Nach dem Crowdfunding gewinnt nun auch das Crowdinvesting an Bekanntheit. Das Sammeln von vielen Kleinstinvestitionen auf digitalen Plattformen zur Unternehmensfinanzierung scheint in Zeiten der Kreditklemme
Vermögensanlage
Steuerabsetzbarkeit als Danaergeschenk
Die Spendenabzugsfähigkeit für gemeinnützige Organisationen wird durch Bescheid des zuständigen Finanzamtes auf Antrag der jeweiligen Körperschaft (Verein, Stiftung, gemeinnützige GmbH) festgestellt. Die dafür anfallenden Kosten für rechtliche „Compliance“ – wie Gütesiegelbestätigung von entsprechend spezialisierten Wirtschaftsprüfungsunternehmen – stellen für kleinere gemeinnützig tätige Organisationen eine finanzielle Hürde dar. Im Zertifizierungs- und Beratungskartell der freien Berufe sind sowohl das Volumen als auch die Stundensätze aufgrund eines immer undurchdringlicheren Wulstes von Gesetzen und Verordnungen in den letzten Jahren massiv gestiegen. Es ist selten Gegenstand und Zweck der Gemeinnützigkeit, Anwälte und Wirtschaftsprüfer zu fördern. Die Spendenabzugsfähigkeit führt also zu einer Verlagerung der Aufwendungen vom Zweck der Gemeinnützigkeit hin zur Compliance.
Bei einer gemeinnützigen Organisation sind die vergangenen drei Jahre auf exakte Einhaltung der entsprechenden Verordnungen der Bundesabgabenordnung und des Einkommenssteuergesetzes – als maßgebliche Rechtsgrundlagen – geprüft. Stellt der Wirtschaftsprüfer dann „Compliance“ fest, wird in der Regel der Spendenbegünstigungsbescheid ausgestellt. Um in den Folgejahren die Spendenbegünstigung nicht zu verlieren, muss spätestens nach neun Monaten des jeweiligen Wirtschaftsjahres eine Folgeprüfung durchgeführt werden, die prüft, ob die Grundlagen für die Spendenabsetzbarkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr erfüllt waren.
Neben den enormen Kosten, die im Rahmen des Spendengütesiegelerwerbes entstehen, kommen seit 1. Januar 2017 durch die so genannte „Sonderausgaben-Datenübermittlungsverordnung“ weitere bürokratische Erschwernisse auf spendenbegünstigte Organisationen zu. Zwecks einfacherer Veranlagung der Spenden in der Einkommenssteuererklärung der einzelnen Spender, verpflichtet das Finanzamt alle spendenbegünstigten Unternehmen dazu, automatisch alle Daten der Spender sowie die Höhe der jeweiligen Zuwendung über eine spezielle, dem E-Government-Gesetz entsprechende Software nach Ablauf des Wirtschaftsjahres an das Finanzamt zu übermitteln. Die Daten werden vollständig gesammelt, und der Staat kann jederzeit feststellen, wer wie viel für welche Zwecke gespendet hat. Der gläserne Spender wird somit zur Realität. Wie zivil darf sich eine Zivilgesellschaft noch nennen, die staatlich in einem Ausmaß überwacht ist, von dem ein Metternich oder Bismarck nur hätten träumen können? Aus den Spendenaufwendungen könnten sich politische und gesellschaftliche Einstellungen ablesen sowie Rückschlüsse auf Vermögensverhältnisse ziehen lassen.
Nebenbei sei angemerkt, dass diese Verordnung perfekt illustriert, dass das Wort Finanzamt ein reiner Euphemismus ist. Die Probleme bei Abgabenerfassung und Datenerhebung werden wieder einmal auf die Privatwirtschaft abgeschoben und erhöhen, neben den bereits genannten Kosten, die für den Staat zu leistenden Arbeitsdienste.
Für gemeinnützige Organisationen rücken somit aufgrund der beschriebenen Aufwendungen und Neuerungen mehr und mehr die Einhaltung von Rechtsnormen und Exekutivverordnungen in den Vordergrund, die die eigentliche Tätigkeit, Werte und Leistungen für die Zivilgesellschaft zu schaffen, verdrängen.
Sind Peer-to-peer-Kredite (P2P) unmoralisch?
