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Die Österreichische Schule der Ökonomik studieren?

Rahim Taghizadegan am 9. Dezember 2015

Frustrierte Studenten der Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre suchen zunehmend nach realistischeren Alternativen. Nach der Wirtschaftskrise 2007/08 schien auch die ökonomische Wissenschaft in eine Krise zu geraten. Willem Buiter, Professor an der London School of Economics und ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, war gar zu dem Schluss gelangt, dass sich die Forschungsansätze der Volkswirte „bestenfalls als selbstbezügliche, nach innen gerichtete Ablenkungen“ erwiesen hätten:

Die Forschung tendierte dazu, eher von der internen Logik, dem intellektuellen versunkenen Kapital und den ästhetischen Rätseln etablierter Forschungsprogramme motiviert zu sein als von einem starken Drang, zu verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert – geschweige denn, wie die Wirtschaft in Zeiten von Stress und finanzieller Instabilität funktioniert. Daher wurde der Berufsstand der Ökonomen von der Krise völlig unvorbereitet getroffen.

Im Zuge geldschöpfender, von unten nach oben umverteilender Krisenverdrängung wird die Sache derzeit freilich nicht mehr so dramatisch gesehen. War zunächst im Moment der Verblüffung tatsächlich kurz Aufmerksamkeit vorhanden für eine epistemologische Infragestellung der Ökonomik, gar für die Infragestellung ihrer Wissenschaftlichkeit, ist der Diskurs nun zum gewohnten leisen Störrauschen heterodoxer Einwände zurückgekehrt: Allerlei ökonomische Schulen, Denkgebäude und Moden wetteifern darum, in kleinen Nischen ein wenig vom Glanze der Wissenschaft für ihre ideologischen Wunschvorstellungen auszuborgen.

Eine dieser vermeintlich heterodoxen Schulen schätze ich und unterrichte sie seit einem guten Jahrzehnt als einziger „österreichischer Österreicher“ an Universitäten: die Wiener Tradition realistischer Ökonomik. Doch möchte ich diesmal kein Plädoyer für diesen Ansatz halten, sondern einige Irrtümer über Ökonomik, Studien und erwähnte Tradition im Speziellen ausräumen. Im nicht-öffentlichen Teil dieser Scholie kann ich mir konkretere Warnungen und Empfehlungen erlauben.

Die „Österreichische“ oder „Wiener“ Schule hat ihren Namen daher, dass sich das alte Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts als eines der wissenschaftlichen und kulturellen Zentren Europas einen Namen machte. Dabei fiel aber auf, dass es eine gewisse Häufung von Unterschieden in Methodik, Zugang und Stil im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Universitätsstädten gab. Insbesondere in den Sozialwissenschaften sammelten sich in Wien realistische, nüchterne und wertneutrale Zugänge, ohne freilich jemals eine Schule im Sinne ideologischer Geschlossenheit auszubilden. Die damaligen österreichischen Ökonomen von Weltrang hoben sich von der deutschen historischen Schule und anderen ökonomischen Deutungsversuchen durch ihre Skepsis gegenüber völkischen, mystischen, polylogistischen, metaphysischen, aber auch deterministisch-materialistischen Zugängen zu ökonomischen Phänomenen ab. Die Wiener Ökonomen studierten Rechts- und Staatswissenschaften, waren also Teil der juridischen Fakultät, während die Berliner Ökonomen Teil der philosophischen Fakultät waren. Das alte Wien war im Ganzen etwas realistischer geprägt als das idealistische Berlin.

