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Steuerabsetzbarkeit als Danaergeschenk

Rahim Taghizadegan am 30. März 2017

Lange Zeit beklagten NGOs und karitative Organisationen im Nahbereich der Kirche, dass Spenden in Österreich steuerlich nicht abzugsfähig waren. Finanzielles zivilgesellschaftliches Engagement, das in der Regel von den Leistungsträgern einer Gesellschaft komme, müsse steuerlich begünstigt werden – so der Tenor. In der Tat kann man seit der Einführung der Spendenabzugsfähigkeit im Jahr 2009 einen Anstieg des Spendenvolumens feststellen. Doch ist ein nomineller Anstieg des Spendenvolumens tatsächlich Ausdruck einer starken Zivilgesellschaft – oder erliegt diese der Geldillusion?

Die Spendenabzugsfähigkeit für gemeinnützige Organisationen wird durch Bescheid des zuständigen Finanzamtes auf Antrag der jeweiligen Körperschaft (Verein, Stiftung, gemeinnützige GmbH) festgestellt. Die dafür anfallenden Kosten für rechtliche „Compliance“ – wie Gütesiegelbestätigung von entsprechend spezialisierten Wirtschaftsprüfungsunternehmen – stellen für kleinere gemeinnützig tätige Organisationen eine finanzielle Hürde dar. Im Zertifizierungs- und Beratungskartell der freien Berufe sind sowohl das Volumen als auch die Stundensätze aufgrund eines immer undurchdringlicheren Wulstes von Gesetzen und Verordnungen in den letzten Jahren massiv gestiegen. Es ist selten Gegenstand und Zweck der Gemeinnützigkeit, Anwälte und Wirtschaftsprüfer zu fördern. Die Spendenabzugsfähigkeit führt also zu einer Verlagerung der Aufwendungen vom Zweck der Gemeinnützigkeit hin zur Compliance.

Bei einer gemeinnützigen Organisation sind die vergangenen drei Jahre auf exakte Einhaltung der entsprechenden Verordnungen der Bundesabgabenordnung und des Einkommenssteuergesetzes – als maßgebliche Rechtsgrundlagen – geprüft. Stellt der Wirtschaftsprüfer dann „Compliance“ fest, wird in der Regel der Spendenbegünstigungsbescheid ausgestellt. Um in den Folgejahren die Spendenbegünstigung nicht zu verlieren, muss spätestens nach neun Monaten des jeweiligen Wirtschaftsjahres eine Folgeprüfung durchgeführt werden, die prüft, ob die Grundlagen für die Spendenabsetzbarkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr erfüllt waren.

Neben den enormen Kosten, die im Rahmen des Spendengütesiegelerwerbes entstehen, kommen seit 1. Januar 2017 durch die so genannte „Sonderausgaben-Datenübermittlungsverordnung“ weitere bürokratische Erschwernisse auf spendenbegünstigte Organisationen zu. Zwecks einfacherer Veranlagung der Spenden in der Einkommenssteuererklärung der einzelnen Spender, verpflichtet das Finanzamt alle spendenbegünstigten Unternehmen dazu, automatisch alle Daten der Spender sowie die Höhe der jeweiligen Zuwendung über eine spezielle, dem E-Government-Gesetz entsprechende Software nach Ablauf des Wirtschaftsjahres an das Finanzamt zu übermitteln. Die Daten werden vollständig gesammelt, und der Staat kann jederzeit feststellen, wer wie viel für welche Zwecke gespendet hat. Der gläserne Spender wird somit zur Realität. Wie zivil darf sich eine Zivilgesellschaft noch nennen, die staatlich in einem Ausmaß überwacht ist, von dem ein Metternich oder Bismarck nur hätten träumen können? Aus den Spendenaufwendungen könnten sich politische und gesellschaftliche Einstellungen ablesen sowie Rückschlüsse auf Vermögensverhältnisse ziehen lassen.

