Blockchain-basierte Kryptowährungen behaupten sich und verkomplizieren dadurch nicht nur die Geldtheorie, sondern auch die Debatte um das Bargeld. Letzteres trägt zwar „des Kaisers“ Antlitz
Archiv für Dezember 2017
Zukunft der Wiener Schule
Die Wiener Schule der Ökonomik kehrt nach langem Vergessen und Verdängen wieder nach Europa zurück. Was macht diese Tradition heute noch relevant? Wie änderte sie sich in den USA? Warum wird sie
Soziale Süchte
Nach dem aktuellen Wissensstand über Suchtverhalten sind digitale Aufmerksamkeitsspiralen in der Tat den Suchtphänomenen zuzuschreiben. Sucht entsteht über die wiederholbare Verstärkung positiver physischer und psychischer Empfindungen. Es sind nicht die chemischen Inhaltsstoffe eines Suchtmittels, die direkt abhängig machen, sondern in der Regel körpereigene Ausschüttungen von z.B. Dopaminen, die Gewohnheiten positiv verstärken. Sucht ist also ein eingeübter Prozess, nicht das unentrinnbare Schicksal willenloser Zombies, sondern eine “gewollte Wiederholung, die zu tiefem Lernen führt” (Lewis 2015: 189). Nicht zuletzt deshalb ist der „Krieg gegen Drogen“ falsch. Illegale Drogen sind nur eine kleine Untergruppe von Gütern, deren Konsum gewohnheitsbildend ist, sofern man bewusst die Verankerung zwischen positiver Empfindung und Handlungsweise zulässt.
Im digitalen Bereich wirken insbesondere zwei in den menschlichen Instinkten biologisch eingeschriebene Positivsignale, die einst für das Überleben besonders wichtig waren: auf der einen Seite das Bedürfnis nach Neuigkeiten, auf der anderen Seite das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Schon bei Kleinstkindern ist die gemütserhellende Wirkung von Signalen dieser Art offensichtlich. Neues zieht die Aufmerksamkeit magisch auf sich, genauso wie anerkennende Interaktion. Bislang lag es bloß nicht in unserer Hand, durch einen einfachen Konsumakt bereits die genussfertige Neuigkeit oder Anerkennung zu produzieren. Das Erkennen des Neuen erforderte Neugier, also konzentrierte Aufmerksamkeit, und die Anerkennung war die Frucht mühsam aufgebauten sozialen Kapitals. Diese Produktionsstruktur der Aufmerksamkeit ist nun arbeitsteiliger um den Preis geringerer Authentizität – wir können Neuigkeit und Anerkennung konsumieren, ohne selbst viel dafür zu tun.
Bei immer mehr Menschen zeigen sich eindeutige Suchterscheinungen: Durch Mausklick lassen sich Streams aktualisieren, die weitere Neuigkeiten und Anerkennung bringen. Die frische dopaminergische Ausbeute wird meist noch in der Signalfarbe rot angezeigt: Neue Messages, neue Likes, neue Notifications. Oder die Streams sind bereits selbstaktualisierend, wie etwa bei YouTube, wo eine Spirale an immer neuen, automatisch aufeinanderfolgenden Videos aktiviert werden kann. Dies spielt in die Hand der menschlichen Tendenz zum delay discounting, sprich “sofortige Belohnungen höher als langfristige Vorteile zu bewerten” (Lewis 2015: 100).
Die körpereigene Belohnung der Aufnahme von Neuigkeiten und Anerkennung war für unser Überleben wichtig, weil der Mensch als schwaches, nacktes Tier besondere Wachsamkeit und Kooperationsfähigkeit benötigt, um die biologischen Mängel auszugleichen. Einerseits bindet unser an diesen Aufgaben angeschwollenes Hirn Überlebensenergie, andererseits erlauben diese neuen Fähigkeiten auch Schwäche oder energetische Unterdotierung des rein Körperlichen. Das ist gut so: das geistige Potential des Menschen übertrifft nicht nur sein eigenes körperliches Potential in unvergleichlicher Höhe, sondern auch das körperliche Potential aller anderen Tiere. Menschen schlagen alle tierischen Rekorde durch Geisteskraft.
Der Geist zeigt aber auch ein großes Problem, das die Menschheit bis heute kaum bewältigt oder auch nur verstanden hat: Freiheit. Als politische Phrase klingt sie großartig und erstrebenswert, wird dabei aber als Konsumgut interpretiert. Tatsächlich ist Freiheit eine unglaubliche Herausforderung, welche die schwere Bürde der Verantwortung notwendig mit sich bringt. Digitale Formen der Kommunikation und Kooperation sind als Werkzeuge geniale Ergebnisse der Geisteskraft und absichtsvollen Tätigkeit von Millionen von Menschen, die diese neue Infrastruktur schufen und am Leben halten. Wie jedes Werkzeug hebeln sie menschliches Potential – nach oben, wie nach unten. Das Spektrum wird größer: Die Massenkommunikation hat eine ähnliche Gegenseite wie die Massenvernichtung durch die geniale menschliche Kontrolle der materiellen Welt bis hinunter auf die atomare Ebene.
