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Dialog-EF: Nach der Präsidentschaftswahl in Österreich

Rahim Taghizadegan am 24. Mai 2016

Rahim Taghizadegan im Gespräch mit André F. Lichtschlag am 24. Mai 2016 über den Ausgang der Präsidentschaftswahl in Österreich. Was bedeutet es für das Land, die Demokratie, Europa und überhaupt?

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Filed Under: Geopolitik, Vortrag

Burschenschafter und die Universitäten

Rahim Taghizadegan am 16. Mai 2016

Der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer gehört einer Burschenschaft an. Das lässt einige Alarmglocken läuten, die jene extreme Radikalisierung des völkischen Denkens zum virulenten Rassismus und Antisemitismus des letzten Jahrhunderts den universitären Burschenschaften zuschreiben. Handelt es sich um eine ansteckende Ideologie, die auch heute gefährlich werden könnte? Warum entwickelte sie sich an den Universitäten im deutschen Sprachraum?

Mögliche Antworten bietet die epochale Universitätsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts unter Herausgeber Walter Rüegg (dritter Band von vieren der europäischen Universitätsgeschichte), die sich auch mit der Geschichte der Burschenschaften befasst. Zwei Paradoxien treten bei der historischen Rückschau besonders deutlich zutage. Einerseits entstammen die Burschenschaften dem Klima der Humboldtschen Universität, deren Mythos im Wesentlichen auf der Freiheit der Lehre und der Wissenschaftlichkeit der Methode aufbaut. Andererseits gedieh die extreme Form des völkischen Denkens besonders gut an den deutsch-österreichischen Universitäten:

Die Aversion gegenüber dem Einfluss der „Jüdischen Internationalen“ war unter den deutschsprachigen österreichischen Studenten wesentlich stärker als in Deutschland selbst. […] An der Universität Graz waren um 1930 etwa 550-700 der ca. 2.000 Studenten politisch aktiv: 300-400 in einem deutschnational-völkischen Sinne, ungefähr 200 in katholischen Vereinigungen und nur 25-50 auf der Linken. […] Nazi-Studentenverbindungen wurden bereits 1919 in Wien, 1923 in Graz und 1929 in Innsbruck gebildet. Ab 1931 gewannen sie rapide an Boden. In Wien gewannen sie 1931/32 37 Prozent der Stimmen an der Universität und an der Technischen Hochschule 49,5 Prozent. 1930 wurde die Technische Hochschule Graz die erste Institution im deutschsprachigen Raum, an der die Nazis alle Sitze gewonnen hatten.

Gekommen war das völkische Denken jedoch von den Universitäten Deutschlands, wo es im Laufe des 19. Jahrhunderts immer schärfer wurde. Nach der Reichseinigung 1870 waren Nationalismus und Antiliberalismus die tragenden Säulen der Studentenbewegung geworden. Die wesentlichen Gründe sind wohl außerhalb der Universitäten zu suchen, die selbst immer auch nur Mikrokosmos der sie umgebenden Gesellschaften waren. Zwei unbeabsichtigte Folgen des Humboldtschen Universitätenprojektes scheinen aber die besondere Dynamik etwas befeuert zu haben.

1895 hatte der Philosoph und Bildungshistoriker Friedrich Paulsen die Beobachtung festgehalten:

Es folgte in Deutschland auf das Zeitalter der absoluten Philosophie ein Zeitalter der absoluten Unphilosophie.

Die Humboldtsche Forschungsuniversität wirkte, entgegen der Intention ihres Begründers, in Richtung der Spezialisierung und Dominanz induktiv erforschbarer Fächer. Unter dem Druck der immer präziseren „Naturphilosophie“ trat die „Menschenphilosophie“ etwas in den Hintergrund, wie Walter Rüegg andeutet:

Mit der zunehmend wissenschaftlichen Natur der philosophischen Lehrstühle wuchs auch der Grad an Spezialisierung. Gleichzeitig schwand die Bedeutung der Philosophie für das intellektuelle Leben im Allgemeinen. In Frankreich und Großbritannien war die intellektuelle Welt hinreichend philosophisch gebildet, dass fundamental neue Denkrichtungen außerhalb der Universität entstehen konnten, während die „absolute Unphilosophie“ unter den deutschen Eliten, die Paulsen beklagte, unfähig war, die notwendigen intellektuellen Antikörper zu entwickeln, um den pseudowissenschaftlichen Ideologien entgegenzuwirken, die sich für die Geisteswissenschaften, die Wissenschaften vom Menschen und letztlich die Menschheit so schädlich erweisen sollten.

