Wie könnte ein nachhaltiges Finanzsystem aussehen, in dem zwischen den Interessen von Anlegern, Unternehmern und Konsumenten ein fruchtbarer Ausgleich gelingt? Die Skepsis über die Nachhaltigkeit der bestehenden Verhältnisse ist schon weit verbreitet, doch die Lösungsansätze widersprechen sich völlig. Das Spektrum der Vorschläge reicht vom Goldstandard zum Vollgeld. Wiewohl bei der Analyse der Verhältnisse oft Übereinstimmung gegeben ist, gewichten diese Vorschläge zwei Aspekte jeweils gegengleich: Die Vertreter eines Goldstandards sehen als wesentliche Voraussetzung einer Gesundung der Wirtschaft Geldmengenstabilität, die, um inflationären Interessen standzuhalten, am besten ohne jedes Vertrauen auskommen sollte. Darum böte sich Gold an, denn dieses sei als Sachwert der Konvention entzogen – Materie bleibe Materie, ganz unabhängig davon, was die Menschen glauben, meinen oder wollen. Der gegenläufige Ansatz kritisiert an den momentan Verhältnissen eher den Mangel an Vertrauen zugunsten der konservativen Stabilität bestehender Interessen und Ansprüche. Ein Vollgeld als reines Zeichengeld wäre bloße Konvention, damit flexibler, transparenter und gerechter.
Einen marktorientierten Zwischenweg schlägt der ungarische Ökonom Antal Fekete vor. Er hält am Gold fest als notwendige stabile Basis. Doch diese Basis sei alleine ungenügend, um eine moderne Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen. Es brauche zudem eine größere und flexiblere Vertrauensstruktur, die auf dieser Basis zu errichten sei. Dabei komme man aber mit am Markt entstandenen Institutionen aus: dem Wechsel und der Anleihe. Der Wechsel erlaube konsumnahen Unternehmern die kurzfristige Finanzierung, während die Anleihe für konsumfernere, langfristige Investitionen nötig sei. Beide Kreditformen würden auf Gold beruhen, erstere sich sogar selbst liquidieren.
Aufgrund von Feketes Skepsis gegenüber dem reinen Goldstandard erfuhr er harsche Kritik von Seiten einiger Vertreter der Wiener Schule, insbesondere jener, die mit dem Mises Institute in Auburn verbunden sind. Daraufhin hob sich Fekete etwas von Mises ab, kritisierte diesen sogar, vom Weg Carl Mengers etwas abgewichen zu sein. Diese Debatte ist nicht sonderlich fruchtbar und beruht auf einigen Missverständnissen. Einerseits war der Goldstandard gerade Voraussetzung von Wechsel und Anleihen – da hat Fekete recht, doch seine Argumente gegen einen „reinen” Goldstandard führen in die Irre. Antal Fekete hat den alten, britischen Kontext vor Augen, Ludwig von Mises wiederum den alt-österreichischen, heutige Vertreter der Wiener Schule im Wesentlichen den US-amerikanischen. Letztere zwei Kontexte sind durch politischen Inflationsdruck gekennzeichnet, im britischen Kontext hingegen gab es in der Tat eine Phase eines händlerfokussierten Finanzsystems, das nie völlig rein von Politik, Gewalt und Betrug war, aber doch zum Inbegriff der marktbasierten Finanzierung europäischen Welthandels wurde. Verständlich ist daher heute die Sorge in den USA, inflationäre Kräfte weiter zu befeuern, die ohnehin schon eine weltweite Schieflage hervorgebracht haben – daher auch die Sensibilität gegenüber Feketes Argumenten. Diese entstammen einer anderen Epoche. Heute spielt der Wechsel keine Rolle mehr, und Anleihen haben wenig mit den „gold bonds” gemein, von denen Fekete schreibt. So wird sein Ansatz missverstanden. Man muss ihn lesen als eine marktorientierte Analyse alternativer Vertrauensstrukturen.
Was ist eine Vertrauensstruktur? Ludwig von Mises schrieb von Geldsubstituten. Aus Gründen der Praktikabilität und Flexibilität fragen komplexe Gesellschaften komplexere Finanzstrukturen nach – alle möglichen Spielarten von Verträgen über Geld und Güter. Je höher das Vertrauen in einer Gesellschaft, desto ökonomischere Strukturen sind möglich – desto längerfristige Verträge mit geringeren Transaktionskosten. Der Kern von Feketes Analyse ist die Überlegung, was einen nachhaltig funktionellen Kapitalmarkt auszeichnet. Diese Analyse führt ihn zu einem interessanten Sechseck, der Vermittlung zwischen sechs verschiedenen Funktionen und Interessen. Zentral dabei sei die Rolle von Kredit, denn die Beschränkung auf das Horten und Enthorten von Goldmünzen sei nach Fekete nicht ausreichend, um moderne Unternehmen zu finanzieren:
Neben Wissen und Kapital ist Kredit der wichtigste Motor des Fortschritts. […] Kapitalbildung wäre ohne Kredit immer noch möglich, doch die möglichen Summen wären zu gering, zumal sie physisch durch ihre primitive Form beschränkt wären: Horten. Nicht nur die Quantität wäre durch physische Faktoren begrenzt, auch der Lohn wäre allzu gering im Vergleich zum Aufwand, was zu psychologischer Abneigung gegenüber dem Sparen führen würde. Einer der großen Vorzüge des Kredits ist die Weise, in der er auf das Zeitelement in der Mittel-Ziel-Kette wirkt und dabei den Aufwand-/Ertrags-Nexus verkürzt, was den Einzelnen dazu bewegt, mehr zu arbeiten und zu sparen. […] Dieselben Faktoren, die Kredit zu einer großen Schöpfungskraft und zu einem Motor menschlichen Fortschritts machen, werden ihn im Falle des Missbrauchs zu einem der gefährlichsten Zerstörungskräfte machen. Fekete 2002