Der hohe Anteil von Juden im Wissenschaftsbetrieb und das Ende der Lehrfreiheit unter dem National-Sozialismus führten zum Absterben der österreichischen Universitäten und damit zur Emigration fast aller akademischen Traditionen. Die „Österreichische Schule“ wurde damit aus ihrem Kontext gelöst. Zwar überlebte sie durch verstärkte Rezeption in den USA, doch vollzog sich dabei auch eine gewisse Umwandlung, die zu zwei Fehlannahmen über diese „Schule“ führte: Erstens wird sie nun gemeinhin für eine heterodoxe, ideologisch motivierte Strömung der Wirtschaftspolitik gehalten. Die ideologische Vereinnahmung erfolgt zunächst als Gegenreaktion auf den amerikanischen Faschismus, der vor allem von Franklin D. Roosevelt vorangetrieben wurde. Diese Ideologisierung war von besten Absichten getrieben und schützte die Ökonomik der Wiener Schule immerhin vor einer Vereinnahmung durch Bürokraten und Karriereökonomen. Doch damit geriet der wissenschaftliche Anspruch etwas in den Hintergrund. Bis heute dominiert die Wahrnehmung bei Gegnern wie Adepten, dass die „Austrian School“ eine politische Programmatik sei, die rhetorische und propagandistische Überzeugungsarbeit erfordere. An ergebnisoffenem Diskurs herrscht auf beiden Seiten wenig Interesse.

Das zweite Missverständnis ist die Einordnung als universitäres Nischenfach. Die Praxis der alten Wiener Schule lebte in interdisziplinären Seminaren, an denen die bedeutendsten Denker der unterschiedlichsten Fachrichtungen zusammenkamen. Niemals war die Wiener Schule ein Curriculum mit lehrplanmäßigen Fächern. Die alte Universität kannte nur drei allgemeine Fachrichtungen nach dem philosophischen Grundstudium: Theologie, Medizin und Rechtswissenschaft. In Wien umfasste das Studium der Rechtswissenschaft insbesondere Geschichte, Statistik, Staatswissenschaft, Finanzwissenschaft und Ökonomik. Die Denker der alten Wiener Schule waren universalgebildete Gelehrte, nicht „Volkswirte“ nach heutigem Verständnis. Friedrich A. von Hayek warnte immer wieder deutlich vor diesem Missverständnis, die Ökonomik als Einzelfach betreiben zu wollen, sie gar – in Analogie zur griechischen Urbedeutung – als praktische Berufsausbildung anzusehen.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Austrian School, Freie Bildung, Scholien

Dialog-EF: Europa nach dem November-Terror in Paris

Rahim Taghizadegan am 24. November 2015

Rahim Taghizadegan im Gespräch mit André Lichtschlag über Hintergründe des islamistischen Terrorismus. Wie entsteht Terror? Und wie kann er bekämpft oder überwunden werden?

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Filed Under: Geopolitik, Vortrag

Glaubenswerte

Rahim Taghizadegan am 20. November 2015

In der heutigen Blasenwirtschaft erscheint die Subjektivität von Werten oft als Beliebigkeit. Zufälle entscheiden über den Verkaufserfolg, Aufmerksamkeit pflanzt sich „viral“ fort, und der Hype von gestern ist morgen schon ein alter Hut. Nicht nur bei den Konsumgütern und Dienstleistungen verstärkt sich dieser Eindruck, sondern auch beim wichtigsten Gut von allen, dem Geld. Auf die Frage, woher der Wert eines Euros oder Dollars komme, reagieren meine Studenten meist erstaunt und perplex. So wie die Preise ihrer alltäglichen Konsumgüter scheint der Preis des Geldes, also dessen Kaufkraft, beliebig. Unser Geld habe den Wert der Dinge, die wir dafür kaufen können. Doch warum und wie viel können wir dafür kaufen? Der Zirkelschluss ist spürbar, wird aber meistens bloß als Hinweis auf Beliebigkeit interpretiert.

