Nachdem die exponentielle Geldmengenausweitung im Zuge des Quantitative Easing bislang kaum in der Realwirtschaft ankam, wächst die Ratlosigkeit der Zentralbanken. Allerlei „letzte” und „außergewöhnliche Maßnahmen” wurden bemüht. Die aktuell „allerletzte” und „außergewöhnlichste” soll Helikoptergeld sein – die direkte Verteilung von Geld, das aus dem Nichts geschöpft wird, an die Bürger.
Hinter diesem Vorschlag stehen drei grundverschiedene Aspekte, die auseinanderzuhalten sind. Erstens handelt es sich um einen Schritt der Verzweiflung, mit dem keynesianische Ankurbelung gegen die Absichten der Menschen durchgedrückt werden soll. Die Hoffnung ist, dass zusätzliche Liquidität – die sich in steigender Teuerung zeigen würde – zu Wertschöpfung führt, die den stockenden Konjunkturmotor wieder zum Laufen bringen könnte. Diese Logik ist zwar populär, aber falsch.
Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass durch Helikoptergeld die Preise bestimmter Konsumgüter und Dienstleistungen steigen werden. Dies wird aber nicht das Symptom neuer Wertschöpfung sein, sondern bloß erhöhten Konsums. Der unerwartete Geldsegen wird vorrangig in jene Luxusgüter gehen, die sich Menschen typischerweise nach kleineren Lotteriegewinnen gönnen: Reisen, elektronische Spielzeuge, Mode, Mahlzeiten und Erlebnisse.
Investitionen in neue Unternehmen können nicht in beliebiger Höhe erfolgen. Die plötzlichen kleinen Zuwendungen werden also kaum zu neuen Investitionen führen, abgesehen von der Flucht in absatzfähige Vermögenswerte, an der es auch heute nicht mangelt. Die vernünftigsten Empfänger werden ihre Schulden zurückzahlen – ganz im Gegensatz zur Intention der Geldmengenausweitung. Dass Teuerung von Konsumgütern als Symptom der Wirtschaftsbelebung angesehen wird, ist eine verhängnisvolle Täuschung. Keine Volkswirtschaft kann sich reichkonsumieren, sowenig wie sich Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann.
Zweitens ist Helikoptergeld ein erster Schritt, das Bankensystem von der Geldschöpfung zu trennen. Dies stößt auf das Wohlwollen der Vertreter eines sogenannten „Vollgeldes”, die zu Recht die Privilegierung von Banken kritisieren. Als Erstempfänger bzw. Urheber von Liquidität profitieren Banken durch den Cantilloneffekt gegenüber späteren Empfängern dieser Liquidität durch die verzögerte Teuerung. Da die Geldschöpfung mit Kreditvergabe einhergeht, erweisen sich aktuelle Währungen als Schuldgeld.
Jede Geldmengenausweitung geht mit einer Ausweitung des gesellschaftlichen Verschuldungsgrades einher, was der Volatilität der Konjunkturzyklen zusätzliche soziale Brisanz gibt. Die bankenlose und damit kreditfreie Geldschöpfung wäre zweifellos sozial gleichmäßiger – was zunächst gerechter erscheint.
Doch trotz der ungerechten Privilegierung des Bankenkartells, die zur Bereicherung gewisser Schichten führt, darf man die funktionellen Vorzüge eines Schuldgeldes nicht übersehen: Es setzt private Anreize der Disziplinierung. Banken haben – trotz der Verzerrungen durch Bail-outs und anderer Privilegien – noch immer Anreize, zumindest eine gewisse Disziplin bei der Kreditmengenausweitung walten zu lassen. Kredite werden in Aussicht auf Rückzahlung vergeben. Während die Kreditgeldschöpfung inflationär ist, wirkt die Kreditrückzahlung deflationär entgegen.
Schuldtitel sind die wesentliche Wertdeckung des heutigen Geldsystems. Helikoptergeld löst wie Null- oder Negativzinsen diese Wertdeckung auf. Damit gehen die Anreize zu privater Partizipation und Kooperation im Finanzsystem verloren. Zentralbanken und Vollgeldvertreter kritisieren teilweise zu Recht die Macht privater Banken bei der Geldschöpfung.
