Programmierer, Designer, Texter und andere Freischaffende, deren Güter digital sind.

Wir können hier drei Phasen unterscheiden, die jeweils eine revolutionäre Markterweiterung bewirken.

Erstens: der digitale Marktzugang. Dadurch können Anbieter und Nachfrager abseits der kontrollierten und belasteten Plätze zusammenkommen. Diese erste Welle des digitalen Wirtschaftens folgte aus den Möglichkeiten der Kommunikation:  geschlossene Nachrichtenkanäle (Usenet et cetera), dann offene Protokolle für E-Mail und Internet, schließlich verschlüsselte Kanäle wie Telegram, Signal und so weiter.

Die zweite Revolution ist die Digitalisierung des Geldes. Pioniere waren etwa Paypal, das schließlich zu einer Bank werden musste, und e-gold, das schließlich abgedreht und enteignet wurde. Kryptomünzen sind heute die Standardlösung für Zahlungen über staatliche und regulatorische Grenzen hinweg. Neben dem dominanten, aber nur pseudonymen und teuren Bitcoin gibt es mehrere anonymere Alternativen wie Monero, Dash, Zcash, Beam, Grin und bald xx-coin.

Die dritte Phase wird eingeläutet durch die Befreiung der Lieferung vom Regulierungszugriff. Bei digitalen Gütern erlaubten immer größere Bandbreiten für Datentransfers die Ausweitung auf immer mehr Güter wie Bilder und Videos. Der Umstand, dass Postsendungen nicht vollständig durchsucht werden können, führte zum Aufblühen erster globaler Schwarzmärkte für jene Güter, bei denen staatliche Intervention zu den höchsten Renditen führt, die wieder die höchsten Risikoprämien erlauben: „Drogen“. Der Marktplatz Silk Road war einer der bekanntesten Marktplätze dieser dritten Phase, die sich ausgehend vom Digitalen auf physische Güter erstreckte.

Das hohe Risiko einer Ausforschung von Versendern und Empfängern am traditionellen Postweg führte jedoch zum Schwinden dieser Marktplätze, als schließlich auch das Risiko der Unterwanderung deutlich wurde. Der Betreiber von Silk Road fiel auf US-Agenten herein und wird dafür wohl bis ans Lebensende im Gefängnis büßen.

Doch die Kombination der Kommunikation in verschlüsselten Kanälen mit der Nutzung von Kryptomünzen blieb vom Marktplatzausfall unbeeinträchtigt. Nun geht es zur Markterweiterung vor allem darum, die dritte Phase kreativ auszudehnen. Auch dabei werden Digitalisierung und Kryptographie hilfreich sein. Die Lieferung wird von den offiziellen Kanälen ausweichen auf verteilte Strukturen, bei denen Zusteller und Empfänger keinerlei Daten voneinander haben müssen. Das große Problem des Besitzes illegaler Güter während des Transports bleibt dabei jedoch bestehen.

Drei verschiedene Lösungswege sind denkbar: Erstens die Übernahme des Transports durch autonome Drohnen. Zweitens die Maskierung und Sicherung der Sendung vor dem Transporteur in verriegelten Büchsen, deren Schlösser digital gesteuert werden. Drittens das Verstecken von Sendungen an öffentlich zugänglichen Orten, so dass die Lieferung gar keinen Transport mehr bedeutet, sondern nur noch Austausch von Orts- und Zugangsdaten. Letztere Lösung erfordert den geringsten technischen Aufwand, jedoch den höchsten Aufwand an verlässlichen Personen. 

Depots von Gütern würden über eine verteilte Struktur angelegt – als Geocaches, wobei derjenige, der ein Depot anlegt, nur den jeweiligen Ort auswählen muss und sonst keinerlei Daten und Kenntnisse haben muss. Beispiel für solche Depots wären: eine mit irreführenden Aufklebern versehene Plastikdose, die rund um ein öffentliches Kabel oder in einem Sicherungskasten angebracht wird; ein mit Ziffernkombination zugängliches Schließfach; eine in einem Erdstreifen vergrabene Dose et cetera. Falsches Auffinden und damit Verlust ist ein mit entsprechender Erfahrung eingrenzbares Risiko. GPS-Daten müssten um Fotos und eventuell Bluetooth-Sender ergänzt werden. Depots könnten von anderen Mitwirkenden der verteilten Struktur an neue Orte umgelegt werden, so dass keine Einzelperson den Standort eines Gutes mit Gewissheit kennt – der in einem verschlüsselten Datensatz verbleibt, bis ein Kunde den korrekten Schlüssel erwirbt.

