Bitcoin erholt sich gerade von seiner scharfen Kurskorrektur. Die Halbierung auf 30’000 $ – noch immer ein historischer Höchstwert – war begleitet von Kritik am hohen Energiekonsum der Kryptowährung. Wirklich ausschlaggebend für die Korrektur war aber wohl das Schliessen der meisten chinesischen Bitcoin-Schürfer, das einen Stresstest für das Bitcoin-Netzwerk bedeutete. Dieser Stresstest wurde mit Bravour bestanden. Doch das chinesische Vorgehen schien die Kritik zu bestätigen. Ist Bitcoin tatsächlich eine Umweltkatastrophe?
Eine Datenbank und ein Zahlungssystem mit einem aktuellen Energieverbrauch von 140 TWh – so viel wie ein kleines Land – scheint in der Tat verschwenderisch. Doch Bitcoin selbst hat kaum Energiebedarf, die Energie wird nicht für die Transaktionen oder Datensätze verwendet. Sie wird von Schürfern aufgewandt, die gegeneinander mit Rechenleistung um die wenigen neu geschöpften Bitcoin konkurrieren. Diese Neuschöpfung wird in jedem Halbierungszyklus geringer. Der Energieverbrauch kommt also nicht aus der Nutzung von, sondern aus der Nachfrage nach Bitcoin.
Das mag spitzfindig erscheinen. Wer die Nachfrage nach Bitcoin für einen Irrtum hält, wird dennoch Energieverschwendung sehen. Und natürlich ist das «Schürfen», die Zuteilung anhand eines Aufwandnachweises («Proof of Work»), willkürlich gewählter Bestandteil des Bitcoin-Codes. Der Zweck ist Schutz der Transaktionsdaten. Die Zahlungshistorie von Bitcoin abzuändern ist durch den Aufwandnachweis prohibitiv teuer. Jeder Manipulationsversuch konkurriert gegen die Rechenleistung all der anderen Schürfer, die allein für die Prozessoren bislang mehr als 7 Mrd. $ privater Mittel eingesetzt haben. Der Strom für die jährlich investierte Rechenleistung würde in der Schweiz fast 30 Mrd. Fr. kosten. Selbst wenn Akteure mit manipulativen Absichten Milliardenbeträge aufbringen könnten, würden sie nicht mehr erreichen können, als eigene Bitcoin mehrfach auszugeben. Daher hat es in den mehr als zehn Jahren des Bestehens der Bitcoin-Blockkette keinen einzigen erfolgreichen Angriff dieser Art gegeben. Der Energieverbrauch setzt die richtigen wirtschaftlichen Anreize, um Bitcoin sicher gegen Manipulationen und Zensur zu machen.
Leben bedeutet Energieverbrauch
Es gibt also gute technische Gründe für den Energieverbrauch, er ist kein Designfehler, sondern ein gelungener Weg, die Bitcoinschöpfung mit realen Kosten zu verbinden und Manipulationsversuche immer teurer zu machen. Doch wie steht es um die moralischen Gründe?
Wenn Energieverbrauch an sich ein Übel wäre, dann stünde Bitcoin nicht gut da. Diese Extremansicht, die immer weiter um sich greift, ist letztlich menschenfeindlich. Es ist eine Spielart der «Tiefenökologie», die zur Kinderlosigkeit führt, weil Menschenkinder nur noch als Belastung des Planeten interpretiert werden. Menschliches Leben bedeutet Umformung der Umwelt, und ein Teil dieser Umformung ist Energieverbrauch.
Am problematischsten erscheint jene Umformung, die fossile Energieträger aufbraucht und dabei Emissionen freisetzt. Lange galt der Vorbehalt gegen diese Energieform einer prognostizierten Knappheit. Doch fossile Energieträger haben ausserhalb menschlicher Nutzung kaum Eigenwert, Öl ist keine schützenswerte Ressource. Die zeitgemässere Perspektive, vor allem auf die Emissionen zu blicken, ist da schon wesentlich sinnvoller. Bitcoin-Schürfer nutzen die jeweils günstigste Energie. In einigen Staaten der Welt ist das Öl. Für das Aufbrauchen solch unmoralischer Subventionsmittel, die Unrechtsregime stützen, sollten wir dankbar sein.
