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Worldcoin – eine Kugel, sie alle zu finden, ein Token, sie alle zu binden?

Rahim Taghizadegan am 19. August 2023

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Um OpenAI ist ein wahrer Hype entbrannt. Kein digitales Werkzeug zeigte bisher rasanter wachsende Nutzerzahlen. Das hat die Aufmerksamkeit für andere Projekte von OpenAI-Gründer Sam Altmann erhöht. Zuletzt sorgte Worldcoin für besonderes Stirnrunzeln. Es kombiniert digitale Identität mit einem digitalen Grundeinkommen. Menschen weltweit werden durch ein Geschenk verleitet, ihre Iris digital erfassen zu lassen. Das dafür entwickelte kugelförmige Gerät sollte futuristisch wirken, wird jedoch von vielen als dystopisch empfunden. Das mag vor allem kulturelle Gründe haben, immerhin ist auch die meiste westliche Science Fiction der letzten Jahrzehnte dystopisch.

Dystopischer als die Iriserfassung ist das dahinterstehende Danaergeschenk. Dass eine Subvention gefährlicher sein kann als eine Technologie, geht leider völlig gegen die vorherrschenden Intuitionen im heutigen Europa. Dies deutet darauf hin, wie sehr diese schon durch solche Gaben vergiftet sind. Technologie erscheint in der europäischen Praxis oft nur noch als Existenzgrundlage für Subventions- und Bedenkenexperten. Erstere helfen dabei, durch korrekte Formulierungen in korrekten Formularen etwas mehr an Subventionen einzubehalten, als an Aufwänden abfliessen. Letztere dienen sich an, Menschen vor realen und eingebildeten Gefahren zu schützen, indem sie jene durch Kommissionen und Papiere bannen. Obwohl es empirisch viel mehr Hinweise darauf gibt, dass sich Ethikexperten unmoralisch verhalten, als dass von der vermeintlichen künstlichen «Intelligenz» eine grössere Gefahr ausgeht als von ihren Zensoren im «AI alignment».

Worldcoin tritt mit besonders hehrem Anspruch auf, und genau das sollte zur Skepsis anregen. Die Erzählung des Projekts ist wie folgt: Getrieben von einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein möchte ein führender AI-Unternehmer denjenigen, die durch künstliche Intelligenz überflüssig werden könnten, in einem freiwilligen Experiment eine Perspektive bieten. Die gesteigerte Produktivität soll durch ein Grundeinkommen demokratisch verteilt werden, welches wiederum die klare Unterscheidung von Menschen erfordert, damit niemand mehr Apanagen empfängt, als ihm in gleichen Teilen zugemessen werden.

Biometrische Verfahren bieten einen technisch überzeugenden Ansatz, um Menschen digital voneinander zu unterscheiden. Obwohl die Iriserkennung bereits präzise ist, wäre eine Genprobe noch genauer, und diese Option wurde vom Projekt tatsächlich in Betracht gezogen. Es ist wichtig zu betonen, dass weder Irisbilder noch genetische Baupläne gespeichert werden sollen, sondern lediglich für kryptografische Vergleiche verwendet werden. Hierbei wird aus Dateninhalten eine eindeutige Zeichenkette, ein sogenannter Hash, erstellt. In diesem Bereich hat Worldcoin definitiv einen technologischen Fortschritt erreicht, indem eine innovative Äquivalenzmethode zwischen Irisbild und Signatur entwickelt wurde.

Doch das Vertrauensproblem ist offensichtlich. Je mehr Aspekte unseres Lebens an ein einziges biologisches Merkmal gebunden sind, desto gravierender werden die Konsequenzen bei Identitätsdiebstahl, Datenmissbrauch und Verletzungen der Privatsphäre. Eine zentralisierte Verwaltung von Identitäten birgt immense Risiken, und dies gilt besonders im staatlichen Kontext. Aber bereits die Erfassung durch einen einzigen Gerätetypen für ein einzelnes Unternehmen mit Monopol für die Ausgabe von Projekt-«Guthaben» zeigt eine bedenkliche Zentralisierung angesichts der weitreichenden und potenziell verheerenden Implikationen digitaler Identifikation.

