Bargeldverbote, Bankenkrisen, Vollgeldinitiative, Kryptowährungen, Geldmengenausweitung ohne “Hyperinflation”, Negativzinsen und Helikoptergeld – im Geldsystem knarrt und rumort es an allen Ecken.
Vermögensanlage
Ein objektiver Wert des Goldes? Physik versus Ökonomik.
Die Wiener Schule der Ökonomik war einst federführend dabei, die alten objektivistischen Werttheorien zu widerlegen und die subjektivistische Werttheorie durchzusetzen. Doch diese theoretische Klärung des Wertproblems führte nicht zu Beliebigkeit. Ganz im Gegenteil ergibt sich im Rahmen einer Wirtschaftsordnung, die Geld und Eigentum, und damit Preise aufweist, eine Einschränkung individueller Willkür durch sogenannte Wertimputation: Es wirken durch die Wertübertragung von den unzähligen menschlichen Entscheidungen auf die Kosten der Produktionsfaktoren Anreize, die – gleich einer unsichtbaren Hand – zu einer Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Plänen der Menschen führen, bei denen sich so manche Wertvorstellung als unmöglich und unhaltbar erweist. Kurz: Auf Märkten reiben sich subjektive Wünsche an objektiven Möglichkeiten. Während rein ökonomisch betrachtet subjektive Ziele und Bedürfnisse nicht „wahr“ oder „falsch“ sein können, erweisen sich manche Mittel und Güter als zielführend und andere nicht. Eine vermeintlich objektive Maßzahl für diesen Koordinationsprozess ist die Rentabilität von Unternehmen.
Das tiefere Verständnis des Zusammenwirkens zwischen subjektiven Zielen und intersubjektiver Koordination hat innerhalb und am Rande der Wiener Schule zu Ansätzen geführt, die mögliche Objektivitäten, im Sinne von Allgemeingültigkeiten einer Wirtschaftsordnung, vorsichtig ergründen. Schon Carl Menger stieß auf das Problem der „Scheingüter“: manch subjektive Einschätzung der Nützlichkeit von Mitteln für subjektive Ziele kann objektiv falsch liegen. Eugen Böhm von Bawerk suchte nach psychologischen Grundlagen der Zeitpräferenz zur „Objektivierung” der Zinstheorie. Ludwig von Mises stieß in seinen Untersuchungen der Katallaktik, das heißt der systematischen Analyse der Wirtschaftsrechnung, auf das Kalkulationsproblem – das mehr objektive Tatsache als subjektive Einschätzung ist. Frank Fetter kontrastierte hingegen „welfare economics“ mit „price economics“ und stieß eine allgemeingültigere, psychologisch fundierte Interpretation von Wohlstand an. Murray Rothbard ging von der Ökonomik zum Naturrecht auf der Suche nach objektiven Ankern, sein Schüler Hans-Hermann Hoppe versuchte eine Begründung durch Argumentationstheorie. Ein weniger bekannter Schüler eines Schülers der Wiener Schule ging einen Sonderweg, der ebenso einen Versuch der Freilegung des Allgemeingültigen hinter dem Schleier des subjektivistischen Entscheidens, Tauschens und Schaffens darstellt: Nicholas Georgescu-Roegen, Schüler von Joseph Alois Schumpeter, nahm Anleihen an der Physik und führte den Begriff der Entropie in die Ökonomik ein. Den von Carl Menger beschriebenen Produktionsprozess der Umwandlung Güter höherer Ordnung in Güter niedrigerer Ordnung beschrieb Georgescu-Roegen als thermodynamischen Prozess der Entropieabnahme und erklärte so die von Böhm von Bawerk mit dem Faktor Zeit in Zusammenhang gebrachte Kapitalbildung. Dieser Prozess müsse durch Energieeinsatz der ständigen Naturdynamik der Entropiezunahme abgetrotzt werden, wodurch sich die Wertschöpfung erkläre. Entropieabnahme bedeute also Wertzunahme, bringe jedoch notwendigerweise an anderen Orten bzw. zu anderen Zeiten Entropiezunahme mit sich. Jede Produktion sei daher ein faustischer Handel, der Abfall und Ressourcenverbrauch bedeute. Ewiges Wachstum sei eine Fiktion neoklassischer Ökonomen, deren Thesen so falsch wären wie die Behauptung, es könne ein Perpetuum mobile geben. Mit diesen Gedanken wurde Georgescu-Roegen zum Pionier des Recycling.
