Die Aussichten der nahenden Bundestagswahl drängen deutsche Mittelständler zu Fluchtplänen. Grün-rot-dunkelrot weckt Ängste, noch mehr für Weltrettungspläne ausgenommen zu werden. Handelt es sich um unsoziale Ängste der Wutbürger? Gibt es tatsächliche Hinweise auf bestehende oder drohende Abwanderung von Unternehmern?
Der mögliche Wahlausgang mag zwar ein sichtbarer Anstoss sein, sollte aber in der Wirkung auch nicht überschätzt werden. Es gibt keinen empirischen Hinweis darauf, dass «linkere» Regierungen mehr Besteuerung oder Regulierung im Vergleich zu «konservativeren» Regierungen bedeuten, eher für das Gegenteil finden sich Hinweise. Die Politik der amtierenden «bürgerlichen» Regierung schliesslich wäre vor nicht allzu langer Zeit am «linken» Rand verortet worden.
Einer der deutlichsten Indikatoren für Unternehmerabwanderung in diesem Jahr ist selbst wiederum ein wesentlich gewichtigerer Anlassfall, Fluchtpläne zu wälzen, als der mögliche Wahlausgang. Es handelt sich um die dramatische Verschärfung der ohnehin bereits vergleichsweise scharfen Wegzugsbesteuerung, die ab 1.1.2022 gelten wird. Damit bleibt nicht mehr viel Zeit für Deutsche mit Unternehmensbeteiligungen, dem Damoklesschwert hoher Ablasszahlungen zu entgehen. Alle, die sieben Jahre in Deutschland verbracht haben, werden damit wesentlich schlechter behandelt als Neuankömmlinge oder vorübergehende Gäste. Das Verlassen des Landes wird dann wie eine Unternehmensveräusserung betrachtet, die bisherige Steuerstundung auf unbeschränkte Zeit bei Verbleib in der Europäischen Union fällt weg.
Traumdestination vs. Abwanderungsland
Der Zweck ist klar: die Abwanderung deutscher Unternehmer zu erschweren. Gäbe es diese Abwanderung nicht, wäre weder diese Verschärfung noch die an den Tag gelegte Eile in der Umsetzung erklärbar. Pro Jahr verlassen etwa 220’000 bis 300’000 Deutsche das Land (neben bis zu einer Million Nicht-Deutschen), netto verliert dadurch Deutschland pro Jahr etwa 50’000 Spitzenkräfte, die nicht wieder zurückkehren. Zahlen über Unternehmer liegen leider nicht vor, Berichte über steigende Zahlen abwandernder Millionäre sind schwer zu verifizieren – zumal insgesamt die Zahl der Millionäre durch die Vermögenswertinflation im Steigen begriffen ist.
Die vergleichsweise hohe Steuerlast und Regulierungsdichte in Deutschland ist keine neue Entwicklung, und die Grünen haben wenig dazu beigetragen. Noch immer gilt Deutschland als eines der begehrtesten Zielländer für Zuwanderer. Doch die Traumdestination Deutschland steht nicht im Widerspruch zum Abwanderungsland für Spitzenkräfte, diese Ströme in gegensätzliche Richtungen korrelieren. Die Zuwanderung in die Sozialsysteme bei schwindendem Sicherheitsgefühl durch Negativauswahl bei der Migration mag einer der Gründe sein, der bei deutschen Mittelständlern die Kosten-Nutzen-Rechnung zulasten der Heimat ausgehen lässt. Negativauswahl bedeutet vergleichsweise hohe Schwierigkeit bei der Einreise von Zuwanderern mit nützlichen Fertigkeiten und kultureller Kompatibilität, während Lügen über Identität und Fluchtgründe Aufenthaltsstatus plus finanzielle Unterstützung ermöglichen.
Als Einzelfaktor mag die Unzufriedenheit über Migrationspolitik und Migrantenkriminalität kleinlich, verbohrt und gar unanständig erscheinen, und das Verlassen der Heimat ist nur bei wenigen Ausdruck eines materialistischen Kosten-Nutzen-Kalküls. Doch gute Ökonomik betrachtet sowohl Kosten als auch Nutzen subjektiv und ganzheitlich und richtet das Augenmerk auf kleine Veränderungen an der Kippe.