Gratis – das ist die verführerische Losung der übelsten Geschäftsmodelle im Digitalen. Worldcoin nutzt die Bereicherungserwartung von «Krypto» aus, jenem Kurzbegriff, der für Experimente im Windschatten von Bitcoin steht, die sich bislang fast ausnahmslos als fahrlässiger Unfug, Betrug oder zumindest sinnlose Verschwendung erwiesen haben. Worldcoin folgt dem längst diskreditierten Modell, das 2017 den grössten Krypto-Hype und die grösste Enttäuschung verursacht hat. Dabei versuchen sich Unternehmen in der Geldschöpfung. Dies war vorübergehend erfolgreich, hauptsächlich durch Regulierungsarbitrage (unregulierte Pseudoaktien, welche den Anlegern praktisch keine Ansprüche gewähren) und der historisch einmaligen und wahrscheinlich nicht wiederholbaren Monetisierung von Bitcoin. Monetisierung bedeutet hier die steigende Absatzfähigkeit von Bitcoin mit langfristiger Aufwertung als liquider Vermögenswert trotz kurzfristig hoher Volatilität.

Die bisherige Entwicklung der Worldcoins folgt dem bekannten Muster: Ein zentralistisches Projekt schafft beliebige Gutscheine ohne Gegenwert, die allein von einer Pyramidenstruktur neuer Nachfrager abhängen. Ein kurzfristiger medialer Hype kann zu Preissprüngen führen, vor allem in Märkten, die durch ihre Illiquidität gekennzeichnet sind. Doch langfristig tendieren sowohl Relevanz als auch Preis gegen null.

Jede andere Facette dieses Projekts könnte als lobenswertes unternehmerisches Experiment betrachtet werden: zunächst die digitale Signatur durch neue biometrische Verfahren unter Schutz der Privatsphäre. Auch in diesem Fall wäre eine Protokollinnovation im Stil von Bitcoin eher angebracht als ein Einzelprojekt mit ungewisser Zukunft hinsichtlich seiner Besitzverhältnisse und Kundschaft. Nicht zu vergessen: OpenAI startete ursprünglich als scheinbar gemeinnütziges «Open Source»-Projekt, nur um sich schliesslich in ein privates «Unicorn» zu verwandeln.

Zweitens ist die Verbindung von LLM – die Sprachmodelle, die unter dem irreführenden Begriff «künstlicher Intelligenz» aktuell so einen Hype durchlaufen – und digitalen Zahlungsmitteln interessant. Es ist nicht sonderlich plausibel, aber zumindest ein relevantes Experiment, durch LLM erzielte Wertschöpfung digital zu sammeln, weiterzugeben und auszuschütten. Dieser Ansatz wird aber gerade dadurch zunichtegemacht, nicht auf reale, sondern virtuelle Werte zu setzen. Damit droht das Schicksal von geschlossenen virtuellen Welten, die eben nichts Universelles haben, sondern nur für kleine Gruppen auf Dauer interessant und wertvoll bleiben. Die meisten ziehen entweder zur nächsten virtuellen Welt weiter oder die reale Welt immer noch vor.

Leider steht trotz des gemeinsamen Gründers die Verbindung zwischen LLM und Worldcoin nicht im Mittelpunkt des Projekts. Allein die fragwürdige Prämisse stellt die Verbindung her: dass im Zuge der LLM Arbeitsplätze durch Grundeinkommen ersetzt werden müssten. Diese Prämisse widerspricht den historischen Erfahrungen mit technologischem und wirtschaftlichem Fortschritt. Produktivitätsgewinne werden durch Vergünstigung von Produkten und Dienstleistungen weit verteilt – eine Entwicklung, die moderne Ökonomen in irreführender Weise gleich bezeichnen wie den Kollaps einer fragilen Kreditpyramide: Deflation. Jeder Versuch, Produktivitätsgewinne zentral vorherzusehen, zu planen, abzuschöpfen oder zu verteilen, geht schief und droht, die eigene Grundlage abzuwürgen – eben die neue Produktivität.

