Eine der merkwürdigsten Marktbewegungen nach dem Kriegsschock in Europa war die Reversion zweier Vermögenswerte, von denen die Märkte noch nicht entschieden haben, ob sie korrelieren oder nicht. Gold und Bitcoin könnten Zwillinge oder Gegensätze sein, je nachdem, ob letzteres eher «digitales Gold» oder ein futuristischer Technologie-Wert ist.
Diese Frage schien entschieden, als nach Putins Invasion der Ukraine am 24. Februar Gold deutlich anzog, während Bitcoin noch deutlicher abrutschte. Doch kurz darauf drehte der Wind, Gold fiel unter den Ausgangskurs und Bitcoin begann einen weiteren Höhenflug. Seitdem ging es etwas hin und her, doch Gewissheit, welches Gut die bessere Krisenanlage ist, gibt es weiter keine. Das hängt auch an der dramatisch neuen Situation eines totalen Finanzkrieges.
Kritiker von Bitcoin werden die positive Kursreaktion damit erklären, dass mit einer Nutzung zur Geldwäsche und Sanktionsumgehung spekuliert würde. Immerhin hatte sich Putin kurz vor der Invasion positiv zu einem russischen Wettbewerbsvorteil beim digitalen Schürfen geäussert und einem vorgeschlagenen Totalverbot widersprochen. Anstelle eines Verbots kam enge Regulierung, die dem Staat und seinen Günstlingen Bitcoin-Nutzung und Schürfung offenlässt, aber der legalen Privatverwendung die meiste Nützlichkeit nimmt.
Doch schon lange vor dieser vermeintlichen «Legalisierung» gehörte Russland zu den Ländern mit der weltweit grössten privaten Bitcoin-Nutzung. 12 Prozent der Russen halten Bitcoin oder andere Tokens. Nur ein Land zeigt eine noch etwas höhere Nutzung – die Ukraine. Mit ausländischen Sanktionen hat dies gar nichts zu tun, nur mit inländischen: Inflation und Kapitalverkehrskontrollen sind die Haupttreiber privater Nutzung. Beim aktuell dramatischen Verfall des Rubels werden noch mehr Russen versuchen, Bitcoin zu erwerben, was jedoch nicht im Sinne Putins und seines Kontrollstaates ist. Schon bisher war, mangels legaler Grundlage, Bitcoin in die inoffizielle Wirtschaft abgedrängt. Doch dieser «Schwarzmarkt» hat nichts mit der Geldwäsche von staatsnahen Oligarchen oder anderen Verbrechern zu tun. Es handelt sich um die Fortsetzung einer langen Tradition gespaltenen Wirtschaftens: In der Sowjetunion erfolgte teilweise bis zu 40 Prozent der realen Wertschöpfung «schwarz».
Die einzig plausible staatliche Nutzung von Bitcoin in einer Öl-Despotie ist Schürfen zum Devisenerwerb. Doch das bietet kaum einen Vorteil gegenüber dem direkten Verkauf der Energieträger. Bitcoin benötigt zwar keine Pipelines, aber Schnittstellen zu Devisen, wenn deren Erwerb der eigentliche Zweck ist. Genau diese Schnittstellen aber sind es, welche die Sanktionen treffen, nicht das Öl. Die Erfahrung zeigt, dass Bitcoin Öl-Despotien eher schwächt, da es lohnende dezentrale Wege der Ölnutzung öffnet: Jeder, der Energie abzweigen kann, ist in der Lage, zu schürfen und damit ein physisches in ein digitales Gut umzuwandeln.
Die Bitcoin-Nutzung selbst ist nicht für Despotien ausgelegt, denn das Eigentum an Bitcoin wird durch pure Information übertragen, ohne jede institutionelle Verankerung oder Einschränkung. Im Gegensatz zu Individuen können Organisationen Bitcoin nur durch Treuhänder oder «Multisig» halten – die Kombination mehrerer Schlüssel. Was, wenn mehrere Informationsträger überlaufen? Sowohl Treuhand- als auch Multisig-Lösung setzen ein gewisses Vertrauen voraus, während Bitcoin selbst kaum auf Vertrauen setzt und deshalb resilient ist, auch gegenüber Despotien. Sicher könnte sich Putin der Verfügung über in seinem Auftrag geschürfte Bitcoin nur sein, wenn er sich selbst die Passphrase zur Generierung seines Schlüsselcodes merkt und alle Aufzeichnungen vernichtet. Damit würde er aber ein dezentrales Kopfgeld auf sich selbst aussetzen, denn sein Tod würde die verbliebenen Bitcoin aufwerten.
