Die herben Wahlverluste der Grünen bei den letzten EU-Wahlen werden nicht ohne Folgen für Europa bleiben. Man könnte sie als Denkzettel betrachten und eine politische Wende erwarten. Das wäre eine Überschätzung des politischen Prozesses. Eher steht zu erwarten, dass grüne Politiker die völlig falschen Schlüsse ziehen und die gesellschaftliche Spaltung mit noch mehr Druck weitergeführt wird.
In Deutschland wie Frankreich halbierten sich die grünen Parteien beinahe, in Österreich blieb der Verlust trotz Regierungsbeteiligung und schweren Vorwürfen gegen die Spitzenkandidatin begrenzt. Die österreichischen Grünen zeigen auf, wohin die europäischen Grünparteien tendieren werden, um ihre Marginalisierung zu verhindern.
Die politische Mobilisierung rund um das Thema Umweltschutz war erst ein kleinbürgerliches Phänomen und vor allem eine Folge des Nachkriegswohlstands in Europa. Die Präferenz für unberührte Natur wächst in den Städten und ist Ausdruck eines klassischen Wertewandels, wie ihn steigender Wohlstand nahezu universell hervorbringt. 1986 erschütterte die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl den Fortschrittsglauben auf der Linken, zumal sich schon andeutete, was 1989 Gewissheit wurde: Das Sehnsuchtsreich der Sowjets, die für Intellektuelle und ihr kleinbürgerliches Publikum fortschrittlichere Alternative zum verachteten Westen, hatte sich als Chimäre erwiesen.
Nun mussten die Mäntel gewendet werden, und es begann die Zeit der politischen Wassermelonen: Unter grüner Schale geduldeten sich rote Hoffnungen, durchsetzt von den dunkelsten Einschlüssen. Die ursprünglich bürgerlichen Grünen waren geeint durch das Prinzip «Nimby» («Not in my backyard!») – die Verhinderung von Projekten, die die Balkonruhe gefährden. Rasch wurden sie verdrängt von den durch das Prinzip genereller Ablehnung geeinten Wassermelonen. Immerhin hatte das falsche Gesellschaftssystem gewonnen, und daran konnte nichts Gutes sein.
Macht kaputt, was euch kaputtmacht – die alte Losung der radikalen Linken passt gut auf das Ergebnis und das Mobilisierungspotenzial neuer «grüner» Politik. Tiefenpsychologisch könnte man von einem Todestrieb sprechen. Degrowth, der alte Wein in neuen Schläuchen, sieht schliesslich Schrumpfung vor, und der kleinste ökologische Fussabdruck ist die tödliche Null.
Zur Motivation und Mobilisierung braucht es immer neue Katastrophen. Nur wenige Jahre hielt sich «Extinction Rebellion» in den Schlagzeilen mit dem Aktionismus junger Menschen, motiviert durch Ideen und Geld von Älteren. Nun droht der nächste Aufguss schon aus dem Aufmerksamkeitsfenster zu rutschen. Was aber soll nach einer «Letzten Generation» denn folgen? Die nun wirklich allerletzte Warnung, dass die eingetretene Katastrophe immer schlimmer werden wird, wenn nicht endlich Weltkommunismus den Kapitalismus ablöst?
Die Wahlaltersenkung in vielen Ländern für die EU-Wahlen, einst Hoffnung linker Parteien auf Ersatz der verlorenen Arbeiter, brachte unerwartete Ergebnisse. Junge Menschen wählen zwar noch grün, aber es handelt sich eher um die konservative Wahl der Angepassten, oft ganz im Sinne ihrer Eltern. Ein wachsender Teil der Jungen wählt Kleinst- und Spassparteien. In Deutschland wählten 28% der Jungwähler «Andere» – die mit Abstand grösste Gruppe. Den stärksten Zuwachs allerdings hatten die «rechten» Parteien.
Die Grünen werden daraus schliessen, dass sie noch jünger auftreten und noch mehr auf «Gerechtigkeit» fokussieren müssen. All die Belastungen grüner Politik seien nicht ausgeglichen genug. Man müsse, um Gerechtigkeit herzustellen, Vermögende noch mehr belasten, damit sich die anderen besser fühlen. Daher brauche man, um den «Klimaschutz» besser zu verkaufen, vor allem «Klimagerechtigkeit».
