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Hamburger Mark Banco Anlegertagung 2016 – Vortrag von Rahim Taghizadegan

Rahim Taghizadegan am 26. Oktober 2018

Anlässlich der 7. Hamburger Mark Banco Anlegertagung am 28. Mai 2016 sprach Rahim Taghizadegan über das Brevier „Das Ende des Papiergeldzeitalters“ von Roland Baader.

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Filed Under: Austrian School, Vortrag

Eigenverantwortung und Freiheit – Über den Weg von der Sippenhaftung zur Staatsvergötzung

Rahim Taghizadegan am 26. Oktober 2018

Eigenverantwortung ist einer jener großen Begriffe, die fast universell, unabhängig von der politischen Einstellung, als positiv angesehen werden. Wenn man den Begriff näher betrachtet, fällt allerdings auf, dass die zugeschriebenen Bedeutungen – wie so oft – diametral verschieden sind. Die eigene Verantwortung bezieht sich wohl zunächst auf die moderne Loslösung der individuellen Person von der Sippe. Eigenverantwortung ist damit die Gegenthese zur Sippenverantwortung, die Sippenhaftung und Rachekaskaden bedeutet. Doch die Überwindung der Sippe ist für den Menschen zunächst Verlust und schwere Herausforderung. Wie Friedrich August von Hayek erkannte, sind wir als Menschen evolutionär und instinktiv auf das Leben im engen Sippenverband ausgerichtet, und der Schritt zur modernen, offenen, beziehungsweise – nach Hayek – großen Gesellschaft fällt uns schwer. Daher wurde die reale Sippe nach und nach durch symbolische Sippen ersetzt.

Nach dem großen Glaubensverlust in die Brüderlichkeit und Hoffnung der Religion traten Ideologien die Nachfolge an. Mit ihren meist kollektivistischen Konzepten vermitteln Ideologien symbolische Sippenzugehörigkeiten, die ihre Kraft aus der Abgrenzung von anderen ziehen. Am stärksten legitimiert wurde dabei stets die konkreteste und größte Realisierung eines Sippenersatzes, die der Mensch bislang gefunden hat: der moderne Staat. Als Sippenersatz, der mit einer größeren Gesellschaft kompatibel ist, kann man dem Staat also durchaus eine gewisse Sippenbefreiung zusprechen.

Dieses Argument bemühte einer der verheerendsten Vertreter der insgesamt fast durchgehend schrecklichen deutschen Philosophenzunft: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Staat sei die Verbindung von Liebe und Freiheit. Das klingt nach pathologischer Staatsvergötzung, doch, etwas anders formuliert, ist das abwegige Argument leider gar nicht so dumm. Das Manko der deutschen Philosophen war gewiss nicht mangelnde Intelligenz. Mit „Liebe" ist die Sippenzuneigung gemeint, die der moderne Mensch vermisst, mit „Freiheit" aber die Befreiung aus der damit stets verbundenen Sippenenge. Der moderne Staatsbürger darf sich als Teil einer Wir-Gemeinschaft fühlen, darf sich sogar von seinem Staat geliebt fühlen und noch mehr darf er diesen, „seinen" Staat abgöttisch lieben. Doch dabei darf er sich in der anonymen Existenz des einen unter vielen austauschbaren Staatsgenossen „frei" fühlen. Die Sippenverantwortung wird so zur Staatsbürgerverantwortung.

Da der Bürger als Steuerzahler, Kanonenfutter und Ausweisnummer ganz individuell geführt wird, fiel es nicht schwer, im Gegensatz zur Sippenverantwortung dann gleich von Eigenverantwortung zu sprechen. Der brave Bürger ist eigenverantwortlich steuerpflichtig, zeichnet eigenverantwortlich Staatsanleihen und lässt sich eigenverantwortlich an der Front erschießen, um seiner Sippe den nötigen Lebensraum zu erringen. Das ist gewiss ein sehr „eigenes" Verständnis von Verantwortung und Freiheit, doch vermutlich ist es unterbewusst das vorrangige. Eigenverantwortung bezeichnet, wenn sie in Politikerreden und Predigten beschworen wird, eigentlich oft nur die leichte Regierbarkeit der Untertanen, die brave und vorauseilende Kooperation des Bürgers mit den Planern des Gemeinwohls. Die damit verbundene Ahnung, dass Eigenverantwortung gar nicht so bequem ist und nicht immer dem unmittelbarsten, kurzfristigsten Eigeninteresse entspricht, ist nicht so falsch. Das hat die Begriffstäuschung begünstigt.