Der Aufwand an verlässlichen Personen wird handhabbar durch kryptographische Verteilung von Daten und digitales Management der Verlässlichkeit (Reputation). Am angenehmsten für den Nutzer wären mobile Apps, die Datenaustausch, Ortung und Reputationsmanagement integrieren. Das scheitert allerdings daran, dass die dominanten App-Systeme geschlossen sind und Identifikation der App-Anbieter erfordern.

Wofür könnte es Depots geben? Neben Cannabis vor allem Bargeld, Goldmünzen, Hochbesteuertes und -verzolltes. Ob es kreative Kleinverstecke, ganze Safehouses oder technische Innovationen sind, die die größte Markterweiterung schaffen, wird der Wettbewerb zeigen.

Ursprünglich erschienen auf eigentümlich frei

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

China – vier Modelle im Stresstest

Rahim Taghizadegan am 20. Feber 2020

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China ist nun tatsächlich Mittelpunkt der Welt, leider als Epidemieherd. An der derzeitigen Herausforderung könnten sich Stärken und Probleme des chinesischen Modells zeigen. Bislang erhielt die chinesische Politik eher Lob, vor allem vonseiten der Weltgesundheitsorganisation WHO. Erweist sich der autoritäre Zentralstaat als Erfolgsmodell? Ist die Zukunft überhaupt nicht anders zu bewältigen als auf dem chinesischen Weg, der Wirtschaftsförderung mit Kontrolle und Stabilität verbindet?

Diese Einschätzung ist verfrüht, das Gegenteil ist nach heutigem Wissensstand deutlich wahrscheinlicher. Ein zentralistischer Überwachungsstaat ohne jede innere Exekutivbeschränkung kann gewiss leichter über seine Bevölkerung verfügen. Das erweist sich als Vorteil bei der Verhängung von Quarantänen und der Ansteckungsverfolgung. Doch der Nachteil wird nun ebenso deutlich: das geringere Vertrauen der Bevölkerung.

Vertrauensmängel sind das grösste Hindernis auf dem Weg Chinas aus der Falle des mittleren Einkommens. Misstrauen ermuntert zur Rücksichtslosigkeit, Rücksichtslosigkeit bestätigt das Misstrauen. Dieser Teufelskreis ist gewiss nicht nur der derzeitigen Parteigarde zuzuschreiben, seine Wurzeln sind älter; am stärksten wurde das Misstrauen in den Jahren des maoistischen Totalitarismus geschürt. Doch Intransparenz der Regierung bei erzwungener Transparenz der Bürger verhindert das Entstehen einer Vertrauenskultur.

Hongkong – oder auch Taiwan?

Epidemien erfordern rasche und manchmal harte Massnahmen. Doch wenn diese nicht transparent sind, können sie ins Leere greifen, weil sie die Bürger dazu animieren, sich den Massnahmen aus Angst und Misstrauen zu entziehen. Die panische Flucht grosser Menschenmassen aus Wuhan, bevor die Reisebeschränkung griff, die absichtliche Virenverbreitung durch Infizierte aus Rache, der gewaltsame Widerstand gegen Quarantäneanordnungen und die Wut in sozialen Medien sind teilweise Folgen dieses Misstrauens. Es wird genährt durch die Befürchtung, dass der Partei die totale Kontrolle und damit der Machterhalt wichtiger sein könnten als das Wohl der Bürger.

