Der wahrgenommene Graben zwischen menschengemachter Klimakatastrophe und menschlicher Handlungsunfähigkeit im Globalen entfacht missionarischen Furor. Dieser bewegt, drängt, eint, löst aber auch Gegenreaktionen aus und spaltet zugleich. Apokalyptische Apologeten treffen auf Leugner, die sich schnell als moralisch zweifelhaft überführen lassen – nämlich irgendwie «rechts». Solche Natur- oder Klassenfeinde leugnen, so heisst es, den Konsens der Wissenschaft.
Leugnung und Konsens, das sind rätselhaft deplatzierte Begriffe für naturwissenschaftliche Fragen, sie erinnern eher an die bis zur Erkenntnisunmöglichkeit politisierte Sozialwissenschaft. Induktiv lassen sich aus Fakten nur Hypothesen konstruieren, die durch andere Fakten falsifiziert werden können.
Der gesamte Prozess hat mit Konsens relativ wenig zu tun, und Falsifikation wäre auch etwas gänzlich anderes als Leugnung. Die Vorbehalte der «Leugner» mögen den Klimawandel nicht falsifizieren. Doch geht es bei der Klimakatastrophe tatsächlich um induktiv zugängliche Hypothesen oder nicht vielmehr um deduktive Schlüsse aus Prämissen jenseits der Naturwissenschaft?
Zweifellos bemühen sich viele Naturwissenschaftler redlich um Erkenntnis und haben viel zu einem besseren Verständnis des komplexen Phänomens Klima beigetragen. Doch der Kern des Anliegens wird mit Theologie verständlicher als mit Messungen.
Das ist hier nicht als Spott gemeint, der jedes idealistische Engagement als «religiös» abwertet – wie auch Teil der eingangs erwähnten Gegenreaktionen die Kritik einer vermeintlichen «Klimareligion» ist. Diese Kritik liegt nahe, greift aber etwas zu kurz. Religion ist auch in säkularen Staaten nicht bloss überkommenes Relikt, sondern eine menschliche Konstante. Hier soll die religiöse Dimension ausnahmsweise gewürdigt werden.
Mehr Fakten, schlechtere Entscheide
Wie der grosse Politikwissenschaftler Eric Voegelin erkannt hatte, ist der Bereich des Religiösen weit umfassender – insbesondere religiöses Vakuum wird durch weltliche, politische Religionen gefüllt. Diesen Prozess nannte Voegelin «Immanentisierung des Eschaton», übersetzt bedeutet dies die Motivierung des Handelns in der Welt von einem gedachten Endpunkt der Geschichte, der ihren Sinn beschreibt.
Diese Eschatologie ist eine abendländische Besonderheit: Ein lineares Geschichtsbild führt aus der Erstarrung des zyklisch Immergleichen, transzendiert die Ungewissheit und verleiht dem handelnden Individuum Sinn und Perspektive. Zwar, so warnt Voegelin zu Recht, waren die verheerenden Ideologien des 20. Jahrhunderts chiliastische Häresien, doch das apokalyptische Element muss eben auch als gewichtiger Handlungsantrieb verstanden werden, als Übertreibung des aktiven Menschen, der unter dem Druck individualisierter Schuldgefühle und dem Sog erträumter Utopie unglaubliche Dynamik entwickelt.
Das grosse Problem des postmodernen Lebens ist die individuelle Ohnmacht durch Sinnleere. Die grossen, linearen Narrative sind diskreditiert, und es droht zyklischer Defätismus bis zur konsumistischen Apathie. Das nüchterne Registrieren von Fakten, das vermeintlich allein wissenschaftliche Autorität verleihe, hilft nicht weiter. Der Verzicht auf den Plastikstrohhalm hat so wenig Auswirkung auf die Verschmutzung der Weltmeere wie der einzelne Stimmzettel auf das Wahlergebnis – statistisch praktisch null.
Noch gewichtiger ist das Problem der Ungewissheit: Je mehr Fakten wir kennen, desto schlechter werden im Schnitt unsere Entscheidungen, wie der Psychologe Gerd Gigerenzer überzeugend gezeigt hat. Relevante Entscheidungen beziehen sich auf eine ungewisse Zukunft, und diese ist durch bekannte und messbare Fakten nicht determiniert. Wenn wir im statistischen Erwartungswert nichts Relevantes bewirken oder wissen können, bleibt dann nur das apathische Zwangshandeln, das Mitlaufen in den Verhältnissen?