Statt den Armen der Welt die neue Technologie als Werkzeug in ihrem realen Lebenskontext nahezubringen, werden sie in entwürdigender Weise zum bezahlten Schlangestehen gebracht – der wertlosesten Verwendung ihrer knappen Lebenszeit. Das versprochene Geschenk unbekannter, illiquider und nutzloser Worldcoins wird ihnen oft schon vorab durch ein paar Dollar abgekauft. Zu Beginn konnten an Kryptobörsen noch 25 Dollar pro vermittelter Iris für die mit diesen Identitäten erhaltenen Worldcoins erzielt werden, doch die Margen schwinden mit den einbrechenden Kursen.

Zuerst erschienen in Finanz und Wirtschaft.

Filed Under: Bitcoin, Scholien

Digitale Zentralbankwährungen?

Rahim Taghizadegan am 19. August 2023

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In den letzten Monaten lief eine Propagandakampagne der Europäischen Zentralbank, die das Thema der digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs) stärker in die Öffentlichkeit brachte. Die Hintergründe sind zwar nicht so beängstigend, wie sie scheinen mögen, dennoch sind Sorgen berechtigt.

Ebendiese Sorgen bis hin zu offener Ablehnung auf Seiten der Bevölkerung sind der Auslöser der Kampagne: Die durchgeführten Umfragen über die mögliche Akzeptanz von CBDCs waren erschreckend negativ für die Zentralbanken ausgefallen. Auch die aktuelle Kampagne stößt nur auf das Wohlwollen ihrer Günstlinge in den Hauptstrommedien, während die öffentlichen Kommentare überwiegend ablehnend reagieren. Die Kampagne hat also eher defensiven Charakter. Dahinter steht weniger ein klares Ziel der Zentralbanken, sondern vielmehr eine Reaktion auf die starke Nutzung digitaler Zahlungen mittels Fintech-Unternehmen und die starke Sympathie für digitale Zahlungen mittels Digitalwährungen, insbesondere Bitcoin im Lightning-Netzwerk.

Bei digitalen Zahlungen haben europäische Regulatoren und Banken in ihrer Fortschrittsfeindlichkeit amerikanischen Anbietern immer mehr Boden abgegeben, zuletzt sogar dem Apple-Konzern. Dennoch bezieht sich Madame Lagarde vorwiegend auf die andere Konkurrenz: Bitcoin. Das erscheint absurd, denn im Gegensatz zu Bargeld haben digitale Zentralbankwährungen mit Bitcoin nicht das Geringste zu tun.

Bitcoin ist nämliche keine CBDC-Alternative, sondern eine Zentralbankalternative. Das erklärt auch den Sympathiewettbewerb. Dass eine so zentrale Institution um das Vertrauen einer dank ihres Wirkens so massiv beschulten, informierten und subventionierten Bevölkerung ringen muss, und zwar gegenüber einer nur schwer begreiflichen und angreifbaren, relativ jungen Technologie – das wäre Zeichen eines massiven Institutionenversagens. In diesem Fall ist es eher Täuschung, denn die ungerechte Bereicherung bestimmter Gruppen, Branchen und vor allem der Politik zulasten der spekulativ weniger erfolgreichen Kleinsparer kann schwerlich als bloßes Versagen entschuldigt werden.

