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„Man erkennt den Halbgebildeten daran, dass er glaubt, er weiß schon alles!“ Rahim Taghizadegan

Rahim Taghizadegan am 4. Juni 2017

Auf der 8. Hamburger Mark Banco Anlegertagung wurde Rahim Taghizadegan mit der Roland-Baader-Auszeichnung geehrt. Im Rahmen dieser Veranstaltung haben wir uns u.a. über Roland Baader, sein Institut, die Österreichische Schule, Philosophie, Bildung und die Geschichte der Universitäten unterhalten.

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Filed Under: Freie Bildung, Vortrag

Ein objektiver Wert des Goldes? Physik versus Ökonomik.

Rahim Taghizadegan am 2. Juni 2017

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Dass der Wert ökonomischer Güter alleine in der subjektiven Einschätzung ihrer Nützlichkeit liegen sollte, und diese Nützlichkeit wiederum auf subjektive Bedürfnisse oder Ziele gerichtet ist, scheint eine besonders schwer verdauliche Tatsache der Ökonomik zu sein. Wir sehnen uns nach Maßstäben und Gewissheit, die über subjektive, Moden unterliegende Willkür hinaus gehen. Gibt es bei all den technischen, modischen, kulturellen und intellektuellen Revolutionen der Menschheitsgeschichte nicht zumindest einige, wenige Anker, auf die langfristiger Verlass ist? Das Edelmetall Gold bietet sich hier an. Seine Geschichte als Wertmaßstab und Tauschmittel ist lang, seine Kaufkraft scheint überraschend stabil. Könnte es außerökonomische und damit übersubjektive Gesetzmäßigkeiten geben, die den Wert des Goldes erklären, selbst wenn seine subjektive Nützlichkeit im direkten Gebrauch veränderlich ist? Nach wie vor spielt Gold eine Rolle im internationalen Währungssystem und bei der Anlage, obwohl es mehrheitlich als „barbarisches Relikt“ und unkreative, ertragslose Anlageklasse abgetan wird.

Die Wiener Schule der Ökonomik war einst federführend dabei, die alten objektivistischen Werttheorien zu widerlegen und die subjektivistische Werttheorie durchzusetzen. Doch diese theoretische Klärung des Wertproblems führte nicht zu Beliebigkeit. Ganz im Gegenteil ergibt sich im Rahmen einer Wirtschaftsordnung, die Geld und Eigentum, und damit Preise aufweist, eine Einschränkung individueller Willkür durch sogenannte Wertimputation: Es wirken durch die Wertübertragung von den unzähligen menschlichen Entscheidungen auf die Kosten der Produktionsfaktoren Anreize, die – gleich einer unsichtbaren Hand – zu einer Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Plänen der Menschen führen, bei denen sich so manche Wertvorstellung als unmöglich und unhaltbar erweist. Kurz: Auf Märkten reiben sich subjektive Wünsche an objektiven Möglichkeiten. Während rein ökonomisch betrachtet subjektive Ziele und Bedürfnisse nicht „wahr“ oder „falsch“ sein können, erweisen sich manche Mittel und Güter als zielführend und andere nicht. Eine vermeintlich objektive Maßzahl für diesen Koordinationsprozess ist die Rentabilität von Unternehmen.

Das tiefere Verständnis des Zusammenwirkens zwischen subjektiven Zielen und intersubjektiver Koordination hat innerhalb und am Rande der Wiener Schule zu Ansätzen geführt, die mögliche Objektivitäten, im Sinne von Allgemeingültigkeiten einer Wirtschaftsordnung, vorsichtig ergründen. Schon Carl Menger stieß auf das Problem der „Scheingüter“: manch subjektive Einschätzung der Nützlichkeit von Mitteln für subjektive Ziele kann objektiv falsch liegen. Eugen Böhm von Bawerk suchte nach psychologischen Grundlagen der Zeitpräferenz zur „Objektivierung” der Zinstheorie. Ludwig von Mises stieß in seinen Untersuchungen der Katallaktik, das heißt der systematischen Analyse der Wirtschaftsrechnung, auf das Kalkulationsproblem – das mehr objektive Tatsache als subjektive Einschätzung ist. Frank Fetter kontrastierte hingegen „welfare economics“ mit „price economics“ und stieß eine allgemeingültigere, psychologisch fundierte Interpretation von Wohlstand an. Murray Rothbard ging von der Ökonomik zum Naturrecht auf der Suche nach objektiven Ankern, sein Schüler Hans-Hermann Hoppe versuchte eine Begründung durch Argumentationstheorie. Ein weniger bekannter Schüler eines Schülers der Wiener Schule ging einen Sonderweg, der ebenso einen Versuch der Freilegung des Allgemeingültigen hinter dem Schleier des subjektivistischen Entscheidens, Tauschens und Schaffens darstellt: Nicholas Georgescu-Roegen, Schüler von Joseph Alois Schumpeter, nahm Anleihen an der Physik und führte den Begriff der Entropie in die Ökonomik ein. Den von Carl Menger beschriebenen Produktionsprozess der Umwandlung Güter höherer Ordnung in Güter niedrigerer Ordnung beschrieb Georgescu-Roegen als thermodynamischen Prozess der Entropieabnahme und erklärte so die von Böhm von Bawerk mit dem Faktor Zeit in Zusammenhang gebrachte Kapitalbildung. Dieser Prozess müsse durch Energieeinsatz der ständigen Naturdynamik der Entropiezunahme abgetrotzt werden, wodurch sich die Wertschöpfung erkläre. Entropieabnahme bedeute also Wertzunahme, bringe jedoch notwendigerweise an anderen Orten bzw. zu anderen Zeiten Entropiezunahme mit sich. Jede Produktion sei daher ein faustischer Handel, der Abfall und Ressourcenverbrauch bedeute. Ewiges Wachstum sei eine Fiktion neoklassischer Ökonomen, deren Thesen so falsch wären wie die Behauptung, es könne ein Perpetuum mobile geben. Mit diesen Gedanken wurde Georgescu-Roegen zum Pionier des Recycling.