Die historische Legitimierung des beliebig ausweitbaren Kreditgeldes – dem „credit mobilier“ – fußte auf der sozialistischen Idee, dass jedermann, egal welcher Herkunft, Klasse und ökonomischer Potenz, mittels Kredit am Wirtschaftsleben teilhaben sollte. Dieses Versprechen des Banken- und Finanzsystems, scheint trotz scheinbar grenzenloser Geldproduktion nicht haltbar.
Dieser Umstand motivierte innovative Unternehmer dazu, das Kredit-Kartell der Banken zu durchbrechen. Durch Gründung digitaler Bankenplattformen, sollen so genannte P2P(Peer to Peer)-Kredite direkt zwischen Sparern und Kreditnachfragern vermittelt werden; die fortschreitende Digitalisierung macht dies zu geringen Transaktionskosten möglich. Die P2P-Betreiber übernehmen dabei die Kreditprüfung (bei Krediten an Kleinunternehmen wird auch eine oberflächliche Due Diligence gemacht) und leiten das zuvor im Wesentlichen in Westeuropa eingesammelte Geld an die Kreditnehmer weiter. Die Zinsen lassen westeuropäische Beobachter Wucher vermuten und bewegen zwischen 20% und 60% je nach Bonität des Schuldners.
Was ist von diesen „Kreditinnovationen“ zu halten? Zunächst stellt der nüchterne Beobachter fest, dass es sich im Wesentlichen um klassische Bankgeschäfte handelt, die aufgrund regulatorischer Hürden aber nicht als solche bezeichnet werden dürfen. Deshalb spricht man von „P2P-Geschäften“ oder „Crowd-Finanzierung“.
Die moralische Wertung solcher Geschäfte ist indes schon schwieriger. Ruft man sich die größte Finanz- und Wirtschaftskrise der Moderne (post 2008) in Erinnerung, ist man erstaunt, wie schnell die Lehren aus diesen Ereignissen vergessen wurden. In der Tat waren faule Immobilienkredite (d.h. Konsumkredite) an die rückzahlungsunfähige Unterschicht eine der Hauptursachen für das Platzen der Spekulationsblase. Neu geschöpftes Kreditgeld an NINJAs (no Income, no Jobs, no Assets) zu vergeben, kann als unmoralisch interpretiert werden (vgl. Hülsmann, 2007, Ethik der Geldproduktion).
Die derzeit interessantesten Plattformanbieter – wie Twino, Mintos oder Finbee – sind tatsächlich jedoch nur „Geld-Vermittler“ und können deshalb nicht selbst Kreditgeld aus dem Nichts erzeugen, was die moralische Interpretation erschwert. Da die Geldmenge nicht ausgeweitet werden kann, kommt bei diesem de facto Vermittlungsgeschäft zunächst kein Dritter zu schaden, wie dies bei der „klassischen“ Kreditvergabe unumgänglich ist. Tatsächlich handelt es sich um „crowd securitization“, also um den digitalen Vertrieb verteilter Sicherheiten für unbesicherte Kredite, die durch einen Teil der Zinsspanne abgegolten werden. P2P-Anbieter geben im Vergleich zu Banken einen höheren Teil der Zinsspanne an ihre Einleger weiter, was sie auch nicht unmoralischer macht. Digitale Plattformen sind schließlich auch wesentlich günstiger als Filialnetze.
Verkompliziert wird der Umstand der Kreditbesicherung noch dadurch, dass einige der Plattformen einen Rückkauf dieser „Sicherheiten“ anbieten – d.h. den Investoren eine Ausfallsgarantie geben. Das scheint paradox, da der Zinsanteil schließlich für die Kreditrisikoübernahme gezahlt wird. De facto gleicht das Unternehmen das einzelne Ausfallsrisiko durch ein Klumpenrisiko des Unternehmens aus: Die Rückkaufgarantie erhöht die Ausfallswahrscheinlichkeit des gesamten Unternehmens. Sollte die Kreditausweitung also zyklisch erfolgen, steigt in der Korrekturphase das Risiko in genau dem Maße, in dem es vorher gesenkt wurde. Sichere Zinserträge kann es nicht geben. Die Unternehmen können diese aggressive Taktik fahren, weil der Markt für Konsumkredite in Teilen Europas noch nicht voll durch klassische Banken bedient wird und sich in einer dynamischen Hausse befindet.
