Um OpenAI ist ein wahrer Hype entbrannt. Kein digitales Werkzeug zeigte bisher rasanter wachsende Nutzerzahlen. Das hat die Aufmerksamkeit für andere Projekte von OpenAI-Gründer Sam Altmann erhöht. Zuletzt sorgte Worldcoin für besonderes Stirnrunzeln. Es kombiniert digitale Identität mit einem digitalen Grundeinkommen. Menschen weltweit werden durch ein Geschenk verleitet, ihre Iris digital erfassen zu lassen. Das dafür entwickelte kugelförmige Gerät sollte futuristisch wirken, wird jedoch von vielen als dystopisch empfunden. Das mag vor allem kulturelle Gründe haben, immerhin ist auch die meiste westliche Science Fiction der letzten Jahrzehnte dystopisch.
Dystopischer als die Iriserfassung ist das dahinterstehende Danaergeschenk. Dass eine Subvention gefährlicher sein kann als eine Technologie, geht leider völlig gegen die vorherrschenden Intuitionen im heutigen Europa. Dies deutet darauf hin, wie sehr diese schon durch solche Gaben vergiftet sind. Technologie erscheint in der europäischen Praxis oft nur noch als Existenzgrundlage für Subventions- und Bedenkenexperten. Erstere helfen dabei, durch korrekte Formulierungen in korrekten Formularen etwas mehr an Subventionen einzubehalten, als an Aufwänden abfliessen. Letztere dienen sich an, Menschen vor realen und eingebildeten Gefahren zu schützen, indem sie jene durch Kommissionen und Papiere bannen. Obwohl es empirisch viel mehr Hinweise darauf gibt, dass sich Ethikexperten unmoralisch verhalten, als dass von der vermeintlichen künstlichen «Intelligenz» eine grössere Gefahr ausgeht als von ihren Zensoren im «AI alignment».
Worldcoin tritt mit besonders hehrem Anspruch auf, und genau das sollte zur Skepsis anregen. Die Erzählung des Projekts ist wie folgt: Getrieben von einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein möchte ein führender AI-Unternehmer denjenigen, die durch künstliche Intelligenz überflüssig werden könnten, in einem freiwilligen Experiment eine Perspektive bieten. Die gesteigerte Produktivität soll durch ein Grundeinkommen demokratisch verteilt werden, welches wiederum die klare Unterscheidung von Menschen erfordert, damit niemand mehr Apanagen empfängt, als ihm in gleichen Teilen zugemessen werden.
Biometrische Verfahren bieten einen technisch überzeugenden Ansatz, um Menschen digital voneinander zu unterscheiden. Obwohl die Iriserkennung bereits präzise ist, wäre eine Genprobe noch genauer, und diese Option wurde vom Projekt tatsächlich in Betracht gezogen. Es ist wichtig zu betonen, dass weder Irisbilder noch genetische Baupläne gespeichert werden sollen, sondern lediglich für kryptografische Vergleiche verwendet werden. Hierbei wird aus Dateninhalten eine eindeutige Zeichenkette, ein sogenannter Hash, erstellt. In diesem Bereich hat Worldcoin definitiv einen technologischen Fortschritt erreicht, indem eine innovative Äquivalenzmethode zwischen Irisbild und Signatur entwickelt wurde.
Doch das Vertrauensproblem ist offensichtlich. Je mehr Aspekte unseres Lebens an ein einziges biologisches Merkmal gebunden sind, desto gravierender werden die Konsequenzen bei Identitätsdiebstahl, Datenmissbrauch und Verletzungen der Privatsphäre. Eine zentralisierte Verwaltung von Identitäten birgt immense Risiken, und dies gilt besonders im staatlichen Kontext. Aber bereits die Erfassung durch einen einzigen Gerätetypen für ein einzelnes Unternehmen mit Monopol für die Ausgabe von Projekt-«Guthaben» zeigt eine bedenkliche Zentralisierung angesichts der weitreichenden und potenziell verheerenden Implikationen digitaler Identifikation.