Tatsächlich ist Verantwortung die notwendige und selten angenehme Gegenseite der Freiheit. Wer Freiheit außerhalb der engeren Sippe sucht, muss damit auch persönlichere Verantwortung als Bürde tragen – eben Eigenverantwortung. Mit Untertänigkeit hat dies nichts zu tun, vielmehr mit der Notwendigkeit einer Eigendisziplin, wenn man einer Fremddisziplin nicht folgen möchte. In den Worten Goethes: „Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht." Oder in den Worten Nietzsches: „Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen kann."

Die Formulierung ist zu hart, die Essenz aber richtig. Individuelle Freiheit setzt die Fähigkeit und Bereitschaft der Eigenverantwortung voraus und ist daher an die Erreichung einer gewissen Reife gebunden. Einst waren wohl 18-Jährige zur Zeit der Reifeprüfung schon in der Regel volle Erwachsene, die volle Vertragsfähigkeit mit voller Haftung schultern konnten, heute sind oft 80-Jährige noch nicht aus dem kindischen Traum der verantwortungslosen Freiheit aufgewacht. Diese Scheinfreiheit nannten die alten Römer „licentia" im Gegensatz zur echten „libertas“. Licentia bedeutet kindisches: „Ich kann tun und lassen, was ich will!” Libertas bedeutet: Ich erfülle meine freiwillig eingegangene Pflicht. Diese Eigenverantwortung gestanden die Römer nur dem „pater familias" zu; die Moderne beruht auf der Hoffnung, dass dieser Verantwortung jeder gewachsen sein könnte, um sich die individuelle Freiheit zu verdienen.

Die Sklaverei besteht nicht mehr, doch die Sklavenmentalität lässt sich nicht so einfach abschaffen. Es war der österreichische Psychologe Viktor Frankl, der vor der Einseitigkeit der falschen Freiheit warnte. Deshalb missfiel ihm, dem Freund der persönlichen Freiheit und Gegner des Totalitarismus, jedes einseitige Preisen der Freiheit als „Grundrecht" und Forderung, die bedingungslos jedem zustünde. Er rief die Vereinigten Staaten dringlich dazu auf, analog zur Freiheitsstatue an der Westküste an der Ostküste doch eine Verantwortungsstatue zu errichten, um eine Schieflage zu vermeiden. Ist einer der Flügel lahm, bleibt der Freiheitstraum am Boden. Eigenverantwortung bedeutet, selbst die Konsequenzen nicht nur der eigenen Verpflichtungen und Versprechen zu tragen, sondern auch der eigenen Fehler und Irrtümer. Sonst verkommt der Menschheitstraum zur Kindheitsphantasie der „sturmfreien" Bude, ohne Aufsicht, aber im Alles-inklusive-Paket elterlicher Ernährungs- und Reinigungskräfte. Eigenverantwortung kann nicht bloß bedeuten, Vater Staat in die Arme zu laufen, nachdem man dem leiblichen entwachsen ist.

Filed Under: Lebensphilosophie, Scholien

Freiheit contra Demokratie

Rahim Taghizadegan am 14. Oktober 2018

Wir sind es gewohnt, dass kein Politiker unsozial, undemokratisch oder illiberal erscheinen möchte. Die drei gegenteiligen Begriffe sind gewissermaßen sakrosankt. Für Freiheit, Demokratie und Solidarität einzutreten, ist zum Gemeinplatz geworden.

Diese rhetorische Einfachheit der Politik steht ganz ihrer praktischen Schwierigkeit entgegen, dem Bohren harter Bretter, nach Max Weber, die ja gerade deshalb so hart sind, weil sich hehre Prinzipien gegenseitig im Weg stehen und oft Kompromisse erfordern.

Vor mehr als zehn Jahren gab Fareed Zakaria in einem viel zitierten Artikel zu bedenken, dass Demokratie und Freiheit doch nicht so selbstverständlich Hand in Hand gehen. Liberaler Konstitutionalismus habe zwar den Boden für die moderne Demokratie bereitet, diese aber bereite keineswegs den Boden für Liberalität.

