Blockchain-basierte Kryptowährungen behaupten sich und verkomplizieren dadurch nicht nur die Geldtheorie, sondern auch die Debatte um das Bargeld. Letzteres trägt zwar “des Kaisers” Antlitz und ist damit “des Kaisers”, dennoch bietet es dem Untertan einen letzten Rest von Souveränität. In seiner physischen Ausprägung “stinkt es nicht”, es nimmt den Geruch der Träger und Zwecke nicht an, um eine weitere antike Analogie zu nutzen: Bargeld ist anonym und eben deshalb bindet es seine Nutzer nicht; es lässt abstrakte Marktbeziehungen mitsamt ihrer sozialen Freiheit zu, anstelle engerer Personalbeziehungen oder drückenderer Herrschaftsbeziehungen. Damit schränkt Bargeld aber auch die Mittel des Staates zugunsten des Individuums ein: Es entzieht sich totaler Überwachung, Besteuerung und Kapitalverkehrskontrollen. Dem modernen Staat sind digitale Zahlungsmittel daher grundsätzlich lieber: Kontenstände sind kontrollierbar, besteuerbar und im Notfall leicht einzuziehen. Umso paradoxer ist es da, dass ausgerechnet abseits des Staats- und Bankenapparates die innovativsten Digitalwährungen entstanden, die sich bislang – aufgrund der langsam mahlenden Mühlen der Bürokratie – weitgehend Steuern, Kapitalverkehrskontrollen und Überwachung entziehen.
Zum Glück für den Bürger sind wir noch von einem Weltstaat entfernt, da die Weltordnung eher multipolarer wird, nimmt diese Entfernung auch zu. Die Konkurrenz der Nationalstaaten bietet den Kryptowährungen noch ein Refugium im Niemandsland. Darum ist das global durchexekutierte Totalverbot noch keine Option. Staaten und Banken versuchen bislang, die neuen Konkurrenten zu verstehen und von ihnen zu lernen. Dazu werden beachtliche Mittel aufgewandt – alles mit der Intention, sich irgendwann selbst auf das Feld zu wagen. (Mehr dazu siehe in den Scholien “Blockchain – Hype oder Rettung?“)
In einem Vortrag vor der Bank of England, der britischen Zentralbank, gab die IWF-Präsidentin Christine Lagarde, vor kurzem Hinweise auf Motivationen und mögliche Szenarien. Sie zeigt sich überraschend zuversichtlich, was die technische Entwicklung von Kryptowährungen betrifft. Noch seien sie zu volatil, riskant, energieintensiv, zu wenig skalierbar und zu undurchsichtig für Regulatoren. Doch es sei nur eine Frage der Zeit, bis alle diese “Probleme” technisch behoben sein werden. Lagarde vergleicht die Entwicklung der Kryptowährungen mit dem Siegeszug des PC – anfangs hätte auch kaum jemand damit gerechnet, dass in fast jedem Haushalt ein Rechner stehen würde. Die Annahme neuer Währungen könne wie die Annahme neuer Technologien exponentiell verlaufen:
Denken Sie zum Beispiel an Länder mit schwachen Institutionen und instabilen nationalen Währungen. Anstatt die Währung eines anderen Landes – wie z.B. des US-Dollars – zu übernehmen, könnten einige dieser Volkswirtschaften einen wachsenden Einsatz virtueller Währungen erleben. Nennen Sie es Dollarisierung 2.0. Die Erfahrung des IWF zeigt, dass es einen Wendepunkt gibt, über den hinaus die Koordination um eine neue Währung exponentiell ist. Auf den Seychellen beispielsweise stieg die Dollarisierung von 20 Prozent im Jahr 2006 auf 60 Prozent im Jahr 2008. Warum könnten Bürger virtuelle Währungen eher als physische Dollar, Euro oder Sterling annehmen? Weil es eines Tages einfacher und sicherer sein könnte, als Papiergeld zu erhalten, besonders in abgelegenen Regionen. Und weil virtuelle Währungen tatsächlich stabiler werden könnten. Zum Beispiel könnten sie 1:1 für Dollar oder einen stabilen Währungskorb ausgegeben werden. Die Emission könnte völlig transparent sein, durch eine glaubwürdige, vordefinierte Regel geregelt sein, einen Algorithmus, der überwacht werden kann… oder sogar eine “smart rule”, die sich ändernde makroökonomische Umstände widerspiegeln könnte. [@lagarde_central_2017]
Den wesentlichen Vorteil von Kryptowährungen sieht Lagarde bei kleinen “peer-to-peer transactions” . Ihre gewählten Beispiele erlauben etwas Zynismus: Damit meint sie wohl “von Untertan zu Untertan” – da würden etwa ganz niedlich drei Euro für die Expertenübersetzung eines japanischen Gedichts, vier Dollar für gärtnerische Anleitungen und 80 Pence für die Gestaltung eines virtuellen Rundgangs in einer Straße unter kleinen Männern und kleinen Frauen hin und her überwiesen. Die steuerfreie Überweisung von über einer halben Million Euro Jahresgage für Frau Lagarde ist gewiss nicht “peer-to-peer”. Tatsächlich liegt der Vorteil von Kryptowährungen genau darin, institutionelle Mittelsmänner und -frauen mit derart fürstlichen Gagen zu ersetzen, nicht in der Durchführung von Kleinstüberweisungen. Das wird von vielen Blockchain-Anhängern auch in der Skalierungsdebatte übersehen. Die vielbeschworenen Mikroüberweisungen sind gar nicht das Rückgrat der digitalen Wirtschaft, die menschliche Psychologie widerstrebt ihnen. Entscheidender sind die großen Vertrauensprobleme, nicht die kleinen, letztere kann man anschreiben, großzügig darüber hinwegsehen oder indirekt einbringen.
