Die Krönung des britischen Königs habe etwas Gutes, so ein Kommentator im französischen Fernsehen. Was bewog einen Republikaner zu solchen Worten? Nicht Ruhe und Ordnung fehle den Franzosen, ihre „Aufstände“ seien nötiges theatralisches Ventil für ihre etatistische Lebensform. Die Briten hätten ähnliche, wenn nicht größere Probleme – so die erleichterte Erkenntnis des Fernsehkommentators. Doch biete sich den Briten die weit bessere Ablenkung. Das sei der Sinn der Monarchie und das einzige Manko der Franzosen: Der republikanische Fürst im Élysée-Palast gebe zu wenig Spektakel und könne daher von den Problemen nicht gut genug ablenken. Da bleibe den schlecht unterhaltenen Franzosen nur das heitere Wüten auf den Straßen, um es „denen da oben“ mal so richtig zu zeigen. Am nächsten Morgen dürften die zugewanderten Arbeitskräfte dann wieder saubermachen.
Für den Vergleich eignet sich das britische System allerdings nicht mehr gut, als Monarchie ist es kaum noch zu bezeichnen. Der König ist eine Art Zeremonienmeister nationalen Kulturguts. Ein Grüßaugust mit ein bisschen mehr Prunk, und damit vielleicht etwas weniger deplatziert als sein Pendant im österreichischen Bundespräsidenten in der Wiener Hofburg. Mittlerweile hat sich das Königshaus aber auch weitgehend an die Umgebung angepasst. Charles‘ öffentlich geäußerte Ansichten sind ebenfalls rot-grüner Einheitsbrei. Die Ausgaben sind das geringste Argument gegen den Pseudo-Monarchen. Die kleine Operettenrepublik Österreich zum Beispiel wendet doppelt so viel für ihre Staatsbühnen auf wie die Briten für ihr Königshaus. Wie im französischen Fernsehen richtig erkannt, ist das britische Spektakel viel breitenwirksamer. Die Ablehnung gegen das Königshaus ist eher eine historische: der Kampf mutiger Republikaner gegen tyrannische Könige. Doch diese Inszenierung, die Monarchien bis heute im Westen ins politische Abseits verweist, ist noch anachronistischer als die Königswürde. Wie G.K. Chesterton anmerkte, handelt es sich um den „Kampf gegen Großmütter“ – wenngleich die Analogie besser auf die Queen passte.
Hier liegt eben der größte Vorzug von Monarchien: Sie stehen auf der historischen Verliererseite. Damit fügen sie ein zusätzliches Element zur Staatsform, ohne weitere Machtmittel zu verschaffen – der totale Staat der Neuzeit hätte solche ohnehin nicht mehr benötigt. Auch wenn damit keine formale Gewaltenteilung verbunden ist, bleibt doch eine gewisse Teilung der Legitimität, die gelegentlich Platz für Abweichungen in Meinungen oder zumindest im Stil lässt. Deshalb hassen Totalitäre auch monarchische Elemente: Begründete Abweichungen sind ihnen zuwider.
Die letzte Monarchie in Europa, in der diese Abweichung ein Gegengewicht gegen Politiker aufbot, ist die kleinste: Liechtenstein. Der Fürst erpresste sein Abweichungsrecht durch Androhung, auch das Spektakel einzustellen und seinen Lebensabend als langweiliger Wiener Bürger zu verbringen. Das bot einigen Skandal, zeigte aber auch den Vorzug, mit dem Liechtenstein gesegnet ist.
Sollte der britische Thronfolger einst völlig in seiner Umgebung aufgehen, könnte aus dieser Richtung heilsamer Kontrast wirken. Prinz Harry nahm immerhin schon alle negativen Seiten eines Kleinbürgertums ohne bürgerliche Verantwortung an und folgte dem Muster von Pop-Karrieren: Medienpräsenz, Abrechnungsbuch, Geltungstugend. Auf Liechtensteiner Seite sieht es noch brav katholisch aus, aber das kann sich ändern. Auch hier bewahren die Kleinheit und relative Unbekanntheit wohl vor größeren Übeln. Der Kontrast könnte deshalb bedeutend sein, weil der nächste Liechtensteiner Thronfolger auch der alternative britische Thronfolger wäre. Diese konkurrierende Linie verfechten die Jakobiten. Jakob (James) II. aus dem Haus Stuart wurde in der „Glorreichen Revolution“ durch Wilhelm III. von Oranien ersetzt – der fremde Protestant war dem Adel lieber als der heimische Katholik. Für die britische Freiheit wäre eine katholische Gegenreformation wohl auch nicht sonderlich günstig gewesen.
Doch die innerchristlichen Religionskriege stehen uns heute noch ferner als der Streit um die richtige Staatsform. Der antimonarchische Konsens ist stark, noch stärker nur ist die heutige etatistische Einheitsreligion. Alternative Erzählungen und Sehnsüchte an den gesellschaftlichen Rändern sind aus deren Perspektive gefährliche Sektiererei. Ausgerechnet in Frankreich ist heute die monarchistische Bewegung am relativ stärksten – bislang aber dennoch vernachlässigbar. Der wichtigste Roman dieser Tradition, Sire von Jean Raspail, verbindet religiöse Schwärmerei mit nostalgischen Sehnsüchten nach einer magischen Zeit vor dem Rationalismus, den die französische Aufklärung am meisten übertrieben hatte. Doch – typisch Franzosen – ist auch unter diesen vermeintlichen Staatsgegnern keine Einigung zu erzielen: Legitimisten, Orléanisten und Bonapartisten sind uneinig über den korrekten Thronfolger. Die größte Einigkeit würden sie noch im Etatismus einer restaurierten Grande Nation finden.
Da hat das britische Königshaus, auch in seiner anglikanischen Ausprägung, deutlich mehr katholische Formen bewahrt als die französische „Rechte“. Diese Formen waren vielleicht immer auch Ablenkung, für den österreichischen Beobachter sind sie vor allem Trost. Barocker Prunk kleidet alles in einen Goldmantel und hübscht es auf. Dieser Pomp ist „pompes funèbres“, das „Aufmascherln“ der „schönen Leiche“, wie die Wiener sagen. Auf dem Staatsgaul mögen Skelette reiten – ein altes Bild für die völlig missverstandene „Anarchie“. Etwas Gold maskiert dann die dystopische Düsternis und macht selbst die Apokalypse fröhlicher und damit auch erträglicher. Wirklich etwas zu feiern haben auch die Briten nicht, da hat der Franzose recht. Die Apokalypse ist aber – ob mit oder ohne König – bislang ausgeblieben. Weder ist die „kaiserlose Zeit“ so schrecklich (Schiller in „Der Graf von Habsburg“), noch verdienen es Könige oder Kaiser, dass man ihnen den ganzen Schrecken der Staatsgewalt in die Schuhe schiebt.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.