Bislang war die «illiberale Demokratie» ein skeptisches Fremdurteil geblieben. Nur wenige Politiker folgten ihm und zeigten gegen Freiheit oder gar Demokratie Flagge. Vor wenigen Jahren war der Schock gross, als ausgerechnet ein Politiker im Herzen Europas die Schmähung als positives Programm übernahm.

Viktor Orbán hatte in seiner Rede vor den Ungarn Rumäniens einen neuen ungarischen Staatsaufbau gepriesen, der auch die Ungarn außerhalb der nationalen Grenzen umfassen solle. Diese «organisierte Gemeinschaft» werde durch «illiberale Demokratie» gekennzeichnet sein, in der die kollektiven Interessen einer Ethnie über Individualinteressen gestellt werden sollten.

Liberalismus bedeute die Herrschaft der wenigen Starken; um die vielen Schwachen zu schützen, müsse man Abstriche bei der individuellen Freiheit in Kauf nehmen. Die aktuelle Massenmigration eignet sich bestens als Vorlage, um diesen Gegensatz deutlicher zu machen und die Polarisierung zu verschärfen. Dabei decken Begriffsverwirrungen auf beiden Seiten die eigentlichen Fragen zu.

Orbáns Position ist bei weitem nicht so absurd und hinterwäldlerisch, wie erregte Beobachter in der EU glauben machen. Die Gründerväter der USA waren zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Freiheit und Demokratie sind manchmal Gegensätze. Doch sie entschieden für die Freiheit und hofften, dass es gelingen könnte, durch Konstitutionalismus die USA zu einer Republik zu machen, damals noch als Gegensatz zu einer Demokratie verstanden. Letztere könne nämlich nur in kleinstem Rahmen funktionieren, so glaubten die meisten historischen Denker. Orbán hingegen löst das Dilemma in die andere Richtung auf: Auf den «Liberalismus» wolle er gerne verzichten – die Freiheit akklamiert er aber dann doch, typisch Politiker.

«Liberal» freilich, das ist nur noch ein Etikett. Die «liberalen Demokratien» des Westens bilden sich gar viel auf ihre Liberalität ein, doch im Kern ist vom klassischen Liberalismus nicht viel übrig: Geblieben sind bloß Universalismus und Formalismus. Ersterer ist ein christliches Erbe, die Triebfeder der hoch entwickelten westlichen Vertrauenskultur. Doch heute ist er zu einer häretischen Übertreibung verkommen, einer unrealistischen Gleichheitsfantasie, hinter der sich zynische Interessen gut verstecken können.

Durch den Formalismus, der dem Rechtspositivismus stets anhaftete und ebenso gut Interessen verdeckt, wird der Universalismus in absurde Dimensionen aufgeblasen. Der formalistische Universalismus ist die letzte positive Norm der vermeintlichen Gerechtigkeit des westlichen Rechtsstaates. Wenn sie sich unter dem Druck der Realität auflöst, dann wird sich zeigen, wie hohl viele vermeintliche «Rechtsstaaten» heute sind.

Der klassisch liberale Staat wollte allen gleiche Freiheit und Mitbestimmung zugestehen. Das hätte in relativ homogenen Gesellschaften mit großer Vertrauensbasis gutgehen können. Tatsächlich wurden die Liberalen nach der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts überall abgewählt. Der moderne westeuropäische Staat kann nur noch allen die gleichen Normen aufbürden, ohne zu ihrer Exekution fähig zu sein. Da der formale Universalismus jede Unterscheidung verbietet, müssen alle Bürger zunehmend wie Verbrecher oder Kleinkinder behandelt werden.

Wenn Orbán von «liberal» spricht, dann meint er Globalisierung, Finanzindustrie, kosmopolitische Eliten. Sein christlicher Calvinismus ist anti-universalistisch. Die Prädestinationslehre geht von Auserwählten der Gnade aus, die den anderen nicht einmal durch gute Taten offensteht. Die Nation der Ungarn als Gemeinschaft, die ausharren müsse, bis sich in wundersame Weise die Auserwähltheit in einer sündigen und feindlichen Welt zeigen werde, ist dann eine naheliegende Vorstellung.