Lagarde verwischt wie viele die Unterschiede zwischen Digitalwährung und Kryptowährung, letztere Kategorie ist eine deutlich engere. Diese Verwischung liegt im Interesse der großen Institutionen, die gerne den privaten Charme der Kryptowährungen als Mäntelchen für kontrollierbare Digitalwährungen nutzen würden. So viel Aufwand auch in dieses Mäntelchen gesteckt werden wird, durch Rekrutierung von Programmierern und Dotieren von Budgets, letztlich bleibt der Kaiser nackt. Lagarde sieht aber künftiger populärer Nachfrage entgegen:
Stattdessen könnten Bürger eines Tages virtuelle Währungen bevorzugen, da sie möglicherweise die gleichen Kosten und den gleichen Komfort bieten wie Bargeld – kein Abwicklungsrisiko, keine Verspätungen beim Clearing, keine zentrale Registrierung, kein Vermittler zur Prüfung von Konten und Identitäten. Wenn die virtuellen Privatwährungen weiterhin riskant und instabil bleiben, könnten die Bürger sogar die Zentralbanken auffordern, digitale Formen der gesetzlichen Zahlungsmittel bereitzustellen. [@lagarde_central_2017]
Damit beschreibt sie ein durchaus plausibles Szenario. Freilich “fordern Bürger” Zentralbanken kaum jemals zu etwas auf, es sind Politiker und Lobbyisten, die Agenden suchen und nutzen. Lagarde formuliert den Traum der Zentralbankiers, endlich wieder politisch zu “innovativerer” Politik ermächtigt zu werden. Der österreichische Zentralbankier Ewald Nowotny darf als Paradetypus herhalten: Er könnte als guter Kontraindikator dienen, da sämtliche seiner Prognosen und Empfehlungen daneben gehen. Vor dem letzten Höhenflug von Bitcoin warnte er heftig davor, denn Bitcoin sei “völlig intransparent”, denn die Währung sei kein “von Notenbanken und dem öffentlichen Sektor kontrolliertes System”. Doch zum Glück gibt es noch keine Weltzentralbank, und Nowotnys überdimensioniertes Provinzamt wird gewiss keine führende Rolle spielen – die europäische Währungspolitik ist ein völlig intransparentes Geklüngel, bei dem nationale Notenbanken und “öffentliche Sektoren” allenfalls nachrangige Erfüllungsgehilfen sind. Christine Lagarde deutet allerdings ihren eigenen Traum an, doch irgendwann, nach einer scharfen Weltwirtschaftskrise, zu einer Weltzentralbank ermächtigt zu werden:
Grenzüberschreitende Maßnahmen sind von entscheidender Bedeutung, da sich der Schwerpunkt der Regulierung von nationalen Einheiten immer mehr auf grenzenlose Aktivitäten ausweitet – von der Bankfiliale vor Ort bis hin zu quantenverschlüsselten globalen Transaktionen. Aufgrund unserer globalen Mitgliedschaft von 189 Ländern ist der IWF eine ideale Plattform für diese Diskussionen. Die Technik kennt keine Grenzen […]. Wie können wir Regulierungsarbitrage und einen Wettlauf nach unten vermeiden? Es geht um das Mandat des IWF für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität und die Sicherheit unserer globalen Zahlungen und Finanzinfrastruktur. Die Chancen und Vorteile der Zusammenarbeit sind hoch. Wir wollen keine Lücken im globalen Finanzsicherheitsnetz, so sehr es auch gestreckt und umgestaltet wird. Ich bin überzeugt, dass der IWF in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle spielen muss. Der Fonds muss aber auch offen sein für Veränderungen, vom Hinzuziehen neuer Parteien bis hin zur Prüfung einer Rolle für eine digitale Version der Sonderziehungsrechte.