Die Unterscheidung zwischen Gütern unterschiedlicher Ordnung, die Carl Menger eingeführt hatte, erfährt hier eine vermeintlich naturwissenschaftliche Begründung und damit einen möglichen Maßstab. Könnten bestimmte Güter in der Produktionsstruktur entropisch besonders herausstechen? Dieser Gedanke führt zu einem Versuch der Objektivierung von Geld, insbesondere Gold. Dieser Ansatz wurde interessanterweise von Georgescu-Roegen kaum weiterentwickelt, findet sich aber schon bei früheren Denkern erwähnt. Als erster wies der deutsche Physiker Georg Ferdinand Helm 1887 auf eine mögliche Analogie zwischen niedriger Entropie und Geld hin. Etwas später führt ein Ökonom den Gedanken näher aus, der eher der Lausanner Schule angehörte: der Pole Léon Winiarski. Er ist es auch, der die Sonderstellung von Gold physikalisch begründet:

Nun begnügt man sich momentan damit, die biologische Energie durch sich selbst oder mithilfe der wirtschaftlichen Energie und des Goldes zu messen. Wir vergleichen entweder die soziale Nützlichkeit (die allgemeine Form der biologisch-sozialen Energie) eines materiellen oder immateriellen Gutes mit der sozialen Nützlichkeit des Goldes, oder die spezifischen sozialen Energien (der Organe und Apparate und ihrer Arbeiten), die für die Produktion dieser Güter aufgewandt wurden mit denjenigen des Goldes. … Das Gold ist daher das allgemeine Sozialäquivalent, die reine Personifizierung und Inkarnation der sozio-biologischen Energie. Es ist zugleich allgemeiner Umwandler – der Großteil der materiellen und immateriellen Güter können mittels der notwendigen pekuniären Aufwände produziert werden.

Etwas konkreter versuchte erst wieder Eric Beinhocker zu werden, der in seinem 2007 erschienen Werk zu einer evolutionären Neubegründung der Ökonomik die Gedanken von Georgescu-Roegen weiterführt. Beinhocker liefert folgende Definition:

Ein Materie-, Energie- oder Informationsmuster hat wirtschaftlichen Wert, wenn die folgenden drei Bedingungen gemeinsam erfüllt werden:

  1. IRREVERSIBILITÄT. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen sind thermodynamisch irreversibel.
  2. ENTROPIE. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen reduzieren die Entropie lokal innerhalb des Wirtschaftssystems, während die Entropie global erhöht wird.
  3. FITNESS. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen produzieren Artefakte und/oder Dienste, die für menschliche Zwecke fit sind.

Fit bezeichnet in Analogie zur Evolutionstheorie den Grad der Eignung, hier die Nützlichkeit eines Gutes. Diese Definition endet schließlich wieder im Subjektivismus und es ist fraglich, ob sie durch die Bezüge zur Physik und Biologie über diese ökonomische Einsicht hinausgeht. Stimmt es, dass die wertvollsten Güter zusätzlich zu ihrer Nützlichkeit noch Entropiesenken darstellen? Könnte der Wert des Goldes hier seinen naturwissenschaftlichen Anker finden? Ist Gold das ruhende, immerwährende Element im Entstehen und Vergehen wirtschaftlicher Thermo-Dynamik? Eignet es sich deshalb als Maßstab so gut?

Ausnahmsweise muss ich an dieser Stelle Paul Samuelson zitieren – Beinhocker selbst verweist auf ihn, kann der Verlockung naturwissenschaftlicher Objektivität aber nicht widerstehen:

Das Zeichen eines Spinners oder halbherzigen Spekulierers in den Sozialwissenschaften ist seine Suche nach etwas im Gesellschaftssystem, das dem Begriff des Physikers von „Entropie“ entspricht.

Physikalische Argumente gelten als komplex und unverständlich, sodass sie gar nicht ausgeführt werden müssen. Läßt man einige Fachbegriffe fallen, garniert dies mit Bezügen zu Relativitätstheorie oder Quantenphysik, so folgt meist betretenes Schweigen. Physik ist Magie, ihre unverständlichen Zauberformeln scheinen unglaubliche prognostische und schöpferische Kraft zu haben. Das macht es attraktiv, sich der Physik zu bedienen – damit hört sie aber außerhalb ihres eng umsteckten Gebietes auf, Physik zu sein, sie wird zu Pseudophysik. Die große Kraft der Physik beruht auf der erstaunlichen Konstanz von Wirkungsverhältnissen innerhalb menschennaher Größen und Zeiträume, die eine empirisch-induktive Bestimmung formaler Beziehungen erlaubt.

Nur innerhalb dieses Rahmens hat „Entropie“ eine Bedeutung. Wie jeder andere physikalische Begriff ist dieser erstaunlich leer. Physiker arbeiten mit engen Definitionen empirischer Größen. Entropie ist das Maß für Energiedissipation. Dieses Maß kann unter Einhaltung klarer Methoden bestimmt und berechnet werden. Der Begriff ist kein theoretischer, der Erscheinungen der Welt geistig erklärt, sondern ein rein praktischer – für die Praxis des Messens und Rechnens bestimmt. Er ist insofern leer, als er keinen weiteren Sinn enthält, nichts sprachlich erklärt. Seine Etymologie und Begriffsgeschichte ist völlig irrelevant. Es könnte ein völliges Kunstwort sein. „Entropie“ ist ohnehin schon nahe am Kunstwort, durch jede weitere Analogie und physikfremde Verwendung aber wird es mit Sinn aufgeladen, der dem Begriff nicht innewohnt. Dramatischer ist es beim Begriff „Energie“: Er ist durch zahlreiche Analogien bereits in die Alltagssprache eingegangen – wodurch viele Irrtümer entstehen. Ein großer Teil der Esoterik bewirtschaftet den magischen Klang physikalischer Begriffe. „Energie” spielt dort eine besonders große Rolle. Ähnlich ist es mit den „Quanten“. Um Assoziationen zu vermeiden, schuf der Physiker Murray Gell-Mann einst den Begriff „Quark” (ein Kunstwort aus Finnegans Wake von James Joyce). Er wusste nicht, dass es ein deutsches Wort ist – zum Glück ist der Bezug zum Topfen weit genug entfernt, sodass nicht allzu viel Topfen mit dem Wort geredet wird.