Leider hat die sozialistische Erfahrung die Ungarn empfänglicher für einen solchen säkular-häretischen Nationalcalvinismus gemacht: Der Realsozialismus hat die gesamte Gesellschaft durch Misstrauen vergiftet. Wie ein Nebel hängt es nach, es zeigt sich in Eigenbrötelei. Doch Orbán ist nicht bloß ein «Rechter», der Liberale verachtet. Die pseudoliberalen politischen Eliten der EU hätten das gerne, als Rechtfertigung für ihre eigenen Interessen. Orbán ist eine Stimme gegen diese Eliten, und das kommt auch in anderen Ländern immer besser an. Für die Ungarn ist nationale Souveränität noch eine frische Errungenschaft, die sie nicht gerne aufgeben, schon gar nicht, wenn es um die subventionierte Massenmigration geht, die der formalistische Universalismus durchdrücken muss.

Die vermeintliche «Liberalität» der westeuropäischen Feuilletonisten und Politiker steht zunehmend für snobistischen Dünkel derjenigen, die moralische Überlegenheit («Offenheit») als Statussignal konsumieren, während andere die Kosten tragen.

Ihr Misstrauen gegenüber dem «kleinen Mann», dessen Wut durch politische Korrektheit, Nazikeule und Paternalismus in Schach gehalten werden soll, liefert der aufkommenden Gegenreaktion eine Steilvorlage. Diese «Liberalität» ist zutiefst antidemokratisch, denn ihre Proponenten schwingen sich zu den Erziehungsberechtigten der breiten Masse auf, für die sie insgeheim nur Verachtung empfinden. Dem kleinen Mann wird es zu bunt; er sehnt sich nach den grauen, aber einfacheren Zeiten zurück.

Die Reaktion ist gewiss gefährlich. C. G. Jung hatte einst gewarnt, dass über Nationalismus oder andere Ismen politisch organisierte Massen schwerfällige, dumme und amoralische Ungeheuer sind. Demokratie kann in Lynchjustiz ausarten. So sind denn auch Orbáns Beispiele nicht überzeugend. Er führte China, Türkei, Russland und Singapur als «illiberale» Modellstaaten an.

Der Unterschied zwischen ihnen könnte aber kaum grösser sein. Das kosmopolitische Singapur bietet grösste wirtschaftliche Freiheit und Rechtssicherheit durch britisch inspirierte Justiz. Lee Kuan Yew begründete die teils harten Strafen und Beschränkungen ausländischer Presse mit den Problemen eines multikulturellen Zwergstaates inmitten geopolitischer Bedrängnis.

Man muss seine Argumente nicht teilen, aber sie sind nachvollziehbar und keinerlei Nostalgie oder Nationalismus geschuldet. Die starke Position seiner Partei, der PAP, wurde nicht durch Ausschalten der Konkurrenz und Untergraben der Rechtssicherheit erreicht, sondern ist Erbe ihrer Pionierleistungen vor und nach der Unabhängigkeit.

Die Türkei hingegen ist ein ganz anderes Vorbild, die Bilanz der islamistischen und neoosmanischen Reaktion auf die einseitige und autoritäre Modernisierung der Kemalisten noch offen. Der sich als Speerspitze des Christentums gerierende Orbán folgt ausgerechnet eher diesem Modell und läuft damit Gefahr, die pseudoliberalen Geiferer zu bestätigen.

Zuerst erschienen bei: Finanz und Wirtschaft

Filed Under: Geopolitik, Scholien

Netzwerkeffekte an der Börse

Rahim Taghizadegan am 11. Oktober 2018

Einige wenige Unternehmen bilden derzeit eine merkwürdige Speerspitze von Spitzenwerten. In volatilen Zeiten zeigt die Erstarrung zu Akronymen schon bemerkenswerte Stabilität an. GAFA steht für die Big Four: Google, Apple, Facebook und Amazon. Kaum prägte die Berichterstattung das Akronym, gingen zwei Buchstaben auch schon verloren. Facebook hat beim Börsenwert etwas den Anschluss verloren, und Google wurde zu Alphabet – so würde vom Akronym nur ein ominöses AAA übrig bleiben.

Zwischenzeitlich hatte sich Netflix mit sensationellen Kurssteigerungen dazugedrängt und dem Akronym FAANG Auftrieb gegeben. Mit Ausnahme von Facebook verbuchte das FAANG-Portfolio einen beträchtlichen Teil der globalen Börsenperformance dieses Jahres.

