Crowdfunding, das Sammeln vieler kleiner Beiträge von Privatleuten, ist der letzte Schrei. In Zeiten klammer Kreditvergabe trotz Finanzüberfluss schimmert hier eine Hoffnung für Kleinunternehmer auf. Die Hoffnung ist groß: nämlich unter Umgehung der Banken und dennoch Erlaubnis der Finanzmarktaufsicht neue Wege der Finanzierung zu eröffnen, die das schiefe Spielfeld etwas zurechtrücken könnten. Die künstlichen Skaleneffekte der Kreditaufblähung nähren Großkonzerne, während Kleinunternehmer kaum mehr an Kapital kommen. Crowdfunding gefällt auch Marktskeptikern, da gemeinhin vermutet wird, dieses Finanzinstrument des kleinen Mannes könne zu einer Demokratisierung der Finanzierung führen. Im Ideal spricht das Kleinunternehmen direkt Kunden und Fans an, die in Summe doch anständige Beträge aufbringen können: Erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen erzielen mehrere Hunderttausend Euro.
Die Hoffnung trügt jedoch. Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um potentielle Massenphänomene (Crowds), mit ihren eigenen Dynamiken. Massendynamiken sind durch Selbstverstärkung und power laws gekennzeichnet, also logarithmische Größenverhältnisse. Dies deutet daraufhin, dass der erwartete Demokratisierungseffekt langfristig abgeschwächt und gar umgekehrt werden könnte. Dafür mehren sich die Anzeichen, wie ich im Weiteren ausführe.
Wenn ein Konzept noch neu ist, reicht das, um die Aufmerksamkeitsschwellen zu durchbrechen. Daher kommt stets der anfängliche Enthusiasmus bei neuen Ideen der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung im Massenmarkt. Der Erste, der auf die Idee kam, seine Website pixelweise als Werbefläche zu verkaufen, verdiente sich eine goldene Nase. Der Erste, der im Internet frech genug war, um die Masse anzubetteln, mit kleinen Beiträgen seine Kreditkartenschulden abzutragen, erreichte mehr als sein Ziel. Das sind nur zwei Beispiele, die beide unzählige Nachahmer fanden, die enthusiastisch das große Geld im Kleinen witterten. Die ersten Crowdfunding-Kampagnen hatten den Charakter des Neuen, Revolutionären, gar Rebellischen. Sympathische Kleinstunternehmer, die zuvor kein Mensch kannte, begeisterten Massen für ihre Projekte. Doch nun drängen immer mehr in diesen Markt. Es mehren sich die negativen Erfahrungen: Denn nur auf der Grundlage einer Konzeptskizze, die meist ein cooles Gadget vorstellt, wird um Geld gefragt, was sich eher im Bereich einer typischen Affekt-Konsumentscheidung als einer Investition bewegt. Hier ein typischer Kommentar: Yet another Kickstarter gadget disaster. Be careful what you crowd-fund, kids.
Die Folge ist ein verschärfter Wettkampf um Aufmerksamkeit. Immer neue bunte Spielzeuge werben um den durchschnittlichen Internetkonsumenten und schmeicheln ihm, er sei weltbewegender Investor. Sobald ein Konzept einmal die Masse erreicht hat, wird der Erfolg zwar nicht völlig vorhersehbar, doch relativ teuer: Die Aufmerksamkeitsschwellen zu überwinden kostet. Dadurch manifestieren sich dann die „unfairen” Gesetzmäßigkeiten der Power Laws, der Exponentialverhältnisse: Die bereits erfolgreicheren Projekte haben verhältnismäßig noch mehr Erfolg, die bereits bekannteren Projekte gewinnen verhältnismäßig noch mehr Aufmerksamkeit. Hat man einmal die Aufmerksamkeit, lässt sich einfach eine Crowdfunding-Kampagne anhängen. Hat man sie noch nicht, hilft auch das Crowdfunding nur in seltenen Ausnahmefällen.
Damit stellt Crowdfunding eher einen zusätzlichen Vertriebskanal als einen Finanzierungskanal dar. Selbst im Falle der – aufgrund der Regulierungslage meist gewählten – Nachrangdarlehen, handelt es sich eher um Preisdifferenzierung für Konsumenten mit erhöhter Zahlungsbereitschaft, also eine Art „Merchandising” für Unternehmen. Besonders deutlich ist dies bei Crowdfunding-Plattformen, die anstelle von Darlehen eher Subskriptionscharakter haben: Das heißt, Konsumenten bezahlen de facto das Produkt vor seiner Erstellung – was durchaus sympathisch ist. Doch die Hoffnung, dass dies in Summe die Kleineren begünstigen wird, sehe ich nicht erfüllt. Solange Start-ups noch als cool gelten, werden sie als Rekrutierungs- und Marketinginstrument von Großkonzernen aufgekauft, die sich dadurch auch das Crowdfunding erschließen – wenn es den Konsumenten nicht ohnehin egal ist, welches Unternehmen da gerade die Crowd anbettelt, und sie eher das Produkt oder das verbundene Merchandising im Auge haben.