Im Stift Seitenstetten trafen sich Engagierte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, die sich der Reform des Geldsystems verschrieben haben. Mir gedachte man die – freilich unmögliche – Aufgabe zu, eine kurze Einführung in die Geldgeschichte zu geben. Geldgeschichten lassen sich viele in Kürze und Würze erzählen, doch hat dies stets den Preis einer gewissen Einseitigkeit. Es ist der verhängnisvolle Irrtum des Historismus, dass die historischen Fakten schon von selbst zu uns sprechen und klare Einsichten und Empfehlungen vermitteln. Tatsächlich ist angesichts der enormen Fülle von historischen Anekdoten über menschliches Tauschen (immerhin eine extrem grundlegende Verhaltensweise) stets eine Auswahl von Nöten, die je nach den angestrebten Schlussfolgerungen erfolgt. So hat jeder der unzähligen Pamphletisten und Redner zur Geldreform, trotz gegensätzlichster Analysen und Reformvorschlägen eine – seine – plausible Geldgeschichte zu erzählen. Und die Geschichte menschlichen Tauschens bietet für jede, auch noch so krude Vorstellung eine geeignete Anekdote, denn Menschen, Kulturen und Kontexte sind – bei allen Ähnlichkeiten – von beeindruckender Vielfalt.
Geschichte ist stets eine Projektionsfläche für Ideologien. Fakten bedürfen der Interpretation, und diese kann nur auf der Grundlage bestehender Prämissen, Theorien oder Ideologien erfolgen. In der Geldgeschichte lassen sich drei wesentliche ideologische Blickwinkel unterscheiden. Neutraler gesprochen handelt es sich um unterschiedliche Perspektiven, für deren jede etwas spricht. Keine dieser Perspektiven ist für sich genommen wahr, doch alle enthalten richtige und wichtige Gedanken. Die Spannung zwischen diesen Perspektiven entspricht Grundspannungen in der menschlichen Existenz, die sich nicht einfach durch Kompromisse oder Ignorieren der jeweils anderen Perspektiven auflösen lassen, sondern sehr differenziertes Maßhalten erfordern. Diese drei Blickwinkel möchte ich die kommunitaristische, die bürgerliche und die etatistische Perspektive nennen. Die Geldphänomene selbst lassen sich ebenso grob in drei Gruppen aufteilen: Sachgeld, Kreditgeld und Zeichengeld. Diese Phänomenklassen sind nicht streng abtrennbar, sondern gehen zum Teil fließend ineinander über. Sie werden von den verschiedenen Perspektiven unterschiedlich gewichtet und bewertet.
Die kommunitaristische Perspektive benenne ich nach der philosophischen Richtung des Kommunitarismus. Dabei handelt es sich schlicht um ein neues Etikett für eine alte Sehnsucht. Instinktiv sehnt sich der Mensch nach der Sippe, nach der kleinen und geschlossenen Gemeinschaft, an die wir evolutionär angepasst sind. Dies ist ein Teil der menschlichen Natur, und nur ganz wenige Menschen – die nicht unbedingt die besten sind – bedürfen nicht der Nähe und Anerkennung durch einen engeren Kreis von Mitmenschen. Diese Perspektive, die den Menschen als Gemeinschaftswesen sieht, ist auch die urchristliche. Mit dieser Perspektive verbunden ist eine spezifische Interpretation der Geldgeschichte, die Geld eher kritisch betrachtet und vor allem vor einer zu starken Geldorientierung warnt. Die Geschichte bietet für diese Perspektive am meisten Material, da Menschen über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte in engen Sippenverbänden lebten.
