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Rockefeller – ein langweiliger Unternehmer?

Rahim Taghizadegan am 19. April 2017

Im modernen Unternehmertum wird ein großzügiger Umgang mit Mitteln gerne als Hinweis auf Wachstumsorientierung angesehen. Knausrige Unternehmer erwirtschaften zwar vielleicht momentan Renditen, doch vermindern durch allzu eilige Konzentration auf Rentabilität das langfristige Skalierungspotential. So gilt es, insbesondere im Start-up-Bereich, als kein Makel mehr, auf Rentabilität vorübergehend zu verzichten – ja es ist sogar zulässig und verwegen, diese nicht einmal plausibel absehen zu können. Die Burn rate, das Verheizen des Kapitals, soll Kreativität auf höchster Flamme kochen lassen, um so während einer unrentablen Phase des Suchens und Experimentierens erst den Unternehmensgegenstand und die Monetisierungsmöglichkeiten zu erkunden. Man solle also keine Kosten und Mühen scheuen, ungeahnte Skalierungsmöglichkeiten und Unternehmensbewertungen zu erzielen, bis zum Status eines Unicorn, des Wunders eines Start-ups, das nicht durch Rentabilität, sondern Kreativität so sexy wird, dass sich Google oder andere Großkonzerne mit endlos tiefen Taschen seines Charmes nicht mehr erwehren können und einen lukrativen Exit erlauben.

Ich halte diese Entwicklung für Anzeichen einer Blase. Dass die Prinzipien des Angel Investing langfristig für Anleger relevant sein können, die nicht selbst zu den wenigen erfolgreichen Inkubatoren zählen – also primär serielle Unternehmer, nicht Investoren sind – scheint mir so wahrscheinlich wie die Existenz von Einhörnern. Gewiss zählt am Markt primär die Einhornsichtung und nicht die Einhornexistenz – diese ist zwar nicht unmöglich, aber eben ziemlich unwahrscheinlich.

Für eine realistische Betrachtung eines Unternehmenswerts – abgesehen von seltenen Einhornsichtungen – komme ich zu gegenteiliger Empfehlung. Finanziell ist der langweilige Buchhalter, gerade aus langfristiger Wachstumsperspektive, attraktiver als der spendable Kreative. Denn gerade Unternehmen mit einer Burn rate von null haben die nötige Resilienz, um sich ohne Verbiegen und ohne Ablenkung durch Erwartungen und Irrtümer des Zeitgeists der Erkundung von langfristigen Marktpotentialen zu widmen.

Die Geschichte scheint mir diese Perspektive zu bestätigen. Natürlich zeichnen sich viele erfolgreiche Unternehmer dadurch aus, Visionäre zu sein. Doch die wirklich großen, überdauernden Konzerne waren oft von nüchterner Disziplin getragen – sofern sie nicht politisch überdehnt wurden.

Burton Folsom, ein amerikanischer Wirtschaftshistoriker, beleuchtet in seinem Büchlein The Myth of the Robber Barons sechs amerikanische Unternehmerpersönlichkeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das war die Zeit der industriellen Erschließung des Landes, durch Dampfschiff und Eisenbahn und mittels Stahl- und Ölindustrie, wobei erstmals Großkonzerne entstanden. Folsom differenziert zwischen politischen und marktorientierten Unternehmern, eine Unterscheidung, die – vor allem heutzutage – nicht immer eindeutig zu treffen ist. Er möchte dadurch den Ruf einiger seiner Meinung nach zu Unrecht in Verruf geratener und mit politischen Unternehmern in Verbindung gebrachter Marktunternehmer wiederherstellen.