Nebenbei sei angemerkt, dass diese Verordnung perfekt illustriert, dass das Wort Finanzamt ein reiner Euphemismus ist. Die Probleme bei Abgabenerfassung und Datenerhebung werden wieder einmal auf die Privatwirtschaft abgeschoben und erhöhen, neben den bereits genannten Kosten, die für den Staat zu leistenden Arbeitsdienste.

Für gemeinnützige Organisationen rücken somit aufgrund der beschriebenen Aufwendungen und Neuerungen mehr und mehr die Einhaltung von Rechtsnormen und Exekutivverordnungen in den Vordergrund, die die eigentliche Tätigkeit, Werte und Leistungen für die Zivilgesellschaft zu schaffen, verdrängen.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

NEOS Lab Talk: Philosophische & historische Wurzeln des Liberalismus

Rahim Taghizadegan am 29. März 2017

Im Zentrum des Liberalismus als Grundposition der politischen Philosophie stehen sowohl das Individuum, seine Freiheit und Verantwortung, als auch die Frage, wie eine Ordnung der Freiheit aussehen kann. Gerade weil liberale Errungenschaften wie die liberale Demokratie, der Rechtsstaat oder Grundrechte zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt unter Druck geraten, wollen wir uns auf eine ideengeschichtliche Spurensuche begeben: was sind die Quellen, aus denen sich liberale Ideen speisen? Welche liberalen Ideen haben überdauert, welche gilt es zu hinterfragen? Und wie kann ein erfolgreicher liberaler Zugang zu Politik im 21. Jahrhundert gestaltet sein?

 

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Filed Under: Austrian School, Geopolitik, Vortrag

Sind Peer-to-peer-Kredite (P2P) unmoralisch?

Rahim Taghizadegan am 21. März 2017

Zu den paradoxen Entwicklungen der gegenwärtigen geldpolitischen Interventionen nationaler und supranationaler Zentralbanken gehört zweifelsohne der Umstand, dass trotz enormer Ausweitung der Basisgeldmenge und historisch niedriger Zinsen das geschöpfte Geld nicht in den Wirtschaftskreislauf fließt, und – zur großen Verzweiflung von Notenbankern und Ökonomen – die, in den makroökonomischen Modellen so elegant beschriebenen und errechneten, wirtschaftsbelebenden Effekte nicht einsetzen (höhere Konsumausgaben, angeregte Investitionstätigkeit etc.). Die monetäre Tektonik (vgl. Taghizadegan et.al., 2014, Österreichische Schule für Anleger: Austrian Investing zwischen Inflation und Deflation), also das Wechselspiel zwischen massiver Geldmengen-Inflation und Preis-Deflation führt dazu, dass der Kreditfluss an mittelständische Unternehmen und Konsumenten de facto austrocknet, während an den Finanzmärkten „Bullen-Stimmung“ herrscht.

Die historische Legitimierung des beliebig ausweitbaren Kreditgeldes – dem „credit mobilier“ – fußte auf der sozialistischen Idee, dass jedermann, egal welcher Herkunft, Klasse und ökonomischer Potenz, mittels Kredit am Wirtschaftsleben teilhaben sollte. Dieses Versprechen des Banken- und Finanzsystems, scheint trotz scheinbar grenzenloser Geldproduktion nicht haltbar.

Dieser Umstand motivierte innovative Unternehmer dazu, das Kredit-Kartell der Banken zu durchbrechen. Durch Gründung digitaler Bankenplattformen, sollen so genannte P2P(Peer to Peer)-Kredite direkt zwischen Sparern und Kreditnachfragern vermittelt werden; die fortschreitende Digitalisierung macht dies zu geringen Transaktionskosten möglich. Die P2P-Betreiber übernehmen dabei die Kreditprüfung (bei Krediten an Kleinunternehmen wird auch eine oberflächliche Due Diligence gemacht) und leiten das zuvor im Wesentlichen in Westeuropa eingesammelte Geld an die Kreditnehmer weiter. Die Zinsen lassen westeuropäische Beobachter Wucher vermuten und bewegen zwischen 20% und 60% je nach Bonität des Schuldners.

