Politisches System und Geldsystem sind eng verbunden. So ging die Zentralisierung im modernen Territorialstaat mit der Zentralisierung des Geldes einher. Doch Zentralpläne scheitern letztlich. Das Ende des Weströmischen Reichs war auch das Ende eines Geldsystems. Nach ständigem Kaufkraftverlust hörte der längst nicht mehr solide Solidus auf, die weltweite Arbeitsteilung zu vermitteln. Die Horte römischer Münzen schwanden, parallel dazu schwand die Arbeitsteilung, und der Wohlstand fiel. Gefüllt wurde das Vakuum bald durch islamische Reiche, und der Dirham nährte neuen Handel. Leider war das gefragteste Gut im Osten westliche Sklaven. Insbesondere skandinavische Händler verdingten sich in diesem Handel.
Die Plünderstrukturen von Imperien nähren einen Handel, der überwiegend destruktiv ist. Im Römischen Reich lagen die größten unternehmerischen Profite in Steuerpacht und Truppenversorgung. Der Zusammenbruch der Samanidenherrschaft, vor allem aber die Christianisierung des Nordens brachten den ähnlich destruktiven und profitablen Sklavenhandel zum Erliegen. Die Dirhamhorte schwanden, doch der Raum für konstruktiven Handel wuchs dadurch. Dieser Handel rettete Leben: Gesalzener Hering bot in weiten Teilen Europas eine wichtige Proteinquelle während des Winters. Seine Haltbarkeit erlaubte Fernhandel, und bald schwirrten Ost- und Nordsee vor händlerischer Geschäftigkeit. Das härtere Klima und die Gefährdung durch die berüchtigten Seeräuber des Nordens nötigten die Händler zur Kooperation. Zwar mindert Konkurrenz die Renditen, doch Kooperation stabilisiert sie – und im Norden machte sie jene erst möglich. Während mediterrane Händler stets im Konflikt miteinander standen und sich Städte wie Familien bekriegten, waren die baltischen Händler geeint. Sie fuhren im Konvoi.
Solche Gruppen von Händlern oder Kriegern nannte man auf Gotisch Hanse. Dieser Begriff begann für ein politisches System zu stehen, das leider im 18. Jahrhundert fast völlig in Vergessenheit geriet, aber erstaunliche 500 Jahre überlebte. Diese Hanse war niemals eine Liga und anfangs nicht einmal ein Städtebund, sondern ein Netzwerk von Händlern, die gelegentlich unterschiedliche Ligen formten, um sich und ihren Handel zu schützen. Die stabilen Handelsstrukturen nährten in unterschätztem Ausmaß europäischen Wohlstand und die europäische Kultur. Zwei Elemente begründeten den Erfolg und die Langlebigkeit dieser ungewöhnlichen Struktur, die zur Spitzenzeit 200 Städte umfasste: Dezentralisierung und gutes Geld. Die Hanse hatte weder Präsident noch festes Budget, weder stehendes Heer noch ein Siegel. Es gab nicht einmal eine Mitgliederliste oder eine Verfassung. Der Zusammenschluss war rein freiwillig und vertraglich. Das Hauptdruckmittel war nicht militärisch, sondern die Drohung von Händlern, auszuwandern und Wohlstand wie Handelsverbindungen mitzunehmen. Städte zogen Händler an, indem sie ihnen „Privilegien“ versprachen wie jenes, nicht geplündert zu werden. Es gab keine von oben verordneten Gesetze, sondern es galt das autonome Händlerrecht, genannt „Köre“ (Kür), bei dem Händler passende Vertragsregeln kombinierten und dabei frei auf in Städten wie Lübeck und Hamburg schriftlich festgehaltene Standards zurückgreifen konnten. Die Entscheidungsfindung in gemeinsamen Fragen erfolgte subsidiär nach einem Konsensverfahren, nicht durch Mehrheitsvoten oder Dekrete.
Das Geldwesen war ebenso dezentral. Nach geltendem Herrschaftsgesetz, etwa der Goldenen Bulle, waren Städtebünde an sich illegal, so wie Privatpersonen im „Reich“ oft Feinwaagen verboten waren. Zum Glück konnte es sich das Netzwerk der Hanse leisten, solche Gesetze zu ignorieren. Die Händler trauten den geprägten Münzen nicht, sondern wogen stets nach und beurteilten nach einem Silberstandard. Eine Mark stand für ein festes Feingewicht von acht Unzen, auch wenn sie lange gar nicht offiziell ausgeprägt wurde. Wenn geprägt wurde, dann ohne Münzverrufungen. Die damit verbundene Stabilität gab dem Pfund Sterling den Namen nach den „Osterlingen“ – den Händlern der Ostsee.
Kredit mieden die Hansehändler, weil er Konflikte und Risikofreude allzu stark begünstigen würde. Über alles wurde streng Buch geführt. Die größten literarischen Leistungen der Zeit waren nicht Gedichte oder Epen, sondern historische Chroniken. Das erlaubte gutes Reputationsmanagement. Schlechte Waren wurden von Stadt zu Stadt zurückgeschickt, bis der in örtlichen Listen vermerkte Urheber ausfindig gemacht worden war und teure Entschädigung zu leisten hatte.
Unternehmungen wurden bewusst kleingehalten, oft waren es nur Partnerschaften zwischen zwei Händlern mit guten Anreizen. Als Kapitäne fungieren durften nur verheiratete Männer mit Kindern, die in der Regel den kleineren Teil des Kapitals stemmten. Erfolgreiche Unternehmer investierten in Dutzende kleiner Unternehmungen, anstatt alles in einem Großunternehmen zu konzentrieren. Der Untergang der Hanse war dem Wettbewerb durch zwei Arten von Banditen geschuldet, die gemeinsame Sache machten: die stationären Banditen des aufstrebenden Nationalstaats und die Bankster, die die Schulden der Ersteren monetisierten. Adelige bekamen plötzlich Kredite, mit denen sie für ihre unbrauchbarsten Söhne Kirchenämter kaufen konnten, weil der Ablasshandel durch kreative Bankiers wie Fugger als Sicherheit erkannt wurde. Ähnlich war es natürlich bei Krediten zur Staatsausweitung, die durch die wachsende Steuerbasis besichert wurden.
Die Reformation war eine direkte Folge der Finanzialisierung des Glaubens und traf die Hanse doppelt: Die Nachfrage nach den zwei wichtigsten Gütern Hering und Wachs sank aufgrund sinkenden Bedarfs für Fasten und Kerzen, während religiöse Konflikte die Händler und ihre Städte entzweiten. Mit dem neuen Wohlstand engagierten sich die Bankiers in der Industrie und unterboten die Hanse durch Skaleneffekte. Destruktiver Handel wurde wieder zum profitabelsten: der Handel mit Kanonenfutter, Rüstung und den zur Finanzierung nötigen Schuldtiteln.
Zuerst erschienen in eigentümlich frei.