THE ESSENTIALIST: Sie widmen sich u.a. der Ent-Täuschung der heutigen Zeit, denn Sie sprechen vom derzeitigen Papiergeldzeitalter als Epoche der Täuschung. Wie sehen Sie die Rolle des heutigen, teils renitenten Unternehmers in diesem Zusammenhang?
Rahim Taghizadegan: Der Konjunkturzyklus ist im Wesentlichen ein Täuschungszyklus – Wirtschaftskrisen bedeuten die Aufdeckung gehäufter Unternehmerirrtümer, deren Häufung und zeitliche Verdichtung nur durch Täuschung erklärbar ist. Insofern sind heutige Unternehmer in Gefahr, zu wenig renitent zu sein und sich zu stark von verzerrten Marktsignalen sowie Politik- und Prestigesignalen in die Irre führen zu lassen.
THE ESSENTIALIST: Welche Rolle sollte eine zukunftsgerichtete unternehmerische Elite ausführen?
Rahim Taghizadegan: Die Funktion des Unternehmertums ist, die Zukunft reibungsloser hervorzubringen, indem sie knappe Produktionsmittel entgegen aktueller Interessen im Sinne der zukünftigen Präferenzen, Nöte und Möglichkeiten der Menschen umordnen. Während Politik aktuellen Mehrheits-Präferenzen nachläuft und damit die Zukunft für die Gegenwart opfert, verhilft langfristiges Unternehmertum der Zukunft zu ihrem Recht.
THE ESSENTIALIST: Wie unterscheiden sich die Begriffe Contrepreneur und Visionär? Und wie sind im Gegensatz dazu mittelständische Familienunternehmer in Zukunft zu sehen, die zwar nicht innovativ sind, aber auch keine Pseudo- oder Zeitgeist-Entrepreneure, sondern realen Wert an konkrete Kunden liefern?
Rahim Taghizadegan: Visionen können auch Utopien oder Wahnvorstellungen sein. Unternehmerische Umsetzung auf eigene Kosten ist mehr als schöne Worte und große Pläne. Doch in der Gegenwart, insbesondere, wenn sie so verzerrt ist wie heute, geht die konkrete Umsetzung des Neuen oft gegen den Strom – der Contrepreneur ist der Andersmacher, im Gegensatz zum Mitläufer oder bloßem Andersdenker. Ich schlage den Begriff vor, denn es könnte sein, dass der Entrepreneur oder Unternehmer bald durch subventioniertes, verzerrtes und kurzfristiges Pseudounternehmertum diskreditiert wird.
THE ESSENTIALIST: Welche Eigenschaften sollten Contrepreneure und Entrepreneure in ihrer Ethik und Wertehaltung haben?
Rahim Taghizadegan: Entrepreneure stehen für die alte Tugend des Maßhaltens, des effizienten Mitteleinsatzes, der Produktion anstelle des Konsums. Doch diese Tugend ist zu wenig ohne die vorgelagerten Tugenden der Weisheit und des Mutes, die in Zeiten des Wahnsinns und der Feigheit renitent erscheinen: um diese Tugenden zu betonen, spreche ich vom Contrepreneur.
THE ESSENTIALIST: Sehen Sie Globalisierung und wachsende internationale Vernetzung als Chance oder Bedrohung für europäische Unternehmer?
Rahim Taghizadegan: Internationale Arbeitsteilung bedeutet stets mehr Chancen und Möglichkeiten, ob für Unternehmer oder Konsumenten. Es gibt auch ein davon unabhängiges Phänomen der „Globalisierung”, die eine Nivellierung der Welt durch monetäre Verzerrung und Politik bedeutet. Diese Angleichung, die nicht den freiwilligen Präferenzen der Menschen entspricht, geht ihrem Ende zu und löst starke Gegenreaktionen und Sehnsüchte aus. Europäische Unternehmer, sofern sie sich nicht mit dem Status quo allzu sehr arrangiert haben, sind dafür prädestiniert, von der steigenden Sehnsucht nach Vielfalt und Authentizität zu profitieren.
THE ESSENTIALIST: Sie fragen, „Muss man wahnsinnig sein, um in Europa noch Unternehmer zu werden?” Warum erwähnen Sie spezifisch Europa?
Rahim Taghizadegan: Europa steht für die Weltregion mit der höchsten Kapitaldichte, insbesondere, wenn man kulturelles Kapital berücksichtigt. Von diesem Kapital leben wir nachwievor sehr gut, doch es hat auch zu einer unglaublichen Anspruchsmentalität geführt, hinter der erschreckender Kapitalkonsum abläuft. Dieser Kapitalkonsum beruht vor allem darauf, dass Unternehmern die undankbare Funktion zukam, de facto als Finanzbeamte zu wirken und als Sündenböcke für die Geldentwertung und Arbeitsbelastung herhalten zu müssen. Mit dem abgeschöpften Wohlstand konnten sich ganze Generationen leisten, in einer Parallelwelt eingelullt zu werden, in der Wohlstand vom Staat kommt und nur verteilt werden muss. Als Unternehmer hat man sich entweder als Systemprofiteur arrangiert oder steht mit einem Fuß im Gefängnis oder am Pranger. Es braucht also eine ganze Menge Wahnsinn oder Leichtsinn, um in Europa – besonders in Westeuropa – noch Unternehmer zu werden. Da man Wahnsinn im Vorhinein nicht von Genialität unterscheiden kann, sollten wir für diese Wahnsinnigen dankbar sein.
THE ESSENTIALIST: Wie heißt das? Wenn die Welt untergeht, soll man nach Wien gehen. Da passiert alles fünf/zehn/zwanzig Jahre später. 🙂
Rahim Taghizadegan: Ja, die größere Schlampigkeit, Korruption und Mauschelei gehören zu den letzten Assets in Wien. Je gründlicher, kälter und geradliniger der politische Apparat wird, desto unerträglicher wird Wien. Bis heute gilt: Österreichs Totalitarismus ist fünf Jahre sanfter als der in Deutschland. Kein großer Unterschied, aber immerhin.
THE ESSENTIALIST: Sie sehen Start-Ups oft als mediale Projektionsfläche. Brauchen wir Start-Ups überhaupt oder ist das nur ein Hype? Was wäre eine Alternative?
Rahim Taghizadegan: Subventionierte Start-ups sind aktuell ein Hype der Symbolpolitik. Dabei nimmt die Idee des Unternehmertums so großen Schaden, dass wir uns wohl bald vom Unternehmerbegriff verabschieden müssen. Die Alternative nenne ich daher Contrepreneurship – wie diese Alternative aussehen kann, warum sie notwendig ist und welche spannende Geschichte dahinter steht, zeige ich in meinem Buch.
Veröffentlicht in englischer Fassung in der Publikation THE ESSENTIALIST.