Was ist von diesen „Kreditinnovationen“ zu halten? Zunächst stellt der nüchterne Beobachter fest, dass es sich im Wesentlichen um klassische Bankgeschäfte handelt, die aufgrund regulatorischer Hürden aber nicht als solche bezeichnet werden dürfen. Deshalb spricht man von „P2P-Geschäften“ oder „Crowd-Finanzierung“.

Die moralische Wertung solcher Geschäfte ist indes schon schwieriger. Ruft man sich die größte Finanz- und Wirtschaftskrise der Moderne (post 2008) in Erinnerung, ist man erstaunt, wie schnell die Lehren aus diesen Ereignissen vergessen wurden. In der Tat waren faule Immobilienkredite (d.h. Konsumkredite) an die rückzahlungsunfähige Unterschicht eine der Hauptursachen für das Platzen der Spekulationsblase. Neu geschöpftes Kreditgeld an NINJAs (no Income, no Jobs, no Assets) zu vergeben, kann als unmoralisch interpretiert werden (vgl. Hülsmann, 2007, Ethik der Geldproduktion).

Die derzeit interessantesten Plattformanbieter – wie Twino, Mintos oder Finbee – sind tatsächlich jedoch nur „Geld-Vermittler“ und können deshalb nicht selbst Kreditgeld aus dem Nichts erzeugen, was die moralische Interpretation erschwert. Da die Geldmenge nicht ausgeweitet werden kann, kommt bei diesem de facto Vermittlungsgeschäft zunächst kein Dritter zu schaden, wie dies bei der „klassischen“ Kreditvergabe unumgänglich ist. Tatsächlich handelt es sich um „crowd securitization“, also um den digitalen Vertrieb verteilter Sicherheiten für unbesicherte Kredite, die durch einen Teil der Zinsspanne abgegolten werden. P2P-Anbieter geben im Vergleich zu Banken einen höheren Teil der Zinsspanne an ihre Einleger weiter, was sie auch nicht unmoralischer macht. Digitale Plattformen sind schließlich auch wesentlich günstiger als Filialnetze.

Verkompliziert wird der Umstand der Kreditbesicherung noch dadurch, dass einige der Plattformen einen Rückkauf dieser „Sicherheiten“ anbieten – d.h. den Investoren eine Ausfallsgarantie geben. Das scheint paradox, da der Zinsanteil schließlich für die Kreditrisikoübernahme gezahlt wird. De facto gleicht das Unternehmen das einzelne Ausfallsrisiko durch ein Klumpenrisiko des Unternehmens aus: Die Rückkaufgarantie erhöht die Ausfallswahrscheinlichkeit des gesamten Unternehmens. Sollte die Kreditausweitung also zyklisch erfolgen, steigt in der Korrekturphase das Risiko in genau dem Maße, in dem es vorher gesenkt wurde. Sichere Zinserträge kann es nicht geben. Die Unternehmen können diese aggressive Taktik fahren, weil der Markt für Konsumkredite in Teilen Europas noch nicht voll durch klassische Banken bedient wird und sich in einer dynamischen Hausse befindet.

Das Risiko für den Investor wird dadurch etwas verringert, dass kleinere Konsumkredite relativ krisensicher sind. Zyklische Geldmengenkontraktionen treffen zuerst Unternehmen, die zugunsten höherer Profitabilität geringe Liquiditätspolster haben. Privathaushalte sind ineffizienter und haben dadurch relativ größere Polster (absolut natürlich im Schnitt viel kleinere). Konsumkredite reagieren daher relativ verzögert, sodass sie durch eine nachfolgende Hausse aufgefangen werden können – die freilich alles andere als gewiss ist.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