Es handelt sich nicht nur um lukrative Anlagen, sondern um vorausgesagte und angesagte lukrative Anlagen. Man kommt zum paradoxen Schluss, dass es heute als eines der konservativsten Investments gelten kann, Beteiligungen an Hochtechnologiefirmen zu halten. Diese Anlagen entwickeln sich zu Selbstläufern – Rekordunternehmenswerte von 1 Bio. $ werden erreicht. Damit ist ein einzelnes amerikanisches Unternehmen so viel wert wie alle Gesellschaften des deutschen Leitindex zusammen. Dieses symbolträchtige Faktum verdeutlicht einmal mehr, wie die US-Wirtschaft allen europäischen Unkenrufen nach der Trump-Wahl zum Trotz ihren Vorsprung wieder vergrössert.

Schuldenspirale wird weiter gedreht

Bei aller Schadenfreude ist die Euphorie über eine Rettung der US-Wirtschaft durch Donald Trump doch verfrüht. Steuersenkungen regen zwar ein Rückwandern im Ausland steuerschonend geparkter Cash-Reserven an. Doch letztlich wird die Schuldenspirale weiter gedreht. Die Leitwährung Dollar hat dabei das exorbitante Privileg, dass eigene Geldschöpfung hinter globaler Dollarnachfrage maskiert werden kann. Es genügt dann für die USA, nur ein klein wenig besser dazustehen als die EU, um die Rechnung für ihre Schuldenwirtschaft weiter gestundet zu bekommen.

Gewiss ist die Vorrangstellung der grossen vier, fünf, sechs – nennen wir sie doch einfach die AAA-Konzerne – nicht bloss unverdiente Nebenfolge der Geldpolitik. Ausgehend vom Silicon Valley begann ein Siegeszug neuer digitaler Bewirtschaftung eines Massenmarktes globaler Konsumenten. Der Internetpionier Marc Andreessen hat die Entwicklung auf eine Formel gebracht: «Software frisst die Welt auf.» Das beschreibt die Dynamik ganz gut, führt aber auch in die Irre.

Es handelt sich nicht bloss um die Ausdehnung von Softwareunternehmen, sondern um eine neue Etappe eines bereits recht alten Prozesses, der nicht so bald zum Ende kommen wird. Dieser Prozess zeigte sich davor schon im globalen Siegeszug von Fordismus, professionellem Management und Systemgastronomie – um nur einige Beispiele zu nennen. Auch frühere Etappen hatten also schon ihre Pioniere in den USA gefunden. Dort verbindet sich Kreativität mit Pragmatismus – ergänzt um die monetären und politischen Voraussetzungen, mit neuen Prozessen rasch die gesamte Welt zu erobern.

Es ist ein Siegeszug der mobilsten und skalierbarsten Produktionsfaktoren: Wissen in der übertragbaren Form von Rezepten, Anweisungen, Prozessen und Programmen. Ausgerechnet zwei österreichische Ökonomen wurden zu den Kronzeugen der Anfänge dieser Entwicklung in ihrer neuen Heimat USA. Peter Drucker und Fritz Machlup erkannten unabhängig voneinander die neue Rolle des Wissens als Kapital und prägten den Begriff vom Wissensarbeiter. Ihre Einsichten wurden in Europa weitgehend ignoriert.

Erst mit der letzten Welle des Digitalen, wobei nun Bits auch für den kleingeistigsten Buchhalter als Kapitalwerte unverkennbar sind, drängen diese Einsichten verspätet ins Bewusstsein. Zu spät. Eine völlig anachronistische Vorstellung von Wirtschaft und «Arbeitern» hat eine Steuer- und Regulierungslandschaft geschaffen, die der Mobilität des Digitalen nicht gewachsen ist. Die Folge ist die massive Benachteiligung nicht digitaler, nicht globaler, nicht skalierender und immobiler Geschäftsmodelle. Es kommt zu künstlichen Skaleneffekten, die den Abstand zwischen traditionellen Kleinunternehmen und den globalen Digitalkonzernen aufblähen.

Diese Schieflage darf man nicht den Konzernen vorwerfen, denn sie haben ja stets klein begonnen. Die ungeheure Dynamik der «Unicorns» ist nicht nur Verzerrungsfolge, sondern auch Hinweis auf reale und revolutionäre Wertschöpfung. Die letzte, bislang dynamischste Etappe eines längeren Prozesses hat mit der digitalen Erreichbarkeit eines globalen Milliardenpublikums durch mobile Endgeräte eingesetzt. Die grösste Skalierbarkeit zeigt sich im Massenkonsum. Leider sind sich die Menschen am ähnlichsten bei den niedersten Bedürfnissen, bei höheren Zielen jedoch nimmt die Divergenz zu.

