Nach dem Crowdfunding gewinnt nun auch das Crowdinvesting an Bekanntheit. Das Sammeln von vielen Kleinstinvestitionen auf digitalen Plattformen zur Unternehmensfinanzierung scheint in Zeiten der Kreditklemme bei gleichzeitigem Null- bis Negativzins dringende Bedürfnisse bei Unternehmern und Sparern gleichermaßen zu adressieren. Ist Crowdinvesting tatsächlich der ersehnte Ausweg aus dem Spar- und Finanzierungsdilemma? Nach einer kurzen und kritischen Einschätzung zum Crowdfunding soll nun tiefer hinter die Versprechen des Crowdinvesting geblickt werden: Innovatives Finanzinstrument oder leeres Versprechen?
Die Unternehmensfinanzierung befindet sich im Wandel. Im Nachkriegseuropa – mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches – war die klassische Bankfinanzierung die bevorzugte Art der Kapitalbeschaffung, sowohl für Unternehmer als auch Private. Die Kontinentaleuropäer, insbesondere Deutschland und Österreich, waren Sparernationen, und ein entsprechend gut entwickeltes Sparkassen- sowie Genossenschaftsbankensystem sorgte dafür, dass die Ersparnisse über die klassischen Bankfunktionen der Fristen- und Losgrößentransformation an Unternehmer – als die primären Kreditnachfrager – weitergeleitet wurden. Der Zusammenbruch des Bretton Woods-Abkommens im Jahr 1971 und die damit verbundene Aufblähung der Geldmenge in den folgenden Jahrzehnten trieben die öffentliche und private Verschuldung in sämtlichen Industrienationen massiv in die Höhe. Die realen Produktivitätsgewinne konnten die immer größeren nominellen Schulden nicht mehr absorbieren, Banken- und Finanzkrisen häuften sich – die Spirale des Konjunkturzyklus lief schneller und schneller. Die ständigen Finanzkrisen führten in der Finanzindustrie zu verheerenden Interventionsspiralen, die die Finanzwirtschaft endgültig von der Realwirtschaft entkoppelte. Aktuelle Erfahrungen und Eindrücke scheinen jedoch den Schluss nahe zu legen, dass – insbesondere für mittelständische Betriebe – durch die Basel-Regulative (Eigenkapitalhinterlegung der Banken bei Finanzierungsgeschäften) der Kreditmarkt für klassische Finanzierungsprojekte de facto ausgetrocknet ist (was Alternativen wie etwa die kürzlich behandelten P2P-Kredite aufkommen lässt). Kredit wird nur noch jenen gewährt, die ihn eigentlich nicht brauchen und eher vor dem Problem der Veranlagung der Überschuss-Liquidität stehen: Großkonzernen.
Aber auch die Unternehmenslandschaft selbst änderte sich massiv. Selbst die künstlichen Skaleneffekte von Großunternehmen (vgl. Helden, Schurken, Visionäre, Taghizadegan 2016) erlauben heute kaum noch Beschäftigung im klassischen Dienstverhältnis, wo Arbeit mit 100 Prozent Abgaben belastet ist. Die logische Folge ist der Auslagerungstrend der letzen 15 Jahre, der in der „Ich-AG” seinen Abschluss findet – bei Einzelunternehmern in Abhängigkeit von einem Kunden.
Als Hoffnungsschimmer etablierte sich in jüngerer Vergangenheit für Gründer und Freischaffende die Idee des Start-Up, die im Wesentlichen aufgrund der technologischen Revolution der Digitalisierung künftige Wertschöpfung und Beschäftigung verspricht. Diese neue Form von Unternehmen verlangt auch neue Finanzierungskonzepte, die die Banken sowohl aufgrund mangelnder Innovationskraft als auch aufgrund der beschriebenen regulativen Hemmnisse nicht liefern können.
