Als Österreicher ein “Austrian” zu sein, ist eine seltene Pointe. Warum der Anglizismus?
Übersetzungen verschleiern oft feine Unterschiede. Und “Austrian Economics” ist nicht genau dasselbe wie die Österreichische Schule. Der Begriff verweist auf einen Neubeginn in Amerika und gibt damit eine amerikanisierte Version dieser Tradition wieder. Dieser Neubeginn war ein doppelter. Er fand in einem politischen Kontext statt, der im Gegensatz zum ursprünglichen Kontext der “Österreicher” steht.
Die jüngste Entwicklung, welche zu einer Neuentdeckung von “Austrians” in den USA führte, war die Große Finanzkrise 2007. Damals machte sich in der Bevölkerung Unbehagen über die technokratische Alternativlosigkeit breit. Plötzlich kam ein bislang ignorierter Politiker zu größerer Bekanntheit: Ron Paul, ein bekennender “Austrian”. Seine Losung “End the Fed” traf in einer Zeit milliardenschwerer Bankenrettungen auf offene Ohren. Die Drohung einer neuen “Tea Party” hing in der Luft. Gegen die vermeintlichen Experten war Gegen-Expertise von Nöten.
Die geldpolitischen Maßnahmenskeptiker fanden so in wachsender Zahl zur “Austrian Economics”, für den Hauptstrom wurde jene damit als Schwurbler-Ökonomik demaskiert. Attraktiv machte diese Tradition ihre vermeintliche akademische Legitimität: Immerhin gab es Professoren und sogar einen Nobelpreisträger! Ron Paul ist auch ein echter Doktor!
Leider handelt es sich um ein Missverständnis. Immerhin war Hayek der bislang einzige Preisträger, der den falschen Preis kritisierte. Doch Interessen suchen gegen Experten Gegen-Experten und gegen Ideologie Gegen-Ideologie. “Austrian Economics” wurde so in den USA zum Synonym für “Libertarianism”, eine amerikanische Neuinterpretation des klassischen Liberalismus. Was nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig ist.
Der zweite Neubeginn bestätigte den ersten. Auch die ursprüngliche Rezeption der neueingewanderten “Austrians” war zugleich eine politisch-ideologische und antitechnokratische. Unter Franklin D. Roosevelt entwickelten die USA eine eigene Form des Faschismus. Im Gegensatz zur italienischen Variante suchte hier der Etatismus nicht kirchliche, sondern “wissenschaftliche” Legitimation. Roosevelt scharte um sich den “BrainTrust”. Trust the brains, trust the science – könnte man es in einen Leitspruch dieser technokratischen Herrschaftslehre wenden. Vertraut den Hirnen – nur nicht euren eigenen!
Das Vertrauen in akademische und mediale Autoritäten wurde in die Buchstabensuppe unzählbarer technokratischer Behörden, Institute und NGOs eingekocht, die seit Roosevelt die eigentliche Regierung der USA bilden. Gegen diese geballten Planungsexperten suchten einzelne Unternehmer Gegen-Expertise. Jene boten die “Austrians”. Es waren private Mittel, die Ludwig von Mises, dem stets ein “echter” Lehrstuhl versagt blieb, ein Auskommen und Weiterwirken in den USA erlaubten.
Der Kontext hatte sich jedoch dramatisch geändert. Die ursprüngliche Österreichische Schule bemühte sich um Wertneutralität und ergebnisoffene Erkenntnis. Nun fand sie sich in einem Kulturkampf, bei dem jede Seite ihr genehme Experten auffährt.
Carl Menger wandte sich einst gegen den deutschen Idealismus und die moralisierenden Ersatzreligionen der Neuzeit. Vor dem Richten sollte das Begreifen und Verstehen kommen.
Doch im Positivismus des “wissenschaftlichen Konsens” schwand der Platz für die Erkenntnis zwischen technokratischen Gewissheiten und antielitären Gegen-Gewissheiten.
Die Österreichische Schule war auf wertneutralem Weg zu ähnlichen Schlüssen gelangt wie die modernen Gegen-Ideologen. Das erklärt die Verbindung, Freundschaft und Kontinuität zwischen Österreichern und “Austrians”. Eine Phase steigender Ungewissheit und Orientierungslosigkeit hatte die Österreicher zur Erkenntnistheorie geführt, wie man Experten von Nicht-Experten unterscheiden könne.
Wenn wir die Methoden der Ökonomik betrachten und ihre eigenen Methoden auf sich selbst anwenden, löst sich ihre Autorität in Luft auf. Die Vorhersagen von Ökonomen sind eben ohne jede Prognosekraft, nicht bloß zufällig, sondern im Durchschnitt falscher als das laienhafte Raten oder Würfeln. Je berühmter die Ökonomen, je mehr Bücher sie verkaufen, desto falscher ihre Prognosen.
Womöglich war es auch die Skepsis gegenüber Expertise im Staatsdienst, neben seinen paradox-prophetisch düsteren Vorahnungen, die Carl Menger bewog, seinen Lieblingsschülern von einer akademischen Karriere abzuraten. So setzte etwas früher, aber parallel zum amerikanischen ein anderer doppelter Neubeginn in der Schweiz an.
Der Kontext war der Weltkrieg und die Sorge vor einer Zerstörung der geldvermittelten Kooperation. Diese Sorge führte nicht zu Politik und Ideologie, denn davon gab es in Europa schon mehr als genug. Sie führte zu Finanz und Diplomatie. Diese “Öschtriicher” trugen dazu bei, dass die Schweiz in beiden Bereichen zu einem Zentrum wurde. Der erste Neubeginn waren die Bemühungen der Menger-Schüler Somary im Privatbankwesen und Schüller in Friedensverhandlungen.
Der zweite Neubeginn war unter anderem das Wirken von Mises, seiner Schülerin Helene Lieser, sowie der von ihm beeinflussten Rappard und Röpke in Genf. Zielsetzung war Erhalt und Wiederaufbau der Globalisierung nach dem Krieg. Nicht eine kulturelle Globalisierung war die Absicht, sondern friedliche Arbeitsteilung auf der Grundlage von Freihandelsabkommen und stabilem, neutralem Geld.
Die Schattenseite dieses Ansatzes war die Erhebung kosmopolitischer Eliten über engstirnige Bevölkerungen. Gewiss kritisierten Österreicher oft die Anmaßungen, die zum privilegierten Organisationengeflecht in Genf bis hin zu Davos führten. Doch wie der amerikanisch-
österreichische Weg hat auch der Schweizer-österreichische seine dunkle Seite. Angesichts der dunklen Seiten des alten Österreichs sei diese verziehen. Im Gegensatz zu den “Austrians” hat der Schweiz-österreichische Weg, der nicht die politische Öffentlichkeit sucht, sondern im Hintergrund wirkt, aber bislang zu wenig Würdigung erfahren.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.