Interessanterweise scheinen junge Menschen immer weniger Probleme mit Zirkelschlüssen und logischen Widersprüchen zu haben. Sie sind tief geprägt von der Widersprüchlichkeit des „ironistischen“ Zeitalters, der Mehrschichtigkeit, die in augenzwinkernder Ironie aufgehoben wird. Die Werbung, die sich über sich selbst lustig macht, ist kein Widerspruch mehr, sondern noch werbewirksamer. Die neue Generation gibt sich ganz bewusst den Illusionen der Zeit hin und nimmt sie paradoxerweise ernst, ohne an sie zu glauben – oder glaubt an sie, ohne sie ernst zu nehmen. Das gesamte Wirtschafts- und Geldsystem erscheint ihnen ebenso irreal wie ein Computerspiel, in dem sich zwar verbissen und ernsthaft um Boni, Aufstiege und Goodies wetteifern lässt, das aber quasi nur als Konvention besteht, durch willkürliche Festsetzung von Spielregeln. Was die Menschen „liken“, ist erfolgreich, was allen gefällt, setzt sich durch, woran alle glauben, das hat Wert.

So sei es auch beim Geld und dem damit verbundenen Wirtschaftssystem: Weil die Menschen daran noch glauben, habe Geld Kaufkraft, und sobald sie ihren Glauben verlieren, fallen Kurse ins Bodenlose und schießen die Preise in die Höhe.

Diese Auffassung ist zwar weit verbreitet und wird von Systemskeptikern genährt, doch ist sie nur die halbe Wahrheit. Realistische Ökonomik würdigt zwar die Subjektivität unserer Wünsche und Einschätzungen und die zentrale Bedeutung des Irrtums und der Illusion im menschlichen Handeln. Doch die reale Welt gesellschaftlichen Austausches ist nicht beliebig, sie enthält Realitäten abseits beliebiger Glaubensvorstellungen. Realistische Ökonomik folgt dem methodologischen Individualismus, das heißt, sie verfolgt wirtschaftliche Phänomene empathisch aus den Augen der handelnden Menschen. Dadurch unterscheidet sich gute Ökonomik vom ahnungslosen Moralisieren und Pauschalisieren. Wenn wir das Handeln der Menschen nachverfolgen, sehen wir, dass der Glaube im Sinne beliebiger Wunschbilder gar keine so große Rolle spielt, sondern allenfalls „Glaube“ im Sinne von Erwartungen, die auf Erfahrungen basieren. Man muss nicht an den Euro glauben, um ihn zu verwenden – das ist ja gerade die Paradoxie des Ökonomischen. Wenn ein Außerirdischer ohne jedes irdische Vorurteil und Vorwissen Güter im Besitze von Menschen durch freiwilligen Tausch erhalten wollte, würde er bald herausfinden, dass sich dafür bestimmte Güter besser eignen. Denn Güter unterscheiden sich – ganz real, ohne jede „Gläubigkeit“ vorauszusetzen – hinsichtlich ihrer Marktgängigkeit bzw. Absatzfähigkeit. Seltsamerweise sind bunt bedrucktes Papier bzw. die Einträge in virtuellen Verzeichnissen absatzfähiger als „realere“ Güter. Doch diese Verwendung des Begriffs „real“ ist irreführend. Die für den Menschen zugängliche Realität ist nicht bloß physisch angreifbar, sondern besteht in der ganz konkreten und realen Lebenserfahrung zu großen Teilen aus Geistigem: Erfahrungen und Erinnerungen, Beziehungen und Ideen, Zuneigung und Vertrauen, Wissen und Versprechen, Plänen und Worten …

Das heutige „Geld“, die Währung, krankt nicht daran, „nur fiktiv” zu sein. Es hat reale, wenngleich schwindende Kaufkraft. In einer anonymen Gesellschaft mit durch Geld vermittelter Arbeitsteilung ist die Realität wirtschaftlicher Beziehungen unmittelbar zu spüren. Wer reiner Wunschökonomik folgt, wird reale Folgen spüren, gegen Mauern anrennen, in Fallen tappen und in Abgründe gleiten. Auch der beispielhafte Außerirdische wird, ohne jedes Wissen über unsere Währungen, gar ohne jedes Interesse daran, feststellen, dass diese Scheine und Buchungen real mehr Güter schneller und leichter freiwillig zugänglich machen als andere Alternativen.