Ungewissheit, der hohe Preis der Freiheit, lässt sich auch mit Freude schultern, die Zukunft mit Zuversicht betrachten und das freie Handeln des Einzelnen eben dadurch würdigen, dass es so unwahrscheinlich viel bewegen kann. Diese Perspektive ähnelt den Grundtugenden von Glaube und Hoffnung, motivierend kann aber auch die Überzeugung sein, einen Beitrag zur Weltrettung zu leisten – wie beim jüdischen Prinzip des Tikkun olam.
In diesem Sinne ist die Sorge um die Klimakatastrophe das unterstützende eschatologische Element der modernen Religion des Ökologismus. Letztere ist in ihrer Bedeutung weit unterschätzt. Sie ist eine der wenigen säkularisierten Religionen, die wachsen, Gemeinschaften hervorbringen, asketisches Handeln motivieren, Ordnung und Rituale in der Moderne bieten, zu spirituellen Erfahrungen führen und persönliches Wachstum anregen können.
Die Klimakatastrophe erweitert als kosmopolitische Angst das alte ökologistischen NIMBY-Prinzip («Not In My Back Yard» – nur nicht in meinem Hinterhof!), das als Verschmutzungs-, Verstrahlungs- und Überfremdungsangst noch kleinbürgerlich war. Der Ökologismus, der «kein richtiges Leben im falschen» zulässt, entspricht der letzten Mutation eines Prinzips der abendländischen Geistesgeschichte: reaktionärer Pessimismus als nötiger Gegenpol zu der «Whig Theory of Progress», dem aufklärerischen Fortschrittsdenken, das ohne Korrektiv zur faustischen Hybris neigt.
Die Warner vor der Klimakatastrophe ähneln den Inflationsheiligen der Weimarer Zeit, die schon damals vor dem Zynismus angesichts einer Umwertung der Werte in Veganismus, Körper- und Gesundheitskult, Narzissmus und Kommunenutopien Zuflucht suchten. Wie damals wäre es sinn- und wirkungslos, diese Bestrebungen durch Leugnung, Spott oder durch Beweis der «besten aller Welten» zu kontern. Sie verdienen Würdigung, denn sie enttarnen blinde Flecken der anderen linearen Narrative. In der Weimarer Zeit haben sich die Fortschrittszweifel als prophetisch erwiesen.
Es geht um Kapitalkonsum
Noch nie lebten so viele Menschen in materiellem Wohlstand wie heute, und doch ist die Zuversicht gekippt: Die meisten fürchten, dass es ihren Kindern oder Enkeln einst schlechter gehen wird. Die nominell aufgeblasenen Reichtümer stehen auf wackeligem Fundament.
Wie einst bei «Peak Oil» geht es um die mögliche Klimax einer Blasenwirtschaft, mit massiven globalen Abhängigkeiten, fortschrittsabhängig, doch den Glauben an Fortschritt verlierend. Das ist eben Postmoderne: eine Moderne, die nicht nur den Glauben an sich verloren hat, sondern sich auch selbst nicht mehr hervorbringen könnte. Das Thema der Nachhaltigkeit, Urmotiv des Ökologismus, erweist sich schliesslich als ökonomisches: Kapitalkonsum.
Der achtlose Aufbrauch des weniger Sichtbaren und des bei verzerrten Preisen vermeintlich Kostenlosen erinnert an die Übernutzung, die zum Austrocknen vieler einstiger Hochkulturen führte. Doch die Umweltproblematik ist dabei nur Symptom: Mangelnde Innovationskraft und Flexibilität erweisen sich als eigentlicher Untergangsgrund und zeigen sich in Überkonsum.
Das Problem der unduldsamen Klimaapokalyptik ist, dass auch sie zu konsumtiv sein könnte, nicht zum Schultern von Ungewissheit motiviert, sondern zur Weltflucht: Regulierungsspiralen, die die Anpassungsfähigkeit einschränken, Aufgabe von Wohlstand und damit der Mittel, diese Welt wirklich zu verbessern, bis hin zur Selbstauslöschung.
Zuerst erschienen in Finanz & Wirtschaft