Information, Aufklärung und Demokratie

Rahim Taghizadegan am 15. März 2017

Der geschätzte Leser befindet sich hier auf einer vergleichsweise statischen Seite, im Gegensatz zu den vielbesuchten „dynamischen“ Seiten. Wer viel „Traffic“ möchte, also Aufmerksamkeit, muss diese heute durch hochfrequente „Dynamik“ erzielen: Das befeuert die heutige Informationsinflation, die oft nicht einmal das ist – vielmehr finden wir uns inmitten allgegenwärtiger Meinungsinflation. Diesen Umstand kritisch anzumerken, stellt den Kritiker – zu Recht – in den Verdacht, anti-aufklärerische Motive zu hegen. Sowohl die etablierten Massenmedien als auch die alternativen Medien suchen ihre Legitimität und Daseinsberechtigung in der selben Grundidee, die oft mit der Aufklärung verbunden wird. Eine Demokratie bedürfe der Medien als „vierte Gewalt“, die den Staatsbürger durch Information vor seiner Hintergehung, Ausbeutung und Verknechtung zu schützen habe. Das klingt sehr schön und plausibel, hängt aber am konkreten Inhalt der großen Worte: Demokratie, Aufklärung, Information. Wer definiert denn ihre Bedeutung?

Der große Denker Karl Jaspers liefert eine Definition, die Demokratie, Aufklärung und Information so definiert, dass die obige Behauptung wirklich sinnvoll zu werden scheint. Ihm schwebt ein Ideal von Demokratie und Volksbildung vor, dem auch viele liberale Denker anhingen:

Demokratie heißt Selbsterziehung und Information des Volkes. Es lernt nachdenken. Es weiß, was geschieht. Es urteilt. Die Demokratie befördert ständig den Prozeß der Aufklärung.

Diese Definition ist prägnant und stimmig. Sie hat nur den Haken, dass sie die drei großen Begriffe jeweils wechselseitig durch einander definiert – also streng genommen eine Tautologie darstellt. Die Definition ist selbstreferenziell und lässt die Maßstäbe völlig offen, die sie eigentlich liefern sollte. Denn ein Ideal bedarf eines Maßstabs, bzw. entspricht einem Maßstab – sonst kann es nicht der Orientierung dienen. Diese Problematik wird heute offensichtlich, wenn der Streit um die „fake news“ eskaliert. Wer definiert, was die falsche Information ist, was anti-aufklärerische „Hetze“ ist und was aufklärerische „Hintergrundinformation“? Wer sind die Erziehungsberechtigten, die Selbsterziehung von fremder Verziehung oder eigener Rationalisierung der Unerzogenheit unterscheiden können und dürfen?

Dieses Problem der Jaspers’schen Definition (wiewohl sie einer der klügsten Formulierungen zur Definitionsfrage darstellt) wird noch verstärkt durch einen zweiten Haken. Jaspers‘ Grundthese und wesentliche Rationalisierung des Medienbetriebs lautet wie folgt: Man müsse den Menschen nur genug Informationen zur Verfügung stellen, dann würden sie lernen und richtigere Entscheidungen treffen. Diese Grundthese wurde durch den deutschen Psychologen Gerd Gigerenzer überzeugend widerlegt. Er kommt zum konträren Schluss:

Bei Entscheidungen unter Ungewissheit muss man Informationen ignorieren, um gute Voraussagen zu treffen.

Er bezieht sich dabei auf die gängige Unterscheidung Frank Knights zwischen messbarem Risiko und nicht messbarer Ungewissheit. Gigerenzer betont den Wert von Heuristiken (Daumenregeln), die er formal folgendermaßen definiert:

Eine schnelle und sparsame Heuristik ist eine bewusste oder unbewusste Strategie, die nach der minimalen Information sucht und aus Bausteinen besteht, die entwickelte Kapazitäten und Umweltstrukturen ausnutzen.

Diese Art Daumenregeln seien oftmals komplexeren Vorgehensweisen überlegen, sowohl in der Schnelligkeit ihrer Anwendung, im Ressourceneinsatz (z.B. Informationsgewinnung) als auch im Ergebnis selbst. Mehr Information bedeutet vielfach nicht automatisch eine bessere Vorhersage. Gigerenzer zeigt, dass einfachere, intuitivere Einschätzungen oft zu besseren Urteilen führen.

