Der Schock war groß, als Anfang November der islamistische Terror in Wien wütete. Am Vorabend der behördlichen Schließung der Gastronomie waren am lauen Herbstabend die Wein- und Biergärten voll von Menschen, denen die Pandemie bisher nicht die gewünschte Angst eingejagt hatte. Vier Menschen wurden innerhalb weniger Minuten erschossen, nach neun Minuten der fünfte – der Terrorist. Dann begann für den Rest der Stadt der Terror: Polizisten jagten die Bürger in die Keller, und die Medien warnten vor Geiselnahmen: Weitere acht Terroristen mit automatischen Waffen seien flüchtig!
Tatsächlich war es ein Einzeltäter. Erst in den Morgenstunden durften die Passanten der Innenstadt den Heimweg nach dieser Terrornacht antreten. Ein eindrücklicher Auftakt für den Lockdown!
Wir fühlten uns wie im falschen Film. Das Drehbuch wies aber noch weitere Pointen auf. Die Nacht bescherte uns drei Helden und eine Parole. Zwei türkische Zuwanderer, selbst mit Faible für Islamismus, geleiteten zwei Passanten in Sicherheit. Ein palästinensischer Flüchtling, dessen Familie eine niederösterreichische Gemeinde erst nach großem medialem Druck einen Hauskauf genehmigt hatte, barg einen angeschossenen Polizisten. Ein Wiener wurde auf einem der Videos, die entgegen polizeilicher und medialer Appelle die Runden machten, mit dem Ausruf verewigt: „Oaschloch!“ Ergänzt um ein erfundenes „Schleich di!“ hatte Wien eine einende Parole gefunden. Gegen Arschlöcher, für Menschlichkeit! Der Attentäter war geborener Österreicher mit albanischen Wurzeln und mazedonischem Zweitpass. Eines der Opfer hatte zufälligerweise ebenfalls einen mazedonischen Pass.
Die Pointen nehmen kein Ende: Der Täter war als IS-Anhänger bekannt und verurteilt, wurde aber nach nur wenigen Monaten vorzeitig auf freien Fuß gesetzt. Ein Munitionskauf war der Polizei gemeldet worden, ebenso war ein Besuch von Schweizer IS-Sympathisanten behördlich bekannt. Wenige Stunden vor der Tat hatte ihn eine SMS darüber informiert, dass seine Standortdaten polizeilich festgestellt werden. Diese SMS hatte nichts mit Vorstrafen oder Terror zu tun, sondern war Folge einer Datenschutzverordnung. Sie stand mit einem Notruf, der einige Tage zurücklag, in einer Verbindung, die für den Täter nicht ersichtlich war. Er geriet wohl in Panik und führte den Anschlag aus.
Weil sich SMS-Nachrichten als so gefährlich erwiesen haben, wird der Terroranschlag nun im EU-Ministerrat auf Betreiben Österreichs dazu benützt, um ein Verbot der Verschlüsselung von Nachrichten-Apps durchzusetzen.
Für aufstrebende Youtuber wären das längst genügend Beweise für eine Verschwörung, eine Operation unter falscher Flagge. Doch Indizien sind etwas anderes als Beweise. Merkwürdige Indizien fallen eher auf, und so geben wir – mich eingeschlossen – ihnen selektive Aufmerksamkeit.
In solchen Fällen hilft aber ein humorvolles, durchaus ernsthaftes Erkenntnisprinzip: Hanlons Rasiermesser. Dieses Prinzip geht zurück auf die Leserzuschrift eines gewissen Robert Hanlon für einen Publikumsband zur Ergänzung der Murphyschen Gesetze. Das Prinzip lautet: Schreibe nichts böser Absicht zu, was genauso gut durch Inkompetenz erklärt werden kann. Es ist selbst das beste Beispiel für ein weiteres Prinzip, das in diesem Fall hilfreiche Ergänzung bietet: Merkwürdige Zufälle bemerken wir eher und merken wir uns eher. Denn Hanlons Rasiermesser wurde nahezu wortgleich zuvor in einem Buch formuliert, dessen Autor eine merkwürdige Namensgleichheit aufweist: Robert Heinlein. Diese Merkwürdigkeit führte dazu, dass der Satz im Nachhinein höhere Aufmerksamkeit erhielt.
Sind die österreichischen Behörden wirklich so inkompetent, die erwähnten Pointen oder Merkwürdigkeiten zu erklären? In Wirklichkeit sind sie noch inkompetenter, denn ich habe etliche Pointen ausgespart. Mindestens zwei vergleichbare Anschläge waren innerhalb der letzten Jahre geschehen, aber mit großem medialem Einsatz als Einzelfälle abgetan worden. 320 Möchtegern-Terroristen wollten aus Österreich nach Syrien in den „Islamischen Staat“ reisen, 60 wurden aktiv daran gehindert, zusätzlich sind bisher 100 zurückgekehrt – macht 160 amtsbekannte „Gefährder“. Der aktuelle Terrorist wurde mit großem Aufwand „deradikalisiert“, mit einer Gemeindewohnung und Sozialhilfe versorgt. Mindestens fünf Schlampereien geschahen in Folge, damit der absehbare Anschlag überraschen konnte. Das einzige Glück in dieser behördlichen „Pechsträhne“: Der Täter war als Terrorist fast so inkompetent wie diejenigen, die uns vor ihm schützen sollten. Österreich ist doch keine Bananenrepublik! Es ist eines der sichersten Länder mit der höchsten Lebensqualität! Gerade hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der behördlichen Inkompetenz. Zum kulturellen Erbe Österreichs zählen nicht nur phantastische Bausubstanz und Kulturlandschaft, sondern viel unsichtbares Kapital: Vertrauen, Ethos, Fleiß und das Glück, nach dem Zweiten Weltkrieg auf der richtigen Seite des Eisernen Vorhangs zu enden.
Das Vertrauen in die Obrigkeiten, die Reste eines hohen Ethos von Teilen der Staatsbediensteten und der Fleiß der schwindenden Minderheit verbliebener Steuerzahler erlauben an neuralgischen Punkten grenzenlose Inkompetenz ohne jede Konsequenz. Eine wachsende Zahl von Gutachtern, Therapeuten, Juristen, Publizisten, Quango-Mitarbeitern (staatlich subventionierten NGOs) und natürlich Politikern schwingen sich zu Entscheidern auf, ohne für falsche Entscheidungen jemals geradezustehen. Ganz im Gegenteil: Misslingt die Intervention, rufen sie empört nach noch mehr Befugnissen und Mitteln. Die Konsequenzen in diesem Fall: mehr Geld für Geheimdienste, Deradikalisierungskurse, Förderung jugendlicher Gewalttäter und Integrationsprojekte!
Die Parallelen zum Pandemie-Interventionismus drängen sich auf: Nutzt der erste Lockdown nicht, kommt ein zweiter und dritter. Totalversagen in der Vorbereitung, der Einschätzung und der Kommunikation führen zu null Einkommenseinbußen bei denjenigen, die die Einkommensgrundlagen der anderen per Dekret einschränken. Willkommen im Spät-Etatismus!