Unternehmer versuchen diese Finanzierungslücke mit der Idee des Crowdinvesting zu füllen. Die Idee dabei ist, die Vermittlungsfunktion von Ersparnissen nicht mehr über Banken abzuwickeln, sondern direkt über digitale Plattformen durchzuführen. Diese ermöglichen günstige Transaktionskosten und machen so das Sammeln vieler Kleinstbeträge praktikabel. Im Gegensatz zum Crowdfunding erhalten die Anleger Ansprüche auf Verzinsung.
Das englische Vokabel bezeichnet wie so oft bloß den zeitgeistigen Neuaufguss einer alten Idee. Hier ist es eine Idee, die hinter der Genossenschaftsbewegung steht: Viele kleine Geldgeber ermöglichen durch ihre Masse die Finanzierung größerer Unternehmungen. In der Genossenschaft sind die Anleger aber Miteigentümer mit Stimmrecht, nicht Kreditgeber. Aufgrund der immensen Transaktionskosten ist die Streuung auf viele Kleinanleger bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Erfordernisse einer Aktiengesellschaft nicht erfüllen können oder wollen, unpraktikabel. Allein die Notariatskosten übersteigen heute die typische Summe einer Kleinstbeteiligung, wie sie bei Genossenschaft oder heutigem Crowdinvesting die Regel ist.
Das schafft eine Lücke, die potentiell durch Crowdinvesting geschlossen werden könnte. Genossenschaften könnten diese Lücke grundsätzlich auch schließen, doch sind die Mindestkosten durch die Revisionsverbandszugehörigkeit etwas hoch, und im Genossenschaftswesen haben sich heute weitgehend uninnovative Anstalten breit gemacht, die mit der Genossenschaftsidee praktisch nichts mehr zu tun haben. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. diese) findet das Crowdinvesting daher heute außerhalb der Rechtsform der Genossenschaft statt. In der praktischen Umsetzung haben sich in den letzten Jahren auch in Österreich bereits einige Unternehmen in diesem Bereich entwickelt, die die Finanzierungslücke der Banken zu schließen versuchen. Die Kreditvolumina, die in den einzelnen Projekten bewegt werden, sind durchaus beachtlich.
Wenn ein Unternehmer allerdings Geld von privaten Kreditgebern einsammelt und dafür eine Verzinsung gewährt, so gilt das heute als Bankgeschäft. Diese Art der Finanzierung bedarf also einer Banklizenz – was zum mittlerweile berühmten Konflikt eines Waldviertler Schuhproduzenten mit der österreichischen Finanzmarktaufsicht führte. Bei der Kreditgewährung einer Bank erhält diese die Sicherheit, im Konkursfall als erstrangiger Schuldner behandelt zu werden, also noch vor allen anderen Ansprüchen von Kunden oder Zulieferern ausgezahlt zu werden. Dieses Privileg nimmt das Bankenkartell exklusiv für sich in Anspruch.
Spätestens seit Herbst 2015 und dem Erlass des sogenannten Alternativ-Finanzierungsgesetzes wurde Crowdfunding daher auf Druck der Banken massiv reguliert und zum Nachteil der Investoren eingeschränkt. Konnte man aufgrund der Verzerrungen im Bank- und Kreditwesen bereits bisher kaum von einem Kreditmarkt in einem marktwirtschaftlichen Sinn sprechen – ökonomisch richtiger wäre es, die gegenwärtigen Bedingungen als ein Zuteilungssytem von Liquidität zu bezeichnen – so wurde durch das genannte Gesetz und die praktische Regulierung einer sinnvollen alternativen Finanzierung ein Riegel vorgeschoben. Diese gesetzliche Regulierung wird meist positiv hervorgehoben, da sie einen gesetzlich zulässigen Rahmen abgesteckt habe, der im Vergleich mit anderen bürokratischen Staaten sogar etwas Raum lässt. Doch der geschaffene Raum ist einer zu Ungunsten der Investoren, was kurzfristig zugunsten der Unternehmen zu sein scheint, langfristig aber wohl eine Gegenreaktion und ein Versiegen dieser Geldquellen nach sich ziehen wird.
