Künstler zählen oft zu den stärksten Kritikern der Marktwirtschaft. Diese Ablehnung des Marktes ist nicht alleine ein Charakterfehler, liegt nicht nur an totalitären Kontrollphantasien, sondern hat einen guten Grund, den es einmal zu würdigen gilt. Doch die Ablehnung scheint immer weiter zuzunehmen und gerade auch besonders talentierte Künstler mit hohem Qualitätsanspruch zu erfassen, die den Kommerz als scharfen Widerspruch zur Kultur empfinden. Während die Schussfolgerungen aus ökonomischer Ahnungslosigkeit oft fatal sind, ist die Empfindung doch grundsätzlich berechtigt. Auch das Erstarken dieser Empfindung hat einen guten Grund; man muss diesem aber auch wirklich ökonomisch auf den Grund gehen, um die Zeit zu verstehen, in der wir leben.
Der Begriff „Markt” beschreibt das Zusammenfinden von sich meist fremden Tauschpartnern, die freiwillig gewisse Güter nachfragen und dafür andere Güter feilhalten. Der hierbei realisierte Wert entspricht der subjektiven Nutzenerwartung der Marktteilnehmer, die mit den eigenen Werthaltungen nicht immer übereinstimmt, schon gar nicht mit irgendwelchen objektivierbaren Werten. Nun sind Künstler meist Menschen mit ganz ausgeprägten Werthaltungen: über ein hohes ästhetisches Empfinden, den eigenen Qualitätsanspruch und auch die Überzeugung, selbst eine besondere Qualität realisieren zu können. Nicht-Künstler werden hier oft andere Trade-offs eingehen, sie werden ästhetische Abstriche aus ökonomischen Erwägungen in Kauf nehmen, oder es – aus Sicht der Künstler – an Geschmack fehlen lassen. Jeder Mensch, der mit seiner Arbeit auf den Markt geht, findet sich in der unangenehmen Position, mit seinen Produkten und Dienstleistungen Mitmenschen gefallen zu müssen. Die Urteile der Marktteilnehmer können dabei verletzend sein, sie würdigen nur selten die Arbeit und Ideen, die in einer Sache stecken, sondern meist nur deren erwarteten Nutzwert. Dieser kann freilich auch ein ästhetischer oder ideeller Wert sein, muss aber eben nicht mit den Maßstäben des Produzenten übereinstimmen.
Dadurch ist der Markt ein Informationsmedium und auch ein Disziplinierungsinstrument. Er kommuniziert uns über die Zahlungsbereitschaft der Mitmenschen ganz unmittelbar, ungeschönt und ehrlich ihre Werturteile. Während es leicht ist, Worte der Erbauung und Zustimmung zu erhalten – talk is cheap! –, ist das Angebot eines Gegenwerts, eine Zahlung eben, teuer. Dieses Feedback kann uns vor Fehleinschätzungen unserer eigenen Fähigkeiten, der Bedürfnisse unserer Mitmenschen und der Beschaffenheit der Welt bewahren. Natürlich können auch unsere Mitmenschen falsch liegen, uns unterschätzen, uns unter unseren Wert schlagen und Taugenichtse, gar Verbrecher hochschätzen. Je mehr wir aufzuweisen haben, je größer unsere Fertigkeiten, je strenger unsere Maßstäbe, je solider unsere Prinzipien, umso eher werden wir über das Markturteil die Nase rümpfen dürfen. Dabei können wir uns stets für ein unerkanntes Genie halten, doch das könnte eben auch die Rationalisierung eines Narzissmus sein, dem die Wünsche der Mitmenschen nichts gelten. Der Markt hält uns mit seinen Signalen wach, dass wir uns nicht in einen solchen Schlummer gegenüber der Welt wiegen. Der Markt ist das schonungslose Urteil über die derzeitige Realität, den Zustand der Welt und der Menschen. In uns regen sich aber Ideen und Werte, Idealvorstellungen darüber, wie die Welt sein könnte. Nur nach der aktuellen Marktnachfrage zu gehen, würdigt dieses Potential herab. Gerade als Künstler muss man sich an der Welt und den Wünschen und Geschmäckern der Menschen reiben, muss man dem Besseren, Wahreren und Schöneren den Vorzug geben, auch und gerade dann, wenn es nur wenige erkennen und schätzen.
Gute Künstler müssen daher eine innere Distanz zum Markt wahren. Sie müssen ihre Maßstäbe schützen und pflegen. Doch sie dürfen nicht den Fehler machen, sich gegenüber dem Markt ganz taub zu stellen. Nur die wenigsten, die auf diesem Ohr taub sind, denen also die Bedürfnisse und Zahlungsbereitschaft ihrer Mitmenschen gar nichts bedeuten und nichts lehren, sind tatsächlich Genies, die erst nach ihrem Tode den verdienten Ruhm erlangen. Diese wenigsten gibt es zwar. Doch die allermeisten sind bloß arrogante Narzissten, die geschützte Werkstätten für ihre Mittelmäßigkeit, Nahrung für ihr Ego und das Leben auf Kosten ihrer Mitmenschen suchen. Doch die innere Distanz zum Markt steigt nicht nur mit solch narzisstischer Schwerhörigkeit nach außen, sondern auch mit der Höhe der inneren Maßstäbe. Nicht nur die Schlechtesten, sondern auch die Besten fühlen sich am Marktplatz, in der Masse des allgemein Geschätzten, des offensichtlich Nützlichen, des allzu Billigen, stets etwas fremd – nur letztere zu Recht.
Warum aber scheint nun auch die Marktskepsis der Besseren zu wachsen? Steigen die Maßstäbe der Künstler? Oder werden schlicht die Künstler charakterlich immer schlechter, durch künstlich genährten Dünkel schwerhörig und arrogant? Es gibt einen anderen Grund dafür, und er spricht weder gegen die Künstler noch gegen den Markt – er zeigt uns nur die Problematik der Marktverzerrung auf.
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.