Die Unterscheidung zwischen Gütern unterschiedlicher Ordnung, die Carl Menger eingeführt hatte, erfährt hier eine vermeintlich naturwissenschaftliche Begründung und damit einen möglichen Maßstab. Könnten bestimmte Güter in der Produktionsstruktur entropisch besonders herausstechen? Dieser Gedanke führt zu einem Versuch der Objektivierung von Geld, insbesondere Gold. Dieser Ansatz wurde interessanterweise von Georgescu-Roegen kaum weiterentwickelt, findet sich aber schon bei früheren Denkern erwähnt. Als erster wies der deutsche Physiker Georg Ferdinand Helm 1887 auf eine mögliche Analogie zwischen niedriger Entropie und Geld hin. Etwas später führt ein Ökonom den Gedanken näher aus, der eher der Lausanner Schule angehörte: der Pole Léon Winiarski. Er ist es auch, der die Sonderstellung von Gold physikalisch begründet:
Nun begnügt man sich momentan damit, die biologische Energie durch sich selbst oder mithilfe der wirtschaftlichen Energie und des Goldes zu messen. Wir vergleichen entweder die soziale Nützlichkeit (die allgemeine Form der biologisch-sozialen Energie) eines materiellen oder immateriellen Gutes mit der sozialen Nützlichkeit des Goldes, oder die spezifischen sozialen Energien (der Organe und Apparate und ihrer Arbeiten), die für die Produktion dieser Güter aufgewandt wurden mit denjenigen des Goldes. … Das Gold ist daher das allgemeine Sozialäquivalent, die reine Personifizierung und Inkarnation der sozio-biologischen Energie. Es ist zugleich allgemeiner Umwandler – der Großteil der materiellen und immateriellen Güter können mittels der notwendigen pekuniären Aufwände produziert werden.
Etwas konkreter versuchte erst wieder Eric Beinhocker zu werden, der in seinem 2007 erschienen Werk zu einer evolutionären Neubegründung der Ökonomik die Gedanken von Georgescu-Roegen weiterführt. Beinhocker liefert folgende Definition:
Ein Materie-, Energie- oder Informationsmuster hat wirtschaftlichen Wert, wenn die folgenden drei Bedingungen gemeinsam erfüllt werden:
- IRREVERSIBILITÄT. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen sind thermodynamisch irreversibel.
- ENTROPIE. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen
Kunst als Investment?
Zunächst muss man verstehen, warum die Vermögenden ihre Anlagen in Lagern verstauen. Eine der Zielsetzungen der Vermögensanlage ist Liquidität. In den Kunstlagern verstauben Bilder in Wirklichkeit nicht, sondern sind sicher verwahrt unter klimatisch perfekten Bedingungen. Die direkte Lagerung an Flughäfen erlaubt schnellst- und schonendstmöglichen Weiterverkauf. Die extreme Volatilität von Kunst, die ja heute geradezu dadurch definiert ist, im Auge des Betrachters zu liegen, drängt den Anleger zu großer Streuung. Ein einzelnes Kunstwerk ist ein Los in einer Lotterie, noch dazu einer mit extremer Schieflage, erst eine Sammlung ermöglicht ein aktiveres Auftreten am Kunstmarkt – eine Sammlung ist nichts anderes als ein Kunstportfolio.
Die Schieflage am Kunstmarkt besteht darin, dass es ein sehr persönlicher Markt ist: Beziehungen sind besonders wichtig. Es ist eben kein Massenmarkt, sondern ein Liebhabermarkt. Zudem unterliegt er ausgeprägten Moden, bei denen die Meinung bestimmter Akteure – nicht bloß das Kaufverhalten – deutliche Auswirkungen auf die Preise hat. Bieten sich für den kleinen Anleger dennoch Chancen, hier das Schöne mit einer gewissen Wertsteigerungsaussicht zu verbinden?
Kunstwerke zeichnen sich immerhin durch eine gewisse, wenn auch im wahrsten Sinne des Wortes künstliche Knappheit aus. Originale werden streng, aber nicht immer sofort und oft nur mit großem Aufwand von Kopien unterschieden. Die teuersten Kunstwerke sind durch den Tod ihrer Urheber knapp: Es können keine weiteren Originale mehr dazukommen, eine Inflationierung ist nahezu ausgeschlossen (nahezu, da nur selten einzelne Kopien untergeschoben werden können).
