Wieder einmal schafft der Staat die Probleme selbst, die er vorgibt zu lösen.
Österreich ist üblicherweise das bessere Deutschland, weil in der Regel bei jedem despotischen Wahnsinn fünf Jahre hinterher und gemildert durch Schlamperei. Umso überraschender scheint, dass die Regierung nun internationale Schlagzeilen als Vorreiter der großen Transformation schrieb: zuerst Lockdown für Ungeimpfte und dann die Ankündigung, als eines der ersten Länder einen direkten Impfzwang einzuführen, mit Strafen für Ungeimpfte. Ist Österreich von einem Tag auf den anderen in den Totalitarismus gekippt?
Die Hintergründe relativieren oder verschärfen die Lage – je nach Perspektive. Kanzler Kurz wurde gerade erst aus dem Amt gejagt, nachdem Chatprotokolle seine machiavellistische Seite offenbart hatten. Doch Machiavellismus ist nicht nur zynische Kurzfristigkeit intriganter Parteipolitiker, sondern auch ein nüchterner und realistischer Blick auf Politik. In Österreich regiert der Schein, und man verzeiht die Sünde eher als die Indiskretion. Viele Mängel sind offene Geheimnisse, so auch die Käuflichkeit der Medien und die systemische Korruption der schamlosen Geldverteilung an Günstlinge.
Kurz wird von Opposition wie Parteifreunden für seinen raketenhaften Aufstieg gehasst. Dieser hatte allerdings nie etwas mit Inhalten oder praktischen Fertigkeiten zu tun, sein Talent ist rein politisch: eine aalglatte Projektionsfläche für die immer neuen Sehnsüchte nach „besserer Politik“ abzugeben, für Medianwähler-„Vernunft“ abseits der Extreme, migrationshemmend, aber kein Nazi, wohlstandbewahrend, aber kein Neoliberaler, für Freiheit, aber möglichst wenig Verantwortung.
Nach seinem Abgang sind Opposition und Parteifreunde bemüht, die kurzsche Ära als Totalversagen darzustellen. Totalversagen ist auch grundsätzlich die richtige Einschätzung, der Irrtum besteht nur darin, weniger totales Versagen irgendwo anders im politischen Spektrum zu verorten. Dank der komplexen Seuchendynamik liegen zwischen Erfolgsmodell und Totalversagen oft nur ein paar Wochen schwindenden Sonnenscheins bei trockenen, beheizten Innenräumen.
Seit der Lachnummer Ischgl zu Anfang der Pandemie hatte sich die Kurz-Regierung mit viel PR zum Erfolgsmodell der Pandemiebekämpfung rehabilitieren wollen. Doch pünktlich zum Winter stiegen die Kurven wieder an. Kurz hatte ein aufmunterndes Versprechen ausgegeben, das eigentlich verständlich war: Für Geimpfte sei die Pandemie vorbei, weitere Lockdowns ausgeschlossen! Nun sei die Seuche Eigenverantwortung, wer Angst habe, könne sich ja impfen lassen. Nach Anlaufschwierigkeiten stellte der österreichische Staat mit seinem unerschöpflichen Kredit dann auch jedem Bürger kostenlose Impfungen und PCR-Tests im Übermaß zur Verfügung.
Das Versprechen sollte auch ein Signal an Freiheitsfreunde sein, dass die Kurz-Regierung das kleinere Übel sei, denn andere Parteien würden noch mehr gängeln. Für Teile der Linken ist ja „Zero Covid“ in der Tat ein Instrument der Disziplinierung des Kapitalismus, der mit der bösen Globalisierung eigentlich Schuld an der Seuche trage. Die hohe Last der Intensivstationen, medial und oppositionell verstärkt, ließ wenig Spielraum. Sichtbare Menschenleben will kein Politiker verantworten – und nimmt dafür unsichtbare Massenopfer in Kauf. Kurz-Vertreter Schallenberg, der neue Kanzler, wehrte sich bis zuletzt gegen einen Lockdown für Geimpfte, daher kam zuerst der Ungeimpften-Lockdown. Zusätzlich ist eine „Impfpflicht“ angekündigt, um möglichst viele zu einer Impfung zu nötigen. Die lange Ankündigung im Voraus macht es wahrscheinlich, dass ein direkter Impfzwang nicht kommen oder viele Lücken haben wird.
Woher kommt die Belastung der Intensivstationen? Sie liegt nicht an mangelnden Betten, sie wird durch den Druck auf Ungeimpfte kaum gesenkt, sie ist höher als bei vorherigen Wellen aufgrund politischen Versagens – das aber realistischerweise alternativlos ist.
Der starke Anstieg an Atemwegserkrankungen im Winter ist nicht ungewöhnlich. Die Kontaktreduktion hat wahrscheinlich die Immunsysteme eher geschwächt, wie etwa eine besonders starke Welle an Atemwegserkrankungen unter Wiener Kindergartenkindern vor mehreren Wochen zeigte. Diejenigen, die Covid auf die Intensivstationen schickt, bleiben dort lange und binden viele Ressourcen. Die mRNA-Impfungen mindern das Risiko eines schweren Verlaufs deutlich, allerdings werden Ansteckungen nicht so effektiv unterbunden wie erhofft, und die Wirkung lässt aufgrund der Mutationen schneller nach als erwartet.
Eine marktwirtschaftliche Antwort auf knappe Intensivstationen wären Preisveränderungen, die sich auf Versicherungsprämien durchschlagen könnten. Der knappste Faktor sind aktuell Intensivpfleger. Diese Verknappung war absehbar. Auch in früheren Wintern, lange vor Covid, waren Spitäler überfordert. Der Grund ist neben der starken Saisonalität die Planwirtschaft in Gesundheitssystem und Versicherungswesen.
Eine vernünftige staatliche Antwort hätte langfristige steuerliche Entlastung von Pflegekräften und Intensivmedizinern sein können, dann vielleicht Garantien für Studentenkredite und Schnellzulassung neuer Ausbildungsformen, etwa für Jung- und Altärzte, die in der Lage und willens sind, auf Abruf in harten Wintern ein besonders lukratives Zubrot als Reservekräfte zu verdienen.
Vernünftig und staatlich sind allerdings Gegensätze, und das glatte Gegenteil trat ein: Der Beruf des Intensivpflegers wurde nicht attraktiver gemacht, sondern weniger attraktiv im Vergleich zu subventionierten Lebensformen. Die Mehrheitsbevölkerung in Österreich genoss Corona-Ferien, d.h. weniger Arbeit bei selbem Gehalt. Zudem trifft Pflegekräfte schon länger die Drangsalierung mit Impfpflichten. Dabei wiegt eine entlassene Pflegekraft weit schwerer für das einzig relevante Maß des Triagebedarfs als eine ungeimpfte, getestete Pflegekraft. Mehr als die Hälfte aller österreichischen Pfleger überlegen bereits, ihren Beruf aufzugeben. Wieder einmal schafft der Staat die Probleme selbst, die er vorgibt zu lösen.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.
Zuerst erschienen auf eigentümlich frei.