Die Behauptung, dass ohne Kredit und die entsprechenden Vertrauensstrukturen eine moderne Wirtschaft undenkbar wäre, klingt nach einem Argument zugunsten der Verschuldungsspirale der Gegenwart und der schrankenlosen Geldproduktion. Darum wird Fekete – zu Unrecht – von manchen als „Geld-Spinner” abgetan. Unabhängig davon, ob seine Behauptungen in der Vergangenheit wirklich Richtigkeit hatten oder nicht, zeigt jedoch ein Gedankenexperiment die Bedeutung des Nachdenkens über Ausmaß, Art und Beschränkung von Vertrauensstrukturen:
Nehmen wir an, der Euro geriete in eine schwere Krise. Zahlungsunfähigkeit von Schuldnern würde einen deflationären Schock auslösen, die Zinsen würden auf zweistellige Beträge ansteigen. Bargeld, sofern noch nicht verboten, gewänne massiv an Kaufkraft, da nur noch wenige darüber verfügen. Ein Großteil der Betriebe würde an die Banken gehen, da die Zinslast bald über der Produktivität läge und die Eigenkapitalquoten sehr niedrig sind. Wenn bis dahin weder Bargeldverbot, Helikoptergeld, noch Bankenverstaatlichung politisch durchgedrückt wurden, dann würde nun ein Großteil des Produktivvermögens die Hände wechseln, da sich die Unternehmer kaum noch refinanzieren können. Diejenigen, die große Bargeldbestände oder andere liquide Mittel, wie etwa Goldmünzen, gehortet haben, könnten nun beginnen, die Unternehmen aufzukaufen – denn die Banken hätten ja auch große Liquiditätsprobleme und würden die ihnen zugeflossenen „Sicherheiten” sofort auf die Märkte werfen. Diese Neuunternehmer würden von ihrer Voraussicht profitieren – doch können sie tatsächlich in so großem Stil die bisherigen Unternehmer ersetzen? Bräuchte es nicht Finanzierungsmöglichkeiten jenseits der Horte? Schon im 19. Jahrhundert überwog die Einsicht, dass diejenigen mit den größten Horten nicht immer die besten Unternehmer sind. Würde dann das Produktivvermögen in den Händen von wenig kreativen und risikoaversen reichen Witwen zerrinnen? Ist der Sparer als Horter ausreichend, um einen Kapitalmarkt zu bilden?
Fekete kommt zum Schluss, dass der Sparer, der im einfachsten Falle hortet, um fünf weitere Funktionen ergänzt werden muss. Der Sparer sei ein Annuitand, einer, der aus Einkommen Vermögen machen möchte, um von diesem Vermögen dann eines Tages als Annuitant wieder ein Einkommen zu beziehen. Die Begriffe kommen daher, dass ein solches Vermögen eine Annuität darstellt – so bezeichnet man regelmäßige Einkommensausschüttungen. Dass es aber überhaupt solche Einkommen aus Zinsen geben kann, dafür braucht es unternehmerische Wertschöpfung, und diese setze Unternehmer und Erfinder voraus – dies sind die nächsten zwei Funktionen. Der Unternehmer kann aber nach Fekete nur am Markt bereits bewährte, sicher nachgefragte Güter über Wechsel selbst finanzieren. Für die Finanzierung der Innovation benötigen Unternehmer und Erfinder den Kapitalisten. Dieser ähnelt dem Annuitanden, doch trägt er mehr Risiko, erfordert höhere Zinsen und macht daher unterschiedliche Anleihen erforderlich. Da sich jedes Unternehmen und jede Anleihe unterscheide und wegen der Kleinheit der Annuitanden und der Größe der Kapitalisten Bündelung nötig sei, brauche es als sechste Funktion den Bankier – als Investmentbanker, der als Anleihenbroker das Clearing übernehme. Voilà – das Sechseck eines funktionellen Kapitalmarkts.
Warum kommt hier die Aktie nicht vor? Offenbar geht Fekete davon aus, dass das Eigenkapital bei innovativen Unternehmen zunächst auf die drei F beschränkt sei: Family, Friends, and Fools. Die Anleihe hingegen ist vorrangig zu bezahlen. Auch hier bewegt sich Fekete in einer anderen Epoche. Einst war der Kredit des Unternehmers heilig. Er bediente Wechsel und Anleihen aus Pflichtgefühl und Angst vor sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen auch dann, wenn mangelnde Rentabilität des Unternehmens ihn eigentlich zur Zahlungsunfähigkeit gedrängt hätte: Dann griff der Unternehmer auf Privatvermögen zurück, um seine Gläubiger zu bezahlen. Die Folge ist, dass Anleihen für konservative Anleger das Primärinstrument sind, denn sie bieten zwar niedrigen Zins, aber hohe Sicherheit des Kapitalerhalts – und darum geht es vorrangig. Das glatte Gegenteil dieser historischen Anleihe sind heutige Nachrangdarlehen, wie sie im Zuge des Crowdinvesting heute dominieren.
Welche aktuelle Relevanz könnte nun Feketes Analyse haben? Welche Rolle können Kryptowährungen wie Bitcoin bei heutigen Überlegungen spielen, einen alternativen Kapitalmarkt aufzubauen? Gibt es tatsächlich einen Widerspruch zu den Ansätzen von Ludwig von Mises? Warum der anfängliche Bezug zum Vollgeld?
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.