Die Entwicklung des Kunstmarktes hat bereits zum Lancieren mehrerer Fonds geführt, die zum Teil auch kleinere Anleger ansprechen – in der Regel allerdings nur nach US-Definition „akkreditierte“, das heißt jene, die mehr als $200.000 Jahreseinkommen oder mehr als eine Million Vermögen nachweisen können. Der jüngste Fonds „Arthena” gibt gar vor, künstliche Intelligenz zu nutzen, um eine möglichst lukrative Auswahl von Kunstwerken zu treffen. Die durchschnittliche Rendite am Kunstmarkt läge bei zehn Prozent, so die Gründer, und diese Rendite sollte sich noch verdoppeln lassen.
Kleinere Anleger, die für solche Fonds nicht in Frage kommen, würden gewiss auch mit den zehn Prozent gerne Vorlieb nehmen. Doch dieser Wert ist so fraglich, dass man schon eine Täuschungsabsicht unterstellen könnte. Eine systematische Untersuchung von 2013 relativiert die vermeintliche Rentabilität von Kunstanlagen ganz beträchtlich. Tatsächlich lägen die realen Renditen näher bei 6,5 Prozent. Sehen wir uns dazu im Vergleich die Renditen anderer Anlageklassen an: Eine Anlage, die sich am Dax orientiert, warf seit 1989 eine jährliche Rendite von 11,61 Prozent ab, der Dow Jones seit 1989 jährlich 9,32. Gold zeigt im Schnitt eine jährliche „Wertsteigerung“ (die natürlich nur die Wertminderung des Papiergeldes abbildet) von ca. 8 bis 9 Prozent. Aufgrund des großen Goldabsturzes in den 1980er-Jahren reduziert sich diese „Rendite“, wenn man den Betrachtungszeitraum im Jahr 1980 beginnen läßt, auf 1,9 Prozent.
Die heruntergerechneten 6,5 Prozent wären noch immer ganz ansprechend, doch fehlen entsprechend lange Datenreihen. Das Argument der zitierten Studie wiegt womöglich noch schwerer, als die Senkung auf den letztlich willkürlichen Betrag ausdrückt. Die kommunizierten zehn Prozent würden nämlich durch einen Selektionseffekt zustande kommen:
Die zugrundeliegende Ursache der Renditenüberschätzung (und der einhergehenden Risikounterschätzung) ist als selection bias (Auswahlsvoreingenommenheit)
Ökonomik und Ethik des Crowdinvesting — eine kritische Analyse
Die Unternehmensfinanzierung befindet sich im Wandel. Im Nachkriegseuropa – mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches – war die klassische Bankfinanzierung die bevorzugte Art der Kapitalbeschaffung, sowohl für Unternehmer als auch Private. Die Kontinentaleuropäer, insbesondere Deutschland und Österreich, waren Sparernationen, und ein entsprechend gut entwickeltes Sparkassen- sowie Genossenschaftsbankensystem sorgte dafür, dass die Ersparnisse über die klassischen Bankfunktionen der Fristen- und Losgrößentransformation an Unternehmer – als die primären Kreditnachfrager – weitergeleitet wurden. Der Zusammenbruch des Bretton Woods-Abkommens im Jahr 1971 und die damit verbundene Aufblähung der Geldmenge in den folgenden Jahrzehnten trieben die öffentliche und private Verschuldung in sämtlichen Industrienationen massiv in die Höhe. Die realen Produktivitätsgewinne konnten die immer größeren nominellen Schulden nicht mehr absorbieren, Banken- und Finanzkrisen häuften sich – die Spirale des Konjunkturzyklus lief schneller und schneller. Die ständigen Finanzkrisen führten in der Finanzindustrie zu verheerenden Interventionsspiralen, die die Finanzwirtschaft endgültig von der Realwirtschaft entkoppelte. Aktuelle Erfahrungen und Eindrücke scheinen jedoch den Schluss nahe zu legen, dass – insbesondere für mittelständische Betriebe – durch die Basel-Regulative (Eigenkapitalhinterlegung der Banken bei Finanzierungsgeschäften) der Kreditmarkt für klassische Finanzierungsprojekte de facto ausgetrocknet ist (was Alternativen wie etwa die kürzlich behandelten P2P-Kredite aufkommen lässt). Kredit wird nur noch jenen gewährt, die ihn eigentlich nicht brauchen und eher vor dem Problem der Veranlagung der Überschuss-Liquidität stehen: Großkonzernen.