Einer dieser Marktunternehmer nach der Folsomschen Definition war John D. Rockefeller. Der große Erdölmagnat war für viele Zeitgenossen undurchschaubar und bisweilen gänzlich unverständlich. Geiz und Großzügigkeit waren bei ihm keine Gegensätze, sondern gleichsam stark ausgeprägt. Einerseits war Rockefellers Standard Oil für seine enorme Effizienz bekannt. In hochskalierten Unternehmenskonstruktionen können schon kleine Kostenunterschiede dramatische Auswirkungen haben und über unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Für Rockefeller war dabei jeder Cent bedeutsam. Schon aus seiner Jugendzeit als Buchhalter berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter:

Rockefeller war methodisch bis zum Äußersten, sorgfältig bis ins Detail und auf einen Bruchteil peinlich genau. Wenn uns ein Cent zustand, wollte er ihn haben. Und wenn dem Kunden ein Cent zustand, wollte er, dass ihn der Kunde erhält. (Folsom 1991, S.83f)

Diese Buchhaltermentalität hat Rockefeller all die Jahre beibehalten. Bis heute gilt die Regel: „Der Gewinn wird im Einkauf gemacht.“ Von Beginn an war Rockefeller der Abfall, der bei der Erdölproduktion entsteht, ein Dorn im Auge. Im Gegensatz zur Konkurrenz erkannte er die vielen Einsparpotentiale und den Nutzen der „Abfallprodukte“ der Erdölherstellung. Hunderte Nebenprodukte wurden so von Chemikern entwickelt.

Im vermeintlichen Gegensatz dazu spendete der gläubige Baptist Zeit seines Berufslebens mindestens ein Zehntel seines Einkommens an kirchliche und karitative Einrichtungen. Riesige, noch nie dagewesene Summen kamen dabei zusammen. In seinem achtzigsten Lebensjahr spendete Rockefeller 138 Millionen USD. Bevor er im Alter von 97 Jahren starb, kam so ein Spendenvolumen von 550 Millionen USD zusammen, mehr als irgendein Amerikaner vor ihm überhaupt besessen hatte.

Auch seinen Mitarbeitern gegenüber war Rockefeller spendabel. Ähnlich wie Stahlunternehmer Carnegie versprach sich Rockefeller durch überdurchschnittliche Löhne, Erfolgsbeteiligungen und lange Urlaubszeiten insgesamt Kosteneinsparungen aufgrund erhöhter Produktivität.

Unternehmerisches Maßhalten, das Profitabilität als Maßstab verinnerlicht, ist also etwas gänzlich anderes als Geiz oder Gier. Die Gewinne sind nicht Zweck, sondern Bedingung des nachhaltigen Unternehmertums. Wenn Unternehmer die Profitabilität aus den Augen verlieren oder sie gar durch angebliche „soziale“ und „politische“ Ziele relativieren, untergraben sie die Basis des Unternehmertums: Die Fähigkeit, die Ungewissheit der Zukunft zu schultern, das heißt, Rückschläge und Fehler, die beim wettbewerblichen Entdeckungsverfahren unvermeidlich sind, durch aus Gewinnen erwirtschafteten Reserven abzufangen.

Somit sind es vorrangig die Korrekturphasen des Konjunkturzyklus, die Aussetzer der Booms und die Platzer der Blasen, in denen sich die Spreu der Unternehmer von den maßhaltenden, resilienten trennt. Hier findet sich eine überraschende Unternehmertugend – überraschend deshalb, weil sie so bürgerlich und langweilig ist, und nicht dem Bild des prassenden Helden und rücksichtslosen Visionärs entspricht:

Die Voraussetzung, großzügig sein zu können, ist es, Ersparnisse gebildet zu haben. Sparen kommt von einem alten indogermanischen Wort für „retten“ und „bewahren“. Es geht darum, Wertvolles für alternative Verwendungen zu erhalten, anstatt es in der direktesten Verwendung aufzubrauchen. Dieses Sparen hat zunächst hortenden Charakter, es geht darum Werte über die Zeit zu bewahren, bis man den rechten Zeitpunkt und Kontext gefunden hat, sie für Besseres und Höheres einzusetzen. Dieser Einsatz, der das Ziel des Sparens darstellt (abgesehen von der Vorsorge), ist der investive Aspekt des Sparens. Investieren bedeutet wörtlich „einkleiden”, das meint, den bewahrten Werten eine Funktion zu geben. Diese Funktion besteht darin, Wertvolleres hervorzubringen, was eine so schwierige Aufgabe ist, dass sie in der Regel misslingt. Ohne Menschen, die diese Funktion erfüllen, lebt eine Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes nur von der Hand in den Mund. Kapitalaufbau ist Wohlstandsaufbau. Dafür ist die Tugend der temperantia die Voraussetzung. Gemeint ist jene Mäßigung, die sehr langfristiges Handeln, Ersparnisbildung, Kapitalaufbau und damit auch die langfristigsten Investitionen – Stiftungen ohne direkte Konsumabsicht – ermöglicht. (Taghizadegan 2016, S.182f)

