Die meisten Anleger sind frustriert über die geringe Zahl an sinnvollen Anlagemöglichkeiten, während die wahrgenommene Ungewissheit steigt und zu weiterer Streuung drängt. Der Renditendruck tut sein Übriges, sodass immer exotischere Anlageklassen die breite Masse locken. Vieles davon scheint abstrakt und bar jedes Nutzwertes. Warum also nicht das Schöne mit dem Lukrativen verbinden? Das ist der Reiz der Anlageklasse „Kunst”. Kunstwerke werfen zwar keine direkten Erträge ab, außer dem ästhetischen Nutzwert, sich ihrer Anwesenheit zu erfreuen, doch versprechen sie Wertsteigerung. Der internationale Kunstmarkt ermöglicht teilweise atemberaubende Auktionserlöse. Bislang scheint diese Anlageklasse Vermögenden vorbehalten. Das so veranlagte Vermögen wächst dramatisch. Oft bleiben die Kunstwerke in Zollfreilagern liegen, die direkt an großen Flughäfen liegen, die von Vermögenden frequentiert werden – eines der größten Lager liegt am Genfer Flughafen. Das sieht nach einer absurden Übertreibung der Märkte aus: Bei Barren nimmt man noch hin, dass sie in dunklen Tresoren ruhen, doch in großem Stil Kunstwerke aufzukaufen, um sie in Lagern verstauben zu lassen, ist der Intention der Kunst doch allzu zuwider. Dieses Problem der Handhabung großer Mengen von Kunstwerken ist allerdings ein Luxusproblem. Ein durchschnittlicher Anleger wird die Kunstwerke wohl in seinen eigenen vier Wänden unterbringen. Wäre es nicht also sogar aus künstlerischer und moralischer Perspektive wünschenswert, dass die breite Masse in Kunstanlagen einsteigt? Sind Kunstwerke nicht eine viel ansprechendere Alternative zu Sparbüchern und Anleihen mit niedrigen bis negativen Zinsen?
Zunächst muss man verstehen, warum die Vermögenden ihre Anlagen in Lagern verstauen. Eine der Zielsetzungen der Vermögensanlage ist Liquidität. In den Kunstlagern verstauben Bilder in Wirklichkeit nicht, sondern sind sicher verwahrt unter klimatisch perfekten Bedingungen. Die direkte Lagerung an Flughäfen erlaubt schnellst- und schonendstmöglichen Weiterverkauf. Die extreme Volatilität von Kunst, die ja heute geradezu dadurch definiert ist, im Auge des Betrachters zu liegen, drängt den Anleger zu großer Streuung. Ein einzelnes Kunstwerk ist ein Los in einer Lotterie, noch dazu einer mit extremer Schieflage, erst eine Sammlung ermöglicht ein aktiveres Auftreten am Kunstmarkt – eine Sammlung ist nichts anderes als ein Kunstportfolio.
Die Schieflage am Kunstmarkt besteht darin, dass es ein sehr persönlicher Markt ist: Beziehungen sind besonders wichtig. Es ist eben kein Massenmarkt, sondern ein Liebhabermarkt. Zudem unterliegt er ausgeprägten Moden, bei denen die Meinung bestimmter Akteure – nicht bloß das Kaufverhalten – deutliche Auswirkungen auf die Preise hat. Bieten sich für den kleinen Anleger dennoch Chancen, hier das Schöne mit einer gewissen Wertsteigerungsaussicht zu verbinden?
Kunstwerke zeichnen sich immerhin durch eine gewisse, wenn auch im wahrsten Sinne des Wortes künstliche Knappheit aus. Originale werden streng, aber nicht immer sofort und oft nur mit großem Aufwand von Kopien unterschieden. Die teuersten Kunstwerke sind durch den Tod ihrer Urheber knapp: Es können keine weiteren Originale mehr dazukommen, eine Inflationierung ist nahezu ausgeschlossen (nahezu, da nur selten einzelne Kopien untergeschoben werden können).
Die Entwicklung des Kunstmarktes hat bereits zum Lancieren mehrerer Fonds geführt, die zum Teil auch kleinere Anleger ansprechen – in der Regel allerdings nur nach US-Definition „akkreditierte“, das heißt jene, die mehr als $200.000 Jahreseinkommen oder mehr als eine Million Vermögen nachweisen können. Der jüngste Fonds „Arthena” gibt gar vor, künstliche Intelligenz zu nutzen, um eine möglichst lukrative Auswahl von Kunstwerken zu treffen. Die durchschnittliche Rendite am Kunstmarkt läge bei zehn Prozent, so die Gründer, und diese Rendite sollte sich noch verdoppeln lassen.
