Es verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Wirtschaft aktuell eine Revolution durchläuft, die sich mit der industriellen messen kann. Tom Goodwin, ein Manager von Havas, bemerkte: Das weltgrößte Taxiunternehmen (Uber) besitzt kein einziges Taxi, das weltgrößte Beherbergungsunternehmen (Airbnb) besitzt kein einziges Hotelzimmer, die weltgrößte Medienplattform (Facebook) produziert selbst keine Inhalte. Mit 13 Mitarbeitern hatte Instagram einen höheren Marktwert als Kodak mit 6500, Snapchat mit 600 Mitarbeitern hat einen höheren Marktwert als die Deutsche Bank mit 100 000.
Entsprechend groß ist die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust durch das Zusammenspiel von Digitalisierung und Automatisierung. Amazon beschäftigt bereits eine große Zahl von Robotern als Lagerarbeiter; das selbstfahrende Auto und die selbststeuernde Drohne sind technologisch nahezu realisiert und eher durch regulatorische Hemmschwellen eingebremst. Die wachsende Bedeutung digitaler Steuerung hat den Investor Marc Andreessen zur Aussage geführt: „Software frisst die Welt auf.”
Software ist eigentlich schon ein alter Hut. Was führt nun zur verdichteten Wahrnehmung ihres revolutionären Potenzials? Der wichtigste Grund ist psychologisch: Angst steigert unsere Wahrnehmungskraft. Seit 2007 hat sich ein Unwohlsein über die wirtschaftliche Stabilität breitgemacht, das nicht nur eingebildet ist, sondern ökonomische Gründe hat.
Das Papiergeldzeitalter scheint seinem Ende zuzugehen, das Kartenhaus wird immer wackliger. Da die Perspektive getrübt ist, wachsen die Risikoaversion, das Festhalten am vermeintlich Sicheren und die Sorge um die Ungewissheit der Zukunft. Die beeindruckenden technischen Fortschritte, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten mindestens genauso dynamisch und kreativ-zerstörend waren, werden zunehmend nicht mehr nur als willkommener Wohlstandszuwachs interpretiert, sondern als düstere Vorzeichen drohender Armut. Diese Ahnung enthält einen Kern Wahrheit, der jedoch psychologisch weit über seinen Gehalt hin ausgedehnt ist.
Neben der angstverzerrten Wahrnehmung gibt es allerdings auch qualitative technische Fortschritte, die revolutionär sind und deren Potenzial nun sichtbar wird. Nicht die Software hat sich qualitativ geändert, sondern die Schnittstellen. Die wichtigste Schnittstelle ist die zum Menschen. Begünstigt durch den geldpolitisch befeuerten Konsumismus und verlockt durch kostenlose Unterhaltung haben wir uns daran gewöhnt, unsere Aufmerksamkeit und unsere Daten Plattformen anzuvertrauen.
Diese Aufmerksamkeitsallokation skalierte zu einer digitalen „Weltöffentlichkeit” hoch, vor der die bisherigen Aufmerksamkeitsbewirtschafter ratlos in Schockstarre verharren. Schon beim Siegeszug des Fernsehens, der ähnliche fortschrittskritische Warner aufkommen ließ, lieferte der Literat David Foster Wallace eine gute Erklärung für die merkwürdige Schieflage der Skaleneffekte, die für die digitalen Plattformen unserer Tage noch mehr Gewicht hat: „Die Menschen neigen dazu, in ihren vulgären, anrüchigen und dummen Interessen wirklich ähnlich zu sein und völlig verschieden in ihren raffinierten, moralischen und intelligenten Interessen.”
Zunächst skaliert also Konsumistisches und Materialistisches; damit werden die Schnittstellen zu den Plattformen für kurzfristige Konsumgüter wertvoller als die Konsumgüter selbst. Wenn das gewünschte Auto wenige Minuten nach Bestellung über eine mobile Applikation vor der Haustür steht, verschiebt sich das Gewicht vom Auto – das ersetzbar wird – zur unersetzlichen Plattform.