Der Begriff „Entropie“ löst heute bei Gebildeten die Assoziation von „Unordnung“ aus. Wirtschaft als Ordnungsprozess zu betrachten, wiederum liegt nahe an den Ansätzen der Wiener Schule – Friedrich A. von Hayek sprach vom Koordinationsprozess, Israel M. Kirzner vom Marktprozess. Diese Assoziation kam über den Umweg der Informationstheorie – Claude E. Shannon formulierte ein logarithmisches Strukturmaß für Information in Analogie zur Entropie. In der Physik hat Entropiezunahme aber nur sehr bedingt etwas mit Strukturabnahme zu tun. Strukturen sind menschliche Sinnbezüge. Energieverteilung entspricht manchmal der Auflösung von Strukturen, aber nicht immer. Die für Menschen wesentlichsten Strukturzerfälle schließlich haben überhaupt nichts mit Entropiezunahme zu tun: Oft handelt es sich schlicht um Reaktionen. Die Ortsänderung makroskopischer Objekte, die für Menschen „Unordnung“ bedeuten kann, hat nichts mit Entropie oder Thermodynamik zu tun.

Wenn heißer Kaffee auskühlt, das heißt, der Temperaturunterschied zur Umgebung abnimmt, dann ist dies in der Tat – in Abhängigkeit vom jeweils betrachteten Rahmen – eine Entropiezunahme. Doch Heißes ist nicht notwendigerweise strukturierter oder gar wertvoller – es liegt letztlich im Auge des Betrachters. Wir benötigen die subjektivistische Wertlehre also zur Antwort, anstatt sie – wie erhofft – physikalisch-objektiv fundieren zu können. „Ordnung“ setzt Maßstäbe voraus, und der Mensch ist das Maß der Wirtschaft. Entsprechend kam die Sozialwissenschaftlerin Mary Douglas einst zum Schluss: Schmutz ist Materie, die sich an unerwünschten Orten befindet. Ähnliches gilt für „Unordnung“.

Gold scheint in menschlichen Zeiträumen kaum zu zerfallen oder zu reagieren. Liegt das an seinen besonderen thermodynamischen Eigenschaften? Lässt sich nicht irgendeine Analogie zur Entropie herstellen?


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Scholien, Vermögensanlage

Kunst als Investment?

Rahim Taghizadegan am 27. Mai 2017

Die meisten Anleger sind frustriert über die geringe Zahl an sinnvollen Anlagemöglichkeiten, während die wahrgenommene Ungewissheit steigt und zu weiterer Streuung drängt. Der Renditendruck tut sein Übriges, sodass immer exotischere Anlageklassen die breite Masse locken. Vieles davon scheint abstrakt und bar jedes Nutzwertes. Warum also nicht das Schöne mit dem Lukrativen verbinden? Das ist der Reiz der Anlageklasse „Kunst“. Kunstwerke werfen zwar keine direkten Erträge ab, außer dem ästhetischen Nutzwert, sich ihrer Anwesenheit zu erfreuen, doch versprechen sie Wertsteigerung. Der internationale Kunstmarkt ermöglicht teilweise atemberaubende Auktionserlöse. Bislang scheint diese Anlageklasse Vermögenden vorbehalten. Das so veranlagte Vermögen wächst dramatisch. Oft bleiben die Kunstwerke in Zollfreilagern liegen, die direkt an großen Flughäfen liegen, die von Vermögenden frequentiert werden – eines der größten Lager liegt am Genfer Flughafen. Das sieht nach einer absurden Übertreibung der Märkte aus: Bei Barren nimmt man noch hin, dass sie in dunklen Tresoren ruhen, doch in großem Stil Kunstwerke aufzukaufen, um sie in Lagern verstauben zu lassen, ist der Intention der Kunst doch allzu zuwider. Dieses Problem der Handhabung großer Mengen von Kunstwerken ist allerdings ein Luxusproblem. Ein durchschnittlicher Anleger wird die Kunstwerke wohl in seinen eigenen vier Wänden unterbringen. Wäre es nicht also sogar aus künstlerischer und moralischer Perspektive wünschenswert, dass die breite Masse in Kunstanlagen einsteigt? Sind Kunstwerke nicht eine viel ansprechendere Alternative zu Sparbüchern und Anleihen mit niedrigen bis negativen Zinsen?

Zunächst muss man verstehen, warum die Vermögenden ihre Anlagen in Lagern verstauen. Eine der Zielsetzungen der Vermögensanlage ist Liquidität. In den Kunstlagern verstauben Bilder in Wirklichkeit nicht, sondern sind sicher verwahrt unter klimatisch perfekten Bedingungen. Die direkte Lagerung an Flughäfen erlaubt schnellst- und schonendstmöglichen Weiterverkauf. Die extreme Volatilität von Kunst, die ja heute geradezu dadurch definiert ist, im Auge des Betrachters zu liegen, drängt den Anleger zu großer Streuung. Ein einzelnes Kunstwerk ist ein Los in einer Lotterie, noch dazu einer mit extremer Schieflage, erst eine Sammlung ermöglicht ein aktiveres Auftreten am Kunstmarkt – eine Sammlung ist nichts anderes als ein Kunstportfolio.

Die Schieflage am Kunstmarkt besteht darin, dass es ein sehr persönlicher Markt ist: Beziehungen sind besonders wichtig. Es ist eben kein Massenmarkt, sondern ein Liebhabermarkt. Zudem unterliegt er ausgeprägten Moden, bei denen die Meinung bestimmter Akteure – nicht bloß das Kaufverhalten – deutliche Auswirkungen auf die Preise hat. Bieten sich für den kleinen Anleger dennoch Chancen, hier das Schöne mit einer gewissen Wertsteigerungsaussicht zu verbinden?

