Auf der Suche nach einem Namen für unser neues Bildungsprogramm stellte ich fest, wie schwierig es mittlerweile ist, neue Marken zu entwickeln. Nur wenige gute Ideen sind noch unbesetzt, denn die weltweite Kreativität findet in der englischen Sprache doch einen nur relativ kleinen Acker vor. Englisch ist die neue Weltsprache, und wer ein internationales Publikum ansprechen möchte, kommt kaum daran vorbei. Seien wir dankbar, dass es immerhin noch eine bereits weitgehend geläufige, verwandte, indogermanische Sprache ist. Wer gründet schon ein Unternehmen oder schafft ein Produkt in der Gewissheit, niemals außerhalb des engen Heimmarkts reüssieren zu wollen? Das gilt allenfalls für sprachbezogene, also literarische und kulturelle Angebote, die Vertrautheit und Brillanz der Muttersprache voraussetzen. Für alle anderen Marken ist es wesentlich, korrekte Assoziationen durch englische Mutter- und Fremdsprachler zu erzielen, was nicht immer dieselbe Aufgabe ist. Eine korrekte Assoziation kann auch „leer” sein, also die Abwesenheit jeder Assoziation, insbesondere einer negativen. In dem Fall ist die Marke durch einen erklärenden Untertitel oder den jeweiligen Marktauftritt mit Inhalt zu füllen.
Sind Namen nicht Schall und Rauch? Warum sollte der Name wichtig sein? Geht es nicht primär um den Inhalt? Tatsächlich nimmt die Bedeutung der Namensgebung immer mehr zu. Das liegt an der Informationsökonomik. Marketing ist für die Nicht-Kunden und die Nicht-Freunde da, jene die zu Noch-Nicht-Kunden werden sollen. Da die Aufmerksamkeitsspannen in Zeiten der Informationsinflation abnehmen, hat ein Unternehmen selten den Luxus, Noch-Nicht-Kunden lang und breit die Vorzüge seines Produkts zu erklären. Das Push-Marketing hat ausgedient, der Versuch, vorausgewählte Noch-Nicht-Kunden mit Werbung zu berieseln, bis sie es endlich kapiert haben, wie gut das Angebot ist. Junge Menschen, die in der Informationsinflation und mit digitalen Medien aufgewachsen sind, blenden mittlerweile Werbeleisten völlig aus, weshalb die Werbung in den Content muss – der dadurch natürlich ordentlich verhunzt wird. So gehört die Zukunft dem Pull- oder Permission-Marketing, der Hoffnung, dass die Kunden von alleine kommen, weil sie irgendwo in den Weiten der Information die Witterung irgendeiner molekularen Spur aufgenommen haben und womöglich selbst zu viralen Informationsschleudern werden. Diese molekularen Spuren, Informationsfetzen und Stille-Post-Rückstände passen freilich nur durch die allerkleinsten Fenster. Auf diese Ausdünnung der Informationskanäle muss sich also das Marketing einstellen und seine molekularen Duftmarken immer präziser am Code ihrer Noch-Nicht-Kunden ausrichten. Es geht darum, neue Kategorien zu besetzen, nach denen sich die Noch-Nicht-Kunden bereits sehnen, ohne für diese Sehnsüchte bereits plausible Antworten gefunden zu haben. Denn in den bereits besetzten Kategorien wird es durch laufende Konzentration immer enger.
Der Name ist die erste und kleinste Duftmarke. Danach kommt die sensorisch-visuelle Anmutung der Marke, dann Produkt-Verpackung und/oder Website bis hin zum Produkt selbst am Ende dieser engen Aufmerksamkeitsstraße. Daher kommt die Explosion von möglichst kurzen, irgendwie englischen Start-up-Namen. Alles Moleküle, die aufgeregt vor den kleinen Nasenlöchern tanzen, denen das Wettduften zunehmend stinkt. Aber wenn einen die Kunden nicht riechen können, dann hilft aller Weltschmerz nichts – der Produkterfolg ist ungewiss und wahrscheinlich ist man ewig zum Schicksal eines kleinen Handwerkers verurteilt: harte Arbeit, ein Kunde nach dem anderen, schön der Reihe nach, und niemals kommt die Erlösung der Skalierung, durch die man Regulierungs- und Steuerdruck ein wenig abhängen könnte. Das gelingt nämlich nur im seltenen Fall, in dem die Zahl der Kunden schneller wächst als die der Rechnungen, Bescheide und Formulare – und wie sollte das ohne Marketing gelingen?