Es scheint sich zu bestätigen, dass die Epidemie vor allem deshalb so rasch um sich greifen konnte, weil in den ersten Wochen nach Ausbruch Informationskontrolle und Vertuschung Priorität hatten. Diese Priorität ist nachvollziehbar, in diesem Fall aber ein Fehler – und dieser wiederum eine direkte Folge des Zentralismus. Die Lokalbehörden trauten sich nicht, eine angemessenere Entscheidung zu treffen, bis Anweisung aus Peking kam.

Dieses Modell ist aber nur eines der vier chinesischen Modelle. Die gegenwärtige Krise wird einen unmittelbaren Modellvergleich bieten. Das grösste Augenmerk gilt der nächstliegenden Alternative: Hongkong. Dort ist auch die Kritik an Festlandchina am stärksten. Gewiss hält die Devise «ein Land, zwei Systeme» nur noch bedingt. Der gewichtigste Unterschied besteht in einer stärkeren Zivilgesellschaft, freieren Medien und kritischerem Diskurs. Doch der Vergleich geht nicht mehr so deutlich zugunsten Hongkongs aus, was das dominante chinesische Modell bestärkt und auch die falsche Prioritätensetzung erklären mag.

In Hongkong ist in der freieren medialen Echokammer eine diffuse Wut gewachsen, die grosse Ähnlichkeiten mit dem digitalen Aufbegehren der Millennials im Westen hat. Die wegen der Geldpolitik steigende Ungleichheit führt zu Reaktionen, die sich als Umverteilungsforderung, Antikapitalismus und nihilistische Systemablehnung äussern. Da der digitale Diskursraum aber zunehmend von realen Gemeinschaften, bürgerlicher Verantwortung und lokalen Wirkungsmöglichkeiten losgelöst ist, nährt er Extremismus oder Ohnmacht. So ist paradoxerweise das Misstrauen, bis zu übertriebenen Panikkäufen, in Hongkong derzeit ausgeprägter als in Festlandchina, und Hongkong wirkt geradezu wie ein Failed State.

Die Insellage und die sich bietende kleinräumigere Autonomie Taiwans zeigen im Gegensatz dazu eine noch intakte Vertrauenskultur. Ein hohes Behördenethos, exemplifiziert durch einen heroisierten Gesundheitsminister, trifft auf eine disziplinierte Bevölkerung und erleichtert die Eingrenzung der Epidemie deutlich. Wie in Westeuropa führte die Vertrauenskultur aber zur Nabelschau und zum Abbremsen der Innovation zugunsten stabilisierender Umverteilung und bremsender Regulierung.

Ein viertes chinesisches Modell könnte sich als das zukunftsfähigste erweisen. Singapur wird im Westen meist mit einem autoritären Regime assoziiert. Staatsgründer Lee Kuan Yew lehnte diese Kategorisierung stets mit dem Verweis ab, dass die dominante Partei in einem Masse durch allgemeine Zustimmung demokratisch legitimiert ist, von dem westliche Parteien nur träumen können. Zweifellos war Lee Paternalist, die Kleinheit Singapurs verunmöglichte aber totalitären Utopismus. Die Besonderheit des singapurischen Paternalismus zeigt sich im derzeitigen Umgang mit der Epidemie: Der Premierminister erscheint im Fernsehen nicht in heldenhafter Pose neben Rettungskräften, sondern wendet sich direkt an die Bevölkerung. Seine Auftritte sind von authentischer Ehrlichkeit und nüchterner Offenheit geprägt. Es wird nichts beschönigt oder verschwiegen. Das allgemeine Vertrauen in die Kompetenz der Behörden ist hoch.

Wie unterscheidet sich Singapur von den anderen chinesischen Modellen? Es entstammt einer Synthese zwischen West und Ost: weder medial orchestrierte Empörungs-«Demokratie», die vor allem in den grösseren, zentralistischen Staaten eher Interessengruppen dient, noch asiatischer Zentralismus ohne bürgerliche Freiheiten. Der Gegensatz zu Hongkong liegt vor allem in der bewahrten Autonomie. Kleinräumige Autonomie begünstigt die Identifikation mit der politischen Struktur und damit ein verantwortungsfähiges Bürgertum.