All das haben die österreichischen Grünen schon berücksichtigt. Sie übergingen ihre Basis und hievten eine 23-jährige Aktivistin aus kommunistischem, aber privilegiertem Elternhaus an die Spitze. Sie hatte mit gutem Aussehen und eloquenter Verbindung von Politikerphrasen mit dem Denglisch der Jugendsprache die mediale Aufmerksamkeit errungen, als Vertreterin der parteifreien «Letzten Generation». Dann liess sie sich entgegen ursprünglicher Überzeugung für die Parteipolitik gewinnen, die immerhin weitere Aufmerksamkeitshebel und hohe Gehälter ohne Kompetenznachweis und Rechenschaft zu bieten hat. Ihr Ex-Freund aus der Grünen Jugend wurde Spitzenkandidat der Kommunistischen Partei, die in Österreich als Untote wiederauferstand und plötzlich Zugewinne einfährt. Paradoxerweise stimmen für diese Partei noch weniger Arbeiter als für die Grünen, nämlich null.
Mit dem Grünwählen können junge Menschen heute niemanden mehr schrecken. Wenn sie offen kommunistisch wählen, schrecken sie vielleicht noch eine Grosstante. Um sich an ihren Eltern zu reiben, bleibt ihnen fast nur noch eine Wahl – und das erklärt den rechten Zuwachs.
Die Nachkriegsgeneration hat in ihrer Selbstgerechtigkeit ihrer Jugend kaum Platz zum Widerspruch gelassen. Lehrer und Medien sind in den letzten Dekaden richtig heiss gelaufen dabei, sich als Erziehungsberechtigte aufzuschwingen und allen die absolute Gutheit einzuträufeln, bis sie bei den Ohren wieder herauskommt. Nur die bravsten Kinder machen, was ihre Eltern und Lehrer glücklich macht. Greta Thunbergs Mutter hat ein ganzes Buch über dieses Mutterglück der Selbstverwirklichung durch die Tochter geschrieben.
Die stolze «Löwenmama» der österreichischen Klimaaktivistin hat bislang nur Interviews gegeben. Beispringen musste sie der Tochter, weil die geschickte Wahlkampftaktik der Grünen nicht ganz aufzugehen drohte. Immerhin ist das wichtigste Attribut, um Junge zum Wählen zu bewegen, Authentizität. Als über die österreichische Quereinsteigerin mit dem Wahlkampfspruch «Herz statt Hetze» aus dem engsten Umfeld an die Medien gespielt wurde, dass sie privat herzlos sei und gegen andere hetze, war das auch einigen Kernwählern zu viel.
Trotz aller Peinlichkeiten von Kandidatin und Partei darf diese Personalwahl aber als Erfolg gelten und wird wohl wegweisend für andere Grüne werden. Nur die britischen Grünen sind beim Pragmatismus der Kandidatenwahl noch weiter. Ein grüner Spitzenkandidat in Leeds pries Allah und deutete seinen Wahlsieg als Sieg für Gaza um. Der grün-rote Todestrieb passt immerhin ganz gut zur im Westen weiterentwickelten Häresie des antiwestlichen Islamismus. Für den eigenen Niedergang muss man dann keine Verantwortung übernehmen. Es reicht, ganz klimagerecht das Klima für all diejenigen zu vergiften, denen es noch besser zu gehen scheint. Kein Wunder, dass viele Neuankömmlinge in Deutschland die Autochthonen «Opfer» nennen.
Das deutsche Wirtschaftswunder im Rückwärtsgang, an dem die Grünen gewiss nicht allein schuld, aber massgeblich beteiligt sind, lässt sich auch am ehesten als Opferkult interpretieren. Es ist stets einfacher, kaputtzumachen als aufzubauen. Am einfachsten ist es, wenn man die Zerstörung noch als Statusgewinn konsumieren kann, immerhin zu den «Guten» zu gehören. Das ist die eigentliche Krise der europäischen Demokratie: Wenn diejenigen, die vorgeblich Klimaschutz, sexuelle Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit wollen, am Ende mehr Emissionen, mehr Frauenmorde, mehr Armut zu verantworten hätten – weil sie eigenen Status und Konsum realitätsflüchtig tatsächlicher Verantwortung vorziehen.
Zuerst erschienen in Finanz und Wirtschaft.