Das Messern ist schon so ein Alltagsthema in Deutschland, dass es mir peinlich ist, es auch noch aufzugreifen. Doch ein paar konträre Randnotizen seien erlaubt, immerhin ist es doch alles andere als alltäglich, wenn so ein Geschehen zum Alltag wird. Als Trost vorweg: Auch in Österreich, einst als Insel der Seligen gepriesen, kommt das Messer jeden Tag in den Schlagzeilen vor, und es geht dabei nicht um Kochrezepte. Dem Wien der messerstrotzenden Bandenkriege gerade erst entkommen, kann ich nicht ausschließen, dass in einigen Jahren auch in der noch seligeren Schweiz, meiner neuen Heimstatt, die Messer öfter gezückt werden.
Eine einfache Grundthese steht im Raum, deren Benennen an vielen Orten schon als Delikt geahndet wird: dass der Terror der Einzeltäter kollektiv durch eine Religion koordiniert und somit das Messern eine direkte Folge der Zuwanderung von Muslimen wäre. Als Heuristik ist diese einfache Korrelation gewiss nicht von der Hand zu weisen. Heuristiken sind einfache Daumenregeln, die so wie die meisten „Vorurteile“ dann hilfreich sein können, wenn sonst nichts weiter bekannt ist.
Die Unterdrückung solcher Thesen und Urteile als Gedankenverbrechen folgt teilweise wohl der berechtigten Furcht vor dem Bürgerkrieg. Immerhin ist identitäre Aufspaltung bei wachsender gegenseitiger Angst eines der Alarmsignale vor möglichen Pogromen. Wenn Minderkompetente eigene Fehler durch Totalitarismus übertünchen, ist das allerdings stets deutlichster Indikator für den Niedergang eines Systems oder einer Kultur und auch durch Furcht nicht entschuldbar.
Eine realistische Betrachtung ist meist komplexer als die Heuristik und wird Individuen eher gerecht, eignet sich aber selten als politische Handlungsanleitung. Wer Politik möchte, sollte also die Heuristik nicht verdammen. Mir ist Politik zuwider, darum darf ich mir differenzierenden Realismus leisten.
Die Häufung des Messermordes hat mehrere Ursachen. Die gewichtigste ist am absurdesten und am schwersten intuitiv zu verstehen: die Häufung selbst. Das ist eben der Selbstverstärkungseffekt der digitalen Kollektivierung unser Aufmerksamkeit. Messermorde sind ein Trend, mit jeder Tat prägt sich der Messermord viraler in unseren Hirnen ein und seine mentale Verfügbarkeit (so sagen Psychologen) nimmt zu.
Die Viralität des Frust-Amoks mit einfachen Mitteln inmitten urbaner Modernität fand sich schon vor langer Zeit in der existenzialistischen Literatur. Das moderne Frankreich ist nicht nur Vorreiter der Bündelung und Anfütterung identitär geschädigter junger Männer, sondern war auch wichtiger Nährboden für den modernen Islamismus – und den Amokterror.
Die zweite Ursache ist praxeologisch: Die behördliche Bekämpfung des Terrors durch Überwachung und Verbote verteuerte andere Terrormittel. Symptompolitik hat noch nie Probleme aus der Welt geschafft, sondern kann sie allenfalls verlagern. Dieses Phänomen ist als Substitutionseffekt guten Ökonomen wohlbekannt. Die Politik folgt ihrer Interventionsspirale und will uns nun Klingenlängen vorschreiben. Die nächsten Stufen sind dann Werkzeugführerscheine und Tragelizenzen für Schraubendreher, Ahlen und Stricknadeln. Dieselbe Interventionsspirale führte vom Flugzeugterror dahin, der Oma die selbstgemachte Marmelade am Flughafen abzunehmen. Wer erinnert sich noch an die Selbstverstärkung und moralische Panik rund um Aids-Spritzen? Doch geben wir den oft minderintelligenten Amokkandidaten keine neuen Ideen, die Politik übernimmt das schon für uns.
Die dritte Ursache ist die oben erwähnte künstliche Ansammlung von sozial losgelösten jungen Männern. Dies erfolgt durch subventionierte Migration, die weniger riskante Migrationswege beschränkt, ohne die Belohnung für erfolgreiche Migration zu verringern. Mit Islam hat das nur insofern zu tun, als das Randgebiet Europas mit den kürzesten riskanten Migrationswegen überwiegend islamisch ist (Nordafrika und Naher Osten).
Erst an vierter Stelle schließlich würde ich – nach Wichtigkeit gereiht – den Kern an Wahrheit des Vorurteils verorten: Das Messermorden hat offensichtlich auch etwas mit dem Islam zu tun. Allerdings hat auch der deutsche Etatismus etwas mit dem Christentum zu tun. Während im Westen eine christliche Häresie die subventionierte Negativselektion in der Migration zum Dogma erhoben hat, gegen das jeder Widerspruch staatlich zu ahndende Sünde sei, dient eine islamische Häresie überzähligen jungen Männern als gefährliches Ventil.
Für die meisten Muslime ist der Islam ein Identitäts- und Zusammengehörigkeitssymbol, so wie der Weihnachtsmann, Osterhase und die Demokratie im Westen. Eine Minderheit findet in der nüchternen und reinen Strenge des Islams eine asketische Anleitung. Unter ihnen finden sich durchaus charakterlich hervorragende Vertreter. Leider wächst eine dritte Gruppe schneller: jene, für die Islam nicht nur ein Symbol der Ablehnung des dekadenten Westens ist, sondern auch eine Rationalisierung für Verlierertypen und eine Vorlage für ihre Gewaltphantasien.
Geschichte und Schriften des Islam liefern für einen offensiveren Einsatz gegen Andersgläubige genügend Ermunterung. Einst konnte das Abendland als Vorbild wirken und löste eine Welle der Säkularisierung und sogar teilweise Rechristianisierung in der islamischen Welt aus. Doch wenn die politischen Repräsentanten im Westen so genau dem Bild von „Opfern“, Dekadenz und Unwissenheit entsprechen, dass sie das Prophetenwort nachträglich bestätigen, wird es immer schwieriger, gegen die extremistische Deutung des Islams anzukommen. Immerhin nennt der Islam die vorislamische Zeit Dschahiliya – dekadente Torheit, man könnte es gar als „Clownswelt“ übersetzen.
Nun die Handtaschen der Bürgerinnen polizeilich nach Klingen zu durchsuchen oder auch nur Messerverbotszonen zu verhängen, ist an Torheit kaum mehr zu überbieten. Das kapieren sogar die dümmsten der angefütterten Jungmänner, deren Verachtung für ihr sie nährendes Umfeld jeden Tag wächst. Allenfalls freuen sie sich über die Entwaffnung der staats- und verbotsgläubigen Opfer.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.