Bezogen auf Jaspers‘ aufklärerisches Argument hieße das, dass ein höherer Informationsstand der Bevölkerung nicht zwingend bessere Urteile hervorbringt. Nachrichten müssen also gar nicht „fake“ sein, nicht Lügen oder Lücken enthalten, um die Weisheit ihrer Adressaten zu reduzieren und damit eine anti-aufklärerische Wirkung zu entfalten. Die Dynamik des Schlagzeilenregens könnte allein aufgrund der Quantität, nicht bloß aufgrund niedriger Qualität, zu Ohnmacht führen und die Entscheidungskompetenz und damit Verantwortungsfähigkeit der Menschen verringern. Die Folge wäre eben die erwähnte „Meinungsblase“, das wachsende Auseinanderklaffen zwischen quantitativer Frequenz und Menge der Information und ihrem konkreten Nutzen.

Jaspers hatte wohl kaum dieses Szenario vor Augen, als er von mehr Information und Aufklärung schrieb. Aber er wandelt eben auf einem schmalen Grat, von dem man nur allzu leicht in den Abgrund der Propaganda als Selbstzweck kippen kann. Propaganda war ein ursprünglich neutraler Begriff, der die skalierte (d.h. über Massenkanäle laufende) Verbreitung von Information (ebenso wertneutral verstanden) bezeichnete. Dann beansprucht die Verbreitung schlechthin für sich Legitimation und Prestige, ohne weiteren Maßstäben zu entsprechen. So schwingen sich dann die Nachrichtenverbreiter, die Propagandisten im ursprünglichen Wortsinn, zu den Bestimmern, Hütern und Wahrern der Maßstäbe von Information und damit von Demokratie und Aufklärung auf – selbstermächtigte Erziehungsberechtigte nehmen den Menschen im Namen der Demokratie die Selbsterziehung ab.

Dieser Grundspannung kann aber Demokratie, egal in welchem Sinne, kaum auskommen. Sie ist ein Ideal und als solches genügen ihr nur wenige, sie postuliert aber Massen und Mehrheiten. Dieses Problem wird bei Jaspers noch deutlicher, wenn wir seine ergänzende Erklärung berücksichtigen, in deren Kontext die obige Definition steht. Sein Demokratieverständnis ist eigentlich aristokratisch:

Der Wille der echten Demokratie, in der sich die republikanische Verfassung der Freiheit konstituiert, würde sich zuerst an die Besten, die Denkenden, die Urteilsfähigsten, die Sehenden, in der Tat an eine Minorität wenden, aber an eine solche, die die politische Aristokratie im Wortsinn, nicht im Sinne von Geburt und Herkunft, wäre. Demokratie ist ihrem Sinn nach zugleich aristokratisch. Von dieser sich ständig erneuernden Aristokratie geht der Einfluß auf die Umgebung, beginnend in den kleinsten Kreisen, schließlich auf die gesamte Bevölkerung.

Das relativiert zwar das Problem der Tautologie, indem damit das Vorhandensein von Maßstäben angesprochen wird, ohne diese allerdings allzu konkret zu benennen: Gut, denkend, urteilsfähig, sehend – wer möchte diese Adjektive nicht für sich in Anspruch nehmen? Zugleich potenziert dieser Kontext das andere Problem – wer bewacht die Wächter, wer informiert über die Informanten, welche Gewalt schützt vor der vierten? Damit verbunden ist das grundlegende Problem der Wirkmächtigkeit von Information: Schützen vor Schlagzeilen „alternative“ Schlagzeilen in immer höherer Schlagzahl? Bräuchte es eine nicht-propagandistische oder gar anti-propagandistische Aufklärung, die zu den Heuristiken des Hausverstands, die den Propagandisten – durchaus oft zu Recht – nicht geheuer sind, durchdringt?


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

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Digitalisierung – Ende der Arbeit?

Rahim Taghizadegan am 9. März 2017

Es verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Wirtschaft aktuell eine Revolution durchläuft, die sich mit der industriellen messen kann. Tom Goodwin, ein Manager von Havas, bemerkte: Das weltgrößte Taxiunternehmen (Uber) besitzt kein einziges Taxi, das weltgrößte Beherbergungsunternehmen (Airbnb) besitzt kein einziges Hotelzimmer, die weltgrößte Medienplattform (Facebook) produziert selbst keine Inhalte. Mit 13 Mitarbeitern hatte Instagram einen höheren Marktwert als Kodak mit 6500, Snapchat mit 600 Mitarbeitern hat einen höheren Marktwert als die Deutsche Bank mit 100 000.