Innerhalb der Sippe erübrigt sich in aller Regel die Nutzung von Geld. Nimmt der Geldverkehr zu, so ist dies stets ein Symptom der Auflösung von Gemeinschaften. Diese beruhen nämlich auf Homogenität und Vertrauen. Menschen, die ähnlichen Tätigkeiten nachgehen, tauschen allenfalls Überschüsse. Einen anonymen Wertträger brauchen sie dazu nicht, denn sie wissen, dass Überschüsse an unterschiedlichen Orten und Zeiten auftreten und sich – bei entsprechender Vertrauensgrundlage – auch schlicht gegenrechnen lassen. Ein Rechnen im engeren Sinne ist allerdings gar nicht nötig: Was soll ein Subsistenzbauer schon mit Überschüssen anfangen, als sie anderen zur Verarbeitung zu überlassen? Die kommunitaristische Perspektive auf das Geld sieht also zu Recht eher Phänomene der Schenkökonomie oder allenfalls ein freies Anschreiben einseitiger Tauschakte, die über längere Zeiträume auf Gegenseitigkeit beruhen. Somit erscheint Geld als bloßes Zeichensystem, als Dokumentation und Würdigung eines zwischenmenschlichen Energieflusses. Das Zeichengeld könnte sich allenfalls bei wachsenden Unterschieden zu einem sanften Kreditgeld weiterentwickeln, bei dem ein gewisser sozialer Druck einen Ausgleich der Tauschakte fördert. Hier aber warnt und bricht schon die kommunitaristische Perspektive: Sobald ein Kreditgeld Härte durch institutionelle Ahndung gewänne, wäre schon die Gemeinschaft bedroht. Darum gefällt dieser Perspektive auch das Konzept von Sabbatjahren so gut bzw. jedes historische Ventil, das der Entschuldung dient und damit ungleiche, gesellschaftliche Beziehungen wieder zu gleichen, gemeinschaftlichen Beziehungen macht.
Fast alle Gemeinschaften, die länger überdauern, haben einen sakralen Kern. Anders formuliert: Kaum eine nicht-religiöse Kommune überlebt länger als eine Generation. So erkennt diese Perspektive auf das Geld auch bald sakrale Ursprünge des Phänomens. In der Tat ist eine wesentliche Form des Gütertausches, des Sparens und der Gütererfassung auf das Opfer gerichtet. Alte Werteinheiten verraten zum Teil diesen Ursprung im Opfer: Im antiken Griechenland wurde der Dreifuß, ein Opferaltar, als Werteinheit bemüht und gar auf viele Münzen geprägt. Der Obolus, der Deutschsprachigen immer noch geläufig ist, hat ebenfalls griechischen Ursprung (und ist über die Römer in der lateinischen Form erhalten): Die Grundbedeutung ist Spieß; gemeint waren offenbar Fleischspieße als alte Maßeinheit für Fleischopfer. In der gläubigen Gemeinschaft wird das Opfer immer mehr zu einem Bekenntnis. Durch sozialen Druck erfolgt das Opfer dann nicht mehr vor Gott, sondern vor der Gemeinschaft. Um Trittbrettfahrer zu vermeiden, wird das Opfer gemeinschaftlich anerkannt und erfasst und deshalb letztlich möglichst geltungswirksam erbracht. Aus der kommunitaristischen Perspektive ist Geld also primär eine Erfassungseinheit und Anerkennungsinstrument für Dienst an der Gemeinschaft. Dabei wird eher der Aufwand als das Ergebnis bewertet, wie etwa die Teilhabe an Ritualen. Im engeren Bereich des Wirtschaftens drängt sich daher die Arbeitswertlehre auf. Ergebnisbewertung hat stets eine antiegalitäre Härte (so als wäre der Schwächere weniger „wert” als der Starke) und bedroht den Sippenzusammenhalt durch Konkurrenz und Differenzierung. Anhand der Dynamik des Opferns wird aber auch deutlich, dass Gemeinschaften zu einem Götzen neigen: Das Opfer wird nicht mehr Gott erbracht, sondern dem „Wir”. Der Götze der kommunitaristischen Perspektive ist das Kollektiv.
In der kommunitaristischen Perspektive ist Geld primär Zeichengeld: Es ist ein Zeichen der Anerkennung und Würdigung für Beiträge. Dafür steht das Symbol auf Münzen, das weder Kopf noch Zahl ist: Es symbolisiert die Gemeinschaft bzw. den gemeinsamen religiösen Bezug. So war der Dreifuß, der sich auf vielen alten Münzen findet, eben Opferstelle und Opfermaß – ein Dreifuß bietet eine gewisse, beschränkte Fläche, um ein Opfer gewisser Größe deutlich sichtbar abzulegen. In säkularen Zeitaltern treten nationale, kulturelle und politische Symbole anstelle der religiösen; all diese Symbole signalisieren Zugehörigkeit zu einer – später meist fiktiven – Gemeinschaft.