So kommt man also nicht umhin, sich einen weltbewegenden Namen auszudenken. Die Kriterien dafür sind allerdings eng und machen die Namensfindung so schwer. Folgende Bedingungen muss ein geeigneter Name erfüllen:
- sowohl im internationalen Radebruch-Englisch als auch in den Sprachen der Unternehmensheimat keine negativen Assoziationen und peinlichen Missverständnisse auslösen
- noch frei zu sein – die riesige Fülle bereits geschützter Marken lässt sich für Europa etwa in der OHIM-Datenbank abfragen.
- über freie Internet-Domains zu verfügen – am einfachsten über domainsearch.com zu überprüfen. Heute kommt zusätzlich noch der Bedarf nach freien Kanälen in den sozialen Medien hinzu. Ein besonders hilfreiches Werkzeug, um solche zu finden, ist namevine.com.
- die richtige Kategorie im Kopf der Noch-Nicht-Kunden besetzen: also Vergleiche zu vermeiden, die man verlieren würde.
- etwas von USP (Unique Selling Proposition, wesentliches Verkaufsargument) und Kundennutzen transportieren – die am schwersten zu erfüllende Bedingung.
Gibt es solche Wunderwörter überhaupt? Es gibt sie, aber sie sind rar. Wer auf die erfolgreichen Marken unserer Zeit blickt, wird dabei ein wenig in die Irre geführt. Hat man den Erfolg einmal, ist der Name tatsächlich unwichtig. Der Name ist ein Instrument der Informationsökonomik, das heißt, es geht darum, die Informationskosten möglichst zu reduzieren. Es ist eben die Duftmarke, die den idealen Noch-Nicht-Kunden in einer knappen Sekunde die Nase ein wenig in Richtung unseres Produktes oder Unternehmens bewegen lässt. Der Name ist das erste „Molekül”, der erste Informationsfetzen, den der Noch-Nicht-Kunde sieht. Die meisten werden schon diese minimalste Existenzspur unseres Produkts oder Unternehmens niemals wittern. Aufmerksamkeit zu erzielen wird immer teurer. Darum müssen wir die minimale Aufmerksamkeit, die wir haben, optimal bewirtschaften.
Achtung: Das ist eine Dynamik, und Dynamiken überspannen meist an einem gewissen Moment. Dann stinkt es eben schon so, dass es zu den weniger intensiv Duftenden hinzieht. Die bemühte Hippness von Start-up-Namen, die aus dieser Informationsökonomik resultiert, wird schon langsam zum Spottsignal. Zahlreiche Start-up-Namensgeneratoren sind mehr Ironie als Hilfsmittel. Wirklich cool findet der Kunde nicht mehr die reine Hippness, sondern die hippe Wurschtigkeit, die oft Marketing mit konsumkritischer Pose verbinden kann. Das Anti-Marketing ist der nächste Hype im Marketing: bewusst stiller, schwieriger, rauer auftreten. Dann werden sogar deutsche Nachnamen wieder hipp. Das geht aber nur gut, wenn man die Aufmerksamkeit schon hat. Am besten wäre also ein Formwandler-Name: einer, der sich vom Anlock-ify zum Eigentlich-bin-ich-total-seriös-und-will-dir-gar-nichts-verkaufen verwandelt, sobald er mal die Aufmerksamkeit hat.
Marketing ist ein spannender und erschreckender Bereich. Für den unternehmerischen Philosophen ist er besonders fruchtbar, da sehr lehrreich. Exklusiv werde ich im Folgenden meinen persönlichen Lernprozess in Sachen Namenspsychologie schildern.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.