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

James Watt und das geistige Eigentum – Pionier der heißen Luft?

Rahim Taghizadegan am 11. April 2017

James Watt gilt als einer der größten Erfinder der Geschichte und einer der Pioniere der Industriellen Revolution. Gelegentlich wird er fälschlicherweise als Erfinder der Dampfmaschine angeführt. Diese Innovation geht allerdings auf den etwa ein Jahrhundert vor Watt tätigen Franzosen Denis Papin zurück. Dessen Erkenntnisse entwickelte der englische Ingenieur Thomas Savery weiter, worauf wiederum der englische Mechaniker Thomas Newcomen mit seiner Dampfmaschine aufbaute. Eine solche Newcomen-Maschine begann der schottisch-stämmige Watt zu verbessern. Vor allem die Trennung von Kondensation und Zylinder reduzierte die Dampfverluste und erhöhte den Wirkungsgrad beträchtlich. 1769 meldet er auf die zahlreichen Verbesserungen der Dampfmaschine ein Patent an und in den Folgejahren stellt er in der gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Matthew Boulton gegründeten Fabrik stets bessere und leistungsstarke Maschinen her, die maßgeblich zur Industriellen Revolution beitragen. In der Folge wird Watt unter anderem zum Ehrendoktor der Universität Glasgow gekürt und gar die SI-Einheit der Leistung nach ihm benannt.

So die gängige Geschichtsschreibung. Die beiden Ökonomen Michele Boldrin und David K. Levine halten einen Großteil dessen für „heiße Luft“ und – um die Metapher weiterzuführen – lassen in ihrem 2010 erschienen Werk „Against Intellectual Monopoly“ ordentlich Dampf ab. Leicht schelmisch – wie überhaupt das ganze informative Buch amüsant geschrieben ist – bezeichnen sie Watt als „auserkorenen Schurken“ ihrer Abhandlung gegen die Monopolisierung sogenannten geistigen Eigentums. Boldrin und Levine behaupten, dass Watt einen großen Teil seiner Energie darauf verwand, rivalisierende Erfinder juristisch zu bekämpfen.

Durch die Hilfe seines reichen und einflussreichen Partners Boulton gelang es Watt, sich bis ins Jahr 1800 patentgeschützte Monopolrechte zu sichern. Watt sei eher ein Bremser als ein Beschleuniger der technischen Entwicklung gewesen. Seine Konkurrenten warteten wohl mit der Veröffentlichung ihrer Innovationen bis zum Ablauf des Wattschen Patents, da ihre Erfindungen – so viel besser sie auch gewesen sein mögen – nicht ohne den patentierten getrennten Kondensator auskamen:

Während der Gültigkeit der Patente Watts kamen in Großbritannien pro Jahr durch Dampfmaschinen etwa 750 PS Leistungsstärke hinzu. In den 30 Jahren nach dem Ablauf der Wattschen Patente wurden pro Jahr etwa 4000 PS hinzugefügt. Außerdem veränderte sich die Treibstoffeffizienz der Dampfmaschinen während des Zeitraums der Wattschen Patente kaum, wohingegen sie sich zwischen 1810 und 1835 schätzungsweise verfünffachte. Nach dem Ende der Wattschen Patente gab es nicht nur eine Explosion in der Herstellung und Effizienz der Maschinen, die Dampfkraft kam auch als treibende Kraft der Industriellen Revolution voll zur Geltung. Dreißig Jahre lang wurden Dampfmaschinen abgeändert und verbessert, während solch entscheidende Innovationen wie die Dampflokomotive, das Dampfschiff und der Dampfreiniger flächendeckende Verwendung fanden. Die Schlüsselinnovation war die Hochdruck-Dampfmaschine – eine Entwicklung, die durch Watts strategische Verwendung seines Patents verhindert wurde.

