Die Ängste vor der Hintertreibung staatlicher Geldpolitik durch die vermeintliche Blockchain-Facebook-Währung Libra sind gross. Facebook hat einen schlechten Ruf als marktdominanter Datenkrake, Blockchain hat den Geruch des Illegalen, und die Geldpolitik ist ohnehin in die Enge der Nullzinsfalle getrieben. Doch diese Einschätzungen sind falsch: Libra ist weder eine Blockchain-Kryptowährung, noch ist Facebook der dominante Emittent, und Konkurrenz für die Geldpolitik ist Libra nur in Jurisdiktionen, die ohnehin weit vom Nullzins entfernt sind. Trotzdem ist Libra eine extrem spannende Herausforderung für die Geldordnung, deren Verständnis für die Weichenstellungen unserer Zeit grundlegend ist.
Facebook ist neben Visa, Mastercard und Vodafone nur eines der 28 Gründungsmitglieder des Konsortiums, die als zentrale Knotenpunkte den Betrieb der Plattform steuern sollen. Facebook liefert allerdings den relevantesten Netzwerkeffekt: 2 Mrd. Nutzer. Die Verbindung von Zahlungen und sozialem Netzwerk wird in China längst durch WeChat vorgezeigt. Der chinesische Weg selektiver Stützung von Unternehmen, denen regulatorisch freiere Hand gelassen wird, hat zu einem Vorsprung geführt, der jedoch aufgrund des Kontrollwahns der Partei nicht zur globalen Marktführerschaft genutzt werden kann.
«Stablecoin» im Geiste Hayeks
Die Kompetenz von Facebook beim User-Interface-Design in Verbindung mit der möglichen Skalierung und Verbreitung durch den Netzwerkeffekt gibt Libra einen beachtlichen Startvorteil. Die irische Dienstleistungstochter Calibra wird für die nahtlose Integration in WhatsApp und die anderen Nutzerschnittstellen des Facebook-Universums sorgen.
Libra wird die erste «Ressource» auf einer integrierten, programmierbaren Plattform. Damit ähnelt das gesamte Projekt eher Ethereum als Bitcoin. Die Plattform könnte auch andere Cloud-Dienste bieten und verspricht, dies effizienter als Ethereum zu tun. Libra soll tausend Transaktionen pro Sekunde erlauben (Ethereum erlaubt fünfzehn, Bitcoin fünf pro Sekunde).
Allerdings ist unklar, ob die grossen Probleme gelöst werden können, die dieser Zugang mit sich bringt: Die freie Programmierbarkeit führt zu Sicherheitsproblemen – was auch den zentralistischeren Zugang erklärt. Das Prinzip des gewählten Konsensusmechanismus hat sich noch nicht bewährt und ist ein entsprechendes Wagnis: delegiertes Proof of Stake im Gegensatz zum kostenintensiven Proof of Work bei Bitcoin.
Wegen der eingeschränkten Netzknotenpunkte ist die Plattform nicht dezentral. Darum verwehren dem Projekt viele das Attribut Kryptowährung – stattdessen sollte man bloss von einer Digitalwährung sprechen. Es handelt sich um eine geteilte Datenbank, die nicht dem Blockchain-Prinzip folgt, weil sie Daten gar nicht zu Blöcken fasst und diese kryptografisch verkettet. Das System nutzt einen Algorithmus zur Toleranz für «byzantinische Fehler» (Abstimmungsproblem bei potenziell sabotierenden Datenquellen), der allerdings bis auf kleinere Anpassungen nichts Neues ist.
Libra soll komfortable Zahlungen bieten, bei geringer Volatilität – es handelt sich um ein «Stablecoin», das inspiriert ist durch die Gedanken des Ökonomen Friedrich A. von Hayek zum Währungswettbewerb. Statt dem von Hayek präferierten Rohstoff-Peg entspricht Libra einem Anleihenfonds. Die Assets werden, abgesehen von vorübergehender Barhaltung, zur Hälfte aus kurzfristigen US-Staatsanleihen bestehen. Der Rest teilt sich auf Staatsanleihen in Euro, Yen, Pfund und Singapur-Dollar auf. Die Aufteilung erinnert an die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds, mit dem auffälligen Unterschied, dass Libra den Yuan völlig weglässt.