Aber auch die Unternehmenslandschaft selbst änderte sich massiv. Selbst die künstlichen Skaleneffekte von Großunternehmen (vgl. Helden, Schurken, Visionäre, Taghizadegan 2016) erlauben heute kaum noch Beschäftigung im klassischen Dienstverhältnis, wo Arbeit mit 100 Prozent Abgaben belastet ist. Die logische Folge ist der Auslagerungstrend der letzen 15 Jahre, der in der „Ich-AG“ seinen Abschluss findet – bei Einzelunternehmern in Abhängigkeit von einem Kunden.
Als Hoffnungsschimmer etablierte sich in jüngerer Vergangenheit für Gründer und Freischaffende die Idee des Start-Up, die im Wesentlichen aufgrund der technologischen Revolution der Digitalisierung künftige Wertschöpfung und Beschäftigung verspricht. Diese neue Form von Unternehmen verlangt auch neue Finanzierungskonzepte, die die Banken sowohl aufgrund mangelnder Innovationskraft als auch aufgrund der beschriebenen regulativen Hemmnisse nicht liefern können.
Unternehmer versuchen diese Finanzierungslücke mit der Idee des Crowdinvesting zu füllen. Die Idee dabei ist, die Vermittlungsfunktion von Ersparnissen nicht mehr über Banken abzuwickeln, sondern direkt über digitale Plattformen durchzuführen. Diese ermöglichen günstige Transaktionskosten und machen so das Sammeln vieler Kleinstbeträge praktikabel. Im Gegensatz zum Crowdfunding erhalten die Anleger Ansprüche auf Verzinsung.
Das englische Vokabel bezeichnet wie so oft bloß den zeitgeistigen Neuaufguss einer alten Idee. Hier ist es eine Idee, die hinter der Genossenschaftsbewegung steht: Viele kleine Geldgeber ermöglichen durch ihre Masse die Finanzierung größerer Unternehmungen. In der Genossenschaft sind die Anleger aber Miteigentümer mit Stimmrecht, nicht Kreditgeber. Aufgrund der immensen Transaktionskosten ist die Streuung auf viele Kleinanleger bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Erfordernisse einer Aktiengesellschaft nicht erfüllen können oder wollen, unpraktikabel. Allein die Notariatskosten übersteigen heute die typische Summe einer Kleinstbeteiligung, wie sie bei Genossenschaft oder heutigem Crowdinvesting die Regel ist.
Das schafft eine Lücke, die potentiell durch Crowdinvesting geschlossen werden könnte. Genossenschaften könnten diese Lücke grundsätzlich auch schließen, doch sind die Mindestkosten durch die Revisionsverbandszugehörigkeit etwas hoch, und im Genossenschaftswesen haben sich heute weitgehend uninnovative Anstalten breit gemacht, die mit der Genossenschaftsidee praktisch nichts mehr zu tun haben. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. diese) findet das Crowdinvesting daher heute außerhalb der Rechtsform der Genossenschaft statt. In der praktischen Umsetzung haben sich in den letzten Jahren auch in Österreich bereits einige Unternehmen in diesem Bereich entwickelt, die die Finanzierungslücke der Banken zu schließen versuchen. Die Kreditvolumina, die in den einzelnen Projekten bewegt werden, sind durchaus beachtlich.
Wenn ein Unternehmer allerdings Geld von privaten Kreditgebern einsammelt und dafür eine Verzinsung gewährt, so gilt das heute als Bankgeschäft. Diese Art der Finanzierung bedarf also einer Banklizenz – was zum mittlerweile berühmten Konflikt eines Waldviertler Schuhproduzenten mit der österreichischen Finanzmarktaufsicht führte. Bei der Kreditgewährung einer Bank erhält diese die Sicherheit, im Konkursfall als erstrangiger Schuldner behandelt zu werden, also noch vor allen anderen Ansprüchen von Kunden oder Zulieferern ausgezahlt zu werden. Dieses Privileg nimmt das Bankenkartell exklusiv für sich in Anspruch.
