Deutschland und Griechenland im Vergleich
Immobilien sind die größte Anlageklasse in Europa und damit das geschätzte Vehikel, um sich vor Kaufkraftverlust der Währung zu schützen. Insbesondere in Ballungsräumen ist die Immobilienanlage in dieser Hinsicht eine Erfolgsgeschichte und half, die Vermögen des mittelständischen Bürgertums zu bewahren.
Das Eigentum am Eigenheim ist eng mit der Geschichte der Freiheit verbunden und befriedigt zudem den urmenschlichen Nestbautrieb. So ist man eher geneigt, sinkendes Wohneigentum – vor allem in Deutschland – zu beklagen, als eine Schrumpfung der Immobilienanlage zu wünschen. In fremdem Eigentum zur Miete zu wohnen – ist das nicht würdelose Abhängigkeit?
Der hohe Mietanteil macht Deutschland im europäischen Vergleich zum Armenhaus. Dieser Vergleich ist jedoch irreführend. Betrachten wir ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Land mit weitaus höherer Selbständigenquote hätte einen höheren Anteil an Eigentümern von Einzelunternehmen. Multiplizieren wir die Anzahl von Selbstständigen dann mit dem durchschnittlichen Erlös in Unternehmensveräußerungen, kämen wir wohl auf relativ hohe Vermögenswerte. Leider ist eine hohe Selbständigenquote aber ein Indikator von Armut: einem Mangel an Arbeitsplätzen, Kapital und Produktivität für Skaleneffekte.
Das Problem der Bewertung von Einzelunternehmen liegt in ihrer geringen Liquidität. Von einzelnen Unternehmensveräußerungen auf einen durchschnittlichen Wert von Einzelunternehmen rückzuschließen, ist offensichtlich absurd. Die meisten Einzelunternehmen haben einen Wert von null. Hier scheint das Beispiel im klaren Gegensatz zum Immobilienmarkt zu stehen. Durchschnittliche Eigenheime werden wohl stets positiven Wert haben – oder nicht?
Hier kommen wir zum Kern der Problematik: Immobilien sind deshalb so populäre Anlagegüter, weil sie liquide scheinen – und sie scheinen liquide, weil sie so populäre Anlagegüter sind. Das ist bei allen Anlagegütern so. Durch die Geldpolitik wird teilweise beabsichtigt, teilweise als Nebenfolge akzeptiert, dass intelligente Sparer nach und nach aus der Geldhaltung in die Vermögensanlage gedrängt werden. Dadurch aber nimmt nicht die Risikopräferenz zu, und somit ist die zusätzliche Nachfrage nach Vermögenswerten keine unternehmerische, sondern eine monetäre.
Monetäre Nachfrage ist eine Nachfrage nach einem Gut, die nichts mit dessen direkten Nutzen zu tun hat, sondern sich auf die indirekte Eignung für Tausch, Kalkulation und Thesaurierung bezieht. Der letztere Aspekt wird meist unterschätzt, denn fast alle ökonomischen Traditionen schmähen die Thesaurierung als vermeintlich schädliches „Horten“. Doch Modelle und Wunschvorstellungen von Akademikern wirken nicht direkt auf die Präferenzen der Menschen, nur indirekt über politischen Zwang und als selbsterfüllende Prophezeiung. Die Präferenzen der Menschen hinken also den akademischen Modellen und politischen Wünschen stets hinterher. So kommt es, dass die häufigste Anlage de facto Horten ist: Horten von Giralgeld, Bargeld, Zertifikaten, Anleihen, Aktien, Gold, vor allem aber Immobilien.
Warum scheinen Griechen laut EZB-Statistik doppelt so vermögend wie Deutsche? Das durchschnittliche griechische Eigenheim, das diese Illusion erzeugt, ist falsch bewertet. Es gibt eine touristische Nachfrage nach Immobilien, die in bestimmten Lagen für höhere Liquidität sorgt. Die Mittel aus der massiven Umverteilung nach Griechenland werden zudem nicht unternehmerisch angelegt, sondern verkonsumiert oder gehortet – in einer Gesellschaft mit weniger Vertrauen in Politik und Banken noch eher in Immobilien. Die durchschnittlichen Eigenheime jedoch erfahren nie den Liquiditätstest, da ihre Eigner nicht mobil sind, keine bessere Vermögensanlage kennen und zu den extrapolierten „Marktpreisen“ keinen Käufer finden würden. Abgesehen von der monetären Nachfrage kann es bei dieser Demographie und diesem Arbeitsmarkt nur eine sinkende nicht monetäre Nachfrage nach Immobilien geben. Letztere wird aber kaschiert durch steigende oder gleichbleibende monetäre Nachfrage und durch die in Wirklichkeit extrem heterogene Liquidität: Wenige Immobilien sind hochliquide – das heißt jederzeit veräußerbar ohne Auswirkung auf den Preis –, die meisten aber nahezu illiquide, das heißt: Nicht zu jedem Verkaufszeitpunkt findet sich überhaupt nur ein einziger williger Käufer.
Die hohe griechische Eigenheimquote hat auch eine gute Seite: eine höhere Resilienz der Gesellschaft. Natürlich ist es besser, zumindest über ein ausfinanziertes Eigenheim zu verfügen, als über gar keine Vermögenswerte – auch wenn das Einkommen höher ist. Vielleicht insbesondere, wenn das Einkommen höher ist, denn damit wachsen auch die Ansprüche an den Lebensstandard. Das wiederum birgt Abhängigkeit. Der hohe Lebensstandard von Personen niedriger Sparneigung mit unzureichenden Reserven erklärt einen guten Teil der explodierenden Feigheit in Deutschland. Doch ein mindestens so wichtiger Grund für diese materielle Abhängigkeit, die zu geistiger führt, ist ein hoher Verschuldungsgrad, der wiederum überwiegend aus dem Eigenheim als vermeintlicher Vermögensanlage herrührt. Sinkende Zinsen bei steigender Qualität der Pfänder ermöglichten eine Explosion der Hypothekarkredite – und den Hauptweg, im Deutschland der letzten Dekaden als Bürger größeres Vermögen aufzubauen.
Leider beißt sich die Katze in den Schwanz: Die höhere Qualität der Pfänder kommt aus der vermeintlichen Liquidität von Immobilien, die wiederum hauptsächlich aus der kreditgehebelten monetären Immobiliennachfrage gespeist wird. Die deutsche Demographie ist keineswegs günstiger. Die Wirtschaftskraft, vor allem das Vermögen, Arbeitsplätze zu schaffen, stellt Griechenland noch deutlich in den Schatten. Doch Bewertung ist eine Frage der Antizipation, die durchschnittliche Marktabschätzung ist schon völlig eingepreist. Die stille Ahnung vieler Deutscher, dass es ihre Kinder und Enkel einmal schwerer haben werden als sie selbst, hat noch keine spürbare Wirkung auf die Liquidität oder die Preise von Immobilien gehabt – oder sie ist angesichts der ungebrochenen monetären Nachfrage verpufft.
Zuerst erschienen auf eigentümlich frei