Wenn unterschiedliche Sippengemeinschaften aufeinander treffen, bedeutet das meist Konflikt, insbesondere wenn sich die religiösen, nationalen oder ideologischen Symbole unterscheiden. Doch auch ein Gütertausch über Sippengrenzen ist manchmal möglich. Zunächst handelt es sich dabei um Besänftigungsgaben, die Einladungen zu Beziehungen darstellen, die entweder auf Unterordnung oder auf Gegenseitigkeit beruhen. Nur letztere sind eine langfristige Alternative zu Krieg. Unter Fremden beschränkt das Vertrauensproblem das Entwickeln einer solchen Gegenseitigkeit. Die Anzahl möglicher Tauschakte ist zunächst gering und der Tauschhandel stets vom Scheitern bedroht. Die Gleichartigkeit und Vergleichbarkeit der angebotenen Güter wird wichtiger. Unter Fremden erweisen sich unterschiedliche Güter als unterschiedlich tauschbar. Bestimmte Güter sind leichter tauschbar als andere. In der Ökonomik spricht man bei dieser Eigenschaft von der Absatzfähigkeit. Vieh hat etwa unter Fremden eine höhere Absatzfähigkeit als Fleisch. Sehen wir uns das Tauschproblem näher an, um es zu verstehen:
Der fremde Hirte, Angehöriger einer Nomadensippe, kommt ins Tal und besucht die Siedlung einer sesshaften Sippe. Er könnte einen Vorrat Fleisch geschultert haben und hoffen, dafür im Tausch Gemüse zu erhalten. Der erste potentielle Tauschpartner traut dem Hirten überhaupt nicht, er verbarrikadiert sich, weil er ihn für einen gefährlichen Räuber hält (die Konflikte zwischen Nomaden und Sesshaften sind uralt). Der zweite verjagt ihn, weil er seine Anwesenheit für unglücksverheißend ansieht, immerhin beten die Nomaden groteske Naturgötter an und nicht den einzig wahren. Der dritte ekelt sich vor dem Fleisch, es riecht zwar noch gut, aber womöglich ist es schon verseucht, immerhin ging es durch die schmutzigen Hände der Nomaden. Der vierte wäre grundsätzlich offen, doch leider hat er selbst erst geschlachtet und genügend Fleisch für die Woche. Im nächsten Tal aber könnte es noch Fleischbedarf geben. Der Hirte könnte das Fleisch also in der prallen Sonne weiterschleppen oder er müsste auf den Tausch verzichten und es selbst konsumieren oder verschenken. Vieh hingegen ist absatzfähiger, da es sich selbst trägt. Gibt es in einem Tal gerade ein Überangebot, lässt sich das zu tauschende Vieh wesentlich leichter und ohne Qualitätseinbuße in das nächste Tal führen. Daher haben viele alte Werteinheiten für den Tausch über Sippengrenzen hinweg (insbesondere für das Brautgeld) einen Bezug zum Vieh. Die indische Währung Rupie leitet sich beispielsweise vom Wort für Viehherde ab. Vieh ist aber noch immer nicht das absatzfähigste Gut, da es nicht gleichartig genug ist. Viele vereinbarte Tauschakte enden letztlich im Konflikt, weil der zur Zahlung Verpflichtete oft das älteste und schwächste Vieh der Herde zahlt, wenn die Viehqualität nicht näher definiert ist, wodurch wieder die Flexibilität leiden und die Absatzfähigkeit weiter eingeschränkt würde. Als absatzfähigste Güter haben sich in der Geschichte Edelmetalle erwiesen, da sie völlig gleichartig, einer Qualitätsprüfung zugänglich, teilbar und transportierbar sind. Mangels Vertrauen unter Fremden ist das ursprüngliche Geld für solche Tauschakte nicht bloß Wertrepräsentant, sondern Wertträger.