Spätestens seit Herbst 2015 und dem Erlass des sogenannten Alternativ-Finanzierungsgesetzes wurde Crowdfunding daher auf Druck der Banken massiv reguliert und zum Nachteil der Investoren eingeschränkt. Konnte man aufgrund der Verzerrungen im Bank- und Kreditwesen bereits bisher kaum von einem Kreditmarkt in einem marktwirtschaftlichen Sinn sprechen – ökonomisch richtiger wäre es, die gegenwärtigen Bedingungen als ein Zuteilungssytem von Liquidität zu bezeichnen – so wurde durch das genannte Gesetz und die praktische Regulierung einer sinnvollen alternativen Finanzierung ein Riegel vorgeschoben. Diese gesetzliche Regulierung wird meist positiv hervorgehoben, da sie einen gesetzlich zulässigen Rahmen abgesteckt habe, der im Vergleich mit anderen bürokratischen Staaten sogar etwas Raum lässt. Doch der geschaffene Raum ist einer zu Ungunsten der Investoren, was kurzfristig zugunsten der Unternehmen zu sein scheint, langfristig aber wohl eine Gegenreaktion und ein Versiegen dieser Geldquellen nach sich ziehen wird.
Die Finanzmarktaufsicht als oberste Regulierungsbehörde Österreichs legte mit dem Alternativ-Finanzierungsgesetz fest, dass eine Crowd-Finanzierung nur als Substanzgenussrecht oder als partiarisches Darlehen (auch Nachrangdarlehen genannt) abgewickelt werden kann. Diese Regulierung erhöht natürlich das Risiko des einzelnen Kleininvestors deutlich, da er nun im Konkursfall de facto als Eigenkapitalgeber gesehen wird – im Falle einer Insolvenz ist das Geld also weg. Doch auch wenn es zu keiner Insolvenz kommt, können Zinsen im partiarischen Darlehen nur im Falle eines erwirtschafteten Gewinns bezahlt werden – die Zinszahlungen müssen also immer durch einen Gewinn im jeweiligen Jahr gedeckt sein. Bei typischen Start-Up-Projekten sind Gewinne jedoch eher die Ausnahme als die Regel, laufende Zinseinkommen also für die meisten Investoren eher unwahrscheinlich. Zusätzlich wurde mit dem Argument des Gläubigerschutzes auch die maximale Investitionshöhe je Projekt auf EUR 5.000 beschränkt. Die kommunizierten Renditen sind völlig unseriös, da sie auf einem Missverständnis beruhen. Entscheidend sind niemals maximal mögliche Renditen, sondern Renditeerwartungen. So ist, angesichts der bei Start-Up-Finanzierungen bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilungen das Totalausfallsrisiko höher als die Gewinnwahrscheinlichkeiten – die Renditen sind also korrekt berechnet allesamt stark negativ. Würde den Anlegern der reale ökonomische Hintergrund vermittelt, nicht bloß die Hochglanz-Broschüren-BWL mit ihren Anglizismen und ihrer Pseudopräzision, fände sich kaum jemand bereit für ein solches Engagement.
Der Erwartungswert des vermeintlichen „Zinses“ eines Crowdinvesting-Projektes muss nämlich nach folgender Rechnung grob ermittelt werden – nach vereinfachender Annahme endfälliger Verzinsung:
Reale Zinserwartung = (1 + Zinssatz) * (1 – jährliche Wahrscheinlichkeit des Kapitalverlusts) – 1
Das ergibt für die Beispielswerte von hohen sechs Prozent Verzinsung und sehr niedrig bemessener (optimistischer) Insolvenzerwartung von 25 Prozent eine reale Zinserwartung von minus (!) 20,5 (!) Prozent. Sofern es zur Insolvenz kommt, sind zudem die Zinserträge nicht sonderlich relevant, da unwahrscheinlich: ihre Voraussetzung ist Profitabilität. Gewiss ist es möglich, Unternehmen zu erwischen, die schnell Profitabilität erreichen oder von profitablen Unternehmen aufgekauft werden – der Exit begünstigt aber freilich nur Eigentümer, nicht Gläubiger. Diese Gabe der Unternehmensidentifikation ist allerdings Fokus des Angel Investing von Venture Capital-Fonds – ein Metier, das selbst für bestens vernetzte Profis hochriskant ist, und weit jenseits der Möglichkeiten, Fähigkeiten und Dimensionen des Crowdinvesting liegt.
Bei solchen „Renditen“, wie sie die obige Beispielrechnung nahelegt, würden sich nur wenige „Anleger” finden. Darum spricht man bei der Finanzierung von riskanten Unternehmensgründungen ja auch von der typischen 3-F-Trias: family, friends & fools – Familie, Freunde und Narren. Familie und Freunde aber zählen klarerweise nicht zur Crowd.
