Lange hielt sich in Europa ein Gefühl kultureller Überlegenheit gegenüber Amerika. Emporkömmlinge haben es immer schwer. Doch in Europa spielten auch Minderwertigkeitsgefühle durch die historischen Zäsuren eine Rolle. Zentralisiert aufgeblasener Nationalstolz wurde durch nationale Katastrophen gekränkt und in Deutschland schließlich zu reinem Etatismus sublimiert. Der amerikanische Nationalstolz kann noch weit unschuldiger auftreten, letztlich ist sein Fundament geteilter Stolz auf einen Sonderweg. In Europa macht nur noch die Vergangenheit stolz, in den USA gibt es trotz ebenso massivem Staatsversagen noch gegenwärtige Pole der Dynamik.
Die größte Hoffnung im jüngeren Europa war die Dynamik postsowjetischer Staaten, die bald an den Rest anschlossen: etwa das Baltikum und Polen. Der Krieg gegen Russland trübte deren Perspektiven jedoch empfindlich. Georgien, eine Weile wirtschaftsfreundliches Refugium für unternehmerische Europäer, droht schon zu einer zweiten Ukraine zu werden. Mit der teilweisen Schockstarre dieser dynamischeren Regionen dominiert in Europa nun wieder deutsch-französischer Ungeist: gefallene Nationen, die in ihrem ersatzreligiösen Säkular-Etatismus alles abwürgen, was aus dem trostlosen Grau kafkaesker Funktionäre herausragt.
In den USA gibt es eine ebensolche Funktionärskaste, die an Universitäten nach alteuropäischem Vorbild ähnlichen Ungeist hochzüchtete. Die einstige Industrie wurde – relativ betrachtet – fast auf deutsches Niveau abgewürgt. Doch zwei Kraftzentren hatten überlebt, beide leider eng verwoben mit dem Staat, aber letztlich mit genügender Kraft für neue Autonomie: das unternehmerische Zentrum an der Westküste und das Finanzzentrum an der Ostküste. Beide fanden ersten Nährboden in staatlicher Kriegswirtschaft, doch letztlich schuf unternehmerische Kreativität überwiegend zivile Nützlichkeit. Im Westen folgte der Halbleiterrevolution verspätet eine Digitalisierungswelle, deren Produktivitätsgewinne erst seit relativ kurzer Zeit sichtbar werden. Bei Large Language Models hat amerikanisches Unternehmertum das chinesische Staatsunternehmertum wieder abgehängt – der Wettlauf war schon einmal viel knapper.
Im Osten erschlossen findige Finanzunternehmer immer mehr Liquidität globaler Finanzmärkte, erlaubten mehr Menschen als in Europa Anlagegewinne und mehr Unternehmen die Finanzierung. Über die ungerechten Verzerrungen soll hier nicht die Rede sein, die Dynamik steht außer Frage. Am schlimmsten ist das staatlich begünstigte organisierte Verbrechen an der Wall Street, bei dem Anwälte, Regulatoren und große Finanzunternehmen an Kartellen partizipieren und einen großen Teil der Finanzierungsgewinne in die eigene Tasche stecken.
Im direkten Vergleich – wie etwa Silicon Valley gegen Stuttgart oder auch Manhattan gegen Frankfurt – lässt sich der amerikanische Erfolg kaum relativieren. Hier steht neue Welt gegen alte. New York ist ein Moloch, aber während deutsche Städte sinkende Lebensqualität aufweisen, hat sich New York immer wieder gefangen und ist für diese Größe und Dynamik erstaunlich funktionell. Wirklich gravierend sind die Unterschiede bei den wirtschaftlichen Eliten: Bei deren praktischer Intelligenz und Leistungsbereitschaft wähnt man sich in Manhattan in einer anderen Welt. Während in Deutschland die „Work-Life-Balance“ Einzug hält, die gelangweilte Mußesuche nichtsnutziger Erben, ist die Minderheit produktiver Amerikaner auch in jungen Jahren von einer hemdsärmeligen Tüchtigkeit, die in Europa aktuell das demographische Nadelöhr nicht zu überleben scheint.
Die politische Wende in den USA gilt als Siegeszug des Flyover-Amerikas, des ländlichen Raums. Das ist nicht ganz richtig. Korrekt ist, dass genau wie in Europa die wirtschaftsschwächeren Regionen im ländlichen Raum zuerst den Frust über die herrschenden Strukturen politisch ausdrücken und sich dabei primär um identitäre Erzählungen sammeln. Doch in Europa fehlt wirtschaftliche und demographische Kraft, um daraus mehr als ein Frust-Ablassen zu machen. In den USA gelang nun eine Wende durch Verbindung einer – außerhalb der Städte – massentauglichen identitär-populären Elitenablehnung mit der Dynamik von Wirtschafts- und Finanzeliten. Ohne die Umsetzungskraft und Reichweite von Unternehmern wie Elon Musk – aber auch ohne die Rückendeckung der besten Finanzleute – wäre die Schlacht wohl anders ausgegangen.
Manhattan war und ist eine Blase der „Linken“ – typische Grünwähler sind ja auch in Deutschland privilegierte Jetsetter in gentrifizierten Bezirken. Doch hinter vorgehaltener Hand bestätigten mir tüchtige Investoren, was nachher die Märkte zeigten: Die Abwendung der Deep-State-Marionette Kamala Harris erlaubt zumindest die Möglichkeit neuer wirtschaftlicher Dynamik, was für immer mehr Privilegierte das Risiko geringerer Stabilität wert war. Diese Einschätzung ist insofern ungewöhnlich, da Privilegierte eben mehrheitlich deshalb Etatisten sind, weil sie bei neuen Machtverhältnissen relativ viel zu verlieren haben und sie neue Gewinnmöglichkeiten nicht so locken wie jene, die sich erst noch etwas aufzubauen haben.
Wieder hat sich gezeigt, dass die einzige Blase, die noch schlimmer ist als Manhattan, aber ohne dessen Dynamik und bei weit weniger Dollar pro Kopf, EU-Europa ist. In Medien, Universitäten und Politik hatte erneut kaum jemand einen Trump-Wahlerfolg auf dem Schirm. Natürlich kann man jetzt wieder überlegen die Nase über die ungebildeten Amerikaner rümpfen. Langsam sollte es aber peinlich werden, dass all die „Bildung“ immer weiter von der Realität wegführt. Ein dynamischeres Amerika schmerzt Europa, zusätzlich zum Druck, wenn die USA sich weiter von Europa abwenden. Da Leidensdruck der beste Weg zur Veränderung ist, könnte Amerika indirekt wieder Europas Rettung sein. Immer schon zog es die Besseren ab und setzte verknöcherten Regimen in Europa zu. Sollte Trump wirklich die Weltbesteuerung aufheben und Kapitalbesteuerung senken, wird sich der Exodus aus der EU weiter beschleunigen.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.