Kleinere Anleger, die für solche Fonds nicht in Frage kommen, würden gewiss auch mit den zehn Prozent gerne Vorlieb nehmen. Doch dieser Wert ist so fraglich, dass man schon eine Täuschungsabsicht unterstellen könnte. Eine systematische Untersuchung von 2013 relativiert die vermeintliche Rentabilität von Kunstanlagen ganz beträchtlich. Tatsächlich lägen die realen Renditen näher bei 6,5 Prozent. Sehen wir uns dazu im Vergleich die Renditen anderer Anlageklassen an: Eine Anlage, die sich am Dax orientiert, warf seit 1989 eine jährliche Rendite von 11,61 Prozent ab, der Dow Jones seit 1989 jährlich 9,32. Gold zeigt im Schnitt eine jährliche „Wertsteigerung” (die natürlich nur die Wertminderung des Papiergeldes abbildet) von ca. 8 bis 9 Prozent. Aufgrund des großen Goldabsturzes in den 1980er-Jahren reduziert sich diese „Rendite”, wenn man den Betrachtungszeitraum im Jahr 1980 beginnen läßt, auf 1,9 Prozent.
Die heruntergerechneten 6,5 Prozent wären noch immer ganz ansprechend, doch fehlen entsprechend lange Datenreihen. Das Argument der zitierten Studie wiegt womöglich noch schwerer, als die Senkung auf den letztlich willkürlichen Betrag ausdrückt. Die kommunizierten zehn Prozent würden nämlich durch einen Selektionseffekt zustande kommen:
Die zugrundeliegende Ursache der Renditenüberschätzung (und der einhergehenden Risikounterschätzung) ist als selection bias (Auswahlsvoreingenommenheit) bekannt. … Diese Voreingenommenheit entsteht, wenn Renditen auf Indices beruhen, die aus wiederholten, nicht zufälligen Verkäufen relativ illiquider Anlageklassen konstruiert werden. Viele der Renditen, die auf dieser Art von Indices beruhen – dazu gehören auch die S&P/Case-Shiller Immobilienpreis-Indices – könnten zugunsten höherer Werte voreingenommen sein.
selection bias bedeutet, dass die Auswahl der betrachteten Kunstwerke nicht repräsentativ ist. Verkauft wird nur relativ selten, und dabei im Wesentlichen natürlich die wenigen besonders lukrativen Kunstwerke. Die Hälfte aller Kunstauktionen wird durch die großen Häuser Christie’s und Sotheby’s abgewickelt. Die vielen Kunstwerke, deren Preise nicht hoch gestiegen sind, bleiben auf Wänden hängen und in Lagern liegen. Kurz ausgedrückt: Je illiquider die Anlageklasse, desto weniger repräsentativ sind Indices und Verkaufspreise. Carl Menger gab einst als Beispiel für eine besonders illiquide Anlageklasse „Antiquarische Bücher, die in Sanskrit geschrieben sind”. Solche Sanskritbücher sind selten und können sehr hohe Preise erzielen. Die Rendite, die sich aus der Wahrscheinlichkeit ergibt, ein solches Buch teurer verkaufen zu können, als man es gekauft hat, ist jedoch gering, bzw. real negativ: Es ist ein absoluter Liebhabermarkt. Die Chancen auf spekulativen Erfolg sind umso höher, je weniger man als anonymer Marktakteur mit gier- oder angstgetriebenem Verkaufsdruck auftreten muss, und je mehr man persönliche Kontakte zu anderen Liebhabern hat – womöglich, weil man selbst zu diesen gehört. Mit Anlage im klassischen Sinne hat das freilich wenig zu tun.
Die zitierte Studie kommt zum Schluss, dass die gemeinhin kommunizierten Risiken um das 7- bis 8-fache unterschätzt sind. Dies soll durch eine errechnete Sharpe Ratio (eine Risikokennzahl) ausgedrückt werden, die Präzision vortäuscht. Letztlich führt auch die Studie damit in die Irre: Wir haben es eigentlich mit Ungewissheit, nicht bloß mit Risiko zu tun. Illiquide Anlageklassen erlauben keine Risikoberechnung, denn Risiken sind statistische Größen, die eben große Zahlen voraussetzen. Da die wenigsten Kunsttransaktionen erfasst werden, ist es unzulässig, ein präzises Risiko angeben zu wollen. Einige interessante Zusatzinformationen allerdings bietet die Studie:
Mehr als zwei Prozent aller Verkäufe erfolgen innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Künstlers, was die allgemein geteilte Ansicht in der Kunstwelt bestätigt, dass death sells. Das durchschnittliche Auktionsergebnis des gesamten Datensatzes lag bei $61.939, mit einigen wenigen extrem teuren Bildern. … Unter den Stilen machten der Impressionismus und die Moderne ein Drittel der Verkäufe aus, gefolgt von europäischen Bildern des 19. Jahrhunderts mit etwa einem Viertel. Ungefähr 16 Prozent der Verkäufe waren Nachkriegs- und zeitgenössische Bilder, 12 Prozent waren amerikanische Bilder und 5 Prozent waren alte Meister.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.