Kunstwerke zeichnen sich immerhin durch eine gewisse, wenn auch im wahrsten Sinne des Wortes künstliche Knappheit aus. Originale werden streng, aber nicht immer sofort und oft nur mit großem Aufwand von Kopien unterschieden. Die teuersten Kunstwerke sind durch den Tod ihrer Urheber knapp: Es können keine weiteren Originale mehr dazukommen, eine Inflationierung ist nahezu ausgeschlossen (nahezu, da nur selten einzelne Kopien untergeschoben werden können).

Die Entwicklung des Kunstmarktes hat bereits zum Lancieren mehrerer Fonds geführt, die zum Teil auch kleinere Anleger ansprechen – in der Regel allerdings nur nach US-Definition „akkreditierte“, das heißt jene, die mehr als $200.000 Jahreseinkommen oder mehr als eine Million Vermögen nachweisen können. Der jüngste Fonds „Arthena” gibt gar vor, künstliche Intelligenz zu nutzen, um eine möglichst lukrative Auswahl von Kunstwerken zu treffen. Die durchschnittliche Rendite am Kunstmarkt läge bei zehn Prozent, so die Gründer, und diese Rendite sollte sich noch verdoppeln lassen.

Kleinere Anleger, die für solche Fonds nicht in Frage kommen, würden gewiss auch mit den zehn Prozent gerne Vorlieb nehmen. Doch dieser Wert ist so fraglich, dass man schon eine Täuschungsabsicht unterstellen könnte. Eine systematische Untersuchung von 2013 relativiert die vermeintliche Rentabilität von Kunstanlagen ganz beträchtlich. Tatsächlich lägen die realen Renditen näher bei 6,5 Prozent. Sehen wir uns dazu im Vergleich die Renditen anderer Anlageklassen an: Eine Anlage, die sich am Dax orientiert, warf seit 1989 eine jährliche Rendite von 11,61 Prozent ab, der Dow Jones seit 1989 jährlich 9,32. Gold zeigt im Schnitt eine jährliche „Wertsteigerung“ (die natürlich nur die Wertminderung des Papiergeldes abbildet) von ca. 8 bis 9 Prozent. Aufgrund des großen Goldabsturzes in den 1980er-Jahren reduziert sich diese „Rendite“, wenn man den Betrachtungszeitraum im Jahr 1980 beginnen läßt, auf 1,9 Prozent.

Die heruntergerechneten 6,5 Prozent wären noch immer ganz ansprechend, doch fehlen entsprechend lange Datenreihen. Das Argument der zitierten Studie wiegt womöglich noch schwerer, als die Senkung auf den letztlich willkürlichen Betrag ausdrückt. Die kommunizierten zehn Prozent würden nämlich durch einen Selektionseffekt zustande kommen:

Die zugrundeliegende Ursache der Renditenüberschätzung (und der einhergehenden Risikounterschätzung) ist als selection bias (Auswahlsvoreingenommenheit) bekannt. … Diese Voreingenommenheit entsteht, wenn Renditen auf Indices beruhen, die aus wiederholten, nicht zufälligen Verkäufen relativ illiquider Anlageklassen konstruiert werden. Viele der Renditen, die auf dieser Art von Indices beruhen – dazu gehören auch die S&P/Case-Shiller Immobilienpreis-Indices – könnten zugunsten höherer Werte voreingenommen sein.

selection bias bedeutet, dass die Auswahl der betrachteten Kunstwerke nicht repräsentativ ist. Verkauft wird nur relativ selten, und dabei im Wesentlichen natürlich die wenigen besonders lukrativen Kunstwerke. Die Hälfte aller Kunstauktionen wird durch die großen Häuser Christie’s und Sotheby’s abgewickelt. Die vielen Kunstwerke, deren Preise nicht hoch gestiegen sind, bleiben auf Wänden hängen und in Lagern liegen. Kurz ausgedrückt: Je illiquider die Anlageklasse, desto weniger repräsentativ sind Indices und Verkaufspreise. Carl Menger gab einst als Beispiel für eine besonders illiquide Anlageklasse „Antiquarische Bücher, die in Sanskrit geschrieben sind“. Solche Sanskritbücher sind selten und können sehr hohe Preise erzielen. Die Rendite, die sich aus der Wahrscheinlichkeit ergibt, ein solches Buch teurer verkaufen zu können, als man es gekauft hat, ist jedoch gering, bzw. real negativ: Es ist ein absoluter Liebhabermarkt. Die Chancen auf spekulativen Erfolg sind umso höher, je weniger man als anonymer Marktakteur mit gier- oder angstgetriebenem Verkaufsdruck auftreten muss, und je mehr man persönliche Kontakte zu anderen Liebhabern hat – womöglich, weil man selbst zu diesen gehört. Mit Anlage im klassischen Sinne hat das freilich wenig zu tun.

Die zitierte Studie kommt zum Schluss, dass die gemeinhin kommunizierten Risiken um das 7- bis 8-fache unterschätzt sind. Dies soll durch eine errechnete Sharpe Ratio (eine Risikokennzahl) ausgedrückt werden, die Präzision vortäuscht. Letztlich führt auch die Studie damit in die Irre: Wir haben es eigentlich mit Ungewissheit, nicht bloß mit Risiko zu tun. Illiquide Anlageklassen erlauben keine Risikoberechnung, denn Risiken sind statistische Größen, die eben große Zahlen voraussetzen. Da die wenigsten Kunsttransaktionen erfasst werden, ist es unzulässig, ein präzises Risiko angeben zu wollen. Einige interessante Zusatzinformationen allerdings bietet die Studie:

Mehr als zwei Prozent aller Verkäufe erfolgen innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Künstlers, was die allgemein geteilte Ansicht in der Kunstwelt bestätigt, dass death sells. Das durchschnittliche Auktionsergebnis des gesamten Datensatzes lag bei $61.939, mit einigen wenigen extrem teuren Bildern. … Unter den Stilen machten der Impressionismus und die Moderne ein Drittel der Verkäufe aus, gefolgt von europäischen Bildern des 19. Jahrhunderts mit etwa einem Viertel. Ungefähr 16 Prozent der Verkäufe waren Nachkriegs- und zeitgenössische Bilder, 12 Prozent waren amerikanische Bilder und 5 Prozent waren alte Meister.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

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Ökonomik und Ethik des Crowdinvesting — eine kritische Analyse

Rahim Taghizadegan am 21. Mai 2017

Nach dem Crowdfunding gewinnt nun auch das Crowdinvesting an Bekanntheit. Das Sammeln von vielen Kleinstinvestitionen auf digitalen Plattformen zur Unternehmensfinanzierung scheint in Zeiten der Kreditklemme bei gleichzeitigem Null- bis Negativzins dringende Bedürfnisse bei Unternehmern und Sparern gleichermaßen zu adressieren. Ist Crowdinvesting tatsächlich der ersehnte Ausweg aus dem Spar- und Finanzierungsdilemma? Nach einer kurzen und kritischen Einschätzung zum Crowdfunding soll nun tiefer hinter die Versprechen des Crowdinvesting geblickt werden: Innovatives Finanzinstrument oder leeres Versprechen?