Dafür steht die Zahl auf der Münze. Viele alte Münzbezeichnungen beziehen sich auf das Edelmetallgewicht. Die Zahl ist objektiv, anonym und messbar. Sie ist ebenso hart und kalt. Daher hat das Vorurteil, das Geld Beziehungen zerstört, eine reale Grundlage. Geld, das selbständiger Wertträger ist, benötigt keine Beziehung und emanzipiert sich von dieser. Ein wachsendes Ausmaß an Geldtransaktionen ist daher auch ein Symptom für das Verschwinden und den Zerfall von Gemeinschaften. Die kalte Kalkulierbarkeit gefährdet familiäre und freundschaftliche, religiöse und ideologische Beziehungen. Doch das Vorurteil über das Geld ist einseitig. Geld stiftet auch Beziehungen. Eben weil es anonym und kalt ist. Pecunia non olet, sagten die Römer, Geld stinkt nicht. Selbst wenn mir der Fremde wortwörtlich „stinkt” (und natürlich schaffen unterschiedliche Nahrungsgewohnheiten auch unterschiedliche Gerüche), gar als unrein gilt (und dieses Konzept kennen fast alle Religionen), bleibt die kalte Münze mit der ursprünglich abwägbaren und dabei (eben auch im besten Sinne) berechenbaren Zahl frei von dieser Aversion. Edelmetalle sind edel, weil sie nicht auf die Umwelt reagieren und sich mit ihr mischen; Silber ist sogar antibakteriell. Geld stiftet Beziehungen, wo sonst keine wären, nämlich Beziehungen zwischen Fremden. Das missfällt dann insbesondere Politikern, die von der Erweckung von Gemeinschaftsillusionen in großen Gesellschaften leben. Heinrich Himmler brachte diesen beziehungsstiftenden und damit sippenmischenden Charakter des Geldes in seiner Posener Rede 1943 auf den Punkt:
Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude.
Gemeint sind natürlich all die kleinen Zahnärzte, Anwälte, Händler, Kulturschaffenden etc. etc., mit denen auch die größten Antisemiten dank des Geldes verkehrten. Doch Pecunia non olet wird aus der kommunitaristischen Perspektive immer auch als Nachteil des Geldes empfunden werden. Nicht nur Gerüche, sondern auch Blut bleibt auf dem Geld nicht kleben. Man sieht ihm die Herkunft nicht an. Schlimmste Verbrechen können es beschmutzt, schlimmste Frevel es entweiht haben.
Gerade weil Geld ein anonymer Vermittler ist, ist es auch ein so universelles Mittel. Unabhängig von den jeweiligen Grundhaltungen und Herkünften, dient es den unterschiedlichsten Zwecken und damit Menschen. Weil es ein so universelles Mittel ist, tritt es tendenziell aber auch anstelle der Ziele. Es wird – anders ausgedrückt – zum Selbstzweck. Menschen beginnen, Geld zu sammeln als Vorrat zur potentiellen Erreichung potentieller Ziele. Diese Wertaufladung des Geldes, die einer Herrschaft des Potentiellen und Künftigen über das Konkrete und Gegenwärtige gleichkommt, wird meist als Lauf um das „Goldene Kalb” interpretiert. Der Götze der bürgerlichen Perspektive ist das Geld. In der Tat ist es schwer, Gott und dem Geld zugleich zu dienen. Doch Geld ist nicht der einzige Götze und gewiss nicht der verhängnisvollste. Der Götzenvorwurf kommt uns hier nur besonders leicht von den Lippen, weil wir als Herdentier so stark zum Neid neigen: Wir halten uns stets für ärmer und bedürftiger, als wir sind, und missgönnen anderen ein Mehr – die wir leicht als Götzendiener verurteilen können. Doch auch die negativ auf das Geld Fokussierten dienen diesem in ihren Gedanken, sie bewerten es über und schaffen sich einen Anti-Götzen. Wenige kommen ohne Götzen aus. Diese Asketen bewohnten historisch die Klöster, die im Innenleben auch kaum Geldtransaktionen nutzten – als kleine, reine, vertrauende Sippe Gottes.
