Der Bitcoin hat seine Höchststände nach zwischenzeitlicher Korrektur wieder übertroffen, und dennoch bliebt bislang die «Altcoin Season» aus. So nennt man das Rotieren von Spekulanten, denen der Bitcoin bereits zu teuer scheint, in andere Kryptoanlagen. Der Gedanke ist zwar falsch, aber angespornt wurde er stets von Kryptoinvestoren, die sich selbst vorab einen Teil der aus dem Nichts geschaffenen Altcoins sicherten.
Ursprünglich war das Ziel, durch geschicktes Trading dieser Pump and Dumps den eigenen Bitcoinbestand zu erhöhen. Die Strategie änderte sich schliesslich zugunsten der Dollarmaximierung und zulasten des Bitcoins, wodurch viele Kryptospekulanten den Aufstieg des Bitcoins verpassten und entsprechend verbittert sind.
Während die Erzählung von Altcoins, besseren Alternativen zum Bitcoin, in der jüngsten Meme-Coin-Flut unterging, wanderte die Bitcoinspekulation ins traditionelle Finanzsystem. Kotierte Unternehmen begeben neue Aktien und Anleihen, um damit Bitcoin zu kaufen.
Der steigende Bitcoinkurs erhöht den Unternehmenswert und erleichtert weitere Kapitalaufnahme, damit werden wieder Bitcoin gekauft. Eine diesjährige Änderung der Rechnungslegungsvorschriften (US-GAAP) für digitale Assets, durch die Kurssteigerungen als Gewinn verbucht werden, erleichtert dies.
Klingt nach riskantem «Cornering» – schuldenfinanzierter Preistreiberei –, doch die führenden Unternehmen, die eine solche Bitcoin-Treasury-Strategie umsetzten, schlugen in der Tat sogar noch den Bitcoin mit dem rasanten Anstieg ihrer Aktienkurse. Das erste Unternehmen, das diese Strategie immer weiter hebelte, hat auch bereits eine scharfe Bitcoinkorrektur überlebt: Strategy (MSTR) von Michael Saylor.
Entgegen allen Unkenrufen und starken Short-Positionen gegen sich überlebte das Unternehmen einen Bitcoinkurssturz von fast 85%, obwohl es sich im Ergebnis als kräftiger Bitcoinhebel erwies. Während sich seit 2020, als Saylor beim Bitcoin einstieg, der Bitcoinkurs verachtfachte, steht die MSTR-Aktie derzeit satte 2688% höher.
Aus einem Nischen-Softwareanbieter mit sinkender Rendite wurde fast ein Blue Chip. Heute gehört Strategy zum Nasdaq 100, sodass sogar die Schweizerische Nationalbank (SNB) Aktien hält und damit indirekt Bitcoin – entgegen ihrer Absage an die «Bitcoin-Initiative», einer Volksinitiative, die neben Gold- auch eine Bitcoinreserve der SNB vorsieht.
Da erstaunt es nicht, dass Strategy zum Vorbild wurde und immer mehr Unternehmen diesem folgen. Mittlerweile gibt es 108 kotierte Gesellschaften, die Bitcoin in der Bilanz haben, und täglich scheinen neue dazuzukommen. Auch der Fokus auf reines Bitcoin Treasury greift um sich, wie etwa bei Metaplanet in Japan, The Blockchain Group in Frankreich oder zuletzt XXI Capital in den USA.
Bislang ist die Strategie ein Erfolgsrezept. Jedem Unternehmen, dem es gelingt, sich damit öffentlich zu positionieren, war bislang überragende Anlegergunst beschieden, während Finanzprofis eher die Nase rümpfen bei diesem waghalsigen Hebeln eines ohnedies hoch volatilen Vermögenswerts.
Doch die Strategie ist mehr als reines «Cornering», als künstliche Preistreiberei. Saylors ursprüngliche Begründung war, dass in seinem Unternehmen 0,5 Mrd. $ in kurzfristigen Staatsanleihen lagen. Viele Unternehmen haben grosse Barpositionen, die sie nicht mehr sinnvoll investieren können in Zeiten sinkender Produktivität bei staatlicher Geldschwemme.
Der Bitcoin, mit der günstigsten Sharpe Ratio aller Vermögenswerte, bietet sich da an. Im besten Fall ermöglicht diese Anlage, Ertrag, der nicht ausgeschüttet wird, über längere Zeiträume anzusparen. Doch bald wurde diese Anlage langweilig, denn dass eine Beimischung von Bitcoin im Portfolio die risikobereinigte Performance erhöht, spricht sich mittlerweile auch bei den grössten Finanzinstituten herum.
