Eigenheim oder Bitcoin?
Nach einer zwischenzeitlichen Halbierung vieler digitaler Anlagen könnten die physischen Güter wieder attraktiver scheinen. Darum sollen die kritischen Randnotizen zur Immobilienanlage aus der letzten Ausgabe eine aktualisierte Fortsetzung erfahren.
„Du wirst nichts besitzen, und dennoch glücklich sein“ – diese Ansage aus einem Werbefilm des Weltwirtschaftsforums unter der Leitung von Klaus Schwab polarisiert. Doch dieses Lebensmodell gibt es wirklich, es ist der Minimalismus der digitalen Nomaden. Erstmals ist es möglich, sämtliche Vermögenswerte digital zu halten: Nicht nur digitale Zertifikate oder Kontenzugänge, auch die unterste schuldbefreiende Ebene ist mit Bitcoin heute in digitaler Ausführung im Angebot. Über NFT werden auch Sammelstücke rein digital verfügbar gemacht, und die Digitalisierung unserer Erinnerungen hat sich mit dem Siegeszug der Digitalfotographie schon allgemein durchgesetzt.
Der digitale Nomade geht noch weiter: Er oder sie beschränkt die nicht digitalen Besitztümer auf das Minimum, das in einen Fluchtrucksack passt, und lebt stets nur zur Kurzzeitmiete – im Hotel, per Airbnb oder Co-Living. Manche treiben es auch in der Vermögensanlage ins Extrem: Sie halten nur noch den digitalen Wert Bitcoin und tauschen jedes Einkommen sofort in neue Bitcoin ein. Benötigen sie herkömmliche Währungen, dann nutzen sie die vorhandenen Bitcoin als Pfänder und beziehen einen Kredit in „Fiat stable coins“, digitalem Zeichengeld, das an den Dollar- oder Eurokurs gekoppelt ist und mittels Kreditkarten verwendet werden kann.
Diese Existenzform erscheint den einen als Ausgeburt moderner Kurzfristigkeit, zu sehr abhängig von den volatilen digitalen Marktbeziehungen, unfähig zum Aufbau bleibender Werte, wie etwa Nachkommen in familiärem Rahmen. Diese Perspektive hat einen wahren Kern, ist aber zu einseitig. Denn gute Ökonomik lehrt uns, stets die Alternativen zu betrachten. An der Entwicklung der Bedingungen des Gegenmodells können wir erkennen, dass digitales Nomadentum nicht Ausdruck eines Wertewandels von langfristiger Verwurzelung zu kurzfristiger Unstetigkeit ist, sondern vielmehr Reaktion auf das Untergraben menschlicher Wurzeln.
Der Sesshafte entgeht den Schwankungen der hohen See, doch nicht den Schwankungen der Politik, die gegen seine Pforten branden. „Regime uncertainty“ ist der Fachausdruck für die künstliche Volatilität durch zwar der Tendenz, aber nicht dem Moment nach absehbare Interventionen. In Westeuropa glauben wir uns auf Inseln institutioneller Stabilität. Leider ist diese Stabilität immer mehr Kapitalkonsum: das Aufbrauchen unsichtbarer kultureller Reserven zum Abdecken gegenwärtiger Lücken. So können Schwankungen kollektiv aufgefangen werden, doch der Preis ist stets, dass andere und immer neue Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat langsam aus dem Lot geraten. Da schaukelt sich einiges auf.
Der Interventionismus, mit all seinen Schwankungen, trifft die Immobilen härter – warum trifft er dann nicht deren Immobilien? Mobilität wird künstlich belohnt durch steuerliches und regulatorisches Bestrafen der Immobilität; das ist der wesentliche Grund für die Zunahme des Nomadentums. Warum zeigt sich dieser Trend noch nicht in sinkenden Immobilienpreisen? Das liegt daran, dass Immobilien auch Vermögenswerte sind. Künstlich erhöhte Ungewissheit mehrt noch die Geldnachfrage, diese wird aber aus der staatlichen Währung durch unabsehbares Geldangebot abgedrängt in alternative Vermögenswerte.
Bei steigender Mobilität der Vermögenden dienen immer mehr Immobilien nur der Kurzzeitnutzung oder stehen gänzlich leer. Die Absatzfähigkeit von Vermögenswerten, so hatte Carl Menger einst erkannt, entspricht ihrer Geldigkeit. Da Immobilien weder transportabel noch beliebig teilbar sind, verstärkt die Nachfrage als Vermögenswert die Tendenz zur Vereinheitlichung und Standardisierung. Immobilien sind nicht mehr langlebige Konsumgüter von Einzelpersonen und damit eng mit deren Persönlichkeit verbunden, sondern werden zu klinischen Einheiten, die sich alle immer ähnlicher sehen und jede zeitlose und differenzierende Ästhetik einsparen.
Das Eigenheim des freien Menschen, mit seinem besonderen Status als geschützte Sphäre des Privaten und Eigenen, verliert an Bedeutung. Das liegt vor allem daran, dass das Privateigentum im Gesetzesstaat laufend untergraben wird. Immer mehr wird es zu einer Fiktion, die nur noch „verpflichtet“, das heißt als leicht lokalisierbare Angriffsfläche für Ansprüche und Zugriffe dient. Kein Wunder, dass etwa in Italien die charmantesten Häuschen verschenkt werden, weil sie keine Käufer finden – als Vermögenswerte sind sie untauglich, als Konsumgüter den Investitionsaufwand nur für wenige wert. Italien wurde als europäisches Kulturwunder Opfer des Interventionismus seiner Politiker und von geldpolitisch begünstigter Kapitalflucht, Kapitalverzerrung und Kapitalverzehrung.
Damit sind wir wieder bei der Vermögensanlage. Der größte Fehler bei der Immobilienanlage ist die Verwechslung und Vermengung von langlebigem Konsumgut als Heimstätte für mehr als eine Generation mit einem Anlagegut, das kurzfristig liquide sein muss, um seinen Zweck zu erreichen – nämlich für die Ungewissheit der Zukunft vorzusorgen. Gesamtgesellschaftlich verdrängt die monetäre Nachfrage nach Immobilien die Wohnnachfrage, was einer der Hauptgründe für die wachsende Ungleichheit, Verschandelung der Landschaft und Zyklizität der Hypothekenkredite ist. Die Marktwirtschaft im Sinne des spontanen Handelns der Menschen ist wieder der geschmähte und allzu rasch zum Tode verurteilte Überbringer der schlechten Nachricht, die in den Schreibstuben der Interventionisten verfasst wurde.
Die Minderung des immobilen physischen Besitzes ist einerseits Rationalisierung der schleichenden Enteignung durch Entmonetisierung der Währungen und künstliche Ungewissheit, andererseits spontane Reaktion auf diese Dynamiken – und der Versuch, ihnen zu entkommen. So erklärt sich auch, warum ausgerechnet der Kult der Bitcoin-Maximierer, die allen anderen Vermögenswerten entsagen, die allerhöchste Langfristigkeit proklamiert.
Zuerst erschienen auf eigentümlich frei