Diese Verbindung von freier Information und digitalen Werten erlaubt Untertanen im Gegensatz zu Despoten neue Freiräume. Der einzige grössere Vermögenswert, den ukrainische Flüchtlinge nicht zurücklassen und vielleicht der Zerstörung überlassen müssen, ist Bitcoin. Auch in anderer Weise profitieren Flüchtlinge gerade von Bitcoin und anderen Kryptowerten: Es sind bereits mehr als $50 Millionen an Spenden über Krypto-Wallets eingegangen, ein Vielfaches der UN-Hilfsmittel.
Dass Bitcoin zur Umgehung von Sanktionen in grossem, d.h. staatlichem Massstab genützt werden könnten, wurde erst in den letzten Monaten deutlich widerlegt, als nahezu gleichzeitig der Bitfinex- und der The-DAO-Hacker enttarnt wurden. Keinem der Hacker war es möglich gewesen, trotz Expertise und jahrelanger Geduld, unrechtmässig erworbene Bitcoin oder Ether in nennenswertem Umfang spurlos zu waschen. Blockchain bedeutet Transparenz der Flüsse ohne Verarbeitung von Personendaten. Dieses Prinzip ist der KYC-Regulierung weit überlegen: «Know your customer» bedeutet letztlich Willkür und ständige Verarbeitung von Personendaten, die über Leaks Kriminellen in die Hände fallen können.
Gewiss gibt es Lösungen, Kryptotransaktionen zu verschleiern. Doch was im Kleinen Dissidenten in Russland Hoffnung lässt, Ersparnisse zu retten, funktioniert im Grossen nicht. Kein Schurkenstaat konnte bislang mittels Bitcoin in grossem Ausmass Sanktionen umgehen. Carole House, Direktorin für Cybersicherheit des US National Security Council bestätigte unlängst, dass die nötigen Dimensionen für russische Sanktionsumgehung «nahezu gewiss Kryptowährung zu einem ineffektiven Primärmittel [der Sanktionsumgehung] des Staates machen würden»
Sanktionen werden stets über Drittländer und Barter-Lieferungen übergangen, am ehesten spielt noch Gold eine Rolle. Der Goldtransport ist allerdings riskant, und liquide Goldreserven sind selten souverän, denn sie liegen an Marktplätzen, wo sie eingefroren werden können. Als noch weniger souverän haben sich nun allerdings die Hauptreserven im Finanzsystem herausgestellt: internationale Währungsreserven. Das wird dramatische Folgen haben, das Ende des Dollars als Leitwährung wird sich beschleunigen. Entweder zerfällt die Welt bei starker Verarmung in mehrere abgeschlossene Handelssysteme oder ein neuer Standard kann sich etablieren. Bitcoin wäre ein Anwärter für einen wirklich neutralen und internationalen Standard des Zahlungsausgleichs.
Vor dem «Deplatforming» der russischen Bürger als Druckmittel auf Putin gab es schon andere Anzeichen, dass die Spaltung unserer Zeit auch auf die Finanzen übergreifen wird. Ausgerechnet kanadischen Demonstranten wurden zuletzt Konten gekündigt. Die Reserven der afghanischen Regierung wurden durch die USA nach dem Fiasko der Taliban-Rückkehr glatt enteignet. Die Willkür bei Kontenkündigungen steigt aufgrund wachsender Regulierungslast mit den verbunden Kosten.
Eben schloss der Wallet-Anbieter Metamask Venezuelaner von der Nutzung aus, Russen werden wohl folgen. Das ist bemerkenswert, weil es sich um jene Wallet handelt, die besonders häufig für DeFi – vermeintlich Dezentralisierte Finanz – genutzt wird. Tatsächlich ist das meiste davon Etikettenschwindel.
Die grösste aktuelle Bedrohung für Bitcoin ist, dass Staaten und Interessengruppen den Vorwand von Sanktionen nutzen, digitales Geld als globalen «Social Credit Score» umzufunktionieren und legale Schnittstellen zu schliessen. Der Finanzkrieg wird die finanzielle Repression weiter nähren. Langfristig ist diese allerdings weniger eine Bedrohung für Bitcoin als das wichtigste Argument für dessen Notwendigkeit.
(als Artikel veröffentlicht in Finanz und Wirtschaft)