Das zweite Argument von Saylor war, dass viele Anleger aus regulatorischen Gründen nicht direkt Bitcoin erwerben können. Dieses Argument hat etwas an Kraft verloren, da nun mehrere Bitcoin-ETF zugänglich sind. Doch noch immer gibt es regulatorische Vorbehalte und Hemmschwellen, wie sogar das obige Beispiel der SNB zeigt.
Gewichtiger noch als regulatorische Hemmnisse können psychologische sein. Weit mehr Anleger haben Konten bei Aktienbrokern oder können Aktien über ihre Hausbank erwerben, als direkten und sichtbaren Zugang zu Bitcoin haben. Zwar gibt es niederschwellige Angebote, doch die Gewohnheit allein begünstigt es, dass Investoren eher höhere Summen in spekulative Aktienwerte schieben als in den Bitcoin.
Der Bitcoinpreis, irreführend notiert als Kurswert für 100 Mio. Sats (der eigentliche Einheitswert), verstärkt diese Täuschung, beim Bitcoin vielleicht zu spät, bei Bitcoinaktien aber womöglich noch früh genug zu sein. Jedenfalls sind die Anleger bereit, für Bitcoinaktien wie Strategy Kurse über dem Wert der bilanzierten Bitcoin zu zahlen.
Das mag durchaus rational sein, immerhin kann der Aktienkurs relativ besseren und rasanteren Bitcoinerwerb von der Zukunftswarte her antizipieren. Michael Saylor nimmt Fremdkapital auf, wenn Geld billig ist, und Eigenkapital, wenn die Aktie teuer ist. Beim Einkauf verhält er sich nicht taktisch und erzielt eher schlechtere Einkaufskurse, er scheint den Bitcoinkurs durch willkürliche Zukäufe noch treiben zu wollen.
Langfristig sind ihm die verschenkten Prozente beim Einkauf wohl egal, es geht um Tempo. So konnte er mittlerweile mehr als 0,5 Mio. Bitcoin anhäufen und hält einen deutlichen Vorsprung auf die nun nachkommenden Unternehmen. Dass so viele folgen, bestätigt wiederum seine Strategie.
Denn Saylor war nie der einzige Aufkäufer, was eben ein «Cornering» wäre. Zeitweise war er zu dominant, was ein gewisses Risiko für den Bitcoin bedeutete. Doch da er ein allen zugänglicher Anlagewert ist, der die meisten professionellen Portfolios schlägt, ist auch die breitere Nachfrage gross genug, einen Saylor zu verdauen.
Je mehr Bitcoin Treasuries hinzukommen, ob von börsengelisteten und privaten Unternehmen oder gar von Staaten und staatlichen Fonds, desto widerstandsfähiger wird diese Nachfrage. Bald könnten noch mehr Zombie-Unternehmen, die Liquidität ohne Produktivitätswachstum halten, den Werbewert und den Anlageerfolg einer Bitcoinstrategie erkennen.
Nach und nach sollte sich die Strategie abnutzen. Die regulatorischen und die psychologischen Hemmnisse der Bitcoinanlage sinken. Dies wird den Bitcoinkurs aber weiter treiben, was die Bitcoin Treasuries wiederum stärkt. Im Vergleich zum übliche Leverage wirkt Strategy dann gar nicht mehr so waghalsig.
Etwas mehr als 7 Mrd. $ Schulden bei einem Bilanzvermögen von 44 Mrd. erlauben noch einigen Spielraum – sodass Saylor auch bereits angekündigt hat, weitere 42 Mrd. $ einzusammeln, und fleissig weiter Bitcoin kauft. Ein grosser Teil der Schuld sind Nullzinswandelanleihen.
Die Aufnahme in den S&P 500 ist greifbar und wird weiteres Geld quasi automatisch in dieses Bitcoinvehikel pumpen. Spätestens dann dürfte aber das Kurs-zu-Bitcoin-Verhältnis wieder zu sinken beginnen. Sollte irgendetwas die Zuversicht für immer höhere Bitcoinkurse trüben, könnte am Ende die Zwangsliquidierung durch Aktionäre stehen, wenn die Aktie unter den Bitcoinwert fällt – bei einem sinkenden Bitcoinkurs. Bis dahin scheint es aber noch viel Luft nach oben zu geben.
Zuerst erschienen in Finanz und Wirtschaft.