Die für sogenanntes „geistiges Eigentum“ gewährten Monopolrechte sorgten auch damals schon für komplizierte rechtliche Strukturen. Die verzwickte und verschachtelte Situation der Patentkonkurrenz führt zu zahlreichen Absurditäten. So wurde ironischerweise auch Watt durch ein Patent daran gehindert, mittels einer Kurbel und eines Schwungrads die beste Methode für eine stabile Rotationsbewegung zu verwenden. James Pickard hatte sich diese Verfahrensweise patentieren lassen. Erst nach dem Ablauf dieses Patents konnten Watt und Boulton 1794 dieses System für die Produktion ihrer Dampfmaschinen nutzen.

Watt und Boulton hatten allerdings erst nach dem Ablauf ihrer eigenen Patente wirklich begonnen zu produzieren. Vorher bezogen sie ihre Monopolrenten hauptsächlich durch Lizenzierung an unabhängige Vertragspartner, die die meisten Teile herstellten. Das unorthodoxe Urteil Boldrin und Levines fällt dementsprechend harsch aus. Sie sehen in Watt mitnichten einen heroischen Erfinder, der für die Industrielle Revolution verantwortlich zeichnet:

Watt ist einer der vielen schlauen Erfinder, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts daran arbeiteten, die Dampfkraft zu verbessern. Nachdem er der Masse einen Schritt voraus war, blieb er nicht durch bessere Innovation vorne, sondern durch besseres Ausnutzen des Rechtssystems.

Watt verhinderte also jahrelang technische Innovationen durch die ihm zugesicherten Monopolrechte. Als positives Gegenbeispiel hierzu wird Richard Trevithick angeführt. Dieser erfand die erste Hochdruckmaschine und meldete dafür kein Patent an, sondern erlaubte es jedem, der wollte, diese Methode zu kopieren. Seine Erfindung, die ähnliche Effizienzgewinne wie Watts Innovation bescherte, war der Anstoß für eine Phase, in der nach Boldrin und Levine „kompetitiv-kollaborative Innovation“ herrschte. Zahlreiche kleine Verbesserungen verschiedener Tüftler sorgten für eine Periode technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts – noch heute bekannt als die Industrielle Revolution.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

Linke & Rechte

Rahim Taghizadegan am 9. April 2017

Die Polarisierung nimmt zu und damit scheinbar auch die Politisierung gesellschaftlicher Konfliktlinien, an denen sich vermeintlich „Linke“ und „Rechte“ gegenüberstehen. Da die Töne immer schärfer werden, ist es wohl höchste Zeit für empathisches Verständnis konträrer Positionen. Der Bedarf scheint also groß, hinter die politischen Etiketten zu blicken, Missverständnisse aufzuräumen und eine gewisse Übersetzungsarbeit zwischen den Lagern zu leisten. Das ideologische Maskenfest wird sich letztlich als unbedeutend erweisen. Viel bedeutsamer ist, wie der Umbruch, der im Gange ist, verlaufen wird. Wir wissen es nicht, und das macht uns Angst. Darum sehnen wir uns nach Bestätigung des eigenen Weltbilds, nach Filterblasen. Diese Schrift ist als Pfeilhagel auf diese Blasen intendiert.