Es gibt zwei Gründe für diese reale Kaufkraft, und es ist die verwaschene Überlagerung dieser zwei Gründe, welche die Illusion der Beliebigkeit, der Konvention und der Gläubigkeit nährt. Einerseits steht hinter heutigen Währungen ein historischer Prozess wechselseitig entdeckter Absatzfähigkeiten im Tausch. Überlagert war und ist dieser gesellschaftliche Entdeckungsprozess, bei dem Menschen aus Erfahrung lernten und ihre Glaubensvorstellungen sukzessive an die Realität anpassten, durch Zwang: Die einseitige Festsetzung einer Währung als Einheit für abgepresste Steuerzahlungen. Letzteres begründet die reale Mindestnachfrage nach einer Währung, nämlich die Nachfrage, die nötig ist, um die Steuerlast zu begleichen.

Es ist gesetzlich und praktisch möglich, alle freiwilligen Transaktionen mit anderen Menschen in alternativen Gütern als der Einheitswährung durchzuführen. Kontraktionszwang besteht noch keiner. Ein Unternehmer könnte z.B. ausschließlich Kunden dienen, die ihm Bitcoin als Währungsersatz im Tausch anbieten, und alle anderen Kunden ablehnen. Dieser Unternehmer könnte die eigene Kostenrechnung auch vollständig in Bitcoin führen. Bis zu einer bestimmten Umsatzhöhe gäbe es nicht einmal einen Bilanzierungszwang in der staatlichen Währung. Doch zu festgesetzten Terminen müsste auch dieser Unternehmer eine Umrechnung in die Einheitswährung durchführen, seine Steuerlast daraus errechnen und die nötige Summe zur Überweisung an das Finanzamt in der zwangsprivilegierten Giralwährung nachfragen – er müsste also eine tauschwillige Gegenseite finden, die ihm diese Giralwährung bietet. Durch Usurpation und dadurch Überlagerung der absatzfähigsten Güter und deren Verdrängung hat diese Währung die hohe Absatzfähigkeit völlig in sich aufgesogen. Darum steht neben dieser Zwangsnachfrage auch eine reale, freiwillige Geldnachfrage. Zwang und Absatzfähigkeit wirken so in verwirrender Weise zusammen: Ohne den Zwang würden andere Tauschmittel wohl bald die privilegierte Währung an Absatzfähigkeit übertreffen, ohne die aufgesogene Absatzfähigkeit hingegen würden die Menschen nur kurz vor der Steuerzahlung ihre Güter in die Währung tauschen und diese nicht mehr für freiwillige Transaktionen verwenden. Durch diese Überlagerung treten Geld und Währung zusammen, Absatzfähigkeit und Zwang, gesellschaftliche „Konvention“ durch wechselseitige Entdeckung und politische „Konvention“ durch Setzung. Das erklärt, warum Geld und damit wirtschaftliche Werte heute den Eindruck merkwürdiger Illusionskonventionen machen: Jene ungläubige Gläubigkeit geteilter Lügen, bei denen alle die anderen für die Belogenen halten, aber eigentlich sich selbst belügen.