Die mit dieser Anlage erzielten Zinseinkommen fliessen an die Libra-Investoren. So machen Zahlungsanbieter wie PayPal (auch im Konsortium) schon bisher Geld. Warum sollten Nutzer in einen Fonds investieren, der ihnen weder Zinseinkommen noch Wertsteigerung verspricht? Aus demselben Grund, aus dem die Nutzer ihre Daten und Medieninhalte schon bislang kostenlos einem Unternehmen zur kommerziellen Nutzung überlassen: Komfort der Netzwerkeffekte der Kommunikation. Darüber schüttelte sogar Mark Zuckerberg einst den Kopf und nannte die ersten Nutzer in einem internen Chat, der an die Öffentlichkeit kam, Vollidioten.
Ein Zahlungsmittel ist allerdings eine offensichtliche Ergänzung von Kommunikationsmitteln und die Nutzung der Netzwerkeffekte nicht nur idiotisch. Diese Verbindung ist bislang nur aus regulatorischen Gründen in Europa und den USA noch nicht gelungen – China und Afrika sind viel weiter. Die Libra-Plattform versucht hier die Uber-Strategie (Uber gehört ebenfalls zum Konsortium): Breschen durch die Regulierungsversuche zu schlagen mit tiefen Taschen für Juristen und Lobbyisten und den Arbitragemöglichkeiten eines globalen Konzerns. Das ist zu begrüssen, denn dadurch wird die Aufmerksamkeit der Regulatoren gebunden, was im Windschatten Wohlstandsgewinne bringt.
Wie Apple Pay konkurriert Libra eher mit Geschäfts- als mit Zentralbanken. Fürchten müssen sich allenfalls die politischen Zentralbanken nationaler Währungen, die zulasten der heimischen Sparer und zugunsten der Staatsapparate schwach gehalten werden. Wenn venezolanische und iranische Facebook-Nutzer dann die Option eines Libra-Kontos haben, ist das gewiss nicht zu ihrem Nachteil. Hintertreiben wird solch soziale Grosstat allenfalls das erforderliche AML/KYC (Geldwäscheverhinderung, Kundenverifikation), dem sich Libra voll unterwerfen wird. Der Staat könnte da durchaus Nutzniesser der Datenkrake werden.
Die scharfe Reaktion europäischer Politiker könnte aber ein Hinweis sein, dass sie unterbewusst den Euro bereits als schwache Währung sehen, die im Wettbewerb schlecht aufgestellt ist. In der Tat würde Libra die Dominanz des Dollars verstärken – die Fiat-Währungen der weltweiten Nutzer würden zur Hälfte in Dollar konvertiert, obwohl Facebook mehr indische als amerikanische Nutzer hat.
Auf Libra dürften andere folgen
Würde ein erfolgreicher Libra-Coin die Marktmacht und damit die Aufmerksamkeitsmacht von Facebook zementieren? Diese Gefahr ist begrenzt. Facebook nutzt freiwillig geteilte Daten, um den Nutzern, die natürlich keine Kunden sind und entsprechend eher mit Verachtung als Respekt behandelt werden, werbeoptimierten Ramsch anzudrehen. Dieses «Idiotenmarketing» ist ein Symptom der Geldpolitik und nimmt sich neben ihr geradezu harmlos aus. Je erfolgreicher Facebook, desto sklerotischer wird es werden. Ohne das in Zeiten grenzenloser Geldschöpfung typische Aufkaufen fremder Innovationen hätte Facebook schon längst den Anschluss an jüngere Generationen verloren.
Libra verstärkt zunächst den dringend nötigen Wettbewerb im Geld- und Bankwesen. Andere könnten folgen. Apple Pay benötigt eigentlich keine Banken und könnte sie ersetzen. Der Starbucks-CEO sprach von der Bedeutung «legitimer Kryptowährungen».
Amazon-Coins gibt es schon, und das Unternehmen ist im Bereich Blockchain sehr aktiv. Zu den Windschattenfolgern ist die Kryptowährung Gram des Telegram Open Network zu zählen. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, abseits jeder Regulierung, hat der Betreiber des 300 Mio. Nutzer zählenden WhatsApp-Konkurrenten, der russische Dissident und VKontakte-Gründer Pavel Durov, 1,7 Mrd. $ in einem ICO (Initial Coin Offering) für Gram eingesammelt. Wie wäre es mit einem anonymen Coin für das Schweizer ProtonMail?
Zuerst erschienen bei Finanz & Wirtschaft