Bargeld ist natürlich Zentralbankgeld und damit Teil dieser Schieflagen. Doch neben seiner insgesamt winzigen Dimension im Vergleich zu den Blähwerten des Finanzsystems hat es vor allem eine vorteilhafte Besonderheit: Es ist ein Anachronismus, ein Relikt aus einer früheren Zeit, in der Kontrollwahn und -möglichkeiten noch stärker eingeschränkt waren. Heute würde so etwas wie Bargeld niemals politisch zugelassen werden — ein anonymes Inhaberpapier, das erlaubnislose Zahlungen und Horte erlaubt.

Daher kommt auch die berechtigte Skepsis gegenüber dem Versprechen der Zentralbank, die Privatsphäre besser zu schützen als Großkonzerne. Letztere sind gewiss heute Datenkraken, doch geht es ihnen vorwiegend darum, Güter und Aufmerksamkeit zu verkaufen. Der vermeintliche Datenschutz, wie ihn vor allem die EU betreibt, ist Ablenkung. Die legale Verkaufsanbahnung wird erschwert zum Preis staatlicher Übergriffigkeit, gegenüber der die Privatsphäre erst ihre eigentliche Bedeutung gewinnt. Die Zentralbanken mögen sich noch als neutrale Institution inszenieren, ihre zunehmende Politisierung – das heißt Unterordnung unter die Ziele politischer Interessengruppen – ist offensichtlich. Dies erklärt auch das sinkende Vertrauen. Lagarde selbst ist als ehemalige französische Spitzenpolitikerin Inbegriff dieser Politisierung.

Daher ist die Einschätzung von Agustín Carstens näher an der Wahrheit als die Versprechungen der EZB-Kampagne. Carstens konkurrierte einst gegen Lagarde um die IMF-Spitze, die Qualifikation „Frau“ wog aber schwerer als die Qualifikation „Mexikaner“. Dafür bekam er den Posten an der Spitze der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Carstens erklärt den Vorzug einer CBDC in eben deren erweiterten Kontrollmöglichkeiten: „Wir wissen nicht, wer heute einen 100-Dollar-Schein benutzt. Der entscheidende Unterschied mit einer CBDC besteht darin, dass die Zentralbank absolute Kontrolle über die Regeln und Vorschriften haben wird, und zudem werden wir die Technologie haben, um dies durchzusetzen.“

Dieser technokratischen Perspektive gilt China als Vorbild. Doch entgegen landläufiger Annahme gibt es in China noch kein zentralisiertes „Social Credit“-System, nur lokale Experimente der Integration des WeChat-Zahlungssystems mit unterschiedlichen behördlichen Datenabgleichen. Diese Experimente erfahren bislang den Zuspruch einer überwältigenden Mehrheit.

Die westlichen Technokraten gehen den genau gegenteiligen Weg: Anstelle dezentraler Experimente steht gleich der große paneuropäische Wurf, während der Zuspruch der Bevölkerung in diesen Pseudodemokratien weitgehend fehlt. Der Grund für die fehlende Legitimität ist aber ein positiver: In China besteht weniger Vertrauen zwischen den Menschen als zur Regierung, in Europa ist es zum Glück eher noch umgekehrt. Kreditwürdigkeit wird in der EU schon längst institutionell erfasst, Mangel an sinnvollen Daten besteht keiner.

Dennoch ist die Einführung digitaler Zentralbankwährung „alternativlos“, da sonst Gesichts- und damit Legitimitätsverlust droht. Dieser Schritt ist aber nicht so groß, wie die Zentralbanken, aber auch ihre Kritiker einem glauben machen. Digitale Bankwährung für alle und digitale Zentralbankwährung für Banken und Regierungen sind der Status quo. Die Ausweitung von Zentralbankkonten geht gegen Bankeninteressen und setzt deren Schwächung voraus, die im Zuge der Konzentration und Kollusion zwischen wenigen verbliebenen Großbanken und der sie stützenden und durch sie gestützten Staaten voranschreitet.