Theologie und Philosophie, einst primäre Fakultäten der Universität, bieten allerdings nur sehr indirekte „Antikörper“. Der größte Teil der universitären Philosophie war stets Philodoxie, wie Eric Voegelin bemerkte, also das Wiedergeben von Glaubenssätzen, die das eigene Interesse nach Anerkennung, Anpassung und Apanagen maskieren, rationalisieren und legitimieren. Im Schnitt allerdings wirken diese Fakultäten wohl doch ein wenig in Richtung einer Hemmnis menschlicher Hybris: die Theologie durch Betonung einer überirdischen und übermenschlichen Ordnung, die Philosophie durch Erweckung und Ernährung des Zweifels.

Der Szientismus, die Orientierung an den Naturwissenschaften, und der Historismus, das Überwiegen philologischer und empirischer Sozialwissenschaft anstatt Philosophie und Theorie, machten die Bahn frei für eine ungehemmtere Entfaltung des Akademikerstolzes, des Selbstverständnisses einer vermeintlichen Elite, gestaltend und führend in die Gesellschaft zu wirken. Genährt wurde dieser Stolz wohl durch die Innovation der Forschungsuniversität, in der diese zum Labor kollektiver, aufgeteilter und spezialisierter Forschungstätigkeit wurde. Die Resultate dieses systematischen Forschungsbemühens waren und sind beeindruckend. Humboldts Modell hat die Welt um viel Wissen bereichert.

Doch der Preis dafür war eben wachsender Kollektivstolz der Akademiker. Diese empfanden die Früchte der institutionalisierten Wissensarbeit immer mehr als Ergebnis gemeinsamer, kollektiver Anstrengung einer bestimmten Klasse und als deutsche Besonderheit. In kurzer Zeit forschten sich die deutschen akademischen Eliten an die Weltspitze. So wurde die Berliner Universität zum Symbol der deutschnationalen Renaissance nach den Niederlagen durch Napoleon. Das Zugehörigkeitsgefühl der Studenten zu dieser nationalen Elite führte zu Enthusiasmus, der nationalistische Korporationen mit Elan beflügelte. Der Staatsapparat müsste nur noch vom Forschungsapparat lernen, von der akademischen Elite durchflutet und systematisch durch kollektives Bemühen an die Weltspitze geführt werden.

An dieser Stelle schien der studentische Enthusiasmus dann unmittelbar lohnend zu werden, und eine seltene Übereinstimmung von ideellen Wunschbildern und materiellen Interessen trat auf. Der sich einende deutsche Zentralstaat bot Aussicht auf hinreichende Beamtenjobs für akademisch qualifizierte Nationalverwalter und -entwickler. Doch nicht immer verliefen Enthusiasmus und Arbeitsmöglichkeiten, Angebot und Nachfrage, parallel. Wie alle „Hypes“ verlief auch der universitäre in Zyklen. Der Zentralisierungs- und Ausdehnungsprozess des Staatsapparats hinkte dem explodierenden Andrang zur akademischen Elite hinterher. Für die euphorischen Studenten verlief die Zentralisierung und Modernisierung der deutschen Nation zu langsam. Der Rückstau an Anwärtern aus der höheren Bildung auf die höheren Ebenen der deutschen Nation führte zu einer explosiven Stimmung. Jungakademiker mit großen Idealen und wenig Geduld rebellierten:

Die Expansion der Universitäten nach Humboldt verlor in den 1830ern an Schwung, was zu einem Überangebot an Akademikern – und damit direkt zur Revolution von 1848 führte. Stagnierende Inskriptionszahlen schufen schließlich in den 1860ern neue Nachfrage nach Akademikern, die eine neue Expansion nährte, die wiederum zu erneuertem Massenandrang in den 1880ern führte, der berühmten Qualifikationskrise, die Studenten zu illiberalen Ideen führte. Die Inskriptionsexplosion, die im letzten Jahrzehnt vor dem Krieg fortgesetzt wurde, erreichte ihren Gipfel in den 1920ern und schuf ein weiteres, politisch noch verheerenderes Überangebot an Akademikern, zumal diese als Wasser auf die Mühlen der Nazis strömten.

In Österreich war die Lage noch verschärft. Der Arbeitsmarkt für Akademiker, der großteils aus höheren Posten der Staatsverwaltung bestand, war durch das Sprachenproblem gekennzeichnet. In der k.u.k.-Verwaltung schienen nach dem Ausgleich und im Zuge von weiteren Begehrlichkeiten nationaler Behauptung die Tage mehrheitlicher Deutschsprachigkeit im Staatsdienst gezählt. Damit verschlechterten sich die Jobaussichten für deutschsprachige Akademiker in der Monarchie. Hier liegt wohl der wesentliche Grund für den an österreichischen Universitäten besonders virulenten Deutschnationalismus. Diese Verstärkung deutscher Euphorie im Zuge der Wissenschafts- und Kulturblüte im 19. Jahrhundert durch materielle Interessen führte zu extremistischer Übertreibung. In Anlehnung an Paulsen lässt sich für die Universitäten sagen: Es folgte in Österreich auf das Zeitalter des absoluten Deutschtums ein Zeitalter des absoluten Antideutschtums. Die deutschnationale Überholung deutscher Studenten durch österreichische Studenten ist heute zu Recht peinlich, und zweifellos sind die damaligen Studenten Österreichs nicht unschuldig am Gift des Hasses, der das letzte Jahrhundert in Blut tauchte.

Der Vergleich dieser Entwicklung zu heute und die mögliche Einordnung der politischen Verhältnisse führt zu paradoxen Schlüssen, die ich nur mit jenen teilen kann, die sich im scholarium abseits des tagespolitischen Wahnsinns zur unbequemen Erkenntnis ohne Denkverbote entschlossen haben.


Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.

Filed Under: Freie Bildung, Scholien

Steuer- oder Plünderwettbewerb

Rahim Taghizadegan am 10. Mai 2016

Wenn heute von Steuerwettbewerb die Rede ist, denken wir in aller Regel an die Möglichkeit, liquide Vermögenswerte aus Steuerwüsten in Richtung von Jurisdiktionen zu verschieben, die den Kapitalaufbau weniger bestrafen. Dieser Wettbewerb um mobile Steuerzahler ist eines der wenigen disziplinierenden Elemente gegen kapitalvernichtende Maximalbesteuerung. Insbesondere die Schweiz mit ihrer noch relativ subsidiären Besteuerungsstruktur zeigt auf Gemeindeebene die günstigen Folgen dieses Steuerwettbewerbs. Doch in der europäischen Geschichte zeigt sich auch eine andere Art von Steuerwettbewerb, dessen Folgen wesentlich paradoxer sind. Niall Ferguson weist in seiner epischen Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs des Westens auf einen interessanten Indikator hin:

Gemessen in Gramm Silber pro Kopf waren die Herrscher von England und Frankreich während der gesamten Periode von 1520 bis 1630 in der Lage, weit mehr an Steuern einzuheben als chinesische Herrscher.

Seit dem 13. Jahrhundert bewegt sich etwas in der europäischen Staatsfinanzierung, und diese Dynamik wird in der Neuzeit unübersehbar. Bis heute ist eines der deutlichsten Unterscheidungsmerkmale nach westlichem Zuschnitt „entwickelter“ Staaten die Fähigkeit, durch Steuereintreibung, Verschuldung und Inflationierung in historisch einmaligen Dimensionen Gelder staatlichen Zwecken zuzuführen.