Konfuzianisches Erbe verbindet

Hongkong zeigte hingegen schon bei der «Regenschirmrevolution» von 2014 ein Überwiegen ideologischer Motive und Anspruchshaltungen, die weniger Ausdruck bürgerlicher Verantwortung, sondern wie im Westen teils des Geltungskonsums eines akademischen Proletariats sind. Gewiss war ein gewichtiger Strang der jüngsten Proteste der engagierte Kampf von Hongkonger Bürgern gegen ein Überstülpen des dominanten chinesischen Modells. Dieser Kampf verdient Hochachtung, ist aber letztlich aussichtslos. Die Briten hatten es versäumt, den Stadtstaat in die Autonomie zu überführen. Singapurs Lage und das politische Geschick von Lee waren Hongkong nicht vergönnt. Als Modell wird es keine Strahlkraft mehr haben, auch wenn einer im Zuge der Epidemiereaktion womöglich geschwächten Kommunistischen Partei mehr Zugeständnisse abgerungen werden könnten.

Singapur hingegen könnte China wieder als Vorbild dienen. Seine Vorbildwirkung war schon einst eine wesentliche und unterschätzte Triebkraft des chinesischen Wunders. In einer Massengesellschaft, in der Spaltungskräfte katastrophale Rücksichtslosigkeit und allgemeines Misstrauen bedeuten können, ist die Angst vor westlichem Atomismus gross. Das Beschwören des konfuzianischen Erbes, die beschränkte und transparente Väterlichkeit, der nüchterne zwischenethnische Ausgleich anstelle politisch korrekter «Multikulturalität» waren und sind für Festlandchina viel annehmbarer als die Polarisierung einer Gesellschaft in dissonanten Filterblasen. Doch Singapurs Sonderweg liegt nicht in Lees persönlich gefärbtem Paternalismus, den sogar er selbst in der Grössenordnung Chinas für gefährliche Hybris gehalten hätte. Er liegt in einer pragmatischen Kultur der Verantwortung und des Vertrauens, wie sie nur kleinräumige Autonomie hervorzubringen vermag.

Zuerst erschienen bei Finanz & Wirtschaft

Filed Under: Geopolitik, Scholien

Coronavirus: Asien und Europa im Vergleich

Rahim Taghizadegan am 20. Feber 2020

China ist nun tatsächlich Mittelpunkt der Welt, leider als Epidemieherd. An der derzeitigen Herausforderung könnten sich Stärken und Probleme des chinesischen Modells zeigen. Bislang erhielt die chinesische Politik eher Lob, vor allem von Seiten der WHO. Erweist sich der autoritäre Zentralstaat als Erfolgsmodell? Ist die Zukunft überhaupt nicht anders zu bewältigen als auf dem chinesischen Weg, der Wirtschaftsförderung mit Kontrolle und Stabilität verbindet?

Diese Einschätzung ist verfrüht, das Gegenteil ist nach heutigem Wissensstand deutlich wahrscheinlicher. Ein zentralistischer Überwachungsstaat ohne jede innere Exekutivbeschränkung kann gewiss leichter über seine Bevölkerung verfügen. Das erweist sich als Vorteil bei der Verhängung von Quarantänen und der Ansteckungsverfolgung. Doch der Nachteil wird nun ebenso deutlich: das geringere Vertrauen der Bevölkerung. Vertrauensmängel sind das grösste Hindernis auf dem Weg Chinas aus der Falle des mittleren Einkommens. Misstrauen ermuntert zur Rücksichtslosigkeit, Rücksichtslosigkeit bestätigt das Misstrauen. Dieser Teufelskreislauf ist gewiss nicht nur der derzeitigen Parteigarde zuzuschreiben, seine Wurzeln sind älter; am stärksten wurde das Misstrauen in den Jahren maoistischen Totalitarismus geschürt. Doch Intransparenz der Regierung bei erzwungener Transparenz der Bürger verhindert das Entstehen einer Vertrauenskultur.

