MeToo und Gendergap, Mansplaining und Gamergate – die USA geben das Vokabular für einen neuen Kampf der Geschlechter vor, der auch vor österreichischen Nationalhelden und Politikern nicht Halt macht.
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Private Zensur im Digitalen?
Privaten Unternehmen Zensur vorzuwerfen, ist problematisch. Digitale Plattformen mit großem Durchdringungsgrad unterscheiden sich zwar grundsätzlich von privaten Anlässen und Foren. Doch die Teilhabe an diesen Plattformen ist freiwillig, sogar kostenlos, daher lässt sich kaum eine Verpflichtung der Betreiber ableiten, jede Information gleich bereitwillig zu verbreiten. Gewiss, die Netzwerkeffekte sind groß. Eine Überbetonung des Unterschieds von populären Plattformen zu anderen Medien würde aber jene “Öffentlichkeit” suggerieren, die manche nach einer Verstaatlichung oder staatlicher Aufsicht rufen lässt. Der Zensurvorwurf an Private nährt damit unabsichtlich die Einladung staatlicher Zensur.
Nach üblichen Maßstäben des Rechts ist es weit schlimmer, falsche Information zu verbreiten, als Information vorzuenthalten – denn einen Anspruch auf völlige Transparenz gibt es allenfalls gegenüber Gewaltakteuren, nicht gegenüber Privaten. Schon aus Gründen der Vorsicht werden private Plattformen also dazu neigen, eher zu viel als zu wenig zu löschen. Zudem agieren digitale Medien meist als Erfüllungsgehilfen des Staates – so wie jedes andere Unternehmen, das der Gesetzeslage an seinem Standort unterworfen ist. Unternehmen übernehmen gezwungenermaßen die Rolle von Zensoren, so wie sie die Rolle von Finanzbeamten übernehmen.
Vielmehr erstaunt, dass die großen Betriebe der digitalen Information weiter gehen als es ihnen die Staaten vorschreiben. Twitter sperrt mittlerweile Benutzerkonten nicht mehr nur nach konkretem Fehlverhalten, sondern nach politischen Ansichten. Jene, die sich “rechte” Meinungen zuschulden kommen lassen, werden hochkant hinausgeworfen. Was erklärt diese Eskalation?
Die “Viralität” von antielitären Ansichten überrascht und erschreckt viele. Das bedeutet, dass es größere digital affine Kreise gibt, welche die bisherige Deutungselite negativ spiegeln – oder, wie man im Digitalen sagt, “trollen”. Die “shitstorms” führen mittlerweile zu einem “blowback”, um zwei englischsprachige Bilder zu verwenden. Meinungen, die dem kosmopolitischen Nachkriegskonsens zuwiderlaufen, führen zu scharfen medial selbstverstärkten Verurteilungen durch die medialen Erziehungsberechtigten – durchaus mit guter, wenngleich elitärer Absicht, das Volk vor sich selbst zu beschützen, nämlich diesen alles in allem friedlichen und lukrativen Konsens nicht aufzukündigen. Die Selbstverstärkung jedoch, sobald das Vertrauen in die Eliten brüchig wird, führt zu negativer Spiegelung als Trotzreaktion. Die Verurteilungen nähren plötzlich Stolz, Popularität, Solidarisierung. In den USA sind die “shitstorms” von der anderen Seite schon nahezu ebenbürtig. Mitglieder der Deutungselite sind nun ganz erschrocken, wie leicht Internet-Mobs auch ihre Existenzen ruinieren können – etwas, das zuvor nur den Medien-Mobs vorbehalten war. So kommt es zum Überschießen auf beiden Seiten. Mittlerweile ist nicht mehr auszuschließen, dass im zugespitzten Meinungskampf zwischen vermeintlichen “Anti-Faschisten” und “Faschisten” letztere den viralen Erfolg erzielen und mehr Klicks und Likes erwirtschaften. In der konkreten Realität wäre das allenfalls einen Lacher, vielleicht ein bisschen Scham wert, in der aufgeblähten Meinungsblase aber geht es nun plötzlich um Zivilisation oder Barbarei. Alle fürchten sich vor den Interpretationen und Konnotationen der sich selbst spiegelnden und bestärkenden Meinungsfetzen.