Das Risiko für den Investor wird dadurch etwas verringert, dass kleinere Konsumkredite relativ krisensicher sind. Zyklische Geldmengenkontraktionen treffen zuerst Unternehmen, die zugunsten höherer Profitabilität geringe Liquiditätspolster haben. Privathaushalte sind ineffizienter und haben dadurch relativ größere Polster (absolut natürlich im Schnitt viel kleinere). Konsumkredite reagieren daher relativ verzögert, sodass sie durch eine nachfolgende Hausse aufgefangen werden können – die freilich alles andere als gewiss ist.
Währungsunion – wie lange noch?
Stimmen werden laut, die die Rückkehr zur Lira ersehnen. Manche eurokritischen Ökonomen stützen diesen Wunsch, denn er würde eine Abwertung der Währung nach italienischem Gusto und in italienischer Dimension erlauben. Auch Griechenland hatten Systemkritiker schon eine sich abwertende Drachme empfohlen. Doch Abwertung ist kein Allheilmittel, sondern kaum mehr als Umverteilung von den Sparern zur Exportindustrie. Nur ein kurzfristiger Vorteil kommt noch hinzu: Abwertung ist ein Täuschungsmanöver für all diejenigen, die der Nominalwertillusion anhängen.
Wie schon seinerzeit Keynes richtig erkannt hatte, lassen sich auf diesem Weg reale Lohnsenkungen durchsetzen, um sich der realen Grenzproduktivität wieder anzunähern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. In der langen Frist jedoch, in der wir leben und Keynes tot ist, wiegt der Nachteil von Jahrzehnten des Täuschens nach. Der politisch begünstigte Nominalwertfetisch drängt allerorts zu inflationärer Politik.
Auch die EZB-Politik ist hochinflationär – zumindest der Intention und der Geldschöpfung nach –, ihre Wirkung aber verpufft, da Kredite schneller faulen, Einlagen schneller abgezogen werden und die Geldpolitik schneller antizipiert wird, als Geld geschöpft werden kann. Eine italienische Lirainflation wäre gewiss wirkungsvoller. Schließlich hinkt die EU, trotz großen Bemühens, dem altehrwürdigen italienischen Filz noch etwas nach. Die enge Verbindung von Konzernen, Banken und Politik schuf gut geölte Kanäle für neues Geld. Hierin freilich liegt die italienische Malaise, kein Lösungsrezept für die Eurokrise. Bessere Umsetzung schlechter Politik bleibt schlechte Politik. Nur die Dimension ändert sich.
Die Liranostalgie ist Sehnsucht nach den kleineren, überschaubareren Dimensionen. Sie stellt keine Systemalternative dar. Denn bis auf die Dimension sind die Ähnlichkeiten überwältigend. Der Kontrast zwischen Nord- und Süditalien wird im Ausland unterschätzt, er ähnelt dem zwischen Deutschland und Griechenland. Die Lira entstand im Rahmen einer Währungsunion, wurde großnationalistisch aufgeladen und doch in einem – von einer ideologisierten Fremdherrschaft abhängigen – Klientenstaat eingeführt. Der Euro ist dasselbe, nur noch größer, noch ideologischer: ein symbolpolitisches Projekt, das die Einigung im Rahmen einer neuen EU-Nation mit Flagge, Hymne und quasireligiösen Einheitsappellen vorantreiben soll.
Systemkritiker schlagen heute einen Nord- und einen Südeuro vor, weil das Wettbewerbsgefälle so groß wäre. Tatsächlich ist die Nutzung derselben Währung ein Weg zum Abbau von Gefällen. Das Problem ist keineswegs das Zahlungsmittel, sondern die politische Zentralisierung in heterogenen Gebieten. All der inneritalienische „Ausgleich“ infolge des Rom-Zentralismus hat das Land weiter gespalten und den Filz wuchern lassen, bis ins Kriminelle hinein. Ebenso ist der Euro das Gegenteil eines echten Einigungsprojekts, er ist eben ein „symbolpolitisches“ bzw. gesinnungsethisches Projekt, bei dem vorgegebene Intention und reale Wirkung auseinanderklaffen: Der Euro wird der Spaltpilz sein, der die mit viel Mühe erst in den letzten Jahrzehnten zugeschütteten Gräben zwischen europäischen Nationen wieder aufreißt. Der deutsche Ökonom Roland Baader, einer der wenigen prophetischen Warner vor der Eurokrise, hatte einst so treffend erkannt: Wirtschaft verbindet, Politik trennt.