Epidemien erfordern rasche und manchmal harte Massnahmen. Doch wenn diese nicht transparent erfolgen, können sie ins Leere greifen, weil sie die Bürger dazu animieren, sich den Massnahmen aus Angst und Misstrauen zu entziehen. Die panische Flucht grosser Menschenmassen aus Wuhan, bevor die Reisebeschränkung griff, die absichtliche Virenverbreitung durch Infizierte aus Rache, der gewaltsame Widerstand gegen Quarantäneanordnungen und die Wut in sozialen Medien sind teilweise Folgen dieses Misstrauens. Es wird genährt durch die Befürchtung, dass der Partei die totale Kontrolle und damit der Machterhalt wichtiger sein könnten als das Wohl der Bürger.

Es scheint sich zu bestätigen, dass die Epidemie vor allem deshalb so rasch um sich greifen konnte, weil in den ersten Wochen nach Ausbruch Informationskontrolle und Vertuschung Priorität hatten. Diese Priorität ist nachvollziehbar, in diesem Fall aber ein Fehler – und dieser wiederum eine direkte Folge des Zentralismus. Die Lokalbehörden trauten sich nicht, eine angemessenere Entscheidung zu treffen, bis Anweisung aus Peking kam.

Dieses Modell ist aber nur eines der vier chinesischen Modelle. Die gegenwärtige Krise wird einen unmittelbaren Modellvergleich bieten. Das grösste Augenmerk gilt der nächstliegenden Alternative: Hongkong. Dort ist auch die Kritik an Festlandchina am stärksten. Gewiss hält die Devise „ein Land, zwei Systeme“ nur noch bedingt. Der gewichtigste Unterschied besteht in einer stärkeren Zivilgesellschaft, freieren Medien und kritischerem Diskurs. Doch der Vergleich geht nicht mehr so deutlich zugunsten Hongkongs aus, was das dominante chinesische Modell bestärkt und auch die falsche Prioritätensetzung erklären mag.

In Hongkong wuchs in der freieren medialen Echokammer eine diffuse Wut, die grosse Ähnlichkeiten zum digitalen Aufbegehren der „Millennials“ im Westen hat. Die durch die Geldpolitik steigende Ungleichheit führt zu Reaktionen, die sich als Umverteilungsforderung, Antikapitalismus und nihilistische „System“-Ablehnung äussern. Da der digitale Diskursraum aber zunehmend von realen Gemeinschaften, bürgerlicher Verantwortung und lokalen Wirkungsmöglichkeiten losgelöst ist, nährt er Extremismus oder Ohnmacht. So ist paradoxerweise das Misstrauen, bis hin zu übertriebenen Panikkäufen, in Hongkong derzeit ausgeprägter als in Festlandchina, und Hongkong wirkt geradezu wie ein „Failed State“.

Die Insellage und die sich bietende kleinräumigere Autonomie Taiwans zeigen im Gegensatz dazu eine noch intakte Vertrauenskultur. Ein hoher Behördenethos, exemplifiziert durch einen heroisierten Gesundheitsminister, trifft auf eine disziplinierte Bevölkerung und erleichtert die Eingrenzung der Epidemie deutlich. Wie in Westeuropa führte die Vertrauenskultur aber zur Nabelschau und zum Abbremsen der Innovation zugunsten stabilisierender Umverteilung und bremsender Regulierung. Ein viertes chinesisches Modell könnte sich als zukunftsfähigstes erweisen. Singapur wird im Westen meist mit einem autoritären Regime assoziiert. Staatsgründer Lee Kuan Yew lehnte diese Kategorisierung stets mit dem Verweis ab, dass die dominante Partei in einem Masse durch allgemeine Zustimmung demokratisch legitimiert ist, von dem westliche Parteien nur träumen können. Zweifellos war Lee Paternalist, die Kleinheit Singapurs verunmöglichte aber totalitären Utopismus. Die Besonderheit des singapurischen Paternalismus zeigt sich im Umgang mit der Epidemie: Der Premierminister erscheint im Fernsehen nicht in heldenhafter Pose neben Rettungskräften, sondern wendet sich direkt an die Bevölkerung. Seine Auftritte sind von authentischer Ehrlichkeit und nüchterner Offenheit geprägt. Es wird nichts beschönigt oder verschwiegen. Das allgemeine Vertrauen in die Kompetenz der Behörden ist hoch.