Ein kontenunabhängiges Zentralbankgeld wäre ein interessantes Experiment, das die Schwelle für die Nutzung besserer Digitalwährungen wie Bitcoin senken könnte. Am wahrscheinlichsten ist die Einführung im Zuge von staatlichen Zuteilungen. Vielleicht wird ein kommender „Klimabonus“ ausschließlich in CBDC ausgezahlt. Schlimmer ist dabei wohl die Zuteilung an sich, ihre Form ist weit weniger relevant.

Zuerst erschienen in eigentümlich frei.

Filed Under: Bitcoin, Scholien

Geld & Kunst

Rahim Taghizadegan am 8. August 2023

Im Rahmen des Studium generale sprach Rahim Taghizadegan über das Thema: Geld & Kunst

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Filed Under: Studium Generale, Vortrag

Armut und Klimaschutz – Interview

Rahim Taghizadegan am 31. Juli 2023

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1. Hallo Rahim, deine Heimatstadt Wien wurde vom britischen Economist gerade wieder zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ gekürt. Was machen die Österreicher besser, und was können wir Deutschen von euch lernen?
Es gibt nicht viel, was man von der Stadt Wien lernen könnte, außer der Erkenntnis, dass in der Politik Lob und Tadel oft fehlgeleitet und ungerecht zugeteilt werden, da Ursache und Wirkung meist zeitlich weit voneinander getrennt und auf paradoxe Weise miteinander verflochten sind.
Österreich ist besser als Deutschland, weil es heute kleiner und ländlicher ist, damals weniger fortschrittlich war und sich einst das Bürgertum weniger der Politik widmen konnte, daher mit Kultur, Wissenschaft und Unternehmertum Vorlieb nehmen musste.

2. Du hast Physik und Wirtschaft studiert. Gibt es gewisse Gemeinsamkeiten bei diesen auf den ersten Blick doch sehr unterschiedlichen Studienfächern?
Meine Faszination für komplexe Phänomene hat mich sowohl zur Physik als auch zur Wirtschaft geführt. Die Physik schützte mich vor dem Physikneid der Ökonomen, die Wirtschaft schützte mich vor dem Weißkittelphänomen überzogenen Wissenschaftlerstolzes und der Ungeduld mit realen Menschen.

3. Du bist Leiter der vor über 15 Jahren gegründeten, privaten Bildungseinrichtung scholarium. Was ist das Ziel eurer Arbeit, und hat sich der Schwerpunkt seit dem Bestehen verschoben? Wie läuft so ein Seminar im scholarium praktisch ab?
Das Hauptziel besteht darin, die Wiener Schule in ihrer ursprünglichen Form – interdisziplinär, praxisorientiert und unideologisch – weiterzuführen. Dieser Fokus hat sich nicht verlagert, er hat sich aber stetig erweitert und wurde auf einer immer solideren Basis verankert. Neben dem ursprünglichen Hauptthema Vermögensanlage, das insbesondere nach der großen Finanzkrise eine verstärkte Aufmerksamkeit auf die Wiener Schule lenkte, wurden eine Vielzahl von Themen, Expertisen und Erfahrungen hinzugefügt: Unternehmertum, Geopolitik, Erkenntnistheorie, Bitcoin, Wirtschaftsgeschichte, Thymologie, politische Theologie, Bildung, Technologie und vieles mehr.
Die Seminare im scholarium zeichnen sich durch kritische Auseinandersetzungen aus, die auf dichter Lektüre oder realen Erfahrungen basieren, und unterscheiden sich fundamental vom universitären Betrieb, von politisch-ideologischen Echokammern oder oberflächlichen Online-Kursen. Wir stützen unsere Arbeit auf extrem konzentrierte Exzerpte aus der weltweit umfangreichsten Bibliothek zu den zahlreichen Wiener Schulen, wobei stets alles interdisziplinär hinterfragt und mit der Realität sowie der Praxis abgeglichen wird.

