Dass der Wert ökonomischer Güter alleine in der subjektiven Einschätzung ihrer Nützlichkeit liegen sollte, und diese Nützlichkeit wiederum auf subjektive Bedürfnisse oder Ziele gerichtet ist, scheint eine besonders schwer verdauliche Tatsache der Ökonomik zu sein. Wir sehnen uns nach Maßstäben und Gewissheit, die über subjektive, Moden unterliegende Willkür hinaus gehen. Gibt es bei all den technischen, modischen, kulturellen und intellektuellen Revolutionen der Menschheitsgeschichte nicht zumindest einige, wenige Anker, auf die langfristiger Verlass ist? Das Edelmetall Gold bietet sich hier an. Seine Geschichte als Wertmaßstab und Tauschmittel ist lang, seine Kaufkraft scheint überraschend stabil. Könnte es außerökonomische und damit übersubjektive Gesetzmäßigkeiten geben, die den Wert des Goldes erklären, selbst wenn seine subjektive Nützlichkeit im direkten Gebrauch veränderlich ist? Nach wie vor spielt Gold eine Rolle im internationalen Währungssystem und bei der Anlage, obwohl es mehrheitlich als „barbarisches Relikt” und unkreative, ertragslose Anlageklasse abgetan wird.
Die Wiener Schule der Ökonomik war einst federführend dabei, die alten objektivistischen Werttheorien zu widerlegen und die subjektivistische Werttheorie durchzusetzen. Doch diese theoretische Klärung des Wertproblems führte nicht zu Beliebigkeit. Ganz im Gegenteil ergibt sich im Rahmen einer Wirtschaftsordnung, die Geld und Eigentum, und damit Preise aufweist, eine Einschränkung individueller Willkür durch sogenannte Wertimputation: Es wirken durch die Wertübertragung von den unzähligen menschlichen Entscheidungen auf die Kosten der Produktionsfaktoren Anreize, die – gleich einer unsichtbaren Hand – zu einer Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Plänen der Menschen führen, bei denen sich so manche Wertvorstellung als unmöglich und unhaltbar erweist. Kurz: Auf Märkten reiben sich subjektive Wünsche an objektiven Möglichkeiten. Während rein ökonomisch betrachtet subjektive Ziele und Bedürfnisse nicht „wahr” oder „falsch” sein können, erweisen sich manche Mittel und Güter als zielführend und andere nicht. Eine vermeintlich objektive Maßzahl für diesen Koordinationsprozess ist die Rentabilität von Unternehmen.
Das tiefere Verständnis des Zusammenwirkens zwischen subjektiven Zielen und intersubjektiver Koordination hat innerhalb und am Rande der Wiener Schule zu Ansätzen geführt, die mögliche Objektivitäten, im Sinne von Allgemeingültigkeiten einer Wirtschaftsordnung, vorsichtig ergründen. Schon Carl Menger stieß auf das Problem der „Scheingüter“: manch subjektive Einschätzung der Nützlichkeit von Mitteln für subjektive Ziele kann objektiv falsch liegen. Eugen Böhm von Bawerk suchte nach psychologischen Grundlagen der Zeitpräferenz zur „Objektivierung” der Zinstheorie. Ludwig von Mises stieß in seinen Untersuchungen der Katallaktik, das heißt der systematischen Analyse der Wirtschaftsrechnung, auf das Kalkulationsproblem – das mehr objektive Tatsache als subjektive Einschätzung ist. Frank Fetter kontrastierte hingegen „welfare economics” mit „price economics” und stieß eine allgemeingültigere, psychologisch fundierte Interpretation von Wohlstand an. Murray Rothbard ging von der Ökonomik zum Naturrecht auf der Suche nach objektiven Ankern, sein Schüler Hans-Hermann Hoppe versuchte eine Begründung durch Argumentationstheorie. Ein weniger bekannter Schüler eines Schülers der Wiener Schule ging einen Sonderweg, der ebenso einen Versuch der Freilegung des Allgemeingültigen hinter dem Schleier des subjektivistischen Entscheidens, Tauschens und Schaffens darstellt: Nicholas Georgescu-Roegen, Schüler von Joseph Alois Schumpeter, nahm Anleihen an der Physik und führte den Begriff der Entropie in die Ökonomik ein. Den von Carl Menger beschriebenen Produktionsprozess der Umwandlung Güter höherer Ordnung in Güter niedrigerer Ordnung beschrieb Georgescu-Roegen als thermodynamischen Prozess der Entropieabnahme und erklärte so die von Böhm von Bawerk mit dem Faktor Zeit in Zusammenhang gebrachte Kapitalbildung. Dieser Prozess müsse durch Energieeinsatz der ständigen Naturdynamik der Entropiezunahme abgetrotzt werden, wodurch sich die Wertschöpfung erkläre. Entropieabnahme bedeute also Wertzunahme, bringe jedoch notwendigerweise an anderen Orten bzw. zu anderen Zeiten Entropiezunahme mit sich. Jede Produktion sei daher ein faustischer Handel, der Abfall und Ressourcenverbrauch bedeute. Ewiges Wachstum sei eine Fiktion neoklassischer Ökonomen, deren Thesen so falsch wären wie die Behauptung, es könne ein Perpetuum mobile geben. Mit diesen Gedanken wurde Georgescu-Roegen zum Pionier des Recycling.