Wie unterscheidet sich Singapur von den anderen chinesischen Modellen? Es entstammt einer Synthese zwischen West und Ost: weder medial orchestrierte Empörungs-„Demokratie“, die vor allem in den grösseren, zentralistischen Staaten eher Interessensgruppen dient, noch asiatischer Zentralismus ohne bürgerliche Freiheiten. Der Gegensatz zu Hongkong liegt vor allem in der bewahrten Autonomie. Kleinräumige Autonomie begünstigt die Identifikation mit der politischen Struktur und damit ein verantwortungsfähiges Bürgertum.

Hongkong zeigte hingegen schon bei der „Regenschirm-Revolution“ von 2014 ein Überwiegen ideologischer Motive und Anspruchshaltungen, die weniger Ausdruck bürgerlicher Verantwortung, sondern wie im Westen teilweise des Geltungskonsums eines akademischen Proletariats sind. Gewiss war ein gewichtiger Strang der jüngsten Proteste der engagierte Kampf von Hongkonger Bürgern gegen ein Überstülpen des dominanten chinesischen Modells. Dieser Kampf verdient Hochachtung, ist aber letztlich aussichtslos. Die Briten hatten es verabsäumt, den Stadtstaat in die Autonomie zu überführen. Singapurs Lage und das politische Geschick von Lee waren Hongkong nicht vergönnt. Als Modell wird es keine Strahlkraft mehr haben, auch wenn einer im Zuge der Epidemiereaktion womöglich geschwächten Kommunistischen Partei mehr Zugeständnisse abgerungen werden könnten.

Singapur hingegen könnte China wieder als Vorbild dienen. Dessen Vorbildwirkung war schon einst eine wesentliche und unterschätzte Triebkraft des chinesischen Wunders. In einer Massengesellschaft, in der Spaltungskräfte katastrophale Rücksichtslosigkeit und allgemeines Misstrauen bedeuten können, ist die Angst vor westlichem Atomismus gross. Das Beschwören des konfuzianischen Erbes, die beschränkte und transparente Väterlichkeit, der nüchterne zwischenethnische Ausgleich anstelle politisch korrekter „Multikulturalität“ waren und sind für Festlandchina viel annehmbarer als die Polarisierung einer Gesellschaft in dissonanten Filterblasen. Doch Singapurs Sonderweg liegt nicht in Lees persönlich gefärbtem Paternalismus, den sogar er selbst in der Grössenordnung Chinas für gefährliche Hybris gehalten hätte. Er liegt in einer pragmatischen Kultur der Verantwortung und des Vertrauens, wie sie nur kleinräumige Autonomie hervorzubringen vermag.

Der Vergleich der Modelle im Stresstest zeigt die Mängel des chinesischen Wegs, daraus lässt sich aber keine Überlegenheit europäischer Staaten ableiten. Der Stresstest ist nun in Europa und den USA angekommen, und das Bild, das viele Regierungen abgeben, ist eher erschreckend. Insbesondere Deutschland und Österreich geben Anlass zu Sorge. Eine rechtzeitige Vorbereitung wurde verabsäumt. Die sozialistischen Gesundheitssysteme werden massiv unter Druck geraten. Allein der ungebrochen hohe Staatskredit wird ausreichend Euro produzieren lassen, um Mängel finanziell zu kompensieren. Doch Geld kann weder Kompetenz, noch Vertrauen, noch Wunder hervorbringen.

Die Vertrauenserschütterung in westliche Regierungen wird weiter gehen, mit möglicherweise dramatischen Folgen. Das Kapital hohen Vertrauens ist einer der letzten Vorteile gegenüber China, und dieser Kapitalkonsum wiegt daher besonders schwer. Man stelle sich vor, eines Tages würden weite Teile der frustrierten Bevölkerung eines geschwächten Europas den chinesischen Weg als kleineres Übel ansehen.