Vor kurzem bezog etwa die Bank of England in einer Analyse eine Position, die konträr zu volkswirtschaftlichen Lehrbüchern steht, indem sie Geschäftsbanken zu den alleinigen Urhebern der Geldschöpfung erklärte. Doch auch eine vermeintlich „demokratische” Kontrolle der Geldschöpfung würde letztlich geldpolitische Willkür bedeuten, wenn das disziplinierende Gegengewicht von profitkalkulierenden Akteuren fehlt.
Hier sind wir beim dritten Aspekt des Helikoptergelds: Es wäre der ehrliche Abschluss einer Wandlung des Geldsystems vom Warengeld über das Schuldgeld zum Zeichengeld. Letzteres bedeutet ein Geld, das keine Gegenseite in der Bilanz mehr hat, sondern reines Konventionszeichen ist. Dass das moderne Geldsystem diesen Zustand schon erreicht hat und daher die volkswirtschaftlichen Lehrbücher umgeschrieben werden müssten, ist die Position der postkeynesianischen „Modern Monetary Theory”.
Eigentlich handelt es sich dabei um eine Wiederbelebung der alten Staatstheorie des Geldes nach Georg F. Knapp, auch bekannt als Chartalismus. Die moderne Fassung dieser Theorie geht davon aus, dass die Staatsfinanzierung heute nicht mehr über Steuern erfolgt und Staatsschulden keine wirklichen Schulden sind, da die monopolistische Möglichkeit der Geldproduktion eine theoretisch unbeschränkte Ausgabe von Zeichengeld ermöglicht. In diesem Modell gibt es keine grundsätzliche Beschränkung der Staatsausgaben.
Steuern dienen nur der Steuerung der Nachfrage, besonders der Geldnachfrage, und Staatsbankrotte sind ein Ding der Unmöglichkeit – sofern Souveränität über die Geldschöpfung besteht. Daher wäre Austeritätspolitik verfehlt, denn die Ökonomie der MMT steht auf dem Kopf: Steuerforderungen führen zur Geldnachfrage, Geldnachfrage führt zum Güterangebot, das wiederum auf staatliches Geldangebot angewiesen ist.
Mit dem fortgesetzten Brechen aller traditionellen Regeln der Geldpolitik nähert sich die Realität immer mehr dem Modell der MMT an. Zu seiner Geburtsstunde war der Chartalismus völlig falsch und bald ökonomisch widerlegt. Doch wenn die Realität nicht mit dem Modell übereinstimmt, umso schlechter für die Realität – so die Devise der modernen Ökonomik. Das Geld- und Finanzsystem hat einen schleichenden Wandel erfahren, bei dem politische Willkür und Ungerechtigkeit immer wieder die Erwartungen von Sparern und Produzenten durchkreuzt haben.
In einem reinen Zeichengeldsystem werden Bilanzierungstricks, die heute um sich greifen, unnötig, weil die Illusion von ausgeglichenen Bilanzen aufgegeben wird. In diesem Sinne wäre der Übergang zum Zeichengeld ehrlicher, zudem würde die Verschuldungsspirale aufgebrochen.
Doch so faszinierend der Gedanke sein mag, so unwägbar sind die Folgen. Zeichengeld ist in noch größerem Ausmaß Vertrauensgeld. Schon das Schuldgeld beruht auf Vertrauen, aber es lohnt dieses zumindest durch die eingebaute Bereicherungsmöglichkeit. In einer Zeit schwindenden und zunehmend verspielten Vertrauens würde über einem Zeichengeld stets das Damoklesschwert völliger Wertvernichtung stehen. Rationale Akteure hätten noch größere Anreize, das Zeichengeld ehest möglich abzustoßen.
Helikoptergeld ist zwar ehrlicher und transparenter. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass es bei einer kurzzeitigen Notlösung bliebe. Viel eher wäre es Präzedenzfall und symbolische Markierung des Endes des bisherigen Geldsystems.
Freiwilliges Zeichengeld ist ein interessantes Experiment. Die Entfernung der privaten Anreize aus der momentanen Geldordnung, in der sich die meisten Sparer gar noch so verhalten, als hätten sie es mit Warengeld zu tun, wäre jedoch eine gefährliche Täuschung. Sie könnte den finalen Vertrauensverlust nach sich ziehen. Zeichengeld ohne Vertrauen aber bedeutet zuerst Geldzwang (um die Flucht aus dem Zeichengeld zu verhindern) und schließlich totale Zwangswirtschaft.
Dieser Artikel erschien in der Zeitung „Finanz und Wirtschaft”.