Die realistische Ökonomik, die eine Katallaxie verstehen hilft, also die Ordnung der Arbeitsteilung und des Tausches zwischen überwiegend Fremden, kommt ohne Wertmystik aus. In einer Katallaxie spielt Glaube für wirtschaftliche Phänomene eine geringe Rolle, was zu viel Missverständnis und Unverständnis von religiösen Menschen führt. Doch eine Katallaxie ist eine Ordnung der Mittel, nicht der Ziele. Die eigenen Ziele, Wünsche und Glaubensvorstellungen entscheiden über die individuelle Motivation, doch sie können die Tauschverhältnisse eben nicht einseitig festlegen. Freiwilliger Tausch bedeutet Wechselseitigkeit, die zur laufenden Korrektur, Veränderung und Anpassung der individuellen Wünsche, Erwartungen und Pläne führt. Eine Katallaxie oder Marktordnung ist eine Ordnung ständiger Rückmeldungen, die zwar von Mitmenschen kommuniziert werden und auf die Subjektivität dieser Mitmenschen gegründet sind, doch dabei den Eindruck unpersönlicher Objektivität machen: zu teuer! zu wenig Nachfrage! kein Platz mehr frei! ausverkauft! führen wir nicht mehr! unterqualifiziert! überqualifiziert! Dieser Eindruck ist oft frustrierend. Marktprozesse sind Prozesse ständiger wechselseitiger Enttäuschungen, aber auch Überraschungen – jedenfalls relativ gleichgültig gegenüber Glaubensinhalten. Entsprechend falsch ist die Deutung von Wirtschaftsblasen als Glaubensblasen, als plötzliche kollektive Fantasiegebilde. Diese sind leider viel realeren Ursprungs und nicht durch gute Vorsätze, Moralpredigten und Suggestion zu verhindern.

Filed Under: Austrian School, Scholien, Vermögensanlage

Prollius Liberaler Staat

Rahim Taghizadegan am 20. November 2015

Sind Freiheit und Staat Widersprüche? War es ein Fehler der klassischen Liberalen, am Staat festzuhalten? Was können wir von ihnen lernen? Wie könnte ein modernes liberales Staatsverständnis aussehen? Wie realistisch ist ein liberaler Staat? Sind Anarchisten radikale Liberale oder deren Gegenspieler?



Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

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Filed Under: Geopolitik, Salon

Geopolitische Verschwörungen

Rahim Taghizadegan am 14. November 2015

Wer die Migrationsströme unserer Tage in den Nahen Osten zurückverfolgt, sieht dort als Ursache einen Scherbenhaufen. Drei ehemals stabile Staaten sind, kurz nacheinander, so instabil geworden, dass ihre Grenzen in Auflösung begriffen sind: Irak, Libyen und Syrien. Weder Stabilität tyrannischer Regime, noch Grenzen sind ein Selbstzweck. Doch von alleine sind sie nicht gefallen, ihrem Fall wurde kräftig nachgeholfen. Die Folgen nun scheinen schlimmer als die Folterkeller von Assad, Gaddafi und Saddam Hussein, und das ist bitter. Der Schluss scheint klar: Der Scherbenhaufen im Nahen Osten ist die Folge der Interventionen seitens der USA und ihren Alliierten. Unklar ist hingegen, ob diese Folge Absicht oder Versehen ist. Von Absicht auszugehen, wäre das, was man heute Verschwörungstheorie nennt. Dabei handelt es sich um die Annahme, dass es geheime Pläne gäbe, die den vorgegebenen Zielen und Prinzipien so diametral widersprechen, dass die vermeintliche Inkompetenz tatsächlich höchste Kompetenz wäre – allerdings eine Kompetenz im Dienste sinistrer Ambitionen.

Im Dilemma Inkompetenz in den Ergebnissen nicht von diabolischer Kompetenz unterscheiden zu können, neige ich eher der Inkompetenz zu, denn diese ist viel häufiger und reichlicher vorhanden. In einem geflügelten Wort, das auf den Science-Fiction-Autor Robert Heinlein zurückgeht, steckt viel Weisheit:

Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity.

[Schreibe nichts böser Absicht zu, das genauso gut durch Dummheit erklärt werden kann.]

Eine ähnliche Empfehlung stammt von Sir Bernard Ingham, dem Pressesprecher von Margaret Thatcher:

Many journalists have fallen for the conspiracy theory of government. I do assure you that they would produce more accurate work if they adhered to the cock-up theory.