Die zweite Schnittstelle, an der sich eine Revolution anbahnt, ist die zur materiellen Welt. Die Hype-Begriffe Internet der Dinge, Industrie 4.0, Big Data und maschinelles Lernen stehen jeweils für bestimmte Aspekte dieser Entwicklung. Dahinter steht im Wesentlichen das kreative Tüfteln von Millionen Menschen, die durch „technische Deflation” heute niedrigschwelligen Zugang zu Rechenleistung, technischen Bauteilen und Datenfülle haben. Dabei stehen Hobbybastler beim qualitativen Fortschritt Großkonzernen oft kaum nach.
Die Kombination von selbstlernenden Algorithmen oder voneinander lernenden Programmierern (Open Source) bringt qualitativ neue Skaleneffekte, die die Lösung immer komplexerer Steueraufgaben ermöglichen. Die neuesten Aktorenarrangements in der Robotik kommen menschlichen Gliedern schon erstaunlich nahe; die Komplexität dieser Aufgaben verleiht Respekt vor den Wundern des menschlichen Körpers.
Zwei zentrale Schnittstellen werden also gleichzeitig geschlossen: die von der Software zum Konsumenten und die zur Produktion. Diese Doppelentwicklung macht die aktuelle Dramatik aus. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis jeder materiell-körperliche Produktionsakt und jede Transaktion digital steuerbar werden und damit Arbeitskraft und Handel durch Software ersetzt werden. Unsere Krisenangst findet hier das ersehnte Argument für düstere Prognosen.
Doch der Begriff Arbeitskraft deutet – wie auch Arbeitsplatz – auf einen gravierenden Denkfehler hin. Dieser Denkfehler führte schon in der Vergangenheit zu den Wahnideen der Maschinenstürmer. Wirtschaftlicher Wohlstand entsteht durch Befreiung von den Beschränkungen menschlicher Kraft und statischer Gegebenheiten.
Bislang entstanden für eingesparte Kräfte und verschwundene Plätze stets unzählige neue Möglichkeiten, menschliche Kreativität und Schaffenskraft im Dienste des Nächsten besser einzusetzen. Verbunden war damit aber schon in der Vergangenheit eine steigende Abstraktion der Tätigkeiten vom Körperlich-Materiellen. Diese Abstraktionsleistung könnte hinter dem Flynn-Effekt stehen oder durch ihn möglich geworden sein – die empirisch beobachtete Zunahme analytischer Intelligenz.
Die geforderte Intelligenz und die Dummheit des erwähnten Denkfehlers trüben die euphorische Perspektive des Ökonomen allerdings ein wenig, sodass er den Ängsten eben doch einen Kern Wahrheit zugestehen muss. Einerseits könnten die Abstraktionserfordernisse der neuen schöpferischen Kybernetik das Durchschnittsniveau allzu weit übersteigen, zumal auch der Flynn-Effekt mittlerweile abgebremst, wenn nicht gar umgekehrt zu sein scheint. Zusammen mit den neuen Skalierungsmöglichkeiten würde die Ungleichheit dann dramatisch verstärkt. Tatsächlich zeigen digitale Produkte schon heute extremere Verteilungen nach Potenzgesetzen.
Das wäre noch nicht so dramatisch, da im Digitalen auch die Anzahl an Nischen exponentiell zunimmt und damit die Vielfalt an Schaffensmöglichkeiten. Diese Möglichkeiten passen aber nicht mehr in das Korsett von Arbeitsplätzen, ihre Wertschöpfung übersteigt kaum das Niveau von Einpersonenunternehmen und korreliert kaum noch mit der aufgewandten Arbeitskraft.
Diese altertümlich-ideologische Auffassung von Arbeit als physischem Produktionsfaktor, die völlig übersieht, dass Produktion wesentlich ein geistiger Prozess ist und Ökonomie ein Sinnzusammenhang und keine Materialmenge, schränkt die Dynamik des Entdeckungsprozesses dramatisch ein, der notwendig ist, um die neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten unternehmerisch zu entdecken.
Paradoxerweise wird es der vermeintliche Schutz der Arbeitsplätze sein, der sie obsolet werden lässt. Wird die Kreativität verunmöglicht, bleibt nur noch die Zerstörung – das Verschwinden gewohnter Plätze und das Verbrauchen gewohnter Kräfte. Nur wenige können ihr Heil im technischen Rückschritt finden, in kraftvollen Fleißaufgaben an ruhigen Plätzen. Für die Masse bliebe als Alternative nur die Verarmung.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.