Ferguson verweist auf den zunächst kriegerischen Wettbewerb der ca. 1000 europäischen Herrschaften, die im 13. Jahrhundert noch bestanden. Diese Kleinräumigkeit ist einer der wesentlichen Faktoren hinter dem europäischen Sonderweg. Vermutlich wurde diese Kleinräumigkeit durch geographische Zufälle begünstigt:

China hatte drei große Flüsse, den Gelben Fluss, den Jangtsekiang und den Perlfluss, die alle von Westen nach Osten fließen. Europa hatte zahlreiche Flüsse mit unterschiedlichen Fließrichtungen, zudem eine Reihe von Gebirgsketten wie die Alpen und Pyrenäen sowie die dichten Wälder und Sumpfgebiete von Deutschland und Polen. Es war für die plündernden Mongolen wohl einfacher, China zu durchdringen; Europa war einer berittenen Horde weniger leicht zugänglich – und hatte daher weniger Einigungsbedarf.

Eine Folge dieser Konkurrenz war, dass Herrscher stärkere Anreize zur Ertragsoptimierung hatten – immerhin ist das Wirtschaftsprinzip einer Gewaltherrschaft das stationäre Banditentum (nach Mancur Olson). Diese Konkurrenz begünstigte wohl mehrere Innovationen in der europäischen Staatsfinanzierung. Die erste Innovation geht schon auf das alte Rom zurück: Die Gewaltherrschaft überträgt an Privatleute die Steuereintreibung. Die Römer sprachen von „publicani“, was darauf hinweist, dass sich das Plündern schon damals hinter dem beliebten Euphemismus der „öffentlichen Aufgaben” versteckte. Der stationäre Bandit setzt also auf die Kooperation des Steuersubstrats. Wer sind die Steuereintreiber? Finanzkräftige, unternehmerische, gut vernetzte Vertreter führender Familien. Diese treten nun gewissermaßen als Vermittler zwischen der plündernden Gewalt und den Interessen der Geplünderten auf. Mehrfache Verhandlungsebenen optimieren hierbei den Steuerertrag. Das Problem jedes Plünderers liegt darin, dass die Geplünderten ausweichen: Sie verstecken und vergraben ihre liquiden Reserven, täuschen Armut vor und entziehen sich nach Möglichkeit dem Steuerzugriff. Da es keinen historischen Hinweis darauf gibt, dass jemals eine Gewaltstruktur aus einem Gesellschaftsvertrag entstanden ist, müssen wir davon ausgehen, dass diese normale Ausweichreaktion stets die Steuererträge beschränkt hat. Sanktionen wiederum schädigen das Steuersubstrat, denn gefolterte und geköpfte Untertanen lassen sich eben nur einmal plündern, nicht dauerhaft und „stationär“.

Der private Steuereintreiber wird in einem ersten Verhandlungsverfahren ermittelt, das einer Auktion gleichkommt. Dabei schätzen Privatleute unternehmerisch die Zahlungsfähigkeit und Entziehungsbereitschaft des Steuersubstrats ein und bieten um den Zuschlag durch den Gewaltmonopolisten (der historisch eher einer Gewaltführerschaft entspricht, die einem Legitimationskartell angehört). Sie bieten Pauschalbeträge bis zum abdiskontierten antizipierten Steuerertrag minus Erhebungskosten. Dadurch erzielt die Herrschaft vorab große Summen und damit de facto Steuervorschüsse, die zwar kurzfristig unter den Erträgen einer gewaltsamen Plünderung liegen, aber langfristig zu höheren Erträgen kumulieren. Diese höheren Erträge werden dadurch möglich, dass die Eintreiber untereinander konkurrieren und damit zahlreiche, dezentrale Verhandlungsebenen eröffnen: Diese Art von Steuerwettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren im Hayek’schen Sinne, um den Punkt maximal tragbarer Steuerlast herauszufinden. Diese Steuereintreiber treten nun eben sekundär als Vermittler auf und handeln mit den Untertanen Pauschalbesteuerungen aus. Dabei agieren sie als Arbitrageure, Treuhänder, Notare, Interessensvertreter und Gläubiger für die Besteuerten. Als schlagendes Argument dient in ihren Verhandlungen stets der Verweis auf die drohende Maximalplünderung bei Folter und Mord am Untertanen. Da dieses einseitige „Angebot“ nicht abgelehnt werden kann – es sei denn, eine Gegengewalt formierte sich zu einer Sezession und fügte den 1.000 Herrschaften eine weitere hinzu – versuchen die Untertanen, durch Zahlungsangebote und -versprechen ihre Steuerlast zu optimieren. Sie verhalten sich also kooperativ, zumal auch der Steuereintreiber in seiner Advokatenrolle Kooperation nahelegt.