[Viele Journalisten sind zu Anhängern der Theorie geworden, hinter der Politik stünde eine Verschwörung. Ich versichere Ihnen, dass sie näher an der Wahrheit arbeiten würden, wenn sie der Theorie anhingen, hinter der Politik stünde Totalversagen.]

Es fällt in der aktuellen Lage allerdings schwer zu glauben, dass die politischen und militärischen Stäbe so viel Inkompetenz an den Tag legen könnten. Könnten diabolische, zynische Ziele die Kompetenz erhöhen? Gewiss, Naivität und Inkompetenz gehen oft Hand in Hand. Gleichzeitig könnte Rücksichtslosigkeit die Kompetenz erhöhen, wenn wir darunter ganz wertfrei die Fähigkeit verstehen, Ziele zu erreichen – und das Gehen über Leichen als mögliches Mittel. Doch führt die rücksichtslose Kompetenz in aller Regel zur Selbstüberschätzung, die meist direkt in die Inkompetenz ausrutschen lässt.

Aus dem Dilemma zwischen unglaublicher Inkompetenz und noch unglaublicherer Verschwörung führt allerdings eine dritte Möglichkeit, die gemeinhin übersehen wird. Der Universalgelehrte Eric Voegelin, den ich für einen der wichtigsten Politikwissenschaftler des alten Wiens halte, erkannte diese dritte Option in der Politik. Er geht von einer Kompetenz aus, die nicht an der Realität ausgerichtet ist, und dadurch in Inkompetenz umschlägt. Diese In-Kompetenz – um eine Schreibweise für diese dritte Option vorzuschlagen – ist hochintelligent, strebsam, organisiert. Voegelin erklärt die Realitätsentfremdung durch ideologische Scheuklappen, wobei die Ideologien allerdings nicht bloß Denkweisen und Lager darstellen, sondern Ersatzreligionen. Die modernen westlichen Gesellschaften seien nicht so säkular, wie sie glauben, sondern vielmehr tiefgläubig. Die modernen Ersatzreligionen nennt Voegelin gnostisch, um die Kontinuität zu alten christlichen Häresien anzudeuten. Diese Ideologien seien nämlich allesamt auf irdische Erlösung aus.

Auch die klügste, fleißigste, zielstrebigste Unternehmung kann auf der Grundlage falscher Annahmen über die Wirklichkeit nur scheitern. Die mangelnde Qualität der Politik ist also keinesfalls bloß die Folge einer mangelnden Qualität des politischen Personals. Die Interventionsspiralen, die schon Ludwig von Mises erkannte und analysierte, sind nicht bloß auf Dummheit und Versagen zurückzuführen. Es handelt sich um Spiralen der Selbstwidersprüchlichkeit, in die sich realitätsfremdes Handeln immer weiter einschraubt.

Doch ist Realitätsferne nicht ein anderes Wort für Dummheit? Ganz im Gegenteil. Die Abstraktion von der konkreten, sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit setzt Intelligenz voraus. Entsprechend erfordern die wirklich großen Dummheiten hohe Intelligenz, sie sind Fehlkonstruktionen, nicht einfache Patzer. Darum gilt als die höchste Tugend nicht die Intelligenz, sondern prudentia oder sophia, die Klugheit oder Weisheit, die keine Funktion der Intelligenz ist. Menschen mit niedrigerem IQ sind oft weiser als Menschen mit höherem. Klugheit in diesem eigentlichen Sinne hat nichts mit dem zu tun, was das Englische Cleverness nennt (am ehesten als Schlauheit zu übersetzen). Prudentia und sophia bezeichnen beide einen Realitätssinn, der freilich nicht bloß auf die unmittelbar sinnlich erfassbare Realität beschränkt ist.