Entsprechend groß ist die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust durch das Zusammenspiel von Digitalisierung und Automatisierung. Amazon beschäftigt bereits eine große Zahl von Robotern als Lagerarbeiter; das selbstfahrende Auto und die selbststeuernde Drohne sind technologisch nahezu realisiert und eher durch regulatorische Hemmschwellen eingebremst. Die wachsende Bedeutung digitaler Steuerung hat den Investor Marc Andreessen zur Aussage geführt: „Software frisst die Welt auf.“

Software ist eigentlich schon ein alter Hut. Was führt nun zur verdichteten Wahrnehmung ihres revolutionären Potenzials? Der wichtigste Grund ist psychologisch: Angst steigert unsere Wahrnehmungskraft. Seit 2007 hat sich ein Unwohlsein über die wirtschaftliche Stabilität breitgemacht, das nicht nur eingebildet ist, sondern ökonomische Gründe hat.

Das Papiergeldzeitalter scheint seinem Ende zuzugehen, das Kartenhaus wird immer wackliger. Da die Perspektive getrübt ist, wachsen die Risikoaversion, das Festhalten am vermeintlich Sicheren und die Sorge um die Ungewissheit der Zukunft. Die beeindruckenden technischen Fortschritte, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten mindestens genauso dynamisch und kreativ-zerstörend waren, werden zunehmend nicht mehr nur als willkommener Wohlstandszuwachs interpretiert, sondern als düstere Vorzeichen drohender Armut. Diese Ahnung enthält einen Kern Wahrheit, der jedoch psychologisch weit über seinen Gehalt hin ausgedehnt ist.

Neben der angstverzerrten Wahrnehmung gibt es allerdings auch qualitative technische Fortschritte, die revolutionär sind und deren Potenzial nun sichtbar wird. Nicht die Software hat sich qualitativ geändert, sondern die Schnittstellen. Die wichtigste Schnittstelle ist die zum Menschen. Begünstigt durch den geldpolitisch befeuerten Konsumismus und verlockt durch kostenlose Unterhaltung haben wir uns daran gewöhnt, unsere Aufmerksamkeit und unsere Daten Plattformen anzuvertrauen.

Diese Aufmerksamkeitsallokation skalierte zu einer digitalen „Weltöffentlichkeit“ hoch, vor der die bisherigen Aufmerksamkeitsbewirtschafter ratlos in Schockstarre verharren. Schon beim Siegeszug des Fernsehens, der ähnliche fortschrittskritische Warner aufkommen ließ, lieferte der Literat David Foster Wallace eine gute Erklärung für die merkwürdige Schieflage der Skaleneffekte, die für die digitalen Plattformen unserer Tage noch mehr Gewicht hat: „Die Menschen neigen dazu, in ihren vulgären, anrüchigen und dummen Interessen wirklich ähnlich zu sein und völlig verschieden in ihren raffinierten, moralischen und intelligenten Interessen.“

Zunächst skaliert also Konsumistisches und Materialistisches; damit werden die Schnittstellen zu den Plattformen für kurzfristige Konsumgüter wertvoller als die Konsumgüter selbst. Wenn das gewünschte Auto wenige Minuten nach Bestellung über eine mobile Applikation vor der Haustür steht, verschiebt sich das Gewicht vom Auto – das ersetzbar wird – zur unersetzlichen Plattform.

Die zweite Schnittstelle, an der sich eine Revolution anbahnt, ist die zur materiellen Welt. Die Hype-Begriffe Internet der Dinge, Industrie 4.0, Big Data und maschinelles Lernen stehen jeweils für bestimmte Aspekte dieser Entwicklung. Dahinter steht im Wesentlichen das kreative Tüfteln von Millionen Menschen, die durch „technische Deflation“ heute niedrigschwelligen Zugang zu Rechenleistung, technischen Bauteilen und Datenfülle haben. Dabei stehen Hobbybastler beim qualitativen Fortschritt Großkonzernen oft kaum nach.