Auf der Grundlage dieser optimierten Steuereintreibung konnte dann die zweite große Innovation der europäischen Staatsfinanzierung gedeihen:

Beginnend im Italien des 13. Jahrhunderts begannen die Europäer mit neuen Methoden der Staatsverschuldung zu experimentieren, wobei sie die Keime des modernen Anleihenmarktes pflanzten. Staatsverschuldung ist eine Institution, die im China der Ming vollkommen unbekannt war und erst im späten 19. Jahrhundert unter europäischem Einfluss eingeführt wurde.

Die Folgen dieser Innovation waren extrem weitreichend und können an dieser Stelle nicht weiter analysiert werden. Diese Sekundärinnovation setzte aber eben die effizienten Mechanismen der Steuereintreibung voraus, die Folgen jener paradoxen Form von „Steuerwettbewerb“ waren. Das Paradox entsteht dadurch, dass es sich um zwei verschiedene Arten des Steuerwettbewerbs handelt. Im klassischen Steuerwettbewerb konkurrieren die Staaten um potentielle Steuerzahler, mit der Folge, dass die Steuersätze sinken. Im „Steuerwettbewerb“ ausgelagerter Eintreiber sind die Steuerzahler nicht mobil, d.h. sie können ihren Standort nicht an den steuerpolitisch günstigsten Ort verlagern. Daher besteht primär ein Anreiz, die Steuereintreibung effizienter zu machen und den Steuerertrag langfristig zu maximieren. Da die Herrschaften ein Monopol auf ihre Steuerzahler innehaben, geht es im Wettbewerb mit den anderen Jurisdiktionen nur darum, die vorhandenen Quellen möglichst effizient auszuschöpfen. Während ersterer Steuerwettbewerb ein Steuersenkungswettbewerb ist, ist letzterer Steuerwettbewerb ein Steuereintreibungswettbewerb.

Die dritte große Innovation war die Übertragung von Handelsmonopolen und anderen Privilegien an Aktiengesellschaften gegen Profitanteile (heute Körperschaftssteuer) und militärische Hilfsdienste (heute geopolitische Manöver). Diese weitreichende Kooperation privater Interessen bei der Staatsfinanzierung hatte allerdings auch – zumindest teilweise – positive Folgen:

Nichts, das diesen überraschend dynamischen Institutionen vergleichbar war, entwickelte sich im Orient. Und, obwohl sie die Staatseinnahmen steigerten, minderten sie auch die staatliche Vorherrschaft, indem sie neue nachhaltige Stakeholders im neuzeitlichen Staat schufen: Bankiers, Anleihenbesitzer und Konzerndirektoren. Schließlich hatten Generationen an Konflikten sichergestellt, dass kein europäischer Monarch jemals die Macht hatte, Überseefahrten gänzlich zu verbieten. Selbst als die Türken in Osteuropa einfielen […], gab es keinen paneuropäischen Kaiser, der den Portugiesen befehlen konnte, ihre Entdeckungsfahrten zugunsten einer Konzentration auf den östlichen Feind hintanzustellen. Im Gegenteil begünstigten die europäischen Monarchen Handel, Entdeckung und Kolonisierung im Zuge ihres Wettbewerbs gegeneinander.