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Filed Under: Buch, Geopolitik, Lebensphilosophie

Die Verbeamtung der Deutschen

Rahim Taghizadegan am 5. April 2017

Sowohl Österreich als auch Deutschland gelten als Vorbilder eines Beamtenstaates – eines Staates, in dem das Beamtentum besonderes Prestige genießt, besonders dominant auftritt und große reale Macht innehat. Als Wien das verwaltete Kaiserreich abhanden kam, nahm die Zahl der Beamten nicht ab. Heute gibt es in Österreich mit ca. 600.000 öffentlich Bediensteten mehr als jemals in der Geschichte der k.u.k.-Monarchie – die immerhin ein Weltreich und zweitgrößter Staat Europas war. Das lässt die österreichische Beamtenschaft in geradezu lächerlicher Weise überdimensioniert erscheinen; kombiniert mit dem eigenartigen Titelwahn und der Wiener „Höflichkeit“ dürfte Österreich heute in der Wahrnehmung Deutschland den Rang als Beamtenmekka abringen. Die negative Seite der Beamtenmentalität ist die mögliche Verstärkung einer Verhaltensweise, die für den Bürgergeist Gift ist: Nach oben buckeln und nach unten treten.

Zweifellos eignet sich der österreichische Beamte als Paradetyp. Im Vergleich zum k.u.k.-Verwaltungsbeamten war der preußische Beamte aber wesentlich unangenehmer. Die Verbeamtung hatte in Deutschland unter preußischem Einfluss ein gemeingefährliches Ausmaß genommen. Friedrich Sell beschreibt in seinem großartigen Werk „Die Tragödie des deutschen Liberalismus“ die zunehmende Verbeamtung Deutschlands:

Seit dreihundert Jahren sind die Deutschen mehr und mehr ein Beamtenvolk geworden, indem sich ein positives Beamtenethos mit einer negativen Beamtenmentalität mischten. Die Bewertung der Menschen nach Rang, Titel und Gehaltsklasse erzeugt einen Geist der Kritik, die Schwächen am anderen sucht, nicht nur um weiter zu kommen, sondern um vor sich selber wenigstens die eigene Überlegenheit zu beweisen. Daher das Bestehen auf der eigenen Meinung, das die deutsche Parteigeschichte so chaotisch machte. Mit dem Mut der opferbereiten Überzeugung hat diese Eigenbrötelei nichts zu tun. Eine solche vorwiegend negative Einstellung zu den anderen ist das Haupthindernis auf dem Wege zur Entwicklung einer liberalen Haltung und eines demokratischen Geistes. Noch immer ist die Hofrangordnung der tödlichste Feind der Demokratie.

Diese Mentalität findet sich in ähnlicher Ausprägung in Österreich, dessen Beamtenschaft – bei allem Ethos – eine fast ebenso bedenkliche Schattenseite aufweist. Letztlich liegen in den Ursprüngen des jeweiligen Beamtencorps jedoch feine Unterschiede begründet – bei relativer Ähnlichkeit im Vergleich zu anderen Staaten. Die preußische Beamtenschaft findet ihren Ursprung in einer Interessensübereinstimmung zwischen lutheranischer Reformation und den Feudalfürsten. Luther stellte seine „Kirche“ unter die Aufsicht jener Landesfürsten, die seinen Glauben angenommen hatten. Sell beschreibt die Verbindung von Klerus, Beamtenschaft und Staatskultur:

Nöte und Gefahren der Religionskriege, die das folgende Jahrhundert füllten, gaben ihnen [den Landesfürsten] die Gelegenheit, die Zügel der Regierung straffer anzuziehen und absolutistische Methoden zu entwickeln. […] Die meisten mußten sich auf die Ausbeutung und vorsichtige Ausweitung ihrer Machtmittel beschränken, obwohl niemand etwas gegen einen gelegentlichen kleinen Länderraub hatte. Trotz aller Paraden und Uniformen waren die absolutistischen Kleinstaaten doch auf friedliche Tätigkeit angewiesen. Kultur im weiteren Sinn, nicht Krieg, war ihre Sache. Hier nun profitierten sie von dem engen Anschluß der lutherischen Kirche an den Staat. Die protestantische Kirche benötigte vor allem gebildete Pfarrer, die imstande waren, die Schrift authentisch auszulegen. Der Staat brauchte gebildete Beamte. Luther setzte seine ganze Energie für die Verbesserung des Schulwesens ein, und das protestantische Gymnasium entwickelte sich dank seiner Bemühungen und der Melanchthons, des Praeceptors Germaniae. Hier wurden die künftigen Lehrer, Prediger und Beamten vorbereitet für das Studium auf der Universität. Die einschneidende Neuerung bestand darin, daß ein akademisch gebildetes Beamtentum die höhere Verwaltung einschließlich des Erziehungswesens mehr und mehr in die Hand nahm. Was das bedeutete, macht man sich im modernen Deutschland selten klar, da man seit Jahrhunderten an die Verstaatlichung der Erziehung gewöhnt ist. Der Gedanke einer privaten Universität scheint dem deutschen Akademiker von heute absurd und er bedenkt nicht, daß es in angelsächsischen Ländern die Regel ist. Das Eindringen des Staates in das Gebiet der Kultur wurde befördert durch die wirtschaftlichen Folgen des Dreißigjährigen Krieges, die einen großen Teil des Bürgertums ruinierten. Der unabhängige und freie Künstler verschwand, die ganze Intelligenz kam unter das Patronat der Fürsten. Gelehrte und Künstler waren auf eine „Bedienung“ im Staat oder am Hof angewiesen, fürstliches Mäzenatentum wurde die materielle Basis aller Kultur. Der Wille des durchlauchtigen, gnädigen Herrn bestimmte das Leben und Schicksal jedes einzelnen. Das damit unvermeidliche Anwachsen der Servilität ist keine erfreuliche Erscheinung.

Somit bereitete das deutsche Beamtentum den totalitären Staat vor, in dem Nationalkultur kriegstreiberisch nach außen und drückend nach innen überhöht wurde. Die deutschösterreichischen Beamten waren ebenso Erfüllungsgehilfen eines absolutistischen Staates, doch dieser entwickelte sein totalitäres Potential nicht gänzlich aus.

Die k.u.k.-Monarchie war in den oberen Schichten von liberalem Geist durchsetzt, der das „Treten nach unten“ und den Militarismus nach außen ein wenig linderte. Schließlich ist die hohe Position des österreichischen Beamtentums auf Joseph II. zurückzuführen. Dieser war ein aufgeklärter Absolutist: sein josephinischer Beamtenstaat sollte im Dienst der Bürger stehen. Seine Reformen, die dem Feudaladel und der Kirche zusetzten, wurden von weiten Teilen des Bürgertums begrüßt. Das war wohl ein ähnlicher Fehler wie die Begeisterung der preußischen Liberalen für den Kulturkampf: Die gewaltsame Modernisierung richtete sich gegen die nichtbürgerliche Bevölkerung und entfachte, insbesondere in den nicht-deutschen Gebieten großen Unmut, der letztlich den Untergang des Reichs beschleunigte – an dessen Stelle nichts Liberaleres oder Bürgerlicheres nachkam.


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Grenzen

Rahim Taghizadegan am 4. April 2017

Ausnahmsweise mit dem Schweizer Vordenker Robert Nef als Ehrengast und Diskutant: Aus Anlass der „Flüchtlingskrise“ sprechen wir über die Notwendigkeit von Grenzen, wie offen diese sein können und wie geschlossen sie sein dürfen. Was bestimmt Grenzen? Was bedeutet ihre Sicherung? Welche Grenzen sind sinnvoll, welche unmenschlich? Wie soll man mit Migranten an Grenzen umgehen? Wie können sich Grenzen verändern?



Unser Salon erweckt eine alte Wiener Tradition zu neuem Leben: Wie im Wien der Jahrhundertwende widmen wir uns gesellschaftlichen, philosophischen und wirtschaftlichen Themen ohne Denkverbote, politische Abhängigkeiten und Ideologien, Sonderinteressen und Schablonen. Dieser Salon soll ein erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Diskurs sein. Wir besinnen uns dabei auf das Beste der Wiener Salontradition. Ein spannender und tiefgehender Input, meist im Dialog, bringt Ihren Geist auf Hochtouren, worauf dann eine intensive Diskussion in intimer Atmosphäre folgt.

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Filed Under: Geopolitik, Salon

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