Statt Italien zu europäisieren, wird die EU zu einem großen Italien. Kein Wunder, dass die Italiener da lieber bei ihrem kleinen Italien bleiben, mit 500 000-Lira-Scheinen, Löchern in den Straßen und Mafia – aber eben der eigenen Inflation, den eigenen Mängeln und der eigenen Mafia. Ähnlich wird es nach und nach in den anderen europäischen Ländern klingen. Auspresser in fremden Diensten könnte das Schicksal eines Giuseppe Prina ereilen, napoleonischer Finanzminister, der sich immer neue Steuern ausdachte, bis dem Mailänder Mob der Kragen platzte.
Auf der anderen Seite stehen die panischen Beschwichtigungsversuche der Systemerhalter, die mit Geldspritzen von vielen Milliarden Euro alternativlose Banken mit vielen zig Milliarden fauler Kredite in den Bilanzen am Leben halten wollen und – so versichern sie – müssen. Auch hier ist die Politik das Problem, für dessen Lösung sie sich hält. Der größte Teil der Geldschöpfung läuft heute über Geschäftsbanken, doch ohne Privilegien, Zentralbanken und politische Milliardenjongleure hätte marktwirtschaftlicher Wettbewerb mit realen Zinsen längst zu höherer Liquidität geführt und die Geldschöpfungsblasen beschränkt.
Krisen sind der notwendige Prozess zur Bereinigung von Blasen. Der einzige alternative Bereinigungsprozess ist Enteignung. Um die Form dieser Enteignung dreht sich die aufziehende Währungskrise, wobei fiskalpolitische Enteignung mit geldpolitischer Enteignung konkurriert. Momentan nimmt der Druck auf ersterem Wege zu. Um das Kartenhaus der Verschuldung aufrechtzuerhalten, müssen Länder wie Italien und Griechenland rentabler gemacht werden. Dabei geht es nur sekundär um steigende Produktivität, primär geht es darum, deutsches Plünderniveau zu erreichen. Das bedeutet Enteignung durch neue Abgaben, höhere Grundsteuern und totale Überwachung. Bargeldabschaffung, Goldverbote und Reichsfluchtsteuern befinden sich bereits in der Planungsphase. Die Schweiz ist sowohl Nutznießer der einsetzenden Kapitalflucht als auch unmittelbar bedroht, dadurch für die Systemerhalter zum Feindesland zu werden.
Es kann sein, dass die europäische Geldpolitik mit der wachsenden Uneinigkeit den fiskalpolitischen Druck durch geldpolitische „Innovationen“ wie Negativzinsen und Helikoptergeld nicht „entschlossen“ und zeitgerecht genug dämpfen kann. Dann wird die Sehnsucht nach den überschaubareren Einheiten inflationär befeuert und in einem als Gegenreaktion wieder erstarkenden Nationalismus der Wirtschaftsprotektionismus um Währungsprotektionismus ergänzt werden.
Dieser vermeintliche „Protektionismus“ wird jedoch weder Wirtschaft noch Währung schützen. Am Ende steht sinkender Wohlstand durch geringere Arbeitsteilung und inflationäres Notgeld. Wenn tatsächlich die Lira wiederkehrt, dann – wie einst – wohl als Biglietti di Stato des Finanzministeriums. Es würde sich dabei wohl um „Vollgeld“ handeln, es würde aber im Zuge der damit finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen rapide an Wert verlieren und dem italienischen Filz zu neuer Blüte verhelfen – nicht aber der italienischen Wirtschaft.
Eine solche Episode würde die europäischen Systemerhalter bestärken, denn die Einäugigen erfreuen sich an wachsender Blindheit. Der Euro brachte gewiss Wachstumseffekte, da ein einheitliches Zahlungsmittel eine bessere Nutzung komparativer Vorteile erlaubt. Leider ist die Wirtschaft monetär schon so verzerrt, dass Wachstumseffekte stets mit einer Verstärkung der Blaseneffekte einhergehen, mit steigender Ungleichheit, Hässlichkeit und Arroganz. Das wiederum bestärkt die nationalistische Gegenreaktion. Die zunehmende Polarisierung wird den Totgesagten wohl noch leben lassen: Der Euro könnte länger halten als die europäischen „Demokratien“.