4. Du wirst als „der letzte Wiener Vertreter der Wiener Schule der Ökonomik in direkter Tradition“ beschrieben. Hendrik Hagedorn hat vor einigen Jahren den ersten Studiengang der Österreichischen Schule in Deutschland aufgebaut, der unter anderem aufgrund der mäßigen Resonanz und mangelnder Unterstützung wieder eingestellt wurde. Warum hat es die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“ gerade im deutschsprachigen Raum so schwer?
Hat sie gar nicht. Sie musste wie viele Wissenschaftstraditionen durch die Brüche des irrsinnigen 20. Jahrhunderts ins Amerikanische auswandern – sprachlich und geographisch. Über meine Lehrer Roland Baader und Hans H. Hoppe blieb aber ein deutscher Faden bestehen, an dem sich anknüpfen ließ. Das wutbürgerliche Interesse an der Wiener Schule ist im deutschsprachigen Raum überdurchschnittlich groß, und ein Erkenntnisinteresse ist immer und überall ohnedies nur einer winzigen Minderheit vorbehalten.

Die Wiener Schule im eigentlichen Sinn ist allerdings keine Tradition, die zur Berufsausbildung akademischer Wirtschaftswissenschafter befähigt, denn diese werden in der Regel für die Produktion pseudowissenschaftlicher Alibis für Interessengruppen bezahlt. Ein Zertifikat „Österreichische Schule“ ist weitgehend nutzlos. Ich unterrichte seit gut 15 Jahren an Universitäten im gesamten deutschsprachigen Raum; der Fokus auf akademische Würden ist aber eine ungute Verbindung von Staatsprestige und bürgerlichen Minderwertigkeitskomplexen. Der wirklich relevante Teil der ursprünglichen Wiener Schule fand schon damals im Salon, Kaffeehaus und der unternehmerischen, finanziellen und diplomatischen Praxis der Zeit statt.

5. Das Thema unserer aktuellen Ausgabe lautet „Wohlstand für Keinen“. Das klassische Wohlstandsversprechen des Westens, „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, scheint die letzten Jahre immer größere Risse bekommen zu haben, gleichzeitig ist es dank des Internets heute so einfach wie nie zuvor, ein Unternehmen zu gründen und selbstständig Geld zu verdienen. Ist der wachsende Unmut der Menschen also berechtigt?
Möglichkeiten gibt es in der Tat viele, aber das führt auch zu einer gewissen Überforderung. Der Unmut kommt daher, dass Möglichkeiten, Gesellschaftsstrukturen, Traditionen und Sinnzuschreibung auseinanderklaffen, und ist daher berechtigt – wenngleich letztlich sinnlos.

6. Umfragen zufolge legen junge Menschen im Westen heute immer weniger Wert auf hohe Gehälter und Karriere, dafür werden „Work-Life-Balance“ und Freizeit höher gewichtet. Auf der anderen Seite stehen hungrige Asiaten und Afrikaner in den Startlöchern, die das materielle Niveau der westlichen Länder erst noch erreichen wollen. Befinden wir uns in Europa auf einem absteigenden Ast?
Ja, der Höhepunkt des Wohlstands in Westeuropa scheint vorerst überschritten zu sein, und es liegt eine gewisse Wohlstandsverwahrlosung vor. Für junge Menschen vorrangig ist aber die Sinnkrise – der Mangel, in ihrem Beitrag zu gesellschaftlicher Kooperation Sinn zu sehen, während sie ihr ganzes Leben bislang nur von Krisen gehört haben.

