In den letzten Monaten lief eine Propagandakampagne der Europäischen Zentralbank, die das Thema der digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs) stärker in die Öffentlichkeit brachte. Die Hintergründe sind zwar nicht so beängstigend, wie sie scheinen mögen, dennoch sind Sorgen berechtigt.
Ebendiese Sorgen bis hin zu offener Ablehnung auf Seiten der Bevölkerung sind der Auslöser der Kampagne: Die durchgeführten Umfragen über die mögliche Akzeptanz von CBDCs waren erschreckend negativ für die Zentralbanken ausgefallen. Auch die aktuelle Kampagne stößt nur auf das Wohlwollen ihrer Günstlinge in den Hauptstrommedien, während die öffentlichen Kommentare überwiegend ablehnend reagieren. Die Kampagne hat also eher defensiven Charakter. Dahinter steht weniger ein klares Ziel der Zentralbanken, sondern vielmehr eine Reaktion auf die starke Nutzung digitaler Zahlungen mittels Fintech-Unternehmen und die starke Sympathie für digitale Zahlungen mittels Digitalwährungen, insbesondere Bitcoin im Lightning-Netzwerk.
Bei digitalen Zahlungen haben europäische Regulatoren und Banken in ihrer Fortschrittsfeindlichkeit amerikanischen Anbietern immer mehr Boden abgegeben, zuletzt sogar dem Apple-Konzern. Dennoch bezieht sich Madame Lagarde vorwiegend auf die andere Konkurrenz: Bitcoin. Das erscheint absurd, denn im Gegensatz zu Bargeld haben digitale Zentralbankwährungen mit Bitcoin nicht das Geringste zu tun.
Bitcoin ist nämliche keine CBDC-Alternative, sondern eine Zentralbankalternative. Das erklärt auch den Sympathiewettbewerb. Dass eine so zentrale Institution um das Vertrauen einer dank ihres Wirkens so massiv beschulten, informierten und subventionierten Bevölkerung ringen muss, und zwar gegenüber einer nur schwer begreiflichen und angreifbaren, relativ jungen Technologie – das wäre Zeichen eines massiven Institutionenversagens. In diesem Fall ist es eher Täuschung, denn die ungerechte Bereicherung bestimmter Gruppen, Branchen und vor allem der Politik zulasten der spekulativ weniger erfolgreichen Kleinsparer kann schwerlich als bloßes Versagen entschuldigt werden.
Bargeld ist natürlich Zentralbankgeld und damit Teil dieser Schieflagen. Doch neben seiner insgesamt winzigen Dimension im Vergleich zu den Blähwerten des Finanzsystems hat es vor allem eine vorteilhafte Besonderheit: Es ist ein Anachronismus, ein Relikt aus einer früheren Zeit, in der Kontrollwahn und -möglichkeiten noch stärker eingeschränkt waren. Heute würde so etwas wie Bargeld niemals politisch zugelassen werden — ein anonymes Inhaberpapier, das erlaubnislose Zahlungen und Horte erlaubt.
Daher kommt auch die berechtigte Skepsis gegenüber dem Versprechen der Zentralbank, die Privatsphäre besser zu schützen als Großkonzerne. Letztere sind gewiss heute Datenkraken, doch geht es ihnen vorwiegend darum, Güter und Aufmerksamkeit zu verkaufen. Der vermeintliche Datenschutz, wie ihn vor allem die EU betreibt, ist Ablenkung. Die legale Verkaufsanbahnung wird erschwert zum Preis staatlicher Übergriffigkeit, gegenüber der die Privatsphäre erst ihre eigentliche Bedeutung gewinnt. Die Zentralbanken mögen sich noch als neutrale Institution inszenieren, ihre zunehmende Politisierung – das heißt Unterordnung unter die Ziele politischer Interessengruppen – ist offensichtlich. Dies erklärt auch das sinkende Vertrauen. Lagarde selbst ist als ehemalige französische Spitzenpolitikerin Inbegriff dieser Politisierung.
Daher ist die Einschätzung von Agustín Carstens näher an der Wahrheit als die Versprechungen der EZB-Kampagne. Carstens konkurrierte einst gegen Lagarde um die IMF-Spitze, die Qualifikation „Frau“ wog aber schwerer als die Qualifikation „Mexikaner“. Dafür bekam er den Posten an der Spitze der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Carstens erklärt den Vorzug einer CBDC in eben deren erweiterten Kontrollmöglichkeiten: „Wir wissen nicht, wer heute einen 100-Dollar-Schein benutzt. Der entscheidende Unterschied mit einer CBDC besteht darin, dass die Zentralbank absolute Kontrolle über die Regeln und Vorschriften haben wird, und zudem werden wir die Technologie haben, um dies durchzusetzen.“
Dieser technokratischen Perspektive gilt China als Vorbild. Doch entgegen landläufiger Annahme gibt es in China noch kein zentralisiertes „Social Credit“-System, nur lokale Experimente der Integration des WeChat-Zahlungssystems mit unterschiedlichen behördlichen Datenabgleichen. Diese Experimente erfahren bislang den Zuspruch einer überwältigenden Mehrheit.
Die westlichen Technokraten gehen den genau gegenteiligen Weg: Anstelle dezentraler Experimente steht gleich der große paneuropäische Wurf, während der Zuspruch der Bevölkerung in diesen Pseudodemokratien weitgehend fehlt. Der Grund für die fehlende Legitimität ist aber ein positiver: In China besteht weniger Vertrauen zwischen den Menschen als zur Regierung, in Europa ist es zum Glück eher noch umgekehrt. Kreditwürdigkeit wird in der EU schon längst institutionell erfasst, Mangel an sinnvollen Daten besteht keiner.
Dennoch ist die Einführung digitaler Zentralbankwährung „alternativlos“, da sonst Gesichts- und damit Legitimitätsverlust droht. Dieser Schritt ist aber nicht so groß, wie die Zentralbanken, aber auch ihre Kritiker einem glauben machen. Digitale Bankwährung für alle und digitale Zentralbankwährung für Banken und Regierungen sind der Status quo. Die Ausweitung von Zentralbankkonten geht gegen Bankeninteressen und setzt deren Schwächung voraus, die im Zuge der Konzentration und Kollusion zwischen wenigen verbliebenen Großbanken und der sie stützenden und durch sie gestützten Staaten voranschreitet.
Ein kontenunabhängiges Zentralbankgeld wäre ein interessantes Experiment, das die Schwelle für die Nutzung besserer Digitalwährungen wie Bitcoin senken könnte. Am wahrscheinlichsten ist die Einführung im Zuge von staatlichen Zuteilungen. Vielleicht wird ein kommender „Klimabonus“ ausschließlich in CBDC ausgezahlt. Schlimmer ist dabei wohl die Zuteilung an sich, ihre Form ist weit weniger relevant.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.