Es ist also zu erwarten, dass das Finanzierungsvolumen stagnieren wird, und in der Tat kann man beobachten, dass die größte österreichische Crowdinvesting-Plattform bereits mit ihrem Geschäftsmodell nach Osteuropa ausweicht, da großvolumige Finanzierungen in Österreich unwahrscheinlich werden.
Im Folgenden soll der ökonomische Hintergrund und die ethische Bewertung von Crowdinvesting an einem konkreten Beispiel verständlich gemacht werden – und zwar einer zunächst beeindruckenden Erfolgsgeschichte.
Steuerabsetzbarkeit als Danaergeschenk
Die Spendenabzugsfähigkeit für gemeinnützige Organisationen wird durch Bescheid des zuständigen Finanzamtes auf Antrag der jeweiligen Körperschaft (Verein, Stiftung, gemeinnützige GmbH) festgestellt. Die dafür anfallenden Kosten für rechtliche „Compliance“ – wie Gütesiegelbestätigung von entsprechend spezialisierten Wirtschaftsprüfungsunternehmen – stellen für kleinere gemeinnützig tätige Organisationen eine finanzielle Hürde dar. Im Zertifizierungs- und Beratungskartell der freien Berufe sind sowohl das Volumen als auch die Stundensätze aufgrund eines immer undurchdringlicheren Wulstes von Gesetzen und Verordnungen in den letzten Jahren massiv gestiegen. Es ist selten Gegenstand und Zweck der Gemeinnützigkeit, Anwälte und Wirtschaftsprüfer zu fördern. Die Spendenabzugsfähigkeit führt also zu einer Verlagerung der Aufwendungen vom Zweck der Gemeinnützigkeit hin zur Compliance.
Bei einer gemeinnützigen Organisation sind die vergangenen drei Jahre auf exakte Einhaltung der entsprechenden Verordnungen der Bundesabgabenordnung und des Einkommenssteuergesetzes – als maßgebliche Rechtsgrundlagen – geprüft. Stellt der Wirtschaftsprüfer dann „Compliance“ fest, wird in der Regel der Spendenbegünstigungsbescheid ausgestellt. Um in den Folgejahren die Spendenbegünstigung nicht zu verlieren, muss spätestens nach neun Monaten des jeweiligen Wirtschaftsjahres eine Folgeprüfung durchgeführt werden, die prüft, ob die Grundlagen für die Spendenabsetzbarkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr erfüllt waren.
Neben den enormen Kosten, die im Rahmen des Spendengütesiegelerwerbes entstehen, kommen seit 1. Januar 2017 durch die so genannte „Sonderausgaben-Datenübermittlungsverordnung“ weitere bürokratische Erschwernisse auf spendenbegünstigte Organisationen zu. Zwecks einfacherer Veranlagung der Spenden in der Einkommenssteuererklärung der einzelnen Spender, verpflichtet das Finanzamt alle spendenbegünstigten Unternehmen dazu, automatisch alle Daten der Spender sowie die Höhe der jeweiligen Zuwendung über eine spezielle, dem E-Government-Gesetz entsprechende Software nach Ablauf des Wirtschaftsjahres an das Finanzamt zu übermitteln. Die Daten werden vollständig gesammelt, und der Staat kann jederzeit feststellen, wer wie viel für welche Zwecke gespendet hat. Der gläserne Spender wird somit zur Realität. Wie zivil darf sich eine Zivilgesellschaft noch nennen, die staatlich in einem Ausmaß überwacht ist, von dem ein Metternich oder Bismarck nur hätten träumen können? Aus den Spendenaufwendungen könnten sich politische und gesellschaftliche Einstellungen ablesen sowie Rückschlüsse auf Vermögensverhältnisse ziehen lassen.
Nebenbei sei angemerkt, dass diese Verordnung perfekt illustriert, dass das Wort Finanzamt ein reiner Euphemismus ist. Die Probleme bei Abgabenerfassung und Datenerhebung werden wieder einmal auf die Privatwirtschaft abgeschoben und erhöhen, neben den bereits genannten Kosten, die für den Staat zu leistenden Arbeitsdienste.
Für gemeinnützige Organisationen rücken somit aufgrund der beschriebenen Aufwendungen und Neuerungen mehr und mehr die Einhaltung von Rechtsnormen und Exekutivverordnungen in den Vordergrund, die die eigentliche Tätigkeit, Werte und Leistungen für die Zivilgesellschaft zu schaffen, verdrängen.