Die dritte Perspektive auf das Geld ist die etatistische. Diese sieht die ungeheure Bedeutung, die Geld zur Organisation großer, kollektiver Vorhaben hat. Dabei geht es um das Steuern einer größeren Menschenzahl für einheitliche, vorgegebene Zwecke. Steuern ist die Grundfunktion des etatistischen Geldes, und Steuern sind die Grundlage eines solchen Geldsystems. Die Begriffsgleichheit ist kein Zufall. Der Zusammenhang zwischen Steuern, Geld und Organisation wird anhand eines Beispiels aus dem alten Rom deutlich: Das Grundproblem jedes Imperiums ist die durch globale Ausdehnung immer schwierigere Logistik. Die Versorgung von Truppen am anderen Ende der Welt ist schwierig. Große Militärkampagnen scheitern in der Regel an diesem Problem: Versorgungswege werden überdehnt, durch Guerillas unsicher und zu komplex. Irgendwann gehen an einer der zahlreichen Fronten Nahrungsmittel, Waffen und Moral aus – letztere, in Form von Anerkennung aus der fernen Heimat, ist ebenso zumindest teilweise ein Nachschubproblem. Das römische Imperium löste das Problem der Truppenversorgung auf geniale Weise mittels Geld: Im gesamten Reich galt eine Steuerpflicht, die in staatlichem Münzgelde zu leisten war. Gleichzeitig erhielten die Soldaten ihren Sold in diesem Geld. Jeder römische Untertan hatte also zur Leistung der Steuer Bedarf an Münzen, im unmittelbaren Hinterland der Front, also gerade erst unterjochtem Territorium, waren die ersten und einzigen Quellen dieser Münzen eben die Soldaten. Die Bevölkerung musste sich also, um die Steuerpflicht leisten zu können, den Soldaten andienen, indem sie ihnen Lebensmittel und was die Männer sonst begehrten, gegen den Sold bereitwillig zum Tausche brachten. Das Geldsystem wird auf diese Weise zum globalen Versorgungssystem und erlaubt Organisation in großem Stil.
Dafür steht der Kopf auf der Münze. Es ist der Kopf des Caesars, des Souveräns, dem man Steuern schuldet. In einer unpersönlichen Herrschaft hält der Souverän nicht mehr seinen Kopf hin, sondern versteckt sich hinter Symbolen. So kann sich ein etatistisches Geld leicht hinter einer kommunitaristischen Fassade verbergen. Der Ursprung des Geldes als Mittel der Organisation ist eine Schuld. Meist ist es die Steuerschuld, die dann als Urschuld legitimiert wird: als Ausdruck der Pflicht gegenüber der Gemeinschaft. Schulden sind fordernde Beziehungen, die Zwang bei Nichtbegleichung der Schuld legitimieren. Jede Form der Organisation, der Führung von größeren Menschengruppen wider ihre diversen Einzelinteressen erfordert Verpflichtungen dieser Art oder – wie man auf Englisch so schön sagt – „ Commitments”. Die Organisation von Menschen, die stets zum Opportunismus und damit zu gewisser Renitenz gegenüber kollektiven Zielen und Organisationsversuchen neigen, ist nur dann möglich, wenn der Zwang allein Sanktionsinstrument, nicht Grundlage ist. Ohne das Mitwirken der Mehrheit, die sich verpflichtet fühlt oder verpflichtet werden kann, ist Organisation kaum möglich. Dass Verpflichtung mehr ist als bloße Teilnahme, zeigt folgende scherzhafte Pointe über die jeweiligen Beiträge eines Huhns und eines Schweins zu Eiern und Schinken: Das Huhn ist beteiligt, das Schwein ist verpflichtet.
