Mit steigendem Preis sinkt das Risiko und dann das Wertsteigerungspotenzial
Bitcoin ließ sich lange als eine der vielen bizarren Internet-Moden ignorieren. Mit dem Durchbrechen einer Marktkapitalisierung von Tausend Milliarden Dollar scheint eine neue Etappe angebrochen, die dazu führt, dass nun niemand, der sich für Wirtschaft interessiert, an einer Einschätzung des Phänomens vorbeikommt. Wer es bislang ignoriert hat, ist wohl ebenso Einschätzungen gefolgt, vielleicht ohne das zu merken. Nahezu alle kundigen Ökonomen taten und tun Bitcoin als Unsinn ab.
Viele Bitcoin-Enthusiasten stoßen auf die „Austrian School“, und der Bezug zu dieser Tradition scheint ein enger zu sein. Lag die Wiener Schule wieder einmal richtig? Friedrich August von Hayek schien Bitcoin immerhin vorherzusagen: „Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder gutes Geld haben werden, bevor wir die Sache nicht aus den Händen des Staates nehmen. Wir können es ihm nicht mit Gewalt entreißen, bloß auf eine listige und indirekte Weise etwas einführen, das er nicht mehr stoppen kann.“ Und Ludwig von Mises bot mit seiner Geldtheorie die nötigen Kategorien zum Verständnis von Bitcoin.
Leider spielt, wie Hayek erahnte, Vernunfteinsicht keine große Rolle im menschlichen Handeln. Wir sind weit besser dabei zu imitieren, als neue Wagnisse einzugehen. Viele Skeptiker vermuten, dass die Bitcoin-Anlage emotional verlockend ist, als Internet-Geld mit nahezu unbeschränktem Aufwertungspotenzial, die Vernunft jedoch bremsen sollte. Genau das Gegenteil ist der Fall: Nach mehr als zehn Jahren sind die meisten vernünftigen Einwände empirisch und theoretisch so weit widerlegt, dass ein völliges Anlageversäumnis immer unvernünftiger ist – es fällt aber bei steigendem Preis emotional immer schwerer, einzusteigen.
Warum enthielten sich auch die meisten Verfechter der „Austrian School“ der Anlage in Bitcoin? Theorie ist kein Ersatz für Praxis. Sie bietet keine klaren Erkenntnisse, nur geistige Werkzeuge, die helfen, im Nebel der Ungewissheit unklare Schemen auszumachen. Auch die Zugehörigkeit zu ökonomischen Traditionen entstammt vor allem der urmenschlichen Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu anderen Menschen mit kompatiblen Interessen, Denk- und Lebensweisen. Dagegen ist wenig einzuwenden, außer dass dies meist auf Kosten der Erkenntnis geht.
Selbst jene wenigen, die sich mehr für die Spitzfindigkeiten der Theorie als die Bestätigung eigener Wunschbilder und Identitäten interessierten, wurden durch Begriffe in die Irre geführt. Worte sind nicht neutral, sondern tragen Assoziationen. Sachgeld klingt nach physischen Sachen, Fiat-Geld nach einer moralischen Wertung, Nutzen nach einer objektiven Brauchbarkeit.
Das Phänomen eines Zeichengeldes, das ein Sachgeld algorithmisch synthetisiert, ist völlig neu und eine innovative Synthese technischer Durchbrüche. Es ist grundvernünftig, diesem Ansatz zunächst mit großer Skepsis zu begegnen. Nahezu jeder Mensch reagierte genauso. Die ersten zwei Jahre galt Bitcoin nur als kuriose Idee, die niemandem Zahlungsbereitschaft entlockte. Die Geldtheorie hätte die unglaublich hohe mögliche Prämie bei einer Monetisierung erahnen und damit selbst bei sehr geringer Wahrscheinlichkeit einen positiven Erwartungswert zuschreiben lassen.
Mehr als zehn Jahre später die erfolgte Monetisierung als unmöglich abzutun, hat mehr mit Ideologie oder dem Saure-Trauben-Effekt zu tun. Letzterer beschreibt die kognitive Dissonanz derjenigen, die eine Anlagegelegenheit historisch einmaliger Dimension verpasst haben. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in theoretischen Spitzfindigkeiten. Etwa Hayeks Erkenntnis, dass Geld kein Nomen, sondern ein Adjektiv sein sollte: Monetisierung ist also ein teilweiser, evolutionärer, ungewisser Prozess, kein binäres Ergebnis. Man kann S&P-500-Konzernen, die ihre Barreserven von kurzfristigen Staatsanleihen in Bitcoin verschieben, Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein absprechen, keinesfalls aber Bitcoin die gestiegene „Geldigkeit“.
Eine andere theoretische Spitzfindigkeit von großer Bedeutung ist, das misessche Regressionstheorem als spontanen Entdeckungsprozess zu deuten, der sich an vergangenen Preisen orientiert. Es ist keine normative Behauptung; die Orientierung an vergangenen Preisen und historischen Gütern ist eine denkbar schlechte Empfehlung für die Anlage. Es ist schlicht der notwendige Lernpfad.
Noch eine dritte Spitzfindigkeit ist nötig: Die Essenz des Konzepts „Sachgeld“ sind die steigenden Grenzkosten der Geldproduktion, eine Essenz, die im Gegensatz zu Handelsgütern bei steigender Nachfrage nicht aufgrund von Skaleneffekten zu sinkenden Produktionskosten führt.
Ist Bitcoin nicht offensichtlich eine Blase? Diese Behauptung begleitet jede Phase rasanten Preisanstiegs. Das Muster sich wiederholender, fraktal beziehungsweise logarithmisch gestaffelter Aufwärtsphasen sollte zu denken geben. Jede Monetisierung bedeutet die zunehmende Zahlungsbereitschaft für die Geldprämie – und wir wissen aus Geschichte und Theorie, dass der Gebrauchswert eines Gutes im Vergleich zur Geldprämie verschwindend klein sein kann. Nahezu der gesamte Wohlstand stammt aus der Innovationskraft aufgrund von Arbeits- und Wissensteilung geldwirtschaftlich verbundener Menschen. Das ist eine der zentralen Einsichten der Katallaktik. Daher die große Bedeutung und der hohe Wert des Geldes.
Natürlich kennt niemand die Zukunft, und das Experiment Bitcoin könnte morgen zu einem unerwarteten Ende kommen. Doch das ist nicht die Bedeutung von Blase. In einer Zeit exponentiell wachsender Basisgeldmengen sollte man mit diesem Begriff bei den Preisen von Vermögenswerten sehr vorsichtig sein. Paradoxerweise wird Bitcoin bei steigendem Preis eine immer weniger riskante Anlage. Ohne Ungewissheit gibt es allerdings auch kein Preissteigerungspotenzial.
Sollte Bitcoin die Monetisierung so weit gelingen, dass es Zentralbanken in die Bilanz aufnehmen, wird die Volatilität sinken und das Wertsteigerungspotenzial schwinden. Das ist nicht gewiss, aber heute viel wahrscheinlicher als 2008 – damals war es noch vernünftig, die Wahrscheinlichkeit nahe null anzusetzen.
Zuerst erschienen auf eigentümlich frei