Die Kombination von selbstlernenden Algorithmen oder voneinander lernenden Programmierern (Open Source) bringt qualitativ neue Skaleneffekte, die die Lösung immer komplexerer Steueraufgaben ermöglichen. Die neuesten Aktorenarrangements in der Robotik kommen menschlichen Gliedern schon erstaunlich nahe; die Komplexität dieser Aufgaben verleiht Respekt vor den Wundern des menschlichen Körpers.

Zwei zentrale Schnittstellen werden also gleichzeitig geschlossen: die von der Software zum Konsumenten und die zur Produktion. Diese Doppelentwicklung macht die aktuelle Dramatik aus. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis jeder materiell-körperliche Produktionsakt und jede Transaktion digital steuerbar werden und damit Arbeitskraft und Handel durch Software ersetzt werden. Unsere Krisenangst findet hier das ersehnte Argument für düstere Prognosen.

Doch der Begriff Arbeitskraft deutet – wie auch Arbeitsplatz – auf einen gravierenden Denkfehler hin. Dieser Denkfehler führte schon in der Vergangenheit zu den Wahnideen der Maschinenstürmer. Wirtschaftlicher Wohlstand entsteht durch Befreiung von den Beschränkungen menschlicher Kraft und statischer Gegebenheiten.

Bislang entstanden für eingesparte Kräfte und verschwundene Plätze stets unzählige neue Möglichkeiten, menschliche Kreativität und Schaffenskraft im Dienste des Nächsten besser einzusetzen. Verbunden war damit aber schon in der Vergangenheit eine steigende Abstraktion der Tätigkeiten vom Körperlich-Materiellen. Diese Abstraktionsleistung könnte hinter dem Flynn-Effekt stehen oder durch ihn möglich geworden sein – die empirisch beobachtete Zunahme analytischer Intelligenz.

Die geforderte Intelligenz und die Dummheit des erwähnten Denkfehlers trüben die euphorische Perspektive des Ökonomen allerdings ein wenig, sodass er den Ängsten eben doch einen Kern Wahrheit zugestehen muss. Einerseits könnten die Abstraktionserfordernisse der neuen schöpferischen Kybernetik das Durchschnittsniveau allzu weit übersteigen, zumal auch der Flynn-Effekt mittlerweile abgebremst, wenn nicht gar umgekehrt zu sein scheint. Zusammen mit den neuen Skalierungsmöglichkeiten würde die Ungleichheit dann dramatisch verstärkt. Tatsächlich zeigen digitale Produkte schon heute extremere Verteilungen nach Potenzgesetzen.

Das wäre noch nicht so dramatisch, da im Digitalen auch die Anzahl an Nischen exponentiell zunimmt und damit die Vielfalt an Schaffensmöglichkeiten. Diese Möglichkeiten passen aber nicht mehr in das Korsett von Arbeitsplätzen, ihre Wertschöpfung übersteigt kaum das Niveau von Einpersonenunternehmen und korreliert kaum noch mit der aufgewandten Arbeitskraft.

Diese altertümlich-ideologische Auffassung von Arbeit als physischem Produktionsfaktor, die völlig übersieht, dass Produktion wesentlich ein geistiger Prozess ist und Ökonomie ein Sinnzusammenhang und keine Materialmenge, schränkt die Dynamik des Entdeckungsprozesses dramatisch ein, der notwendig ist, um die neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten unternehmerisch zu entdecken.

Paradoxerweise wird es der vermeintliche Schutz der Arbeitsplätze sein, der sie obsolet werden lässt. Wird die Kreativität verunmöglicht, bleibt nur noch die Zerstörung – das Verschwinden gewohnter Plätze und das Verbrauchen gewohnter Kräfte. Nur wenige können ihr Heil im technischen Rückschritt finden, in kraftvollen Fleißaufgaben an ruhigen Plätzen. Für die Masse bliebe als Alternative nur die Verarmung.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

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