Innovation ist eine neue Verbindung von Elementen, die höheren Nutzen schafft als vorherige Anordnungen. Damit ist Innovation die Grundlage neuer Wertschöpfung. Innovation ist aber auch eine einzigartige Möglichkeit, menschliches Potenzial zu zeigen, zu fördern, zu nutzen.
Damit sind nicht bloß die Fähigkeiten von Ingenieuren gemeint. Innovation ist viel mehr als die Erfindung, die aus dem Tüfteln der Ingenieure und Bastler hervorgeht. Erfindungen bezeichnen die Entwicklungen neuer technischer Kombinationen. Technik ist aber nur nützlich, wenn die Verbindung zum Menschen gelingt. Dazu braucht es auch das Tüfteln an Prozessen, Angeboten, Verpackungen, Narrativen, Strukturen, Unternehmen, Institutionen, Informationen und vielem mehr. Innovation enthält oft keine technische Neuerung, sondern bloß neue Sinngebung für Verbindungen von Erfindungen, die schon sehr alt sein können.
Kreativität, menschliches Potenzial und damit auch Innovation – das klingt verdammt gut für die meisten Ohren und wird daher in Politikerreden oft angestimmt. Wahre Innovation aber ist unbequem, sie sieht oft nach „kreativer Zerstörung“ (Schumpeter) aus. Innovation ist gerade deshalb nötig, weil die Erfindung allein oft nur für den Erfinder wertvoll ist. Meist fehlen noch andere Erfindungen, um sie wirklich nützlich zu machen. Ist sie direkt nützlich, so ist ihr Nutzen für andere Menschen ungewiss, eben weil sie neu ist.
Menschen, viel mehr aber noch Institutionen und Strukturen, sind träge. Das hat etwas Gutes, denn nicht jede Veränderung ist gut. Es ist eine nützliche Daumenregel des Lebens, eher auf Bewährtes zu setzen, als ständig alles zu hinterfragen und bei null beginnen zu wollen. Ohne Imitation kein praktisches Lernen. Ohne Abweichung von der Imitation aber keine Innovation, die alte Praxis durch bessere neue Praxis ersetzen kann.
Innovation schafft Wohlstand, aber Wohlstand ermöglicht auch Innovation: wenn Kapital innovativ eingesetzt wird. Das erfordert das Experimentieren mit ungewöhnlichen Ansätzen, die anfangs oft verrückt und abwegig erscheinen. Innovation lässt sich nur schwer systematisch betreiben, außer die Systematik besteht darin, immer mehr Möglichkeiten zu Versuch und Irrtum zu bieten und vielfältiges Tüfteln anzuregen.
Tüfteln setzt produktive Muße voraus – während Wohlstand, vor allem wenn er nicht selbst verdient ist, eher konsumtive Muße nährt – den Müßiggang. Produktive Muße ist die Freiheit zum Experimentieren ohne Ergebnisdruck, angetrieben durch Neugier, aber manchmal auch durch Geltungsdrang und Profitstreben.
Innovation beruht nur selten auf Wissenschaft, viel öfter baut Wissenschaft auf Innovation auf. Erst ergründen praktische Tüftler neue Möglichkeiten, dann folgt das theoretische Verständnis. Bildung bietet manchmal eine Basis für Innovation, wenn sie neugierige Menschen zusammenbringt und ihnen Werkzeuge zur Verfügung stellt. Als Anstalt ist Bildung aber eher ein Innovationshemmnis, denn sie entzieht Zeit und Mittel aus innovativeren Verwendungen in solche, die Lehrplänen folgen. Innovation hingegen ist kaum planbar, und wenn, dann sicher nicht von jenen, die Wissen vermitteln – denn Wissen, das schon so gewiss scheint, dass man es in Lehrpläne aufnehmen kann, ist notwendigerweise Wissen von gestern.
Die Innovation, die alle so rühmen, das ist meistens die Innovation von gestern. Das ist etwa die „Digitalisierung“, die EU-Kommissarin von der Leyen jetzt so innovativ fördern will. Die Innovation von gestern kennen alle, alle können mitreden, und alle können stolz auf sie sein. Hinter der Innovation von gestern kann man sich richtig gut und modern fühlen. Die Innovation von gestern bildet den Kapitalstock, den man heute konsumieren kann. Klar fühlt sich das gut an, so gut wie das bereits gebraute Bier, viel besser als die noch stinkende Maische.
Die Innovation von morgen, die kennen wir noch nicht. Wenn wir sie erkennen würden, bräuchte es sie nicht. Darum ist es wahrscheinlicher, dass wir sie nicht nur nicht erkennen, sondern aktiv verkennen. Wenn man sie uns vor die Nase hielte, würden wir uns angewidert abwenden. Jene, die sie anrühren, würden wir nicht für Kreative halten, sondern für Spinner, Verräter, vielleicht sogar für Verbrecher.
Darum müsste Innovation eigentlich in Freiheit am besten gedeihen. Dafür bietet die Geschichte aber mehr Belege als die Gegenwart. Die Gegenwart verwirrt durch ihre unfassbare Dynamik. Statistisch betrachtet zeigt sich eine gigantische Wohlstandsexplosion: Massen von Menschen entkamen in kurzer Zeit bitterer Armut. Die größte Veränderung fand in Asien statt. Dort nahm zweifellos die Freiheit zu, angestoßen durch Singapur und Sonderwirtschaftszonen wie Shenzhen.
Doch diese Dynamik ist noch ambivalenter als im amerikanischen Silicon Valley. Sowohl dieses vermeintliche kalifornische Wirtschaftswunder als auch das Wirtschaftswunder Singapur und, am allermeisten, das chinesische Wirtschaftswunder nähren auch völlig konträre Narrative: jene vom Staat als Innovationstreiber, der die freien Präferenzen der Menschen für das Nichtstun, die Unbildung und das Horten mit Zwang oder Täuschung hintertreiben muss, um sie zum Glück kollektiven Wohlstands zu zwingen.
Der Freiheitsfreund wird auf Folgendes verweisen: die Bedeutung relativer Freiheitsunterschiede, die Verzerrung der Maßstäbe und des Welthandels durch die Geldpolitik und den Unterschied zwischen imitierender Nachholinnovation und wirklichen Pionieren. Doch nur eine Perspektive, die mit dem kurzfristigen Materialismus einer verzerrten Welt bricht, wird über die Widersprüche hinwegkommen. Jene Innovation, die an quantitativen Ergebnissen bemessen wird, kommt mit weniger Freiheit aus – nie aber ohne. Es ist jene merkwürdige Innovation, die auch mit immer Neuem langweilt. Dazu gehört die Innovation von immer mehr Verbindungen zwischen immer ähnlicheren Menschen, die sich immer weniger zu sagen haben, und die Innovation von immer mehr Mitteln zur Erreichung immer sinnloserer Ziele.
Ursprünglich erschienen auf eigentümlich frei