Die geopolitischen Kalküle sind oft gerissen, gewieft, schlau, selten aber sind sie weise. Das liegt vor allem daran, dass ihre Urheber die langfristigen Kosten nicht in dem Ausmaß persönlich zu tragen haben, wie sie den kurzfristigen Nutzen für sich nützen können. Voegelin hält die ideologisch geblendete Realitätsferne letztlich für selbstzerstörerisch, darum handelt es sich eben trotz aller Schlauheit und Durchsetzungskompetenz doch nur um In-Kompetenz. Eine Folge dieser In-Kompetenz ist das kompetente Erzeugen von Machtvakua, die immer weitere Interventionen nach sich ziehen. So führt eine Politik der Weltbefriedung zu immerwährendem Krieg. Eric Voegelin analysiert die Geopolitik des letzten Jahrhunderts und würde wohl – wenn er noch am Leben wäre – auch die Entwicklungen des aktuellen Jahrhunderts der Realitätsferne „gnostischer Politiker“ zuschreiben:

Die Analyse muß sich auf jenes Symptom konzentrieren, das den selbstzerstörerischen Charakter gnostischer Politik am besten veranschaulicht, nämlich auf die Seltsamkeit des dauernden Kriegszustandes zu einer Zeit, in der jede politische Gesellschaft durch ihre Repräsentanten ihren brennenden Wunsch nach Frieden bekundet. In einer Zeit, in der Krieg Frieden und Frieden Krieg ist, dürften einige Definitionen angebracht sein, um die Bedeutung dieser Ausdrücke klarzustellen. Friede soll eine zeitweilige Ordnung sozialer Beziehungen bedeuten, die adäquat ein Gleichgewicht existentieller Kräfte zum Ausdruck bringt. […] Krieg soll bedeuten die Anwendung von Gewalt zum Zwecke der Wiederherstellung eines Gleichgewichts, entweder durch Unterdrückung der störenden Zunahme existentieller Kräfte oder durch eine Neuordnung sozialer Beziehungen, die adäquat das neue Kräfteverhältnis der existentiellen Mächte zum Ausdruck bringt. Politik soll den Versuch bedeuten, das Gleichgewicht der Kräfte herzustellen oder die Ordnung anzupassen durch diplomatische Methoden oder durch den Aufbau abschreckender Gegenkräfte bis an den Rand des Krieges. […] Die gnostische Politik ist insofern selbstzerstörend, als Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, den Frieden herzustellen, die Störungen, die zum Krieg führen, noch steigern. […] Wenn ein Krieg überhaupt einen Zweck hat, so ist es die Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts und nicht die Verschlimmerung der Störungen; die Verminderung des störenden Kraftübermaßes, nicht die Zerstörung von Kraft bis zu dem Punkt, der ein neues gleichgewichtstörendes Machtvakuum entstehen läßt. Die gnostischen Politiker haben jedoch die Sowjetarmee an die Elbe gebracht, China den Kommunisten ausgeliefert, zur gleichen Zeit Deutschland und Japan demilitarisiert und obendrein die amerikanische Armee demobilisiert. Das sind abgedroschene Wahrheiten, und doch ist es vielleicht nicht genügend klar, daß nie zuvor in der Menschheitsgeschichte eine Weltmacht ihren Sieg dazu benützt hat, ein Machtvakuum zu ihrem eigenen Nachteil zu schaffen. Wiederum muß wie bei früheren Gelegenheiten darauf hingewiesen werden, daß Phänomene dieser Größenordnung sich nicht durch Ignoranz und Dummheit erklären lassen. Diese Politik wurde als Sache eines Prinzips verfolgt, auf Grund gnostischer Traumannahmen betreffend die menschliche Natur im allgemeinen, betreffend die mysteriöse Entwicklung der Menschheit zu einem Zustand des Friedens und der Weltordnung, betreffend die Möglichkeit der Errichtung einer internationalen Ordnung im luftleeren Raum ohne Beziehung zur Struktur des existentiellen Kraftfeldes, und schließlich betreffend Armeen, die anstelle der Kräfte und Konstellationen, welche die Armeen aufbauen und in Bewegung setzen, als Kriegsursache angesehen werden.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Geopolitik, Scholien

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