Wer den Status quo kritisiert, wird oft zu Verbesserungsvorschlägen aufgefordert. Je schärfer die Ablehnung bestehender Institutionen, umso mehr werden konkrete Gegenmodelle gefordert. Freiheit ist jedoch Abwesenheit eines Zentralplans, was Utopien der Freiheit oft vage und unkonkret macht. Ein beliebter Behelf gegen diesen Nachteil ist der Verweis auf den Wettbewerb: Niemand könne Endergebnisse vorhersehen, der freie Wettbewerb aber werde gewiss ein besseres Ergebnis bringen als das geplante Chaos der zwanghaften Besserwisser. Dieser Verweis ist im Allgemeinen richtig, in der konkreten Ausformulierung aber oft falsch. Mehr Wettbewerb bedeutet mehr Freiheit. Doch Freiheit erschöpft sich nicht im Wettbewerb und zeigt sich nicht in der Zahl der Mitbewerber. Besonders irreführend ist ein falscher Wettbewerbsgedanke beim wichtigsten Thema einer Marktwirtschaft: dem Geld.
Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern ein Prozess, der gewährleisten soll, dass die Präferenzen der Konsumenten über die Produktionsstruktur entscheiden. Unternehmer, die keine realen Bedürfnisse befriedigen können, sollen nicht die Mittel anderer Menschen dafür verschwenden dürfen.
„Der Markt soll es entscheiden“ – ist jedoch eine allzu missverständliche Kurzformel. Am ehesten richtig ist sie, wenn sie ein ethisches Prinzip der Nichtaggression ausdrückt. Bezieht sie sich jedoch auf gegenwärtigen Kundenerfolg, gegenwärtige Produktionsverhältnisse und gegenwärtig dominante Interessen, handelt es sich um eine unhaltbare moralische Position.
Es ist wenig sinnvoll, über eine ferne Zukunft oder Vergangenheit normative Aussagen zu treffen. Relevante Argumente müssen in der gegenwärtigen Realität ansetzen. Der real existierende Wettbewerb ist in höchstem Grade verzerrt und beschränkt. Und selbst im Ideal völliger Vertragsfreiheit kann in der Masse der Irrtum überwiegen und ist jede bedeutende Innovation zunächst ein Minderheitenprogramm.
Wertneutralität war ein nobles Vorhaben der ursprünglichen Wiener Schule der Ökonomik. Sie erfordert Transparenz der Wertungen und Trennung zwischen Wertung und Analyse. Das Wissensproblem erfordert zudem besondere Zurückhaltung bei politischen Wertungen, also solchen, die Sanktionen oder Subventionen durch einen Gewaltapparat nach sich ziehen können.
Wertneutralität zu erzielen, ist wesentlich schwieriger als bequemer Relativismus oder Kaschieren von Wertungen. Der Verweis auf den Wettbewerb enthält oft beides. Um die Wertung zwischen Angeboten zu vermeiden, wird stets dem neuesten Angebot die besondere Leistung zugesprochen, den Wettbewerb zu mehren. Das enthält die Wertung, dass grundsätzlich jeder neue Anbieter und vor allem die Zunahme der Zahl von Anbietern eine Verbesserung darstellten.
Mehr Wettbewerb bedeutet weniger Zugangsschranken, Privilegien und Verzerrungen, es hebt den Wohlstand. Eine wachsende Anzahl von Mitbewerbern ist jedoch paradoxerweise kein Zeichen höheren Wohlstands, sondern des Gegenteils. Die Selbständigenquoten sind in den ärmsten Ländern am höchsten, dort findet sich auch die höchste Zahl nahezu identischer Mitbewerber in jedem der wenigen Wirtschaftszweige: überwiegend Einzelhandel, Handwerk und Dienstleistungen. Den Wohlstand erhöhen Arbeitsteilung, das heißt Vielfalt und Verschiedenheit der Anbieter, sowie steigende Produktivität, also Skaleneffekte bei weniger Anbietern.
Die meisten neuen Anbieter imitieren die äußerlich sichtbaren Eigenschaften bestehender Angebote und konkurrieren über den Preis. Manchmal ist das der Auftakt zu wirklicher Innovation, überwiegend durch Reduktion nicht ausreichend honorierter Aufwände, selten durch höhere Effizienz. Größtenteils schafft dies nur die Illusion kurzfristiger Konsumentenrenditen und mindert langfristig den Wohlstand, weil die Konsumenten die Qualitätseinbuße, die ihnen die Vergünstigung bescherte, im Nachhinein bedauern würden – wenn besondere Kurzfristigkeit diese künftige Enttäuschung nicht gegenwärtig irrelevant machte.
Die katastrophalen Folgen einer Mehrung der Mitbewerber ohne Ausweitung des Wettbewerbs zeigen sich heute besonders deutlich im Bereich der vermeintlichen „Kryptowährungen“. Bitcoin war eine Innovation. Ein Indikator dafür ist, dass es bislang jeden Markteinbruch überlebte und stärker wiederkehrte. Doch jeder Bullenmarkt bringt eine Schar neuer Nachahmer mit Bereicherungsabsicht. Ihnen kommt das Wettbewerbsargument als Alibi gerade recht. Aufgebracht wird es vor allem von jenen, die die Innovation noch immer nicht verstanden haben.
Geld weist die größten Netzwerkeffekte auf. Daher wurde es von Carl Menger mit Sprache verglichen. Mehr Wettbewerb im Sinne der Minderung von Zwang und Manipulation ist hier so wichtig, wie mehr Mitbewerber nachteilig sind. Hans-Hermann Hoppe klärte den hartnäckigen Irrtum über die Währungskonkurrenz schon vor 33 Jahren in einem Artikel auf: „Die Vorstellung von Konkurrenz zwischen Währungen ist ein Widerspruch in sich. Streng genommen ist ein Geldsystem rivalisierender Währungen mit frei schwankenden Wechselkursen immer noch ein System des (teilweisen) Tauschhandels, der mit dem Problem behaftet ist, dass es eine wechselseitige Bedürfniskoinzidenz erfordert, damit (einige) Tauschvorgänge stattfinden können. Die Existenz eines solchen Systems widerspricht dem eigentlichen Zweck des Geldes. Konkurrierende Währungen sind nicht das Ergebnis des freien Marktgeschehens, sondern ausnahmslos das Ergebnis von Zwang, von staatlich auferlegten Hindernissen, die einem rationalen wirtschaftlichen Verhalten in den Weg gelegt werden.“
Die Zunahme der Anzahl von „Kryptowährungen“ – ein irreführender Begriff mit Manipulationsabsichten – ist genauso schlecht wie die Schaffung neuer Fiat-Währungen. Wir brauchen auch keine weiteren Twitter-Klone, sondern dezentrale Alternativen. Solche Alternativen sind nicht Konkurrenzunternehmen, sondern Protokollinnovationen. Neue Protokolle bringen Geschäftsmodelle zum Verschwinden, mindern die Zahl von Mitbewerbern, erhöhen aber den Wettbewerb.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.