Die etatistische Perspektive stößt an zwei Seiten an ihre Grenzen, die jeweils im kommunitaristischen und bürgerlichen Blickwinkel liegen. Einerseits kann das Vertrauen kippen, weil sich die Zwecke der Organisationsaufgaben nicht mehr mit dem Herdenzweck vereinbaren lassen – sobald etwa die destruktive Gewalt von Kriegen das gemeinschaftsstiftende Moment überwiegt. Dann gerät die Steuerbasis und damit der Wert des etatistischen Geldes in Gefahr. Eine Gewaltspirale entsteht, die das Vertrauen weiter schwinden lässt, bis zum Bürgerkrieg. Die andere Grenze ist die der Wertschöpfung. Zentral kontrolliertes und geschöpftes Geld erlaubt die Bereicherung des Zentrums, die zunehmend Anreize zu Konsum und damit Kapitalverzehr setzt. In Zeiten stärker „organisierten” Geldes geraten die Höfe der Herrschaft in Konsumspiralen. Die verheerendste Form staatlichen Konsums ist Krieg: Dabei konsumieren die Organisatoren Prestige und Machtgefühle und lassen die Gesellschaft die Rechnung dafür zahlen. Da Krieg absolut unökonomisch ist, reichen die Steuern niemals aus, um langanhaltende Kriege zu führen. Die Besteuerten weichen zunehmend aus: Der Staat greift dann auf immer drakonischere Steuerjagd, auf private Auslagerung der Steuereintreibung (etwa die publicani im alten Rom) und auf Inflationierung aus. Letztere ist eine der wenigen universellen Phänomene in der Geldgeschichte: Kaum ein etatistisches Geld erfuhr nicht drastische Verschlechterung. Solange noch ein Sachgeld zirkuliert, ist die Inflationierung jedoch beschränkt – Münzverrufungen sind aufwendig und teuer. Und auch bei einem Schuld- oder Zeichengeld führt Inflationierung zu einer Entwertung, die schließlich die Kriegsfinanzierung begrenzt. Kriege und Staatskonsum entwickeln daher stets einen Kreditbedarf, weil sie über die Möglichkeiten der Steuerfinanzierung und Inflationierung hinausgehen.
Dieser staatliche Kreditbedarf ist der Hintergrund einer Verschwörung zwischen der bürgerlichen und der etatistischen Perspektive, die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert hatte. Dabei geht es um das Problem, wie man Bürger dazu bringt, ihre Ersparnisse für die Kriegsführung und anderen Staatskonsum zur Verfügung zu stellen. Ist das Grundvertrauen der kleinen Sippe nicht mehr gegeben, neigen Menschen dazu, eigene und familiäre Güter den kollektiven Organisationswünschen zu entziehen, was die Staatsfinanzierung und auch Kriegsfinanzierung massiv behindert. Eine große Innovation in der Staatsfinanzierung gelang in Großbritannien. Dort war durch die massive Religionsspaltung die kommunitaristische Perspektive besonders früh und in besonderem Ausmaß bedroht, was diese Perspektive gegenüber der bürgerlichen und etatistischen zunächst ins Hintertreffen geraten ließ. Die Bank of England entstand als großes Vorbild späterer Zentralbanken und vermählte auf innovative Weise bürgerliche und etatistische Perspektive. Diese Bank wurde als Aktiengesellschaft unter reger bürgerlicher Beteiligung gegründet. Gewinne erzielte sie aus einer bemerkenswerten Zinsdifferenz: Der Staat zahlte der Bank jährlich acht Prozent Zinsen, mit dieser Schuld als Deckungsgrundlage bot die Bank Bürgern für ihre Einlagen vier Prozent Zinsen. Die Zinsen dienen hierbei als Anreiz, Güter nicht selbst zu konsumieren, sondern für den Krieg aufzugeben. Bürger benötigen Anreize, denn die staatlichen Organisationswünsche sind ihnen nicht Selbstzweck, was Staatsmänner seit jeher bedauern. Im Zuge dieser Verschwörung bietet der Staat den Bürgern wirtschaftliche Partizipation, Wertsicherung der Schulden im Rahmen eines Goldstandards und verkauft sich zunehmend als „neutral”: Der ideale Staat der Bürger ist jener, der sich darauf konzentriert, Maßstab und Exekutor von Schulden zu sein. Damit war eine lukrative Kreditentfesselung ermöglicht, die freilich stets die Gefahr einer Verschuldungsspirale und wachsende Ungleichheit mit sich bringt.