Dieser Artikel bis oberhalb der letzten zwei Absätze erschien in Finanz und Wirtschaft und ist hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben. Im Weiteren biete ich eine persönliche Einschätzung, zumal ich den Ausbruch in Asien genau verfolgt habe, mit Anleitungen zum Umgang. Diese sind nur für jene Menschen von Wert, die hinreichend Vertrauen in meine Arbeit haben, um diese zu unterstützen, daher ist der weitere Text – wie gewohnt – nur für scholarium-Insider gedacht und zugänglich.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Geopolitik, Scholien

Webinar: Österreichische Schule & Video-Kurs-Vorstellung

Rahim Taghizadegan am 14. Feber 2020

Der Video-Kurs mit dem langjährigen Praktiker Rahim Taghizadegan vom Scholarium gibt einen Einstieg in die Wirtschaftslehre der alternativen „Österreichischen Schule“, die heute an keiner Uni mehr gelehrt wird, für Praktiker aber von unschätzbaren Wert sein kann. Realistische Annahmen und bedachte Logik führen zu klugen Heuristiken, die Unternehmer und Investoren vor Fehlentscheidungen bewahren und sie sich klüger aufstellen lassen.

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Filed Under: Austrian School, Vortrag

Unternehmerische Anonymität? – Contrepreneurship und Verschlüsselung

Rahim Taghizadegan am 20. Jänner 2020

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Unternehmer benötigen „Kundschaft“. Dieses Wort bezeichnete ursprünglich den Ruf eines Unternehmens und damit seinen immateriellen Unternehmenswert. Daher sind Unternehmer eher auf Öffentlichkeit als auf Privatsphäre bedacht. Umgekehrt ist das allenfalls in jenen Fällen der erzwungenen Contrepreneurship in sozialistischen Regimen, wo das Unternehmertum im Untergrund versteckt ist. Das beschränkt die Kundschaft auf vermittelte Vertrauensbeziehungen.

In dieser Kolumne wurde der Auftrieb von Contrepreneurship im geldsozialistischen Kreditismus unserer Tage beschrieben. Insbesondere im Finanzbereich ist der Bedarf an wertschöpfenden Alternativen „peer-to-peer“ anstelle von Kartell-zu-Untertan groß. Die Digitalisierung hat auch hier einen Paradigmenwechsel eingeläutet. Einerseits ist Öffentlichkeit und Privatsphäre kein Widerspruch mehr: Digitale Produkte können ein breites Publikum erreichen, ohne die Produzenten der Öffentlichkeit preiszugeben. Andererseits hat der technische Wettlauf zwischen Privatsphäre und staatlicher Kontrolle eine überraschende Wendung genommen: Die in Konkurrenz von Staaten entwickelten praktischen Implementierungen von Kryptographie kamen den Individuen zugute. Trotz aktueller Überwachungstechnologie, die die dystopischen Vorstellungen der Science-Fiction teilweise noch übertrifft, ist der Kampf noch nicht entschieden. Verschlüsselte Kommunikation, die die einstigen Möglichkeiten von Geheimdiensten übertrifft, steht heute kostenlos jedermann zur Verfügung.

Apps wie „Signal“, „Threema“ und „Telegram“ haben eine mittlerweile so breite Nutzerbasis, dass die wichtigste Lücke praktischer Anonymität enger wird: dass die Nutzung von Verschlüsselung so enttarnend ist, den Nutzer ins Fadenkreuz der Überwacher zu schieben. Lange litt Verschlüsselung wie PGP darunter, dass der kleine Zusatzaufwand die Nutzerbasis zu gering machte. Heute wird Verschlüsselung immer mehr zum Standard. Auch anonyme Email-Dienste wie das Schweizer „Protonmail“ erlauben einfache Nutzung.

Verschlüsselung, die noch nicht Standard ist und Zusatzaufwand erfordert, wirkt auch in anderer Hinsicht selektiv: Nicht nur die Nutzer machen sich verdächtig, sondern Verdächtige werden angezogen. Die größten Renditen sind in den Feldern mit der geringsten Konkurrenz zu machen. Reduziert wird die Konkurrenz durch staatliche Verfolgung, weshalb ein großer Teil der anonymen Contrepreneurship leider illegale Güter betrifft, allen voran Drogen. Aber auch moralische Fragwürdigkeit mindert die Konkurrenz, denn nur ein Bodensatz verkommener Unternehmer ordnet alles kurzfristiger Rendite unter – und nur die Schlechtesten müssen außerhalb der legalen Strukturen ihr Auskommen finden, denn kurzfristiger Nepp ist das Paradegeschäftsmodell im legalen Geldsozialismus. Aufgrund der Negativselektion sind Lösungen wie etwa „Tor“ Sammelplätze für Gauner.