Die Sonderziehungsrechte sind einer der plausibelsten Kandidaten für eine Weltwährung. Digitale Sonderziehungsrechte entsprechen aber dem völligen Gegenteil des Blockchaingedankens, es würde sich um eine absolute “Vertrauenskatastrophe” globalen Ausmaßes handeln: nämlich das Koppeln der Existenz von Milliarden Menschen an die Entscheidungen einer Institution, die prinzipiell keinerlei private Konkurrenz, keine “hard forks” (Abspaltungen), kein dezentrales Entdeckungsverfahren durch private Nutzer, Halter und Schürfer zulassen kann. Dieses Szenario, das Lagarde nun in ihrem Vortrag bestätigte, wurde schon in einem meiner Bücher beschrieben:
Das Sonderziehungsrecht […] ist eine 1969 vom IWF eingeführte künstliche Verrechnungseinheit, die nicht auf den Devisenmärkten gehandelt wird. Die Sonderziehungsrechte bestehen aus den vier wichtigsten Weltwährungen US-Dollar, Euro, Yen und britisches Pfund; der Kurs wird täglich neu festgesetzt. Sobald der Gouverneursrat des IWF entscheidet, dass es Bedarf an zusätzlicher Kapitalmarktliquidität gibt, werden den Mitgliedsländern Sonderziehungsrechte zugeteilt. Die zugeteilten Sonderziehungsrechte bedeuten ein Guthaben gegenüber dem IWF, mit dem wiederum Schulden gegenüber Gläubigerländern getilgt werden können. Alle Mitgliedsländer sind gemäß Statuten verpflichtet, Zahlungen in Form von Sonderziehungsrechten zu akzeptieren. Weitgehend unbekannt ist der Umstand, dass Sonderziehungsrechte bereits vielerorts genutzt werden. So dienen sie als Recheneinheit bei internationalen Haftungsansprüchen, in der Luftfahrt, der Schifffahrt und bei Ölunfällen auf hoher See. Auch für die Abrechnung von Zahlungen im internationalen Postverkehr oder auch für die Berechnung der Durchfahrtgebühren für den Suezkanal werden Sonderziehungsrechte genutzt. […] Eine Ausweitung der Sonderziehungsrechte und die Weiterentwicklung des IWF zur weltweiten Zentralbank käme nicht nur der Mentalität der Planer in West und Ost entgegen, sondern hätte für diese auch den Vorteil, dass die Regierungen ihre diversen Projekte weiter über eine unsichtbare Inflationssteuer finanzieren könnten. Das Wortungetüm „Sonderziehungsrecht“ klingt zudem wesentlich angenehmer als „Währungsreform“ und könnte eine solche über die Hintertür bedeuten. Politisch reizvoll wäre die Lösung vermutlich auch, nachdem im Falle einer hohen Teuerung niemand wirklich verantwortlich gemacht werden könnte, nachdem der IWF für die meisten Menschen ähnlich wenig greifbar ist wie etwa die Begriffe QE, LTRO oder OMT. [@taghizadegan_osterreichische_2014]
Doch weder Weltzentralbank, noch Bargeldabschaffung sind populäre Agenden. Da bräuchte es noch größeren Meinungsdruck, ein monetäres Pearl Harbor, oder geschickte Allianzen. Der Versuch, die Entwicklungen der Blockchain-Technik nicht frontal anzugreifen, sondern positiv aufzunehmen, kann als Vorbereitung einer neuen Allianzbildung interpretiert werden. Die zwei populärsten Strömungen, die das Legitimitätsmonopol des Währungssystems infrage stellen, sind aktuell wohl Blockchain-Enthusiasten und Vollgeld-Anhänger. Einer Bargeldabschaffung würde kaum noch populärer Gegenwind entgegenblasen, wenn diese zwei Strömungen aufgenommen würden. Und beides deutet sich aktuell an. Einerseits kann die Vollgeld-Analyse als Ermächtigung einer Zentralbank-ähnlichen Institution gedeutet werden, als Monetative, als – in den Worten Nowotnys – “vom öffentlichen Sektor kontrolliertes System”. Ein von dieser Institution ausgegebenes Digitalgeld wäre in der Tat Vollgeld. Jetzt muss es nur noch gelingen, dieses Digitalgeld als cooles neues Kryptogeld darzustellen. Dann gibt es womöglich noch eine staatliche Krypto-Initiative, bei der Start-ups subventioniert werden, um die Honorare von Anwälten, Notaren und Regulierungsberatern zu bezahlen, die regulierte, legale ICOs auflegen, um das schöne neue Digitalgeld der Untertanen gegen noch coolere Tokens einzutauschen, damit die Crowd nachrangig die Profite von Banken sichert, die durch digitales Vollgeld nun besonders bedürftig sind.
Dieser Prozess ist weiter fortgeschritten, als die meisten ahnen. Im Vertrauensabschnitt dieses Textes kann ich Namen nennen und konkreter werden.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.