Allerdings ermöglichten die langfristig höheren Steuererträge in der Neuzeit auch die Ausrüstung kostspieliger und riskanter Entdeckungsfahrten. In den frühesten Schiffsaktiengesellschaften hatten die staatsnahen Investoren aus den Kreisen des Hofes oft großes Gewicht. Es bleibt der bittere Beigeschmack, dass der europäische Sonderweg – bei allen günstigen Folgen des Wettbewerbs kleinerer Strukturen – oft auch ein Wettbewerb von Füchsen um Gänse war, der in die traurige Einsicht von Colbert mündete: Die Kunst der Steuereintreibung sei es, die Gans so zu rupfen, dass sie dabei am wenigsten kreischt. Diesen Vorsprung hat sich Europa gehalten; ob es sein letzter Vorsprung sein wird?

[Alle Zitate eigene Übersetzungen aus: Ferguson, Niall. Civilization: The West and the Rest. New York: Penguin Press, 2011.]

Filed Under: Scholien, Unternehmertum, Vermögensanlage

Helden, Schurken, Visionäre: Entrepreneure waren gestern – jetzt kommen die Contrepreneure

Rahim Taghizadegan am 9. Mai 2016

Schurken, Helden oder normale Durchschnittsmenschen? Die Geschichte des Unternehmertums ist so spannend wie paradox. Mal erscheinen sie als große Helden, mal als gerissene Profitmacher. Doch wer sind diese Menschen, die gleichsam so wichtig sind und doch von der gängigen Ökonomie weitgehend ignoriert werden?
Aufbauend auf einer historischen und ökonomischen Analyse zeigt Rahim Taghizadegan eine neue Interpretation des Unternehmertums mit zahlreichen überraschenden Einsichten auf. Er lüftet nicht nur den Schleier um die historische Figur des Unternehmers, sondern bietet auch zahlreiche Lehren für den Unternehmer im 21. Jahrhundert.
Doch wie ist es heute? Muss man wahnsinnig sein, um in Europa noch Unternehmer zu werden? Wie wird man zum erfolgreichen Unternehmer und wie bleibt man es trotz widriger Umstände? Dieses Buch wird Unternehmern und jenen, die es noch werden wollen, die Augen öffnen. Die Zeit für Entrepreneure ist abgelaufen, denn die Zukunft gehört dem Contrepreneur – dem Unternehmer, der gegen den Strom schwimmt.


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Filed Under: Buch

Widerstand gegen den Staat?

Rahim Taghizadegan am 4. Mai 2016

Die steigende Wut über die Verhältnisse weckt so manche Widerstandsgeister. Es brodelt, aber noch regt sich wenig. Der meiste Unmut lässt sich parteipolitisch kanalisieren. Sollte das nicht mehr gelingen, weil die Wahlergebnisse außerhalb des „Verfassungsbogens“ gedeutet werden oder die Politikverdrossenheit zu einer System­verdrossenheit wird, mag die Frage des Widerstands und der Trennlinie zwischen legitimer und illegitimer Herrschaft wieder aufkommen. Der sanfteste Wider­stand ist passiv und defensiv. Es ist der individuelle Ungehorsam, der sich weigert, in eine falsche Richtung hinterherzutrotten.

Henry David Thoreau beschrieb in seiner berühmten Schrift von 1849 eine Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Diese Pflicht hat laut Thoreau den Preis, sich manchmal gegen Vermögensaufbau und weltlichen Erfolg entscheiden zu müssen:

Auch wenn ich mich mit dem freisinnigsten meiner Nachbarn unterhalte, stelle ich fest: was sie auch über die Bedeutung und den Ernst der Frage, über ihre Rücksicht auf die öffentliche Ruhe sagen mögen – die Sache läuft immer darauf hinaus, daß sie auf den Schutz der Regierung nicht verzichten wollen und sich vor den Folgen des Ungehorsams für ihr Eigentum und ihre Familie fürchten. Was mich betrifft, ich glaube nicht, daß ich mich je auf den Schutz des Staates verlassen werde. Wenn ich aber diese Staatsgewalt abweise, sobald sie mir die Steuerrechnung präsentiert, dann wird mir sofort mein Eigentum genommen, und ich und meine Kinder werden endlos gequält. Das ist hart. So wird es dem Menschen unmöglich gemacht, ehrlich zu leben und zugleich angenehm, was die äußeren Dinge anbetrifft. Es lohnt sich eben nicht, Eigentum zu erwerben, es würde sehr bald wieder verloren sein. Man muß irgendwo taglöhnern oder pachten, muß eine möglichst kleine Ernte ziehen und sie bald aufessen. Man muß für sich leben, sich nur auf sich selbst verlassen, immer das Bündel gepackt haben und bereit sein, fortzugehen, und nicht viele Geschäfte in Gang haben. Es kann einer auch in der Türkei reich werden, wenn er in jeder Hinsicht ein guter Untertan der türkischen Regierung sein will. Konfuzius sagte: „In einem Staat, der nach den Grundsätzen der Vernunft regiert wird, wird man sich für Elend und Armut schämen; in einem Staat, der nicht nach den Grundsätzen der Vernunft regiert wird, schämt man sich für Reichtum und Ruhm.“ Nein: solange ich nicht den Schutz des Staates Massachusetts in irgend­einem süd­lichen Hafen wünsche, wo meine Freiheit gefährdet ist, oder solange ich nicht darauf aus bin, mir hier durch friedliche Unternehmungen ein Verm­ögen aufzubauen, kann ich es mir leisten, dem Staat meine Loyalität und das Recht auf mein Eigentum und Leben zu verweigern. Mich kostet es in jeder Hinsicht weniger, die Strafe für Ungehorsam gegen den Staat an­zu­nehmen, als wenn ich gehorchen würde. Im zweiten Fall käme ich mir ärmer vor.

Die US-amerikanische Autorin Claire Wolfe versuchte sich an dieser Problematik mit bitterernstem Hu­mor. Wolfe schrieb über die USA und für das dortige Publikum. Der Unterschied zur europäischen Lage liegt bloß in Nuancen, der Unterschied des Publikums aber ist beträchtlich. Sie schrieb für „libertäre Revolutionäre“. Für Wolfe sind die USA bereits am besten Wege zu einem „Faschismus” – um das in den USA beliebte, aber etwas irreführende Etikett für einen militaristisch-autoritären Überwachungsstaat zu übernehmen. Bereits fast sprich­wörtlich ist Wolfes originelle Lagebeurteilung:

Amerika befindet sich auf jener ungünstigen Stufe. Es ist zu spät, um innerhalb des Systems zu wirken, aber zu früh, um die Arschlöcher zu erschießen.

Eine denkbar blöde Situation: An eine Revolution ist noch nicht zu denken, doch angehalten werden kann der Zug auch nicht mehr. Claire Wolfe bot als Hilfestellung dazu „101 Things to Do ’Til the Revolution“ bzw. in einer überarbeiteten Fassung „179 Dinge, die man vor der Revolution tun kann“. Der jüngere Titel gab die Losung aus: „The Freedom Outlaw’s Handbook” – in etwa: Handbuch für die Gesetzlosen der Freiheit.

Gesetzlos? Claire Wolfes Gedanke ist folgender: Wenn sich der Staat in Richtung Totalitarismus bewegt, werden Dinge wie Dissens, Eigeninitiative, private Laster und andere vollkommen rechtmäßige Aktivitäten zu gesetzlich verfolgten „Verbrechen“. Je totalitärer der Staat, desto mehr macht einen das Streben nach Freiheit zum Gesetzlosen. Wie bleibt man in einer solchen Situation bei Verstand und am Leben?