Die Unterscheidung zwischen Gütern unterschiedlicher Ordnung, die Carl Menger eingeführt hatte, erfährt hier eine vermeintlich naturwissenschaftliche Begründung und damit einen möglichen Maßstab. Könnten bestimmte Güter in der Produktionsstruktur entropisch besonders herausstechen? Dieser Gedanke führt zu einem Versuch der Objektivierung von Geld, insbesondere Gold. Dieser Ansatz wurde interessanterweise von Georgescu-Roegen kaum weiterentwickelt, findet sich aber schon bei früheren Denkern erwähnt. Als erster wies der deutsche Physiker Georg Ferdinand Helm 1887 auf eine mögliche Analogie zwischen niedriger Entropie und Geld hin. Etwas später führt ein Ökonom den Gedanken näher aus, der eher der Lausanner Schule angehörte: der Pole Léon Winiarski. Er ist es auch, der die Sonderstellung von Gold physikalisch begründet:
Nun begnügt man sich momentan damit, die biologische Energie durch sich selbst oder mithilfe der wirtschaftlichen Energie und des Goldes zu messen. Wir vergleichen entweder die soziale Nützlichkeit (die allgemeine Form der biologisch-sozialen Energie) eines materiellen oder immateriellen Gutes mit der sozialen Nützlichkeit des Goldes, oder die spezifischen sozialen Energien (der Organe und Apparate und ihrer Arbeiten), die für die Produktion dieser Güter aufgewandt wurden mit denjenigen des Goldes. … Das Gold ist daher das allgemeine Sozialäquivalent, die reine Personifizierung und Inkarnation der sozio-biologischen Energie. Es ist zugleich allgemeiner Umwandler – der Großteil der materiellen und immateriellen Güter können mittels der notwendigen pekuniären Aufwände produziert werden.
Etwas konkreter versuchte erst wieder Eric Beinhocker zu werden, der in seinem 2007 erschienen Werk zu einer evolutionären Neubegründung der Ökonomik die Gedanken von Georgescu-Roegen weiterführt. Beinhocker liefert folgende Definition:
Ein Materie-, Energie- oder Informationsmuster hat wirtschaftlichen Wert, wenn die folgenden drei Bedingungen gemeinsam erfüllt werden:
- IRREVERSIBILITÄT. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen sind thermodynamisch irreversibel.
- ENTROPIE. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen reduzieren die Entropie lokal innerhalb des Wirtschaftssystems, während die Entropie global erhöht wird.
- FITNESS. Alle wertschöpfenden wirtschaftlichen Umwandlungen und Transaktionen produzieren Artefakte und/oder Dienste, die für menschliche Zwecke fit sind.
Fit bezeichnet in Analogie zur Evolutionstheorie den Grad der Eignung, hier die Nützlichkeit eines Gutes. Diese Definition endet schließlich wieder im Subjektivismus und es ist fraglich, ob sie durch die Bezüge zur Physik und Biologie über diese ökonomische Einsicht hinausgeht. Stimmt es, dass die wertvollsten Güter zusätzlich zu ihrer Nützlichkeit noch Entropiesenken darstellen? Könnte der Wert des Goldes hier seinen naturwissenschaftlichen Anker finden? Ist Gold das ruhende, immerwährende Element im Entstehen und Vergehen wirtschaftlicher Thermo-Dynamik? Eignet es sich deshalb als Maßstab so gut?
Ausnahmsweise muss ich an dieser Stelle Paul Samuelson zitieren – Beinhocker selbst verweist auf ihn, kann der Verlockung naturwissenschaftlicher Objektivität aber nicht widerstehen:
Das Zeichen eines Spinners oder halbherzigen Spekulierers in den Sozialwissenschaften ist seine Suche nach etwas im Gesellschaftssystem, das dem Begriff des Physikers von „Entropie” entspricht.