Eine Subvention für erneuerbare Energien
In der Regel ist die günstigste Energie solche, die keine andere Verwendung hat. Da Bitcoin-Schürfen völlig ortsunabhängig ist, können auch sonst verlorene Energiequellen angezapft werden. Ein grosser Teil solcher Quellen ist erneuerbar: Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme sind am reichlichsten dort verfügbar, wo es kaum Nachfrager gibt – ausserhalb der dichten Ballungsräume. Sonne und Wind sind zudem zu schwankend, um die Grundlast normaler Energieverwendung zu sichern – gut geeignet hingegen sind sie für Schürfprozessoren, die jederzeit an- und abgeschaltet werden können. Bitcoin dient damit als Subvention für erneuerbare Energien, denn Energiequellen werden rentabel, die es ohne Bitcoin-Schürfen nicht wären. Bitcoin dient dann als Wertspeicher für aktuell nicht nutzbare Energie. Das erklärt, warum bereits 39% des Energiebedarfs für das Bitcoin-Schürfen aus erneuerbarer Energie kommen. Dieser Anteil wächst laufend, beschleunigt durch den Exodus aus China.
Doch Energienutzung ist kein Selbstzweck. Die Nutzung erneuerbarer Energie ist entgegen verbreiteter Illusion nicht an sich eine ökologische Wohltat. Der Ausbau dieser Energieformen – der selbst viel Energie und Resourcen benötigt – führt nicht nur zur Umweltbelastung bei der Förderung der nötigen Metalle, sondern auch zur Versiegelung von Böden, was wohl einen grösseren Beitrag zu den dramatischen Überflutungen der Gegenwart leistet als der Klimawandel. Hinzu kommen bei Bitcoin die Tausende Tonnen an Hardware (anwendungsspezifische integrierte Schaltungen, Asic, mit Gehäuse und Lüfter), die jedes Jahr nur für diesen Zweck produziert werden.
Ein «Greenwashing» von Bitcoin allein wird die Kritiker nicht überzeugen, ausser jene, die vom wachsenden Geschäft «grüner» Umverteilung und Zertifikate (Environmental, Social, Governance; ESG) profitieren. Entscheidend ist der Zweck, der Energieverbrauch ist nur ein Mittel. Wer Bitcoin für wertlose Verirrung oder unmoralische Gaunerei hält, für den ist auch der geringste Energieverbrauch, egal wie «grün» angemalt, inakzeptabel.
Herkömmliches Finanzsystem verbraucht viel mehr
Dass ausgerechnet Bitcoin hier in der Kritik steht, und nicht die unzähligen anderen Energienutzungen für verschwenderische und zerstörerische Zwecke, liegt daran, dass Geldphänomene immer schon mit einem moralischen Makel versehen waren. Das ist die irrige Intuition der uralten Sippenmoral, die sich am neutralen Tausch unter Fremden stösst. So unterschätzen die meisten Menschen die Bedeutung des Geldes in all seinen Formen: Ohne monetär vermittelte globale Arbeitsteilung würde die Lebensvoraussetzung eines wachsenden Teils der Menschheit wegfallen.
Geld gibt es auch ohne Bitcoin. Eine wachsende Zahl von Menschen in aller Welt – schon mehr als 100 Mio. – sehen aber in Bitcoin potenziell besseres Geld. Aus unserer privilegierten Position mag das Suchen nach einer Alternative zum bislang funktionellen Geldsystem als sinnlose Utopie erscheinen. Viel klarer ist der Bedarf nach besserem Geld für den grösseren Teil der Weltbevölkerung: Gastarbeiter, die ihrer Familie Geld heimschicken und dafür bis zur Hälfte an Gebühren verlieren. Libanesen, die eben erst den grössten Teil ihrer Ersparnisse verloren haben. Chinesen, die durch Kapitalverkehrskontrollen von der Welt finanziell abgeschnitten sind.
Und letztlich alle, die erkennen, dass zwar für die privilegierten Konten- und Kartenbesitzer in Weltwährungen die Zahlungsprobleme weitgehend gelöst scheinen, viele andere Probleme aber immer sichtbarer werden: der laufende Kaufkraftverlust, die wachsende Verzerrung der Wirtschaftsstruktur durch grenzenlose Monetisierung von Schuldtiteln mit den Zentralbanken als Liquiditätsquelle letzter Instanz, die ungerechte und unmoralische Umverteilung zu den Nutzniessern der Geldschöpfung. Das aktuelle Finanzsystem verbraucht nach einer Schätzung etwa 13 Mal so viel Energie wie Bitcoin, das bereits 20 Mrd. $ Transaktionen und 600 Mrd. $ Vermögen sichert – für 0,1% des weltweiten Energieverbrauchs.
Zuerst erschienen bei Finanz & Wirtschaft