Die Unternehmensfinanzierung befindet sich im Wandel. Im Nachkriegseuropa – mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches – war die klassische Bankfinanzierung die bevorzugte Art der Kapitalbeschaffung, sowohl für Unternehmer als auch Private. Die Kontinentaleuropäer, insbesondere Deutschland und Österreich, waren Sparernationen, und ein entsprechend gut entwickeltes Sparkassen- sowie Genossenschaftsbankensystem sorgte dafür, dass die Ersparnisse über die klassischen Bankfunktionen der Fristen- und Losgrößentransformation an Unternehmer – als die primären Kreditnachfrager – weitergeleitet wurden. Der Zusammenbruch des Bretton Woods-Abkommens im Jahr 1971 und die damit verbundene Aufblähung der Geldmenge in den folgenden Jahrzehnten trieben die öffentliche und private Verschuldung in sämtlichen Industrienationen massiv in die Höhe. Die realen Produktivitätsgewinne konnten die immer größeren nominellen Schulden nicht mehr absorbieren, Banken- und Finanzkrisen häuften sich – die Spirale des Konjunkturzyklus lief schneller und schneller. Die ständigen Finanzkrisen führten in der Finanzindustrie zu verheerenden Interventionsspiralen, die die Finanzwirtschaft endgültig von der Realwirtschaft entkoppelte. Aktuelle Erfahrungen und Eindrücke scheinen jedoch den Schluss nahe zu legen, dass – insbesondere für mittelständische Betriebe – durch die Basel-Regulative (Eigenkapitalhinterlegung der Banken bei Finanzierungsgeschäften) der Kreditmarkt für klassische Finanzierungsprojekte de facto ausgetrocknet ist (was Alternativen wie etwa die kürzlich behandelten P2P-Kredite aufkommen lässt). Kredit wird nur noch jenen gewährt, die ihn eigentlich nicht brauchen und eher vor dem Problem der Veranlagung der Überschuss-Liquidität stehen: Großkonzernen.

Aber auch die Unternehmenslandschaft selbst änderte sich massiv. Selbst die künstlichen Skaleneffekte von Großunternehmen (vgl. Helden, Schurken, Visionäre, Taghizadegan 2016) erlauben heute kaum noch Beschäftigung im klassischen Dienstverhältnis, wo Arbeit mit 100 Prozent Abgaben belastet ist. Die logische Folge ist der Auslagerungstrend der letzen 15 Jahre, der in der „Ich-AG“ seinen Abschluss findet – bei Einzelunternehmern in Abhängigkeit von einem Kunden.

Als Hoffnungsschimmer etablierte sich in jüngerer Vergangenheit für Gründer und Freischaffende die Idee des Start-Up, die im Wesentlichen aufgrund der technologischen Revolution der Digitalisierung künftige Wertschöpfung und Beschäftigung verspricht. Diese neue Form von Unternehmen verlangt auch neue Finanzierungskonzepte, die die Banken sowohl aufgrund mangelnder Innovationskraft als auch aufgrund der beschriebenen regulativen Hemmnisse nicht liefern können.

Unternehmer versuchen diese Finanzierungslücke mit der Idee des Crowdinvesting zu füllen. Die Idee dabei ist, die Vermittlungsfunktion von Ersparnissen nicht mehr über Banken abzuwickeln, sondern direkt über digitale Plattformen durchzuführen. Diese ermöglichen günstige Transaktionskosten und machen so das Sammeln vieler Kleinstbeträge praktikabel. Im Gegensatz zum Crowdfunding erhalten die Anleger Ansprüche auf Verzinsung.

Das englische Vokabel bezeichnet wie so oft bloß den zeitgeistigen Neuaufguss einer alten Idee. Hier ist es eine Idee, die hinter der Genossenschaftsbewegung steht: Viele kleine Geldgeber ermöglichen durch ihre Masse die Finanzierung größerer Unternehmungen. In der Genossenschaft sind die Anleger aber Miteigentümer mit Stimmrecht, nicht Kreditgeber. Aufgrund der immensen Transaktionskosten ist die Streuung auf viele Kleinanleger bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Erfordernisse einer Aktiengesellschaft nicht erfüllen können oder wollen, unpraktikabel. Allein die Notariatskosten übersteigen heute die typische Summe einer Kleinstbeteiligung, wie sie bei Genossenschaft oder heutigem Crowdinvesting die Regel ist.

Das schafft eine Lücke, die potentiell durch Crowdinvesting geschlossen werden könnte. Genossenschaften könnten diese Lücke grundsätzlich auch schließen, doch sind die Mindestkosten durch die Revisionsverbandszugehörigkeit etwas hoch, und im Genossenschaftswesen haben sich heute weitgehend uninnovative Anstalten breit gemacht, die mit der Genossenschaftsidee praktisch nichts mehr zu tun haben. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. diese) findet das Crowdinvesting daher heute außerhalb der Rechtsform der Genossenschaft statt. In der praktischen Umsetzung haben sich in den letzten Jahren auch in Österreich bereits einige Unternehmen in diesem Bereich entwickelt, die die Finanzierungslücke der Banken zu schließen versuchen. Die Kreditvolumina, die in den einzelnen Projekten bewegt werden, sind durchaus beachtlich.