Jeder auf seine Weise. Claire Wolfe skizziert drei verschiedene Strategien für drei verschiedene Lebensentwürfe, die sie als die drei „DisOrders“ bezeichnet. Erstens der „Agitator“ – jener risikobewusste Pionier, der das System offen kritisiert und herausfordert, Demonstrationen und Aktionismus organisiert und dafür sogar Haft in Kauf nimmt. Zweitens der „Geist“, der im Stillen Ungehorsam übt und Zweifel weckt. Hierbei legt Wolfe das Gewicht auf zwei Taktiken: jene der „aktiven Non-Kooperation” und jene des „Monkey-Wrenching“, zu Deutsch: Sand ins Getriebe streuen. Drittens schließlich der „Maulwurf”, der innerhalb der konventionellen Strukturen agiert und diese Lage nützt, um jene außerhalb der Strukturen zu unterstützen oder gar Sabotage zu betreiben. Letzterer Lebensentwurf sei aufgrund der korrumpierenden Anreize des Systems allerdings etwas unwahrscheinlicher.

Sympathisch an der amerikanischen Tradition, in der Wolfe steht, ist der individualistische Ungehorsam, etwas bedenklich die Revolutionsrhetorik. Allfälliges europäisches Naserümpfen über solche Bedenklichkeit wird aber durch die Geschichte relativiert: Während die kontinentalen Revo­lutionen meist im Genozid endeten, war die amerikanische Revo­lution eigentlich eine anti­despotische „Konterrevolution“, wie Peter Drucker ausführt:

Die amerikanische Re­vo­lution beruhte auf Prinzipien, die völlig im Gegensatz zu jenen der [kontinentalen] Aufklärung und Französischen Re­vo­lution standen. Ihre Absicht und Folge war eine erfolgreiche Gegen­be­we­gung gegen den rationa­listischen Despo­ti­smus der Aufklärung […]. Weit davon entfernt, eine Revolte gegen die alte Tyrannei des Feudalismus zu sein, war die amerikanische Revolution eine konservative Gegen­revolution im Namen der Freiheit gegen die neue Tyrannei des ratio­nalis­tischen Liberalismus und des aufgeklärten Des­po­tis­mus.

Wolfe beschrieb letztlich in weiten Teilen das, was der amerikanische Anarchist Samuel Edward Konkin III. Gegenökonomie (Counter-Economy) nannte. Seine Definition lautete wie folgt:

Die Gegenökonomie ist die Summe aller nicht­aggressiven mensch­lichen Handlungen, die durch den Staat verboten sind. Gegen­ökonomik ist das Studium der Gegen­ökonomie und ihrer Praktiken. Die Gegen­ökonomie umfasst den freien Markt, den Schwarz­markt, die „Unter­grund­wirt­schaft“, alle Akte zivilen und sozialen Ungehorsams, alle Akte verbotener Vereinigung […] und alles sonstige, was der Staat zu irgendeiner Zeit an irgendeinem Ort zu verbieten, kontrollieren, regulieren, besteuern oder verzollen gedenkt. Die Gegenökonomie schließt alle staatlich genehmigten Handlungen (den „Weiß­markt”) und den „Rot­markt“ (nicht durch den Staat genehmigte Gewalt und Diebstahl) aus.

Revolutionär wirkt hierbei nicht kollektive Gewalt, sondern indi­vi­duelle Gewaltlosigkeit. Die Gegenökonomie bietet eine mögliche Antwort auf Thoreaus Dilemma, es ist aber eine riskante und schwierige. Schließlich setzt das Wirtschaften Netzwerke voraus, was es doch inhärent politisch macht – und nach Gemeinschaften des Vertrauens sehnen lässt. Hier ist auch der Haken der Gegenökonomie: sie benötigt Vertrauen, weist aber keinen politischen Weg, solch Vertrauen zu stiften, ist also „ver­trauens­konsump­tiv“. Wolfes Weg, mit seiner augenzwinkernden Lynchrhetorik, drängt bei allem Individualismus ebenso zu Netz­werken, denn die Sandkörnchen im Getriebe geben bald frustriert auf, wenn sie sich nicht als ein Haufen fühlen können. Wirk­lichen Wider­stand entfalten dann meist nur Spinner, die sich in Sekten­gewiss­heiten einlullen und fiktiven Haufen zurechnen. Ihre Entfernung von der Realität lässt den Ungehorsam allerdings wirkungslos verpuffen.


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