Physikalische Argumente gelten als komplex und unverständlich, sodass sie gar nicht ausgeführt werden müssen. Läßt man einige Fachbegriffe fallen, garniert dies mit Bezügen zu Relativitätstheorie oder Quantenphysik, so folgt meist betretenes Schweigen. Physik ist Magie, ihre unverständlichen Zauberformeln scheinen unglaubliche prognostische und schöpferische Kraft zu haben. Das macht es attraktiv, sich der Physik zu bedienen – damit hört sie aber außerhalb ihres eng umsteckten Gebietes auf, Physik zu sein, sie wird zu Pseudophysik. Die große Kraft der Physik beruht auf der erstaunlichen Konstanz von Wirkungsverhältnissen innerhalb menschennaher Größen und Zeiträume, die eine empirisch-induktive Bestimmung formaler Beziehungen erlaubt.
Nur innerhalb dieses Rahmens hat „Entropie” eine Bedeutung. Wie jeder andere physikalische Begriff ist dieser erstaunlich leer. Physiker arbeiten mit engen Definitionen empirischer Größen. Entropie ist das Maß für Energiedissipation. Dieses Maß kann unter Einhaltung klarer Methoden bestimmt und berechnet werden. Der Begriff ist kein theoretischer, der Erscheinungen der Welt geistig erklärt, sondern ein rein praktischer – für die Praxis des Messens und Rechnens bestimmt. Er ist insofern leer, als er keinen weiteren Sinn enthält, nichts sprachlich erklärt. Seine Etymologie und Begriffsgeschichte ist völlig irrelevant. Es könnte ein völliges Kunstwort sein. „Entropie” ist ohnehin schon nahe am Kunstwort, durch jede weitere Analogie und physikfremde Verwendung aber wird es mit Sinn aufgeladen, der dem Begriff nicht innewohnt. Dramatischer ist es beim Begriff „Energie“: Er ist durch zahlreiche Analogien bereits in die Alltagssprache eingegangen – wodurch viele Irrtümer entstehen. Ein großer Teil der Esoterik bewirtschaftet den magischen Klang physikalischer Begriffe. „Energie” spielt dort eine besonders große Rolle. Ähnlich ist es mit den „Quanten“. Um Assoziationen zu vermeiden, schuf der Physiker Murray Gell-Mann einst den Begriff „Quark” (ein Kunstwort aus Finnegans Wake von James Joyce). Er wusste nicht, dass es ein deutsches Wort ist – zum Glück ist der Bezug zum Topfen weit genug entfernt, sodass nicht allzu viel Topfen mit dem Wort geredet wird.
Der Begriff „Entropie” löst heute bei Gebildeten die Assoziation von „Unordnung” aus. Wirtschaft als Ordnungsprozess zu betrachten, wiederum liegt nahe an den Ansätzen der Wiener Schule – Friedrich A. von Hayek sprach vom Koordinationsprozess, Israel M. Kirzner vom Marktprozess. Diese Assoziation kam über den Umweg der Informationstheorie – Claude E. Shannon formulierte ein logarithmisches Strukturmaß für Information in Analogie zur Entropie. In der Physik hat Entropiezunahme aber nur sehr bedingt etwas mit Strukturabnahme zu tun. Strukturen sind menschliche Sinnbezüge. Energieverteilung entspricht manchmal der Auflösung von Strukturen, aber nicht immer. Die für Menschen wesentlichsten Strukturzerfälle schließlich haben überhaupt nichts mit Entropiezunahme zu tun: Oft handelt es sich schlicht um Reaktionen. Die Ortsänderung makroskopischer Objekte, die für Menschen „Unordnung” bedeuten kann, hat nichts mit Entropie oder Thermodynamik zu tun.
Wenn heißer Kaffee auskühlt, das heißt, der Temperaturunterschied zur Umgebung abnimmt, dann ist dies in der Tat – in Abhängigkeit vom jeweils betrachteten Rahmen – eine Entropiezunahme. Doch Heißes ist nicht notwendigerweise strukturierter oder gar wertvoller – es liegt letztlich im Auge des Betrachters. Wir benötigen die subjektivistische Wertlehre also zur Antwort, anstatt sie – wie erhofft – physikalisch-objektiv fundieren zu können. „Ordnung” setzt Maßstäbe voraus, und der Mensch ist das Maß der Wirtschaft. Entsprechend kam die Sozialwissenschaftlerin Mary Douglas einst zum Schluss: Schmutz ist Materie, die sich an unerwünschten Orten befindet. Ähnliches gilt für „Unordnung”.
Gold scheint in menschlichen Zeiträumen kaum zu zerfallen oder zu reagieren. Liegt das an seinen besonderen thermodynamischen Eigenschaften? Lässt sich nicht irgendeine Analogie zur Entropie herstellen?
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