Die Finanzmarktaufsicht als oberste Regulierungsbehörde Österreichs legte mit dem Alternativ-Finanzierungsgesetz fest, dass eine Crowd-Finanzierung nur als Substanzgenussrecht oder als partiarisches Darlehen (auch Nachrangdarlehen genannt) abgewickelt werden kann. Diese Regulierung erhöht natürlich das Risiko des einzelnen Kleininvestors deutlich, da er nun im Konkursfall de facto als Eigenkapitalgeber gesehen wird – im Falle einer Insolvenz ist das Geld also weg. Doch auch wenn es zu keiner Insolvenz kommt, können Zinsen im partiarischen Darlehen nur im Falle eines erwirtschafteten Gewinns bezahlt werden – die Zinszahlungen müssen also immer durch einen Gewinn im jeweiligen Jahr gedeckt sein. Bei typischen Start-Up-Projekten sind Gewinne jedoch eher die Ausnahme als die Regel, laufende Zinseinkommen also für die meisten Investoren eher unwahrscheinlich. Zusätzlich wurde mit dem Argument des Gläubigerschutzes auch die maximale Investitionshöhe je Projekt auf EUR 5.000 beschränkt. Die kommunizierten Renditen sind völlig unseriös, da sie auf einem Missverständnis beruhen. Entscheidend sind niemals maximal mögliche Renditen, sondern Renditeerwartungen. So ist, angesichts der bei Start-Up-Finanzierungen bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilungen das Totalausfallsrisiko höher als die Gewinnwahrscheinlichkeiten – die Renditen sind also korrekt berechnet allesamt stark negativ. Würde den Anlegern der reale ökonomische Hintergrund vermittelt, nicht bloß die Hochglanz-Broschüren-BWL mit ihren Anglizismen und ihrer Pseudopräzision, fände sich kaum jemand bereit für ein solches Engagement.
Der Erwartungswert des vermeintlichen „Zinses” eines Crowdinvesting-Projektes muss nämlich nach folgender Rechnung grob ermittelt werden – nach vereinfachender Annahme endfälliger Verzinsung:
Reale Zinserwartung = (1 + Zinssatz) * (1 – jährliche Wahrscheinlichkeit des Kapitalverlusts) – 1
Das ergibt für die Beispielswerte von hohen sechs Prozent Verzinsung und sehr niedrig bemessener (optimistischer) Insolvenzerwartung von 25 Prozent eine reale Zinserwartung von minus (!) 20,5 (!) Prozent. Sofern es zur Insolvenz kommt, sind zudem die Zinserträge nicht sonderlich relevant, da unwahrscheinlich: ihre Voraussetzung ist Profitabilität. Gewiss ist es möglich, Unternehmen zu erwischen, die schnell Profitabilität erreichen oder von profitablen Unternehmen aufgekauft werden – der Exit begünstigt aber freilich nur Eigentümer, nicht Gläubiger. Diese Gabe der Unternehmensidentifikation ist allerdings Fokus des Angel Investing von Venture Capital-Fonds – ein Metier, das selbst für bestens vernetzte Profis hochriskant ist, und weit jenseits der Möglichkeiten, Fähigkeiten und Dimensionen des Crowdinvesting liegt.
Bei solchen „Renditen“, wie sie die obige Beispielrechnung nahelegt, würden sich nur wenige „Anleger” finden. Darum spricht man bei der Finanzierung von riskanten Unternehmensgründungen ja auch von der typischen 3-F-Trias: family, friends & fools – Familie, Freunde und Narren. Familie und Freunde aber zählen klarerweise nicht zur Crowd.
Es ist also zu erwarten, dass das Finanzierungsvolumen stagnieren wird, und in der Tat kann man beobachten, dass die größte österreichische Crowdinvesting-Plattform bereits mit ihrem Geschäftsmodell nach Osteuropa ausweicht, da großvolumige Finanzierungen in Österreich unwahrscheinlich werden.
Im Folgenden soll der ökonomische Hintergrund und die ethische Bewertung von Crowdinvesting an einem konkreten Beispiel verständlich gemacht werden – und zwar einer zunächst beeindruckenden Erfolgsgeschichte.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.