7. Der Titel eines der erfolgreichsten Sachbücher in Deutschland lautet „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden“. In der 8.(!) Woche nach dem Erscheinen befindet sich das Buch noch immer in den Top 20 der SPIEGEL-Bestseller-Liste. Die Bankkauffrau und Journalistin Ulrike Herrmann plädiert darin für eine an die britische Kriegswirtschaft angelehnte Kreislaufwirtschaft, in der der Staat festlegt, welche Güter produziert und wie sie verteilt werden. Es soll nur noch verbraucht werden, was auch recycelt werden kann. Mit dem Argument des „Klimaschutzes“ lässt sich praktisch jede ökonomisch rationale Maßnahme ablehnen und jeder Eingriff in den Markt rechtfertigen. Steht der freie Markt, bzw. das, was von ihm noch übrig ist, im Westen vor dem Aus?
Der Ansatz des „Degrowth“, der über beschränkte Ressourcen argumentiert, ist spätestens seit dem menschenfeindlichen Neomalthusianismus von Paul Ehrlich und dessen Wette gegen Julian Simon als weltfremder, ideologischer Unsinn entblößt. Der Interventionismus der Geldpolitik und ein kulturelles Vakuum begünstigen zwar in der Tat Kurzfristigkeit, rein quantitatives Wachstum und Konsumorientierung. Doch planwirtschaftliches Abwürgen würde durch Abnahme von Innovationskraft und Verstärkung von Ressourcenmangel die Situation noch verschlimmern. Eine ärmere Gesellschaft hat auch keine Ressourcen mehr für Umweltschutz, schon gar nicht „Klimaschutz“.
Es stimmt, dass der ideologische Drang zum Interventionismus zunimmt, aber das Polster an Wohlstand, das scheinbar folgenlosen Interventionismus ermöglicht, schwindet. Daher werden sich in Europa und den USA marktwirtschaftlich orientierte Regionen gewiss behaupten und wahrscheinlich relativ stärker dastehen.

8. Wie sollte man als Marktwirtschaftler mit radikalen Klimaschützern argumentieren? Aus deren Sicht bedingen die Endlichkeit der Ressourcen und der angerichtete Schaden durch fossilen Rohstoffverbrauch ein anderes Wirtschaftssystem, das den „Raubbau am Planeten“ und die Erderwärmung beendet. Wie sollte ein Libertärer dem argumentativ begegnen?
Ein Libertärer kann sich das Argumentieren sparen, denn wer schon das ideologische Etikett einer winzigen Splittergruppe auf der Stirn trägt, wird nicht mehr aus der Schublade kommen. Argumente setzen ein gewisses Grundvertrauen und Erkenntnisinteresse voraus. Bei den meisten „Argumenten“ geht es um die Rationalisierung von Interessen.
Klimaschutz ist zum einen Teil das aktuelle Geschütz, das gegen eine vermeintliche Ordnung aufgefahren wird, in der man sich selbst als Verlierer sieht. Zum anderen Teil ist es Ausdruck der Statusgier Privilegierter. Und zum geringsten Teil handelt es sich um die Sorge um langfristige Folgen kurzfristiger Handlungen. Diese Motivationen sind zu unterscheiden, und der größte Motivationsteil ist eher theologisch als ökonomisch oder klimatologisch zu diskutieren. Der kleinste Motivationsanteil reflektiert eher positive kulturelle Werte: geringere Zeitpräferenz, stärkeres Gewissen mit Schuldgefühlen und Universalismus statt Clangebundenheit.

9. Deutschland und die Europäische Union befinden sich momentan offiziell in einer Rezession und auch die Zukunftsaussichten sind eher verhalten. Was wären die entscheidenden Reformen, die Wirtschaftsminister Taghizadegan einleiten würde, um die BRD wieder konkurrenzfähiger zu machen und den Wohlstand nachhaltig zu steigern?
Alles tun, was diejenigen Deutschen, die noch Wohlstand schaffen, vor künftigen Wirtschaftsministern zu schützen vermag – Hindernisse aus dem Weg räumen, Insiderinformationen bereitstellen, Desavouieren des Amts. Ergo reine Fiktion. Reformen kommen aus Leidensdruck, nicht aus vorausschauender Genialität derjenigen, die solche Ämter anstreben.