Das unsichtbare soziale Kapital
Eine empathische Betrachtung findet eine Fülle von subjektiv empfundenen Veränderungen, die für bürgerliche Deutsche in dieselbe Waagschale fallen. Das Profil der grünen Kanzlerkandidatin, die vor nicht allzu langer Zeit wohl für die Persiflage einer Spasspartei gehalten worden wäre, ist eines jener Symptome einer Trendwende, die im Einzelnen unbedeutend erscheinen, doch in Summe Hoffnungslosigkeit wecken. Auch wenn die Dominanz von politischen Funktionären, die in ihren Blasen bislang jeder Berührung mit der Wirklichkeit abseits ideologischer Wunschvorstellungen und leerer Phrasen erfolgreich aus dem Weg gingen, ein schon länger andauernder Prozess ist.
Trotz aller politischen Dreistigkeiten war und ist Deutschland noch immer ein guter Standort für unternehmerischen Erfolg, der für die Steuerleistung auch einiges bietet. Es wird aber, besonders von der Politik, unterschätzt, ein wie grosser Teil dieser Standortfaktoren Folge angesammelten Kapitals ist, vor allem unsichtbaren sozialen Kapitals.
Die hohe Produktivität deutscher Unternehmen liegt auch an den hervorragenden Mitarbeitern. Mehrere Entwicklungen zeigen hier eine deutlich negative Tendenz: demografischer Schwund, Diskrepanz zwischen Arbeitsmarkt und Zuwanderung, Abnahme naturwissenschaftlicher und technischer Fertigkeiten, steigende Anspruchshaltung und sinkende Leistungsbereitschaft junger Arbeitnehmer – um nur die wichtigsten zu nennen.
Zugleich am besten und am schlechtesten
Eine Anekdote beschreibt, wie sich diese Entwicklungen vor dem Hintergrund historisch hohen Humankapitals in der Praxis zeigen: Ein Schweizer Unternehmer, der viele Tausend Mitarbeiter beschäftigt und einige Werke in Deutschland betreibt, bemerkte im persönlichen Gespräch, seine weltweit besten und schlechtesten Mitarbeiter seien Deutsche. Jede weitere schlechte Überraschung fällt in die Waagschale, die schon voll beladen mit schwerfälligen Arbeitsgesetzen und höchsten Lohnnebenkosten ist.
Die im Zuge der Pandemie rasant angestiegene und zur Normalität gewordene Telearbeit schliesslich relativiert die Notwendigkeit geografischer Präsenz für den Zugang zu jenen Arbeitskräften, die noch zu den weltbesten zählen. Ausgerechnet die Produktivsten trifft die hohe Belastung des Faktors Arbeit am meisten. Sobald Mitarbeiter erkennen, dass sie ihre Arbeit auch als permanente Touristen durchführen könnten, dabei aber netto das bis zu Dreifache bleibt, könnten Fluchtinstinkte geweckt werden. Viele der abwandernden Unternehmer sind durch die völlig unzeitgemässe Gesetzeslage zur Selbständigkeit gedrängte ehemalige Angestellte. Die Änderung der Unternehmensprozesse von Abteilungen mit Festangestellten hin zu veränderlichen Teams von Selbständigen ist dabei oft im Einklang mit anderen Trends einer dynamischeren, globalisierten Produktionsstruktur.
Warnsignale beachten
Ein weiterer, weniger bekannter Grund für immer mehr Mittelständler, Deutschland den Rücken zu kehren, ist die für viele unerträgliche Verbindung von Schulzwang und Pandemiepolitik. Deutschland gehört zu den weltweit strengsten Staaten bei der Exekution institutioneller Beschulung, auch gegen den Wunsch von Eltern und Kindern. Bereits ohne die nun übliche Gängelung von Kindern zur Seuchenbekämpfung bereitet die Zwangsschule im Gleichaltrigenverband manchen Kindern aus gesundheitlichen, psychischen oder charakterlichen Gründen schwere Probleme. Behördlich angeordnetes «Homeschooling» vor Bildschirmen mit hohem Aufwand begleiten zu müssen, während Freilernen oder häuslicher Unterricht streng verboten sind, ist für immer mehr Familien der letzte Anstoss, über das Auswandern nachzudenken. Pandemie-Massnahmenskepsis trägt einen Teil dazu bei, rechtfertigt aber nicht die Verunglimpfung aller nun schulskeptischen Eltern als Covid-Leugner.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Republiksfluchtsteuer, Anfeindung Andersdenkender und die zunehmenden Forderungen nach Globalbesteuerung dürfen aber als Warnsignale betrachtet werden. Die Schweiz wird im Wettbewerb um Spitzenkräfte weiter profitieren, als Einäugige unter Blinden.
Zuerst erschienen bei Finanz & Wirtschaft