Dieser Artikel erschien in der Zeitung „Finanz und Wirtschaft“.
Blockchain – Hype oder Rettung?
Der Vorteil einer Blockchain gegenüber alternativen Lösungen ist, dass sie ohne zentrale Steuerungsinstanz auskommt. Das ist eine bedeutende Innovation mit zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten.
Beruhend auf diesem Prinzip lassen sich etwa „Smart Contracts“ erstellen, „intelligente Verträge“, die ohne Juristen auskommen sollen. Diese Verträge sind eigentlich Algorithmen, die wiederum dezentral überprüft werden und so vor Manipulationen sicher sein sollen. Man könnte Verträge dieser Art auch als „dumme Verträge” bezeichnen, da der spezifizierte Algorithmus stur ausgeführt wird.
Was man sich an Juristen erspart, könnte man für Informatiker aufwenden müssen. Die programmierten Vertragsinhalte sind für alle Teilhaber der jeweiligen Blockchain einsehbar, und damit auch potenzielle Lücken im Code, die schneller zum Nachteil von Vertragsparteien ausgenützt als korrigiert werden könnten.
Mit der Zeit wird es aber wohl bewährte Standardverträge geben und kombinierbare Musterlösungen. Da überraschend viel Informatikkompetenz aus Idealismus frei verfügbar ist, dürften „Smart Contracts“ eine ökonomischere Lösung für Vertrauensprobleme darstellen: Die technische Infrastruktur entsteht durch geeignete Anreize spontan und ersetzt zwangsbasierte Institutionen und teure Juristen.
Die Innovationskraft, die ökonomische Tragweite und der futuristische Charme machen solche Ansätze attraktiv. Klugerweise hat sich die Schweiz einen gewissen Vorsprung gesichert und zieht besonders in Zug junge Unternehmen in diesem Bereich an. Auch die Banken zeigen großes Interesse, und jede Bank, die etwas auf sich hält, hat schon mindestens eine Arbeitsgruppe zum Thema Blockchain im Einsatz. Dabei findet allerdings eine lukrative Verwechslung statt, die auf einem Missverständnis der Blockchain beruht.
Die Technik der Blockchain ist nicht bloß eine weitere „Cloud-Lösung“ für verteilte Datenspeicherung. Essenziell ist die Notwendigkeit verteilter Anreize und Hürden durch reale Kosten – und diese realen Kosten gehen zulasten der Effizienz. Eine Blockchain wäre eine völlig unökonomische Lösung für Datenverteilung, wenn es nicht darum ginge, ein Vertrauensproblem ohne zentrale Institution zu lösen.
Die verteilte Überprüfung der Bitcoin-Blockchain erfordert derzeit mehr Energie, als der Reaktor Beznau insgesamt produziert. Will eine Bank Transaktionsdaten verteilen, um vor Serverausfällen sicher zu sein, so gibt es dafür wesentlich ökonomischere Lösungen. Die Blockchain-Technik ist nur dann sinnvoll und notwendig, wenn man auf eine Bank gänzlich verzichten möchte.
Schaufeln sich die Banken also gerade ihr eigenes Grab? Im Gegenteil, es handelt sich eben bloß um eine lukrative Verwechslung – lukrativ für Programmierer und Banken, und für beide aus demselben Grund: Marketing. Dabei wird „Blockchain“ als zeitgeistiges Synonym für Datenbankentwicklung verwendet; über diese Fehlbezeichnung wird zu beidseitigem Nutzen hinweggesehen.
Der Wert von Bitcoin liegt derzeit hauptsächlich darin, ein unkorreliertes Asset zu sein. Der überwiegende Teil der Nachfrage ist spekulative Anlegernachfrage, das Zahlungsvolumen im Alltag ist verschwindend gering gegenüber dem Börsenvolumen. Das spricht nicht gegen Bitcoin; immerhin leistet es auch die Zahlungsfunktion problemlos. Besonders für Zahlungen im Rahmen der Schattenwirtschaft (vor allem Rauschmittel) und zur Umgehung von Kapitalverkehrskontrollen erweist Bitcoin schon heute gute Dienste.
