Christine Lagarde stellte sich unlängst in Frankfurt den Fragen deutscher Studenten. Im Gegensatz zum Internet, wo ihr „Hass“ entgegenschlage, war das ein Format nach ihrem Geschmack. Im Scheinwerferlicht als Alleindarstellerin auf der Bühne konnte sie sich angesichts der erwartbar zahmen Fragen als Expertin und Stimme der Vernunft inszenieren. An einer Stelle erhob sie sich sogar über ihren eigenen Sohn, der so dumm gewesen sei, ihrem Rat nicht zu folgen. Die Strafe habe ihn sofort ereilt und nun sei wieder klargestellt, dass Mama immer recht habe.
Es ging um das Thema Kryptowährungen, das ihr ein freundlicher Student als Hölzchen zuwarf. Diese seien hochspekulativ, so Lagarde, oft sogar böse. Ihr Sohn jedoch habe den Ratschlag der Mutter „königlich“ ignoriert und mit Kryptowährungen spekuliert. Natürlich habe er fast alles verloren und sei nun reumütig.
Diese Darstellung verrät mehr über die Expertin als über das Thema. Tatsächlich war es um einen unerheblichen Minimalbetrag gegangen, und der Totalverlust erwies sich als vorübergehend 60 Prozent niedrigerer Tageskurs als der Kaufkurs zum ungünstigen Zeitpunkt. Ganz im Gegensatz zu Lagardes Darstellung wurde ihr Sohn erst durch ihre Scheinexpertise in die Irre geführt – so wie viele andere Anleger.
Ein Ratschlag besteht nicht alleine aus konkreten Handlungsanweisungen. Wichtiger sind die subjektive Wirkung und der Kontext. Menschen sind keine Automaten, Worte keine Programme. Es ist eine Grundeinsicht der Erziehung, dass folgende Anweisung schiefgeht: „Tue, was ich sage, nicht, was ich tue.“
Lagardes Expertise ist verantwortungslos und nutzlos. Verantwortungslos, weil sie eigene Äußerungen selektiv heranzieht, um ihre Rolle zu rationalisieren und zu legitimieren, ohne jedoch bei falschen Annahmen Konsequenzen zu tragen, während die Normalbürger die Konsequenzen der Geldpolitik und ihrer Legitimierung erleiden. Warum die Expertise nutzlos ist, zeigt sich gut an der Anekdote über ihren Sohn.
Es sind die falschen Annahmen von Lagarde selbst, die den Anlagemisserfolg des Sohnes erklären. Erstens: Kryptowährungen seien eine einheitliche Kategorie hochspekulativer und hochriskanter Anlagen, unter denen man so wenig differenzieren könne wie unter den Zahlen beim Roulette. Zweitens: Die Inflation sei nur eine vorübergehende Störung von außen und habe nichts mit dem Geldsystem zu tun. Drittens: Anlageerfolg sei ein Zufallstreffer durch „Spekulation“, um mit höherem Risiko ein paar Prozentpunkte mehr Rendite herauszuholen. Staatsanleihen seien der risikolose Maßstab dafür.
Hätte der Sohn nicht auf die Mutter gehört, sondern den eigenen Verstand kritisch eingesetzt, wäre er eher zu folgender Einsicht gekommen: Die „Spekulation“ ist nichts anderes als ein Wettlauf gegen den Entwertungsdruck, der von Zentralbanken und Politik ausgeht. Unüberwindbare Knappheit bei nachhaltig gefragten Gütern gewährleistet steigende Preise aufgrund der sinkenden Kaufkraft des Geldes.
Die meisten digitalen Vermögenswerte sind weder wirklich knapp noch nachhaltig gefragt. Viele werden falsch als „Kryptowährungen“ klassifiziert, weil die künstliche Vortäuschung von Liquidität eine gewinnbringende Masche ist. Es gibt nur eine „Kryptowährung“, die über 15 Jahre eine überprüfbare Knappheit geboten hat: Bitcoin. Diese Knappheit leitet sich aus der Verlässlichkeit eines dezentralen Netzwerks ab, das bislang jedem Manipulationsversuch widerstanden hat. Ob das auch künftig so sein wird, steht in den Sternen. 15 Jahre ist allerdings im digitalen Bereich schon eine erhebliche Zeit. Je länger sich das Netzwerk bewährt, desto länger wird es voraussichtlich auch weiter existieren – der sogenannte Lindy-Effekt.
Doch diese Knappheit ist ohne nachhaltige Nachfrage irrelevant. Die Nachfrage nach neuen Anlagegütern, die keine andere Nützlichkeit haben als Preissteigerung durch weitere Nachfrager, ist Modephänomen oder Spekulationsblase. Selbst bei später erkannter Nützlichkeit gibt es bei vielen Innovationen ein Muster, das „Gartner Hype Cycle“ genannt wird. Er beschreibt den typischen Verlauf einer Technologie von anfänglich überhöhten Erwartungen über eine Phase der Enttäuschung bis hin zur produktiven Nutzung.
Fast alle der Abertausenden „Kryptos“ zeigen den Extremzyklus einer Fehlinnovation: Nach dem Hype folgt kein Plateau stabiler Nützlichkeit, sondern eine Annäherung an Null. Nur Bitcoin zeigt über 15 Jahre das ungewöhnliche Muster einer Reihe von überlappenden und sich verstärkenden Zyklen, die jeweils durch wachsende Höchst- und Tiefstwerte charakterisiert sind. Letztere deuten auf eine zunehmende Grundnachfrage hin: Die Anzahl an Menschen, die Bitcoin dauerhaft halten und regelmäßig und preisunabhängig zukaufen, nimmt stetig zu.
Daraus lässt sich bereits eine korrekte Anlagestrategie ableiten, die völlig gegen die Einschätzung und Annahmen von Christine Lagarde geht. Sie hat guten Grund, diese Strategie zu übersehen oder zu leugnen, immerhin stellt sie ihr gesamtes institutionelles Konstrukt infrage, das ihre Expertise und Bedeutung begründet.
Die korrekte Anlagestrategie verstärkt den Netzwerkeffekt der Grundnachfrage, indem sie ebendieser folgt: die Durchschnittskostenmethode. Sie bedeutet das regelmäßige Sparen eines festen Geldbetrags in einem Anlagegut, unabhängig von dessen Preis. Wer zum Höchstkurs am 8. November 2021 – zum schlechtesten Zeitpunkt – begann, monatlich oder wöchentlich immer denselben Betrag in Bitcoin zu sparen, hat bis heute mehr als 40 Prozent Rendite gemacht und damit praktisch jede andere Anlageform geschlagen. Ganz ohne Finanzintermediär und Expertenwissen.
Im Vergleich dazu steht der Sparer, der Finanzsystem und Banken vertraut, mit erheblicher Kaufkrafteinbuße da. Das ist natürlich peinlich für eine Institution, die die Milliarde, die in ihre üppigen Gehälter und Privilegien fließt, mit der Stabilisierung der Währung begründet. Wer nichts tut, weil er Madame Lagarde vertraut, verliert in knapp neun Jahren 60 Prozent des Realvermögens beim Sparen in „sicherer“ Fiat-Währung. Welch Kontrast zur kleinen Fehlspekulation des Bonzensöhnchens!
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.
Auch als Audio verfügbar
Sprecher: Robert Paul
Chapters:
00:00:00 Christine Lagarde und ihre vermeintliche Expertise
00:01:14 Lagardes Verantwortungslosigkeit und nutzlose Expertise
00:03:02 Die falschen Annahmen von Lagarde und die richtige Anlagestrategie