Wenn ein Unternehmer allerdings Geld von privaten Kreditgebern einsammelt und dafür eine Verzinsung gewährt, so gilt das heute als Bankgeschäft. Diese Art der Finanzierung bedarf also einer Banklizenz – was zum mittlerweile berühmten Konflikt eines Waldviertler Schuhproduzenten mit der österreichischen Finanzmarktaufsicht führte. Bei der Kreditgewährung einer Bank erhält diese die Sicherheit, im Konkursfall als erstrangiger Schuldner behandelt zu werden, also noch vor allen anderen Ansprüchen von Kunden oder Zulieferern ausgezahlt zu werden. Dieses Privileg nimmt das Bankenkartell exklusiv für sich in Anspruch.

Spätestens seit Herbst 2015 und dem Erlass des sogenannten Alternativ-Finanzierungsgesetzes wurde Crowdfunding daher auf Druck der Banken massiv reguliert und zum Nachteil der Investoren eingeschränkt. Konnte man aufgrund der Verzerrungen im Bank- und Kreditwesen bereits bisher kaum von einem Kreditmarkt in einem marktwirtschaftlichen Sinn sprechen – ökonomisch richtiger wäre es, die gegenwärtigen Bedingungen als ein Zuteilungssytem von Liquidität zu bezeichnen – so wurde durch das genannte Gesetz und die praktische Regulierung einer sinnvollen alternativen Finanzierung ein Riegel vorgeschoben. Diese gesetzliche Regulierung wird meist positiv hervorgehoben, da sie einen gesetzlich zulässigen Rahmen abgesteckt habe, der im Vergleich mit anderen bürokratischen Staaten sogar etwas Raum lässt. Doch der geschaffene Raum ist einer zu Ungunsten der Investoren, was kurzfristig zugunsten der Unternehmen zu sein scheint, langfristig aber wohl eine Gegenreaktion und ein Versiegen dieser Geldquellen nach sich ziehen wird.

Die Finanzmarktaufsicht als oberste Regulierungsbehörde Österreichs legte mit dem Alternativ-Finanzierungsgesetz fest, dass eine Crowd-Finanzierung nur als Substanzgenussrecht oder als partiarisches Darlehen (auch Nachrangdarlehen genannt) abgewickelt werden kann. Diese Regulierung erhöht natürlich das Risiko des einzelnen Kleininvestors deutlich, da er nun im Konkursfall de facto als Eigenkapitalgeber gesehen wird – im Falle einer Insolvenz ist das Geld also weg. Doch auch wenn es zu keiner Insolvenz kommt, können Zinsen im partiarischen Darlehen nur im Falle eines erwirtschafteten Gewinns bezahlt werden – die Zinszahlungen müssen also immer durch einen Gewinn im jeweiligen Jahr gedeckt sein. Bei typischen Start-Up-Projekten sind Gewinne jedoch eher die Ausnahme als die Regel, laufende Zinseinkommen also für die meisten Investoren eher unwahrscheinlich. Zusätzlich wurde mit dem Argument des Gläubigerschutzes auch die maximale Investitionshöhe je Projekt auf EUR 5.000 beschränkt. Die kommunizierten Renditen sind völlig unseriös, da sie auf einem Missverständnis beruhen. Entscheidend sind niemals maximal mögliche Renditen, sondern Renditeerwartungen. So ist, angesichts der bei Start-Up-Finanzierungen bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilungen das Totalausfallsrisiko höher als die Gewinnwahrscheinlichkeiten – die Renditen sind also korrekt berechnet allesamt stark negativ. Würde den Anlegern der reale ökonomische Hintergrund vermittelt, nicht bloß die Hochglanz-Broschüren-BWL mit ihren Anglizismen und ihrer Pseudopräzision, fände sich kaum jemand bereit für ein solches Engagement.

Der Erwartungswert des vermeintlichen „Zinses“ eines Crowdinvesting-Projektes muss nämlich nach folgender Rechnung grob ermittelt werden – nach vereinfachender Annahme endfälliger Verzinsung:

Reale Zinserwartung = (1 + Zinssatz) * (1 – jährliche Wahrscheinlichkeit des Kapitalverlusts) – 1

Das ergibt für die Beispielswerte von hohen sechs Prozent Verzinsung und sehr niedrig bemessener (optimistischer) Insolvenzerwartung von 25 Prozent eine reale Zinserwartung von minus (!) 20,5 (!) Prozent. Sofern es zur Insolvenz kommt, sind zudem die Zinserträge nicht sonderlich relevant, da unwahrscheinlich: ihre Voraussetzung ist Profitabilität. Gewiss ist es möglich, Unternehmen zu erwischen, die schnell Profitabilität erreichen oder von profitablen Unternehmen aufgekauft werden – der Exit begünstigt aber freilich nur Eigentümer, nicht Gläubiger. Diese Gabe der Unternehmensidentifikation ist allerdings Fokus des Angel Investing von Venture Capital-Fonds – ein Metier, das selbst für bestens vernetzte Profis hochriskant ist, und weit jenseits der Möglichkeiten, Fähigkeiten und Dimensionen des Crowdinvesting liegt.

Bei solchen „Renditen“, wie sie die obige Beispielrechnung nahelegt, würden sich nur wenige „Anleger” finden. Darum spricht man bei der Finanzierung von riskanten Unternehmensgründungen ja auch von der typischen 3-F-Trias: family, friends & fools – Familie, Freunde und Narren. Familie und Freunde aber zählen klarerweise nicht zur Crowd.

Es ist also zu erwarten, dass das Finanzierungsvolumen stagnieren wird, und in der Tat kann man beobachten, dass die größte österreichische Crowdinvesting-Plattform bereits mit ihrem Geschäftsmodell nach Osteuropa ausweicht, da großvolumige Finanzierungen in Österreich unwahrscheinlich werden.