Zum Glück erlaubt die Digitalisierung auch die günstige Bewirtschaftung kleinster Nischen und bringt somit für nahezu jeden Geschmack eine Wohlstandsmehrung. Doch die Netzwerkeffekte sind dort am stärksten, wo sich die grösste Masse ansammelt – und das sind oft die digitalen Niederungen des Affekt- und Geltungskonsums. Die US-amerikanische Unternehmerkultur war immer schon pragmatischer darin, diese Bedürfnisse anzusprechen und systematisch auszunutzen.

Das wäre im Sinne einer globalen Arbeitsteilung nicht so dramatisch, denn die Massenunterhaltung hat auch positive kathartische Nebenfolgen. Problematisch ist die künstliche Überdehnung durch monetäre und politische Skaleneffekte. Sie führt in den USA selbst zu einer Überkompensation der hochskalierten unternehmerischen Amoralität durch gesellschaftliche Hypermoralität, sodass ausgerechnet im «Land of the Free» politische Korrektheit und Prüderie noch stärker wüten als im moralisch übersäuerten Westeuropa.

Überhöhte Kurse

Die digitalen Netzwerkeffekte zeigen sich besonders in der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung. Trotz aller Verzerrung bleibt aber eine positive Bilanz überall zugänglicher, immer günstigerer digitaler Dienste und Schnittstellen für potenziell unbegrenzte produktive Einsatzmöglichkeiten. Doch neben ihnen gibt es auch noch andere, gemeinhin übersehene Netzwerkeffekte – und sie sind mindestens so ambivalent. Die AAA-Konzerne mit ihrer beeindruckenden Profitabilität, ihren Cash-Reserven, ihrer globalen Durchdringung und Innovationskraft bieten durchaus unternehmerischen Wert. Dennoch scheinen ihre Kurse aus der Value-Perspektive bereits überhöht.

Es gibt eben auch Netzwerkeffekte der Anlage. Durch die Zunahme des passiven Investierens kommt es zur Selbstverstärkung. Die besten Titel schaffen es in die immer engeren Filterblasen der Anleger. Dann greift die sogenannte Rekognitionsheuristik: Mit ihrer globalen Markenpräsenz sind die AAA-Konzerne unübersehbar. In einer Zeit ungebremster Geldschöpfung profitieren prozyklische Aktien: Alle kaufen, was alle anderen auch kaufen. Da einzelne Titel, zu denen die Masse der Anleger konvergiert, knapper sind als die Geldmenge, steigen die Kurse.

Lukrative Papiere erreichen dann höchste Marktgängigkeit. Ab diesem Punkt dürfte man die Aktien der AAA-Konzerne nicht mehr bloss als Dividendentitel betrachten, sondern müsste sie zunehmend als Geldalternative sehen. Dann könnte die global präsente Marke das Geldattribut «Kopf» verdrängen, das Symbol des dominantesten Netzwerks zur vermeintlichen Deckung der «Zahl» auf der Rückseite. Die Konsequenz zeigt das SNB-Portfolio – die Netzwerkassets als Goldersatz. Da könnte man den Franken gleich durch ein Apple-, Amazon-, Alphabet-Geld ersetzen.

Zuerst erschienen in Finanz & Wirtschaft

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

Wirtschaftskrise

Rahim Taghizadegan am 10. Oktober 2018

Anlässlich des Todestages des großen Wiener (und Lemberger) Ökonomen Ludwig von Mises wagen wir eine Momentaufnahme der Finanzmärkte. Wann kommt der Crash? Wie kann man sich davor schützen? Warum warnen so viele „Austrians“ ständig davor – und liegen nur so selten richtig? Ist die Konjunkturzyklustheorie falsch? Warum ist Gold so billig? Gibt es funktionierende Anlagerezepte? Wohin mit dem Geld? Sind die Probleme ökonomischer, politischer oder gar psychologischer Natur? Wie werden die Zentralbanken agieren? Kommen Vollgeld, Helikoptergeld oder bargeldlose Gesellschaft? Diskussion mit Rahim Taghizadegan und Ronald P. Stoeferle.



Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

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Filed Under: Salon, Vermögensanlage

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