Überwachungsstaaten gehen mit der Herausforderung der Verschlüsselung bislang auf zwei Arten um: Erstens besteht Druck auf die Anbieter dieser Lösungen, Nutzerdaten gegen Anforderung herauszugeben oder gleich eine „Backdoor“ einzubauen – einen Zugang für die Überwacher. Zum Glück geht die Tendenz in Richtung multipolarer Ordnung, so dass amerikanische, chinesische und russische Überwachungsanstrengungen sich zum Teil kompensieren: Chinesen können amerikanische Lösungen (mit VPN) verwenden und Amerikaner russische.

VPN (Virtual Private Network), die Maskierung der Internetnutzer hinter anderen Domains, ist heute auch kostenlos oder zu niedrigen Kosten überall verfügbar. Leider ist die Bandbreitenfluktuation groß und führt neben dem Zusatzaufwand des Vorschaltens des VPN dazu, dass es nur von einer Minderheit verwendet wird. Selbst dort, wo der Bedarf eigentlich groß wäre, wie in China, wählen die Menschen aus Bequemlichkeit eher die lokalen, vollüberwachten sozialen Netzwerke. Das ist keineswegs irrational, sondern eben eine Folge der Netzwerkeffekte. Am weitesten verbreitet ist VPN-Nutzung wohl im Iran, weshalb der dortige Überwachungsstaat dann gleich den gesamten Internetzugang abzudrehen versucht, wenn Protestkommunikation aufkommt.

Die zweite Reaktion von Überwachungsstaaten auf Verschlüsselung sind „key disclosure laws“, gesetzliche Erzwingungen des Herausrückens von Schlüsseln oder Passwörtern. Zum Glück verhindern in vielen Ländern, darunter auch Deutschland und Österreich, noch gesetzliche Normen des Aussageverweigerungsrechts diesen Weg.

Ein Höhenflug digitaler Contrepreneurship setzte ein, als die Vermählung von Kryptographie und digitalen Guthaben schließlich das Unmögliche möglich gemacht hat: praktisch anonyme Zahlungen. „Praktisch“ ist dabei zu betonen, denn die meistakzeptierten Kryptowährungen sind nur pseudonym – und die Anonymitäts-Coins wie Monero zeigen natürlich den negativen Selektionseffekt: Besonders beliebt sind diese bei Malware-Erpressern und den Geldwäschern des nordkoreanischen Regimes.

Die praktische Anonymität reicht allerdings schon ziemlich weit. Das zeigen paradoxerweise gerade die größten Fälle aufgedeckter Anonymität, die Contrepreneure ins Gefängnis gebracht haben: Ross Ulbricht, Betreiber von Silk Road, und der weniger bekannte, aber noch spektakulärere Paul Calder Le Roux. Beide sind nicht überführt worden, weil ihre Gesetzesverstöße so viel Staatsgewalt gegen sich aufgebracht hätten, dass ihre technischen Schutzmechanismen geknackt wurden. Ganz im Gegenteil dokumentieren beide Fälle die Schieflage zwischen staatlicher Inkompetenz und Schlampigkeit auf der einen Seite und technischer Kompetenz und unternehmerischer Motivation auf der anderen Seite. Beide fühlten sich aufgrund dieser Schieflage jedoch so sicher, dass sie zur Hybris neigten und sich nicht mehr an moralische und rechtliche Grundsätze gebunden sahen. Es sind „Breaking Bad“-Geschichten des Abschlitterns über das Drogengeschäft in eine Welt der Gier und des Misstrauens, in der Konflikte nur durch Gewalt gelöst werden können – eine Folge von staatlichem Interventionismus.

Ursprünglich erschienen auf eigentümlich frei

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

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