Im Folgenden soll der ökonomische Hintergrund und die ethische Bewertung von Crowdinvesting an einem konkreten Beispiel verständlich gemacht werden – und zwar einer zunächst beeindruckenden Erfolgsgeschichte.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

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Dumping-Preise, Monopole und Konsumentenschutz

Rahim Taghizadegan am 15. Mai 2017

Gesetze zur Sicherung des Wettbewerbs sind Lehrbuchbeispiele für die politische Anwendung moderner Volkswirtschaftslehre. Sie gelten als Mindest- und Minimalintervention der Politik, auf die sich auch die marktwirtschaftlichsten Ökonomen einigen können. Beispiele für solche gesetzlichen Interventionen, die rein den Rahmen abstecken und sichern sollen, in dem der freie Wettbewerb dann Wohlstand schaffen könne, sind die Beschränkung und Zerschlagung von Monopolen und der Patentschutz.

Weder für Patente noch für Monopole sind diese Lehrbuchbeispiele aber korrekt. Interessanterweise zeigt insbesondere die US-amerikanische Wirtschaftsgeschichte, dass diese gesetzlichen Entwicklungen zunächst überhaupt nicht von Ökonomen angetrieben wurden. Vielmehr stand in beiden Fällen der Druck von organisierten Interessen dahinter.

Um 1900 hatten viele Ökonomen eine dynamische Marktperspektive, und selbst die schärfsten Kritiker des Wettbewerbs waren keine Befürworter der Antitrust-Gesetze. Vor allem Lobbyisten, etwa der Landwirte und andere Verlierer der Industrialisierung, und mit ihnen verbundene Politiker setzten sich für eine Zerschlagung der erfolgreichen Großunternehmen (trusts) ein. Erst im Nachhinein rationalisierten viele Ökonomen anhand der Theorie perfekten Wettbewerbs diese interventionistischen Gesetze und heimsten so mit politisch opportunen Gerichtsgutachten Prämien ein.

Freilich steht die US-Antitrust-Gesetzgebung mit ihrer offensiven Taktik der Bestrafung oder gar Zerschlagung allzu großer Unternehmen in gewissem Gegensatz zur ordoliberalen Wettbewerbgesetzgebung, die mehr auf den Rahmen und Prozess des Wettbewerbs abzielt als auf seine Ergebnisse. Doch damit ist die Antitrust-Gesetzgebung auch ein klareres Beispiel für den dahinter stehenden politischen Aktionismus. Nachdem in Europa die ordoliberale Tradition praktisch ausgestorben ist, versteht diesen Unterschied eigentlich kaum noch jemand und er ist gänzlich verschwunden. Daher ist die Antitrust-Gesetzgebung heute die Referenz für „Wettbewerbspolitik“, und entsprechend relevant sind ihre Ursprünge. Sie finden sich in der Agitation von Lobbygruppen wie etwa der Farmers‘ Alliance.

Was aber bewog Landwirte zu diesem politischen Druck? Die Hintergründe sind spannend und zeichnen beispielhaft die paradoxen Prozesse der Politik nach. Zuerst stehen Interessen und Gefühle, auf die dann erst später die Rationalisierung und Legitimierung durch „Experten“ folgt. Das lässt natürlich die Nachfrage nach diesen „Experten“ dramatisch in die Höhe gehen. Je mehr Politik, desto mehr sind davon nötig, was die treibenden Kräfte der Akademisierung deutlich macht. So gab es 1880, als die USA noch relativ minimalstaatlich waren, insgesamt nur zehn Vollzeit-Ökonomen in den USA. (A.W. Coats, „The American Political Economy Club,“ American Economic Review (Sept. 1961): 621-37). Der Unterschied zu heute ist beeindruckend und beängstigend.

Zum Verständnis der Motivation der Landwirte müssen wir die Geschichte einer außergewöhnlichen Unternehmerfigur betrachten – James J. Hill. Ihm gelang mit der Great Northern in den 1860ern, was vielen anderen Eisenbahnunternehmern vor ihm verwehrt geblieben war: eine transkontinentale Route durch die nördlichen USA, die den Nordwesten ins Schienennetz integrierte. Diesem Ausnahmeunternehmer gelang dies sogar ohne Subventionen und staatliche Landschenkungen, die viele andere Schienenprojekte erst ermöglichten.

Hill war dabei wie viele andere erfolgreiche Unternehmer seiner Zeit kosteneffizienter als seine Konkurrenten. Deren Subventionierung nach gelegter Schienenstrecke hatte zu erwartende negative Folgen: Die Schienen wurden möglichst schnell verlegt ohne Rücksicht auf langfristige Nutzung, um rasch an die Zuschüsse zu kommen. Darüber hinaus waren die Strecken oft unnötig lang und verschnörkselt, um möglichst viele Subventionen zu erhalten. Nicht so bei Hill; dieser war außerdem ziemlich gewieft darin, für langfristige Nachfrage und Auslastung seiner Bahnstrecken zu sorgen. Als sogenannter pump-primer, als Vorreiter, sorgte er nicht nur für die Erschließung des Nordwestens, sondern auch für die Besiedelung.

Der Nordwesten der USA mit seinem vergleichsweise harschen Klima und schwerer zugänglichen Ressourcen war damals das letzte noch nicht richtig erschlossene und integrierte Landstück und macht immerhin etwa ein Sechstel der Fläche der USA aus. Um seiner Bahnlinie laufende Einnahmen zu sichern, bot Hill die Fahrt in den Nordwesten für lediglich zehn Dollar an, wenn die Fahrgäste in der Nähe seiner Strecke als Landwirte tätig werden würden. Eine für beide Parteien vorteilhafte Strategie: die neuen Landwirte bekamen eine billige Anreise, billiges Land und eine gute Infrastruktur. Hill bekam dafür sichere und stetige Einnahmen.