Dass dennoch der Anlageaspekt überwiegt, ist dem aktuellen wirtschaftlichen Umfeld geschuldet. Die exponentielle Geldmengenausweitung treibt Sparer vor sich her, die immer verzweifelter nach Anlagemöglichkeiten suchen. Das macht unkorrelierte Assets zu seltenen Gütern; die steigende Volatilität macht sie zusätzlich attraktiv.
Daher zieht sogar ein digitales Asset ohne jeden dinglichen Hintergrund, das nur eine kleine Minderheit tatsächlich versteht, beachtliche Anlegergelder an. Aufgrund der asymptotisch beschränkten Gesamtmenge jemals verfügbarer Bitcoin und der eingeschränkten Kontrollier-, Regulier- und Manipulierbarkeit sowie der hohen Fungibilität konkurriert Bitcoin innerhalb derselben Anlageklasse wie Gold.
Bislang waren Banken, nach dem Staat, die Hauptprofiteure der Geldmengenausweitung. Das erklärt ihre hohe nominelle „Produktivität“ bei geringer realer Innovationskraft. Die wachsende Regulierungsdichte infolge der bloß an den Symptomen ansetzenden Symbolpolitik nach der letzten Finanzkrise schränkt allerdings die Möglichkeiten der Banken massiv ein, weiterhin so einfach zu profitieren. Wirklich kreative Nutzung der durch Geldmengenausweitung geschaffenen Profitmöglichkeiten ist nur noch potenten nichtinstitutionellen Investoren möglich, während der Staat als einziger direkter Nutznießer der Schuldenaufblähung verbleibt.
Es ist allerdings relativ unwahrscheinlich, dass nun innerhalb des Bankenkartells plötzlich unternehmerischer Geist aufkommt. Die hohen Summen, die in Blockchain-Projekte fließen, dürften überwiegend als PR-Aufwand abzuschreiben sein. Da sowohl bei der Geldproduktion als auch im Bankensektor Privilegien anstelle von Wettbewerb herrschen, stellen Peer-to-Peer-Ansätze, wie die Blockchain sie möglich macht, eigentlich die Antithese dar.
Nicht bloß im ideologischen Sinn, sondern im viel relevanteren wirtschaftlichen Sinn: Geldsystem und Bankensystem sind eng korreliert. Blockchain-basierte Titel auf Assets sind daher potenzielle Rettungsboote, die diejenigen aufnehmen, die das Sinken der Finanzschiffe als mögliches Szenario betrachten.
Diese Konkurrenzsituation spüren Banken und Behörden, darum handelt es sich bei viel vermeintlichem Engagement rund um die Blockchain um „Feindbeobachtung“. Da Bitcoin aber auch mit Gold und Bargeld konkurriert, den anderen zwei schwer regulierbaren Assets außerhalb des Bankensystems, erscheint es auch als mögliche Blaupause eines digitalen Zeichengeldes. Manche sehen in der Blockchain einen Weg, die immer häufiger geforderte Bargeldabschaffung als Innovation auszugeben.
Das allerdings ist Teil der lukrativen Verwechslung, die somit eine sinistre Wendung nimmt: Zentral erfasste und erfassbare Assets benötigen keine Blockchain, der Begriff wäre bloße Fassade für ein zentrales Vermögensregister. Dieses als Blockchain umzusetzen, wäre völlig absurd.
Verteilte Datenbanken mit zentraler Überprüfung, ohne kostenintensives „Mining“, die konzeptuell von Blockchain-Lösungen zu unterscheiden sind, können durchaus sinnvolle Angebote sein, sofern sie sich dem Wettbewerb stellen. Denn Wettbewerb ist eine andere Lösung des Vertrauensproblems: Die Möglichkeit, Angebote abzulehnen, diszipliniert die Anbieter.
Abseits des Wettbewerbs, dort, wo sich heute die privilegierte Geldproduktion durch Zentralbanken und Geschäftsbanken abspielt, lässt sich das Vertrauensproblem aber keinesfalls technisch auflösen, es lässt sich nur durch PR-Bluffs überdecken. Im schlimmsten Fall verkommt „Blockchain“ dann zum Propagandabegriff für die digitale Auflösung analoger Freiheit in der „Big Data Cloud“.
Dieser Artikel erschien in der Zeitung „Finanz und Wirtschaft“.