Ein solcher Meinungskampf, bei dem die gegensätzlichen Likes nicht mehr friedlich nebeneinander bestehen, beschädigt die Absatzmöglichkeiten. Die Grundlage von Facebook, Amazon, Google etc. ist, dass ein Massenpublikum in seinen zwar grundverschiedenen, aber nicht antagonistischen Vorlieben durch ein Unternehmen hochskaliert bewirtschaftbar ist. Nun jedoch werden Amazon-Rezensionen, Facebook-“Likes” und das Anklicken von Google-Anzeigen zu Waffen im Meinungskampf, anstatt neutrale Information über die jeweiligen Konsumpräferenzen zu sein. Das ist schlecht für das Geschäft. Wirtschaftliche Anreize führen daher zu jenen Interventionen, welche die parallel bewirtschaftbaren Filterblasen vor ihrem Platzen bewahren sollen.
Die kommerzielle Notwendigkeit dieser “Diskursbereinigung” führt allerdings dazu, dass die elitären Reaktionen legitimiert werden, was Übertreibungen nährt. Damit untergraben sie letztlich die kommerzielle Absicht: Je weiter die digitalen Plattformen Teile der Bevölkerung abdrängen, desto eher zerstören sie ihre materielle Basis: die Netzwerkeffekte. Eine politisch gesäuberte Plattform einer elitären Oberschicht hat weit geringeren Werbewert als eine Plattform, die auch all den dummen, hetzenden, ungebildeten Untertanen Raum bietet. Die Eskalation zwischen Eliten, die das Vertrauen verspielt haben, und “Trollen”, die noch kein Vertrauen verdient haben, lässt sich nicht durch Filtern und Löschen befrieden.
Handel statt Krieg
Die mediale Aufmerksamkeitsbewirtschaftung benötigt Dramatik, darum ist wieder von Handelskriegen die Rede. Gewiss verdeutlicht das Wort reale politische Gesten. Doch am leichtfertigen Zündeln tragen
Argentinische Krisenerfahrungen und Survivalism
Zu einer realistischen Einordnung und Bewertung hier vorgestellter Szenarien und feilgebotener Vorsorgestrategien zur Abwendung individuellen Unheils, ist es besonders interessant, auf zeitlich nahe Fallbeispiele ökonomischer Brüche zurückzugreifen. Einige Bezüge neuer Krisenbücher verweisen auf die schwere Wirtschaftskrise Argentiniens, die das Land ab 1998 in Beschlag nahm. Tatsächlich ließ diese mit Stadien bis hin zum Bankenchaos und Staatsbankrott wenig Extremes vermissen. Eine erste Erkenntnis im Rückblick mag sein, dass es dort trotz des Zusammenbruches des Finanzsystems 2001 und hoher politischer Instabilität in Folge weder zu plündernden Menschenhorden noch zu einer breiten Verflachung der Arbeitsteilung hinunter auf das Subsistenz-Niveau kam.
Der Krisenratgeber Surviving economic collapse des Argentiniers Fernando Aguirre wirbt damit, als einziges dieser Bücher Tipps nach persönlichen Erfahrungen aus erster Hand zu geben. Aguirre erlebte die Geschehnisse als Jugendlicher in Buenos Aires und verließ erst 2011 das Land. Auf den ersten Blick mag es bestechen, eine solch unmittelbare Sammlung und Analyse von Problemen und ihrer Bewältigung in der Krise zu erhalten. Oft liefert die Betrachtung einer Quelle jedoch noch kein hinreichend realistisches Bild. Wahrnehmungen könnten verzerrt, verfügbare Informationen selektiv sein; der Zufall, das persönliche Umfeld aber die Interessen und Anreize des Beobachters spielen, bewusst oder unterbewusst, eine Rolle.