Auf ähnliche Weise schob Hill später – um 1900 – den Export von Baumwoll- und anderen Textilprodukten nach Asien an. Mit „Dumpingpreisen“ erschloss er den chinesischen und japanischen Markt für amerikanische Textilproduzenten, um in der Folge mit seinen Eisenbahnen und Dampfschiffen von der regelmäßigen Auslastung zu profitieren. Der Asienhandel Hills kam allerdings zu einem jähen Ende, nachdem in den USA Gesetze zum Tragen kamen, die vorgeblich den Wettbewerb stärken sollten:

Was Hill letztlich mehr noch als Zölle und Subventionen bedauerte, waren die ICC [Interstate Commerce Commission] und der Sherman Antitrust Act. […] Der Hepburn Act, 1906 verabschiedet, stellte es Eisenbahngesellschaften unter Strafe, unterschiedliche Preise für unterschiedliche Kunden zu verlangen. […] Es schadete letztendlich Hill, der jetzt auf Exporte, die auf der Great Northern Richtung Osten transportiert wurden, keine Preisrabatte anbieten konnte. Hill hatte den Japanern und Chinesen Spezialtarife auf amerikanische Baumwolle, Weizen und Eisenbahnschienen gewährt, um sie an amerikanische Exporte zu gewöhnen. (Folsom 1991: S. 35)

Daraufhin sah Hill notgedrungen vom Asienhandel ab und verkaufte schließlich seine Schiffe. Laut Folsom brachen die amerikanischen Exporte nach China und Japan infolge der Gesetzesänderung zwischen 1905 und 1907 um 40 Prozent (41 Millionen USD) ein. Neben dieser Episode, die Burton Folsom in seinem Buch über den Mythos der „Robber Barons“ (Raubbarone, eine Schmähbezeichnung für erfolgreiche Unternehmer im 19. und 20. Jahrhundert in den USA) beschreibt, liefert Thomas DiLorenzo in seinem Artikel über die Hintergründe der Antitrust-Gesetzgebung zahlreiche weitere Beispiele für den Druck von Interessensgruppen.

Der Hintergrund des politischen Drucks auf Hill war die Verärgerung der Landwirte. Das ist überraschend, wo es doch ausgerechnet Landwirte waren, die in den Genuss der Rabatte kamen. Doch Lobbygruppen vertreten stets eher die alteingesessenen Branchenvertreter als neue Konkurrenten. Die selektiven Rabatte für Neubauern in einer Zeit, in der Transport und Verkehr noch ein bedeutender Kostenfaktor war, schürten den Neid und die Angst der Alteingesessenen. Sie mussten die vollen Preise bezahlen. Die Rabatte hingegen nahmen sie als „Dumpingpreise“ für Konkurrenten war und sahen sich „diskriminiert“. Das ist das Problem jeder Preisdifferenzierung: Sie trifft den Nerv von Fairnessvorstellungen.

Hill galt als Paradebeispiel des „predatory pricing“, einer „bösartigen Preispolitik”. Gemeint ist Preisdifferenzierung, die Rabatte bietet, die teilweise Preise unterhalb der Kosten gewähren. Mit „Politik“ im heutigen Sinne hat das freilich gar nichts zu tun. Will ein Unternehmen andere Unternehmen mittels Preissenkungen schwächen, kann eine solche Strategie für ersteres Unternehmen nur so lange gut gehen, wie dieses auch liquide bleibt, um die Verluste, welche über die Preissenkungen entstehen, ausgleichen zu können.

Liquidität beschafft sich dieses Unternehmen vorwiegend über den Kapitalmarkt bei Geschäftsbanken. Ob eine Geschäftsbank einem Unternehmen allerdings Liquidität zur Verfügung stellt, hängt von der Profitabilität des zu belehnenden Unternehmens ab. Eine Bank bemisst die Ertragskraft eines Unternehmens, um deren zukünftige Bonität als Kreditnehmer zu eruieren. Senkt ein Unternehmen nun also seine Preise und generiert damit vorübergehend Verlust, dann muss logischerweise auch dessen Ertragskraft sinken. Sinkt jedoch dessen Profitabilität, sind Banken weniger gewillt, Kredite an dieses Unternehmen zu vergeben. Das Unternehmen hat folglich größere Schwierigkeiten an Liquidität zu gelangen. Diese wäre jedoch eine Voraussetzung dafür, das Verhalten des „predatory pricing“ aufrechtzuerhalten.

Im konkreten Fall liegt das doppelte Phänomen des „Dumping“ zur Anwerbung von Neukunden vor. Dieses ist Grundlage heute vor allem im Internet bewährter „freemium“-Modelle. Solche Modelle haben überhaupt nichts mit „Marktmacht” oder Wettbewerbsbeschränkung zu tun und werden auch von winzig kleinen Unternehmen eingesetzt. Hill wollte Transportkunden gewinnen durch Förderung von Landwirtschaft und Export. Diese Förderung hat, obwohl sie Hill nutzen sollte, nichts Bösartiges, ganz im Gegenteil ist sie gerade aus US-nationaler Perspektive, die gegen den „bösen“ Unternehmer angeführt wurde, günstig.

Ähnlich, aber mit gewichtigem Unterschied, operiert heute der chinesische Staat als Universalunternehmer bei seinem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ (siehe Scholien 02/16). Durch künstlich niedrige Wechselkurse wird die Exportindustrie bezuschusst, während die Eisenbahninfraktruktur massiv gefördert wird. Der gewichtige Unterschied liegt darin, dass diese Förderung einerseits zulasten chinesischer Sparer, andererseits zulasten chinesischer Steuerzahler erfolgt. Unternehmer wie Hill müssen ihr „predatory pricing“ aus der eigenen Tasche bezahlen – als wirklicher „predator“, als Raubtier, kann also nur derjenige operieren, der sich der Gewalt bedient. Denn unternehmerische Angebote kann man immer ablehnen; auch wenn uns nicht immer behagt, welche Angebote angenommen werden. Aus der Sicht des Konkurrenten sind solche Preismodelle natürlich sehr unangenehm, aus der Sicht des Kunden aber oft ein Segen.

Daran zeigt sich, dass die Wettbewerbspolitik zwar stets mit den Kundeninteressen legitimiert wird, aber selten dem Kundeninteresse folgt. Die immensen Strafzahlungen, welche die EU Microsoft aufgebrummt hat, haben keinem Kunden einen positiven Nutzen beschert – allein den Interessen, die sie durchgesetzt haben. Die Zahlungen gingen direkt an die Obrigkeiten, die sie verordnet haben.

Filed Under: Scholien, Unternehmertum

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