Dem Goldstandard nachzutrauern ist eine seltene Einstellung, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Böse Zungen deuten solche Nostalgie als „reaktionär“, immerhin sei Gold ja ein barbarisches Relikt. Piraten und Plünderer, vor allem aber böse Kolonialisten motivierten Goldschätze.
Der moderne Fiatstandard ist in der Hinsicht wohl zivilisierter. Doch es ist jener Firnis der Zivilisation, der als dünner Stoff Barbarisches verhüllt, nicht ersetzt oder auflöst. Moderne Plünderer müssen sich die Hände nicht mehr schmutzig machen, riskieren nicht Auge und Bein. Sie schleppen keine Schatzkisten, was sie immerhin bremsen und sichtbar machen würde. Sie müssen nur an Knotenpunkten der Geldschöpfung oder -zuteilung sitzen und ihren Nominalschätzen beim Wachstum zusehen. Das ist vielleicht zivilisierter, aber doch weit weniger kultiviert als die Suche nach neuen Welten und ihren riskanten Realschätzen.
Jeder Standard hat zwei Seiten, und auch der Goldstandard hatte eine zweifelhafte. Einerseits sind Standards Setzungen rationaler Natur, wie die Straßenverkehrsordnung. Andererseits sind Standards Normen guter Gewohnheit, ohne die der Verkehr kaum flüssig liefe. Was kommt zuerst, was ist gewichtiger? Norm oder Gesetz? Manchmal stoßen Gesetze neue Normen an, wenn sie als Gewohnheiten im Leben übernommen werden. Oft werden bestehende Normen in Gesetze gegossen, um Gesellschaften vor Veränderung zu bewahren.
Der Maskenstandard im Zuge der Pandemie normierte zwar das Miteinander, war aber keine Norm. Er trat als Generalprävention an, weniger vor Viren, mehr vor der „Spaltung“, dass Menschen angesichts der Ungewissheit andere, miteinander im Konflikt stehende Gewohnheiten leben und damit Kooperation erschwert würde. Das ist die Argumentation der „Normierung“, des gesetzlichen Standards von oben herab. Die Vereinheitlichung soll Kooperation erleichtern. Egal, auf welcher Straßenseite wir fahren, relevant sei bloß die Einheitlichkeit. Diese Deutung eines Standards passt ideal zum Positivismus, der Anschauung von Gesetzen als Setzungen, deren Inhalt nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat, bloß deren Form.
Dieses Bild von grenzenloser „Standardisierung“, die Kooperation und Wohlstand allein durch beliebige Setzung schafft, könnte man „Fiatstandard“ nennen. Es ist ebenso verheerend, wie das Beispiel aus dem Straßenverkehr irreführend ist. Das Rechtsfahrgebot ist eine Benutzungsregel, ähnlich der Konvention, welche Taste im Aufzug den Alarm auslöst, anstatt ein Stockwerk anzusteuern. Eine Straße ist gemeinsam genutzte Technologie, auch wenn sie noch nicht „smart“ ist (das heißt ohne völlige Überwachung).
Wäre Maskierung eine Norm, so würde das Ende der gesetzlichen Ahndung nicht sofort demaskierend wirken. Die vermeintlich verhinderten Konflikte zwischen Maskierten und Unmaskierten im Supermarkt wiegen wohl kaum die maskierten und abgedrängten Konflikte auf. Der Fiatstandard ist schädlich, weil er per Zwang eine Einheitlichkeit schafft, die spontan aufgrund der Uneinheitlichkeit der Menschen niemals entstehen würde.
Gewiss gibt es Netzwerkeffekte und vielleicht auch Netzwerkgüter. Manchmal, wenn die Uneinheitlichkeit nur eine Folge anderer historischer Zufälle und nicht verschiedener Einschätzungen der Zukunft und verschiedener Präferenzen war, kann die Normierung einem spontanen Prozess vorgreifen und erscheint dann verträglich und nahezu spontan. Der beste Gradmesser dafür ist das geringe Maß an Zwang, das für solche Normierung nötig ist. Es gab niemals Eingreiftruppen, die Privathäuser nach Papierbögen durchsuchten, die nicht der DIN-Norm entsprechen, um sie auf Scheiterhaufen mitsamt der A4-Leugner und anderer gefährlicher Papierschwurbler zu verbrennen.
Zeichengelder mit schönen Drucken historischer Größen und politischer Autogramme hätten vielleicht einen gewissen Umlauf gewonnen. Womöglich hätten irgendwann mehrere Gemeinden ihre Tauschkreis-Notgelder standardisiert, um vom Netzwerkeffekt zu profitieren. Wahrscheinlicher hätte sich aus dem Fernhändlergebrauch ein Standard der Abgleichung internationaler kurzfristiger Schuldbeziehungen (Lieferantenkredite und Warenbestellungen) entwickelt.
Der Konjunktiv ist eigentlich nicht nötig, denn die Goldstandards der Vergangenheit, etwa der Florentiner Standard, zeigen diese Genese. Gestehen wir aber den Konjunktiv zu, denn Geschichte muss gedeutet werden und einheitliche Deutungen wären wiederum ein Standard, den man nicht erzwingen sollte – auch wenn gerade dieser Fiatstandard wohl am schlimmsten wütet.
Der modernere Goldstandard als Normierung von Wechselkursen, etwa der Golddevisenstandard, zeigt schon die Probleme der gesetzlichen Vereinheitlichung im Gegensatz zur spontanen Entdeckung. Einen hochmodernen digitalen Vermögenswert per Dekret vorzuschreiben, wäre noch schlimmer.
Nicht jeder Einzelgebrauch muss einem Standard folgen, damit dieser als günstige Norm wirkt. Es ist nicht auszuschließen, dass eines Tages Bitcoin als geopolitisch neutrales Geld, das keine Lagerstätten und Schiffstransporte erfordert, zwischen fernen und fremden Händlern oder Staaten als Standard dienen könnte – als Norm, die Transaktionskosten mindert. Das würde niemals bedeuten, dass jeder jede Zahlung und jede Vermögensanlage in Bitcoin tätigen könnte oder müsste. So wie der Florentiner als Standard dienen konnte, obwohl ihn die wenigsten in Händen hielten.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.