Diese Problematik soll im Kontrast etwas analysiert werden: Die Ausführungen von Aguirre sollten mit einem Interview eines weiteren Augenzeugen – kurz: Luis – verglichen werden. Beide Männer sind ähnlich alt, lebten zur betreffenden Zeit in der selben Stadt und arbeiteten sogar beide als Dozenten für die Universidad de Buenos Aires. Trotz augenscheinlicher Parallelen vermitteln die Berichte tatsächlich ein unerwartet gegensätzliches und relativierendes Bild.
Für Aguirre bestätigt sich im weiteren Geschehen die Analyse eines Lehrers aus seinem Sozialwissenschaften-Seminar des Jahres 2001: Argentinien ein kollabiertes Land auf Dritte-Welt-Niveau, das über keine nennenswerte Mittelklasse mehr verfügt, weil deren weitgehende Mehrheit in die große Schicht der Armen abfiel. Ihr Frust nähre die sozialen Unruhen in einer Gesellschaft ohne Puffer zwischen vielen Armen und wenigen Reichen. Ihm fällt auf, dass sich die Zahl der eingeschriebenen Studenten rasch halbiert habe. Wie er annimmt, weil sich ein Studium in vielen Fällen nicht mehr ausreichend auf das Einkommen auswirke, aus Geldmangel oder der Notwendigkeit Familien durch Hinzuverdienst zu unterstützen. Dagegen hatte Luis kaum Klassenbewegungen erlebt. Er erklärt, dass der öffentliche Sektor einen großen Teil der Mittelschicht beschäftigt und dieser wesentlich besser vergütet wurde als der private. Beide sprechen von sich vervielfältigten Obdachlosen. Luis schreibt dies dem großen Schwarzmarkt zu, in dem sich viele Arme mit kleinen Gelegenheitsarbeiten als Tagelöhner verdingen und deren Einkommen Wohnungs-Mietverhältnisse meist kaum noch ermöglichen. Von daher scheint es plausibel, dass die Schockwellen des Konjunktureinbruches unmittelbar auf die Löhne dieses Marktes für simple, austauschbare Tätigkeiten in sich rasch vergrößerndem Angebot, durchschlugen und in Folge viele Mieten nicht mehr bezahlt werden konnten. Der mit der Krise einhergehende Wertverlust der Landeswährung Peso entfachte im Land einen zeitweiligen Produktionsaufschwung, der freilich nicht nachhaltig war, sondern dem klassischen Muster des Konjunkturzyklus folgt. Luis benennt diese Zeit zwischen den Jahren 2005 bis 2009 als ökonomischen Sommer, in dem es sogar weniger Obdachlose als vor der Krise gab. Seither stabilisierte sich die Zahl der Wohnungslosen auf Vorkrisenstand.
Aguirre gibt an, dass sich durch das Abwerten des Peso Lebensmittel um das Zwei- bis Dreifache verteuert haben. Dies hätte in ärmeren Nordprovinzen zu Unterernährung geführt, weil die durch hohe Arbeitslosigkeit erniedrigten Einkommen nicht immer ausgereichten, um die erforderliche Mindestmenge an Kalorien zur Ernährung einer Durchschnittsfamilie kaufen zu können. Von dortigen Lehrern festgestellte Konzentrationsprobleme mancher Schüler seien auf Unterernährung zurückzuführen gewesen, wie sich später herausgestellt hätte. Zu der strategischen Ortswahl verweist er auf die schlechte Ernährungslage in den Städten während Krisen:
Diejenigen, die in den Städten leben, müssen sich so gut wie möglich zurechtfinden. (…) Die Leute haben die Ausgaben gekürzt, wo immer sie konnten, damit sie Lebensmittel kaufen konnten.
Kryptohype
Kryptowährungen werden geliebt oder gehasst, verklärt oder verteufelt. Für die einen das lang ersehnte staatsfreie Geld, Vorzeichen eines Zeitalters mobiler und digitaler Freiheit, für die anderen