Die mit Werkzeugen verbundene Verantwortung kann man nun einseitig auf die Anbieter übertragen. Es scheint zunächst plausibel, Schöpfer für ihre Schöpfung zu verantworten. Im Bereich des Digitalen kommt der ehemalige Google-Designer Tristan Harris darauf, dass die meistgenutzten Webseiten und Apps durchaus genau wissen, worauf in der menschlichen Psyche zu zielen ist, um maximale Aufmerksamkeit im Betrachter zu erregen (Bosker 2016). Dies geschehe mit erschreckend einfachen, dem Websurfer in größtem Maße unbewussten Appellen an unsere tiefsten menschlichen Bedürfnisse wie die der sozialen Anerkennung. Wo die Technologie uns als Werkzeug dienen sollte, wäre der Knecht zum Herren geworden, und es würde Zeit, diese Kontrolle zurückzuerlangen, so Harris. Er fordert eine Neuausrichtung der digitalen Welt, damit der Nutzer wieder zum “freien Akteur” werde, der das das Digitale bewusst und maßvoll nutzt.
Dazu ruft er die Designer digitaler Anwendungen zu Verantwortung auf und fordert eine Art “Hippokratischen Eid” (Bosker 2016: 2). Die Befolgung dieses einschränkenden Eides könnte durch Qualitätssiegel angezeigt werden. Die Einschränkung läge darin, Aufmerksamkeitsauslöser zu vermeiden oder bewusst zu machen. Zum Beispiel sollte dem App-Nutzer durch eine Anzeige in Erinnerung gerufen werden, wie viel Zeit er mit der jeweiligen App verbringt.
Eine Konsequenz dieser allzu einseitigen Verantwortungsübertragung ist schließlich der Ruf nach Interventionen. In Analogie zur Tabakindustrie müsste dann bei jedem Klicken eines Like-Buttons auf Facebook ein Warnfenster aufgehen mit einer abschreckenden Botschaft. Denkbar wäre das Bild eines verwahrlosten Digitalsüchtlers oder Aufnahmen der Hirnumformungen.
Das menschliche Hirn ist plastisch und verändert sich durch Verhaltensweisen. Bei Süchten kommt es durch selbstverstärkende Gewohnheiten zur Verkleinerung der Areale, die für Motivation und Entscheidung verantwortlich sind. Da das meiste menschliche Potential im Geistigen liegt, sind digitale Medien „gefährlicher“ als Zigaretten und Alkohol. Gewiss nur im irreführenden Sinne des paternalistischen Interventionismus. Werkzeuge sind nicht gefährlich, sondern menschlicher Missbrauch. Nicht einmal Waffen töten, sondern Menschen. Zigaretten sind ungefährlich, denn sie rauchen sich nicht von selbst. Ein konsequenter Paternalismus müsste totalitär werden, er müsste alle Konsumentscheidungen überwachen und Zwangsaskese verordnen. Zucker wirkt beispielsweise genauso wie Suchtmittel und schädigt zudem den Organismus. Die allergrößte Gefahr für Menschen geht aber von anderen Menschen aus, insbesondere jenen, die als Herrenmenschen Umerziehungsprogramm planen.
Obamas herablassender Spruch gegenüber Unternehmern „You didn’t build that“ – Du hast es nicht geschaffen – hat einen wahren Kern. Im Gegensatz zur neidpolitischen Intention ist zwar in der Tat unternehmerische Schöpfungskraft kausales und primäres Element der Wohlstandsschaffung, doch jede menschliche Schöpfung ist co-creation, Mitschöpfung, nicht Alleinschöpfung. Unternehmertum im Rahmen einer Marktwirtschaft ist in enge Bahnen diszipliniert: nämlich jene, die Konsumenten vorgeben. Neue Produkte sind komplexe Kooperationsergebnisse, bei denen der Wettbewerb Schnelligkeit, Effizienz und Empathie belohnt, aber nicht die Ergebnisse allein vorbestimmt. Ludwig von Mises fasste diese Perspektive wie folgt zusammen:
Die Menschen trinken nicht Alkohol, weil es Bierbrauereien, Schnapsbrennereien und Weinbau gibt; man braut Bier, brennt Schnaps und baut Wein, weil die Menschen geistige Getränke verlangen.
Demokratie: Altes Ideal oder neuer Etikettenschwindel?
Demokratie gilt heute als einer der höchsten Werte und hat schon fast den Charakter eines religiösen Tabus. Verblüffend dabei ist, dass der tatsächliche Inhalt hinter der Fassade des altehrwürdigen