Es dauerte nicht lange, bis im 20. Jahrhundert eine massive Gegenreaktion auf das bürgerlich-etatistische Zeitalter einsetzte. Da man sich auf der falschen Seite der Gewehrläufe befand, hatte die kommunitaristische Perspektive wenige Chancen, dem Profitieren, Organisieren und Marschieren kommunitaristische Freiräume abzuringen. Sie musste also auf die andere Seite der Gewehrläufe. Eine neue Verschwörung, diesmal zwischen kommunitaristischer und etatistischer Perspektive löste die alte ab. Zunehmend sah man das etatistische Geld der Steuerung als taugliches Mittel zur Inszenierung von Gemeinschaft. Inszenierte Gemeinschaft ist nämlich unglaublich teuer. Auch Krieg stiftet Gemeinschaft, und Gemeinschaft nährt Krieg, weil fast jedes „Wir” die „anderen” benötigt. Das 20. Jahrhundert ist das des „warfare/welfare-state”, des Nationalismus und Sozialismus, der großen Staatsaufgaben und -projekte. Dabei ließ sich die kommunitaristische Perspektive mit ihrer berechtigten Skepsis gegenüber Geld und Zinsen, gegenüber bürgerlicher Korrektheit und Kälte, leider kooptieren und verlor ihre Unschuld. Wer die antibürgerliche Geldkritik, mitsamt ihrer Zins- und Hortkritik, studiert, kann die braunen Flecken, die sich im 20. Jahrhundert darüber legten, nicht übersehen. Die Juden als typische Bürger, als bürgerliche Profiteure etatistischer Zwecke, von den Steuer- und Münzjuden des Mittelalters bis zu den privilegierten Großhändlern und Bankiers der Neuzeit, boten die ideale Blaupause für antisemitischen Hass und Wahn. Adolf Hitler selbst bezeichnete die Zinskritik eines Gottfried Feder als letzten nötigen Mosaikstein für sein Weltbild, das ihn erst ermutigt habe, eine neue politische Bewegung zu gründen (dabei plusterte er sich freilich etwas auf, in Wirklichkeit war er Parteimitglied Nummer 55).
Nach dem Untergang der radikaletatistischen Utopien mit pseudo-kommunitaristischer Fassade verblieb eine etatistische Geldordnung mit kooptierten, bürgerlichen Resten. Die Zinsen sind gering bis negativ, das Geld ein nahezu beliebig vermehrbares Zeichengeld, doch die Kreditaufblähung bläht auch Schuldverhältnisse und Profite auf. Die kommunitaristische Perspektive legt den Finger zu Recht auf die massiven Schieflagen des Systems, auch wenn die alte Zins- und Geldkritik etwas anachronistisch ist und den Verhältnissen nicht mehr gerecht wird. Dabei läuft diese Perspektive allerdings große Gefahr, sich wieder einer kommunitaristisch-etatistischen Gegenreaktion anzudienen. Man trifft sich dann bei Geldmengenausweitung, Negativzins, Bargeldverbot, finanzieller Repression und Reichsfluchtsteuer, um hinter der Fassade einer inszenierten Pseudo-Gemeinschaft die letzten bürgerlichen Reste zu opfern. Auch wenn es diese vielleicht nicht besser verdient haben, sind sie der falsche Feind: Nichts zerstört Gemeinschaft mehr als Gemeinschaftsinszenierung, nicht einmal Profitstreben und Konkurrenzdruck säen solche Feindschaft, denn das bürgerliche Wirtschaften verbindet zumindest Fremde, während die Gemeinschaftsinszenierung selbst Brüder entzweit.
Die Weltkriege wären ohne Kreditausweitung mit bürgerlicher Beteiligung und anschließender Gläubigerenteignung mit kommunitaristischer Beteiligung nicht möglich gewesen. Sukzessive sind dabei Schranken gefallen. Die einzig friedensfähige Geldordnung ist eine, die dem Krieg die Mittel entzieht. Die kommunitaristische wie die bürgerliche Perspektive auf das Geld stehen dabei gleichermaßen in der Pflicht. Wenn sie Alternativen zum derzeitigen Finanzsystem suchen, so müssen sie sich auf das Ausprobieren im Kleinen konzentrieren, denn nur dieses kann wahrhaft gemeinschaftlich bzw. zivilgesellschaftlich und unternehmerisch sein, auf das Bessermachen, auf Vorbilder und Angebote.
Im Folgenden werde ich auf die Reformvorschläge, insbesondere das Vollgeld, mit einem ganz persönlichen Blickwinkel auf die Geldreformer und ihr Engagement eingehen.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.