Gratis – das ist die verführerische Losung der übelsten Geschäftsmodelle im Digitalen. Worldcoin nutzt die Bereicherungserwartung von «Krypto» aus, jenem Kurzbegriff, der für Experimente im Windschatten von Bitcoin steht, die sich bislang fast ausnahmslos als fahrlässiger Unfug, Betrug oder zumindest sinnlose Verschwendung erwiesen haben. Worldcoin folgt dem längst diskreditierten Modell, das 2017 den grössten Krypto-Hype und die grösste Enttäuschung verursacht hat. Dabei versuchen sich Unternehmen in der Geldschöpfung. Dies war vorübergehend erfolgreich, hauptsächlich durch Regulierungsarbitrage (unregulierte Pseudoaktien, welche den Anlegern praktisch keine Ansprüche gewähren) und der historisch einmaligen und wahrscheinlich nicht wiederholbaren Monetisierung von Bitcoin. Monetisierung bedeutet hier die steigende Absatzfähigkeit von Bitcoin mit langfristiger Aufwertung als liquider Vermögenswert trotz kurzfristig hoher Volatilität.
Die bisherige Entwicklung der Worldcoins folgt dem bekannten Muster: Ein zentralistisches Projekt schafft beliebige Gutscheine ohne Gegenwert, die allein von einer Pyramidenstruktur neuer Nachfrager abhängen. Ein kurzfristiger medialer Hype kann zu Preissprüngen führen, vor allem in Märkten, die durch ihre Illiquidität gekennzeichnet sind. Doch langfristig tendieren sowohl Relevanz als auch Preis gegen null.
Jede andere Facette dieses Projekts könnte als lobenswertes unternehmerisches Experiment betrachtet werden: zunächst die digitale Signatur durch neue biometrische Verfahren unter Schutz der Privatsphäre. Auch in diesem Fall wäre eine Protokollinnovation im Stil von Bitcoin eher angebracht als ein Einzelprojekt mit ungewisser Zukunft hinsichtlich seiner Besitzverhältnisse und Kundschaft. Nicht zu vergessen: OpenAI startete ursprünglich als scheinbar gemeinnütziges «Open Source»-Projekt, nur um sich schliesslich in ein privates «Unicorn» zu verwandeln.
Zweitens ist die Verbindung von LLM – die Sprachmodelle, die unter dem irreführenden Begriff «künstlicher Intelligenz» aktuell so einen Hype durchlaufen – und digitalen Zahlungsmitteln interessant. Es ist nicht sonderlich plausibel, aber zumindest ein relevantes Experiment, durch LLM erzielte Wertschöpfung digital zu sammeln, weiterzugeben und auszuschütten. Dieser Ansatz wird aber gerade dadurch zunichtegemacht, nicht auf reale, sondern virtuelle Werte zu setzen. Damit droht das Schicksal von geschlossenen virtuellen Welten, die eben nichts Universelles haben, sondern nur für kleine Gruppen auf Dauer interessant und wertvoll bleiben. Die meisten ziehen entweder zur nächsten virtuellen Welt weiter oder die reale Welt immer noch vor.
Leider steht trotz des gemeinsamen Gründers die Verbindung zwischen LLM und Worldcoin nicht im Mittelpunkt des Projekts. Allein die fragwürdige Prämisse stellt die Verbindung her: dass im Zuge der LLM Arbeitsplätze durch Grundeinkommen ersetzt werden müssten. Diese Prämisse widerspricht den historischen Erfahrungen mit technologischem und wirtschaftlichem Fortschritt. Produktivitätsgewinne werden durch Vergünstigung von Produkten und Dienstleistungen weit verteilt – eine Entwicklung, die moderne Ökonomen in irreführender Weise gleich bezeichnen wie den Kollaps einer fragilen Kreditpyramide: Deflation. Jeder Versuch, Produktivitätsgewinne zentral vorherzusehen, zu planen, abzuschöpfen oder zu verteilen, geht schief und droht, die eigene Grundlage abzuwürgen – eben die neue Produktivität.
Statt den Armen der Welt die neue Technologie als Werkzeug in ihrem realen Lebenskontext nahezubringen, werden sie in entwürdigender Weise zum bezahlten Schlangestehen gebracht – der wertlosesten Verwendung ihrer knappen Lebenszeit. Das versprochene Geschenk unbekannter, illiquider und nutzloser Worldcoins wird ihnen oft schon vorab durch ein paar Dollar abgekauft. Zu Beginn konnten an Kryptobörsen noch 25 Dollar pro vermittelter Iris für die mit diesen Identitäten erhaltenen Worldcoins erzielt werden, doch die Margen schwinden mit den einbrechenden Kursen.
Zuerst erschienen in Finanz und Wirtschaft.