10. Die Inflation grassiert in den westlichen Ländern seit Ende 2021. Die Zentralbanken erhöhen die Leitzinsen so schnell, wie noch nie zuvor – trotzdem scheint man den Deckel nicht mehr auf den Topf zu bekommen. Dennoch: Die Geldmenge M3 stagniert erstmals seit Jahren wieder. Wird die EZB die Inflation weitestgehend in den Griff bekommen? Welche Auswirkung hat diese neue, eher restriktive Geldmengenpolitik auf Wirtschaft und Bürger?
Die Rolle der Zentralbank wird oft überbewertet. Eine stagnierende Geldmenge bedeutet eine stagnierende Verschuldung. Das ist unangenehm für Schuldner mit variablen Zinsen, für Gläubiger schlechter Schuldner und für Neuschuldner – und somit auch für alle Begünstigten staatlicher Neuverschuldung. Die Mehrheit der Deutschen als Nettoempfänger von Transferleistungen fühlt sich zu Recht in ihren Interessen bedroht. Eine Schuldenreduktion würde jedoch in Richtung stabilerer und gerechterer Verhältnisse weisen.

11. Die „soziale Marktwirtschaft“ steht noch immer hoch im Kurs, und Politiker beziehen sich gerne auf das Konzept, wobei vermutlich jeder etwas anderes darunter versteht. Wie stehst du zur „Sozialen Marktwirtschaft“ und wie würdest sie definieren?
Ein politische Begriffsschöpfung, die ihr Ziel verfehlte: Erhard wollte die „soziale“ Funktion der Marktwirtschaft als Motor eines Wohlstands für alle betonen, doch letztlich führte das Wieselwort in die Interventionsspirale.

12. In Deutschland lautet die politische Antwort auf die meisten Probleme „mehr Staat“. Durch die Politik werden Probleme geschaffen, die anschließend angeblich auch nur durch politische Maßnahmen wieder behoben werden können. Aus diesem Grund dehnen sich die meisten politischen Systeme immer weiter aus (in Deutschland zumeist unterstützt von der Mehrheit der Bürger), und der Repressionsgrad steigt. Wie kann diese politische Interventionsspirale durchbrochen werden, bzw. ist das überhaupt möglich?
Langfristig kann auch die größte Macht nichts gegen ökonomisches Gesetz ausrichten – so die etwas missverständliche Devise von Böhm-Bawerk. Obwohl die Folgen von Interventionen selten korrekt erkannt und meist falsch zugeschrieben werden, haben positive Beispiele am Ende eine starke Wirkung. Die maoistische Interventionsspirale kam zu ihrem Ende, als der „Große Sprung nach vorn“ im Vergleich zu Hongkong und Singapur als dramatischer und tödlicher Rückschritt entlarvt wurde.

13. Zum Schluss eine kurze Prognose. Wo siehst du Deutschland und Europa in 10 Jahren? Kontinuierlicher wirtschaftlicher Niedergang oder hast du noch die Hoffnung auf eine marktwirtschaftliche, ökonomische Wende?
Für Deutschland besteht in zehn Jahren wenig Hoffnung, da das kulturelle Kapital noch ausreichend ist, um es vermutlich deutlich länger als ein Jahrzehnt weiter zu verbrauchen. In Europa könnte es allerdings, insbesondere an der Peripherie, in zehn Jahren schon klarere Hoffnungsschimmer geben – möglicherweise in Form von Freihäfen, Inseln als Sonderwirtschaftszonen oder anderen Experimenten. Europäer, einschließlich Deutschen und Österreichern, könnten vielleicht global wieder einen überdurchschnittlichen Beitrag zu einer positiven Wende leisten – auch wenn dies vorerst wahrscheinlich nicht in ihrer Heimat geschehen wird.


Zuerst veröffentlicht in Krautzone 34, August 2023

Filed Under: Austrian School, Scholien

S3-E36-3: Neoliberal Order (Gerstle)

Rahim Taghizadegan am 26. Juli 2023

Folgendes Exzerpt wurde besprochen:

  • Gerstle – The Rise and Fall of the Neoliberal Order: America and the World in the Free Market Era

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Filed Under: Seminar, Studium Generale

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